Die Bundesregierung diskutiert angesichts anhaltend hoher Energiepreise über ein weiteres Entlastungspaket für Privathaushalte und dabei steht – wieder einmal – eine Erhöhung der Entfernungspauschale im Raum. Auf den ersten Blick scheint das naheliegend, weil Wege von und zur Arbeit immerhin etwa ein Fünftel des gesamten Personenverkehrs ausmachen. Doch bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass es stattdessen einer grundlegenden Reform bedarf. Eine Anhebung der Entfernungspauschale ließe sich grundsätzlich aus dem objektiven Nettoprinzip ableiten, das sich aus dem steuerrechtlichen Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit ergibt. Das Nettoprinzip besagt, dass Einkommen, das für die Erzielung von Einnahmen aufgewendet wird, nicht besteuert werden darf. Dabei muss die Gesetzgebung die persönlichen Aufwendungen nicht zwingend vollumfänglich berücksichtigen – sie darf „pauschalieren“ und „typisieren“, also einen typischerweise auftretenden Kostensatz zugrunde legen (Wissenschaftliche Dienste, 2020). Allerdings ist juristisch umstritten, in welchem Maße Pendelkosten beruflich oder – im Zuge der Wohnort- und der Verkehrsmittelwahl – privat veranlasst sind. Des Weiteren sprechen aus ökonomischer und ökologischer Perspektive wichtige Argumente gegen eine Anhebung.
Die Konzipierung von Entlastungspaketen sollte Haushalte, die am stärksten von Preissteigerungen betroffen sind, auch am stärksten entlasten. Eine Erhöhung der Entfernungspauschale widerspricht diesem Prinzip. Von dieser profitieren Haushalte mit geringem Einkommen kaum und solche mit mittlerem bis hohem Einkommen am stärksten, während die relative Belastung durch die gestiegenen Kraftstoffkosten am oberen Ende der Einkommensverteilung abnimmt. Die tendenziell regressive Verteilungswirkung einer Kombination aus höheren Kraftstoffpreisen und einer höheren Pendlerpauschale kommt vor allem durch den progressiven Verlauf des Steuertarifs zustande. Eine Rolle spielt auch, dass von der Pendlerpauschale in voller Höhe nur profitiert, wer noch weitere Werbungskosten in Höhe des Arbeitnehmerpauschbetrags aufweisen kann. Bei geringen sonstigen Werbungskosten kann die Pendlerpauschale hingegen steuerlich vollständig verpuffen. Statistiken deuten darauf hin, dass Personen mit einem niedrigen Gehalt typischerweise auch niedrige sonstige Werbungskosten aufweisen. Eine Erhöhung der Pauschale ist überdies mit hohen fiskalischen Kosten verbunden. Gemäß den steuerpolitischen Faustformeln des Bundesfinanzministeriums bewirkt eine Anhebung der Entfernungspauschale um 0,10 Euro 2023 eine Aufkommensreduktion um etwa 2,6 Mrd. Euro, wovon knapp die Hälfte auf den Bund entfiele. Bleibt die Bundesregierung bei ihrem Plan, ohne Steuererhöhungen die Schuldenbremse ab 2023 wieder einzuhalten, ist der finanzielle Spielraum für ein weiteres Entlastungspaket begrenzt. Die Maßnahmen sollten daher zielgenau auf besonders betroffene Bevölkerungsgruppen in der unteren Hälfte der Einkommensverteilung begrenzt werden. Eine höhere Entfernungspauschale erfüllt dieses Kriterium nicht.
