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In den legendären 100-Yen-Shops in Japan bekommt man seit Jahrzehnten günstig und preisstabil eine Vielzahl an Alltagsprodukten. 100 Yen waren umgerechnet in Euro vor einem Jahr noch 77 Cent wert. Die steigenden Energie- und Rohstoffpreise sowie die starke Abwertung des Yen wirken sich nun aber bedrohlich aus: Seit Anfang 2022 hat der Yen gegenüber dem US-Dollar um 16 % abgewertet; er ist damit auf den tiefsten Wert seit fast 25 Jahren gesunken. Aufgrund der Yen-Schwäche im Laufe der letzten Monate sind 100 Yen zum aktuellen Kurs in Euro mittlerweile nur noch ca. 71 Cent wert. Durch die Abwertung verteuert sich der Import von Waren nochmals stark. So ist es kaum mehr möglich, den Preis solcher Produkte bei 100 Yen konstant zu halten. Zwar lag die Inflationsrate in Japan mit 2,5 % im Mai immer noch weit unter den Werten, die derzeit in den USA und in Europa zu beobachten sind. Im Vergleich zum Vormonat hat sich damit auch in Japan die Inflation aber bereits verdoppelt. Es ist damit zu rechnen, dass die Preise in Supermärkten und Restaurants in den kommenden Monaten noch weiter ansteigen werden.

Während im Lauf der vergangenen Monate fast alle westliche Zentralbanken eine Politik steigender Zinsen eingeleitet oder zumindest angekündigt haben, bekräftigte die Bank of Japan auf ihrer Sitzung Mitte Juni 2022 nochmals ihr Bekenntnis, die Zinsen weiterhin niedrig zu lassen. Sie verfolgt schon seit längerem eine recht unkonventionelle Strategie: Die Steuerung der Zinsstrukturkurve. Sie verpflichtet sich darauf, den Zinssatz auf Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit im Rahmen einer gewissen Schwankungsbreite bei 0,25 % zu halten, und erklärt ihre Bereitschaft, in beliebigem Umfang Staatsanleihen zu kaufen, um diesen Zinssatz durchzusetzen. In einer Phase, in der die meisten anderen Zentralbanken den Anstieg ihrer Leitzinsen verkünden, kann es somit nicht überraschen, dass sich damit die Abwertung des japanischen Yen wiederum verstärkte. Im Kalkül, dass die Bank of Japan bei weiter anhaltender Inflation nicht in der Lage sein wird, ihre lockere Geldpolitik beizubehalten, gehen manche Hedgefonds bereits eine Wette gegen japanische Staatsanleihen ein. Entsprechend hat sich die Zinsstrukturkurve auch in Japan nach oben verschoben. Mittlerweile weist sie einen Knick bei der Laufzeit von zehn Jahren auf: Während die Zentralbank diesen Zins fixiert, liegen Zinsen mit längerer Laufzeit und selbst die mit etwas kürzerer Laufzeit höher.

Es ist fraglich, ob die Wette auf einen geldpolitischen Wechsel in Japan im Lauf der nächsten Monate aufgehen wird. Die japanische Zentralbank verfolgt eine durchdachte Strategie. Sie sieht den aktuellen Preisanstieg als Folge eines kurzfristigen Angebotsschocks. Die angemessene Reaktion auf solch einen Schock besteht darin, den Einmaleffekt gestiegener Preise in Kauf zu nehmen, möglichen Zweitrunden-Effekten (aus einer Lohn-Preis-Spirale) hingegen entgegenzuwirken. Kurzfristig gestiegene Inflationserwartungen sind unmittelbar auf den Anstieg der Energiepreise zurückzuführen. Die japanische Wirtschaft entwickelt sich bislang weiterhin schwach. Die anhaltende Nachfrageschwäche macht es unwahrscheinlich, dass eine Lohn-Preis-Spirale in Gang kommen könnte. Die aktuelle Abwertung des Yen dürfte im Prinzip zwar die Nachfrage stimulieren. Angesichts des anhaltenden Lockdowns in China fallen derzeit aber wichtige Komponenten der internationalen Nachfrage nach japanischen Produkten ganz aus oder entwickeln sich allenfalls schwach. Unter diesen Bedingungen erscheint die Stimulierung von Nachfrage aus anderen Regionen der Welt umso dringlicher. Weil japanische Unternehmen einen erheblichen Teil ihrer Produktion schon lange ins Ausland verlagert haben, fällt der stimulierende Effekt eher schwach aus. Es wäre aber kontraproduktiv, der Yen-Abwertung durch steigende Zinsen entgegenzuwirken und damit zudem auch die inländische Nachfrage noch weiter zu dämpfen.

Die japanische Zentralbank gilt vielfach als Vorreiterin unkonventioneller Geldpolitik. Tatsächlich aber hat sie in den 1990er Jahren und im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts eher viel zu zögerlich agiert. Insbesondere hat sie meist zu früh wieder zu einer restriktiven Politik gewechselt. Dies änderte sich erst im Rahmen der Abenomics mit dem Wechsel zu einer strikten Verpflichtung auf eine länger anhaltende expansive Politik. Während bei verfrühten Zinssteigerungen das Risiko einer harten Landung mit Rezession und steigender Arbeitslosigkeit droht, könnte ein zu langes Festhalten an einer Politik niedriger Zinsen zu einer Überhitzung der Wirtschaft führen. Ein solcher Boom erscheint in Japan geradezu als willkommener Ausweg aus jahrzehntelang verfestigten Deflationserfahrungen. Die Herausforderung für die Zentralbank besteht darin, zu verhindern, dass steigende Risikoprämien die langfristigen Zinsen am Kapitalmarkt zu stark steigen lassen. Nur 13 % der Anleihen des japanischen Staats sind in ausländischer Hand. Japaner:innen verhalten sich traditionell als stabile, konservative Investierende. Solange dies weiterhin so bleibt, ist nicht damit zu rechnen, dass massive Käufe der Bank of Japan notwendig werden, um die Zinsaufschläge am Markt für langfristige Anleihen in Grenzen zu halten.

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© Der/die Autor:in 2021

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DOI: 10.1007/s10273-022-3235-z