Auch die verkehrs- und umweltbezogenen Anreizwirkungen der Entfernungspauschale müssen kritisch bewertet werden. So sind die durch eine Anhebung der Pauschale gesetzten Anreize kurz- und langfristig mit einem höheren Verkehrsaufkommen verbunden. Kurzfristig, weil die Pauschale nur für Tage mit tatsächlich zurückgelegtem Arbeitsweg gewährt wird, was im Falle von Erwerbstätigen mit flexiblem Arbeitsplatz tendenziell zu mehr Fahrten ins Büro führt. Mittel- bis langfristig, indem die Pauschale den langfristigen Trend zu höheren Distanzen zwischen Wohn- und Arbeitsort und damit zu längeren Arbeitswegen befördert. Mit steigendem Verkehrsaufkommen wächst die Belastung für Menschen und Natur durch Treibhausgas- und Luftschadstoffemissionen sowie Lärm. Zudem wird Zersiedelung begünstigt und dadurch eine höhere Inanspruchnahme von Bodenflächen, woraus vielfältige ökologische Probleme erwachsen. Besonders fatal wäre es, eine gesetzliche Kopplung zwischen Kraftstoffpreis und Entfernungspauschale im Sinne einer dynamischen Pendlerpauschale einzuführen, wie teilweise vorgeschlagen wird. Diese würde zwar der Logik einer Orientierung am aktuellen Regelfall (Typisierung) besonders konsequent folgen; zugleich würde sie so aber die Dominanz des Pkw im (Berufs-)Verkehr weiter manifestieren. Die Pauschale stellte damit eine staatliche „Gratis-Versicherung“ gegen Kraftstoffpreisrisiken dar und würde so die Investitionsentscheidung (risikoscheuer) Menschen in Richtung von klimaschädlichen Verbrennerfahrzeugen verzerren.
Dass die Aufwendungen für berufsbedingte Wegekosten wie in Deutschland pauschal und nahezu unbegrenzt abgesetzt werden können, ist im internationalen Vergleich zudem eher unüblich. In vielen europäischen Ländern werden Pendelkosten – gemäß „Werkstorprinzip“ – schon heute steuerlich nicht berücksichtigt, beispielsweise in Großbritannien, Irland oder Tschechien. In einigen anderen Ländern sind die Wegekosten nur unter bestimmten Bedingungen absetzbar, z. B. gekoppelt an die Länge oder den Zeitaufwand des Arbeitsweges oder an die Verkehrsmittelwahl. Aus verkehrsökonomischer Sicht sind die Regelungen in Österreich besonders interessant. Dort wird die volle Pauschale nur dann gewährt, wenn die Nutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels nicht möglich oder unzumutbar ist. Für die Prüfung der Zumutbarkeit gibt es einen eigenen „Pendlerrechner“, der unter Angabe von Wohn- und Arbeitsadresse sowie Arbeitszeiten die Verfügbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel überprüft und sich so auch für eine ökologische Steuerung nutzen ließe. Auch in einem weiteren Punkt lohnt der Blick auf das südliche Nachbarland. Einen Teil der Pendlerförderung gewährt es über den sogenannten Pendler-Euro, der statt der Bemessungsgrundlage direkt die Steuerschuld mindert; er ist dadurch unabhängig vom individuellen (Grenz-)Steuersatz und vermeidet regressive Verteilungseffekte. In Deutschland könnte eine vollständige, budgetneutrale Umwandlung der bestehenden Entfernungspauschale in ein einkommensunabhängiges Mobilitätsgeld, ebenfalls als Abzugsbetrag von der Steuerschuld konzipiert, einkommensarme Pendler:innen gezielt stärken und gleichzeitig die Anreize zu hohen Pendeldistanzen bei finanziell Bessergestellten senken (Bach et al., 2019).
Optionen für eine kurzfristig umsetzbare Neuordnung der Pendlerunterstützung, die ökologische und soziale Belange der Mobilität besser berücksichtigt und fiskalisch nachhaltiger ist, gibt es also durchaus. Dass eine Ausrichtung der Pendlerpauschale an verkehrs- und umweltpolitischen Lenkungszwecken in Deutschland auch rechtlich möglich ist, hat das Bundesverfassungsgericht zuletzt 2008 in einem Urteil klargestellt. Der Koalitionsausschuss der Bundesregierung hat eine solche Reform im Februar 2022 selbst angekündigt. Gerade in Zeiten allgemeiner Teuerung und hoher Rohstoffpreise ist diese dringend notwendig, um einkommensarme Pendlerhaushalte zu stärken und die Abhängigkeit von Ölimporten zu reduzieren. Eine weitere, wenn auch befristete Erhöhung der Pendlerpauschale würde dagegen weder den aktuellen energie- und sozialpolitischen Herausforderungen noch den klimapolitischen Zielsetzungen Rechnung tragen. Die Bundesregierung sollte daher zu ihrem Vorhaben stehen und die steuerliche Abzugsfähigkeit von Pendelkosten zügig grundlegend reformieren.
Literatur
Bach, S., U. Kunert, S. Radke und N. Isaak (2019), CO2-Bepreisung für den Verkehrssektor?, Studie im Auftrag der Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE.
Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (2020), Rechtlicher Rahmen zur Änderung der Entfernungspauschale, WD 4 – 3000 – 155/19.