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Mit der Namensgebung ist dem Rat der EZB ein Coup gelungen: In der Juli-Sitzung 2022 wurde das Transmission Protection Instrument (TPI) aus der Taufe gehoben. Mit diesem Instrument will die EZB die effektive Transmission der Geldpolitik sicherstellen. Die Normalisierung der geldpolitischen Rahmenbedingungen, sprich: der Anstieg der kurzfristigen Zinsen, soll in alle Mitgliedstaaten der Eurozone gleichermaßen übertragen werden. Die EZB spricht davon, durch das TPI die Einheitlichkeit (Singleness) der Geldpolitik sicherzustellen. Schon seit Wochen haben Vertreter:innen der EZB die Notwendigkeit eines Anti-Fragmentation-Tools diskutiert. Dieser Begriff wäre sperriger gewesen und schwieriger zu kommunizieren. Transmission Protection ist zweifellos der bessere Begriff, weil er positiv gewendet ist. Es leuchtet unmittelbar ein, dass eine einheitliche geldpolitische Transmission in der Eurozone wünschenswert ist. Kommunikativ hat die EZB alles richtig gemacht. Aber benötigt die Transmission tatsächlich den besonderen Schutz durch ein eigenes Programm der EZB? Drei Punkte sprechen dagegen:

Erstens sind für Entscheidungen von Privathaushalten, Unternehmen und Staaten die langfristigen Realzinsen relevant, nicht die Nominalzinsen. Ein Zinsanstieg am kurzen Ende der Laufzeitstruktur übersetzt sich in höhere nominale Refinanzierungsbedingungen, z. B. Kreditzinsen von Banken. Die höheren Zinsen sollen restriktiv auf die Volkswirtschaft wirken. Die EZB hat unterschiedliche Nominalzinsen im Sinn, wenn sie diagnostiziert, dass die Zinsweitergabe in einigen Ländern der Eurozone Friktionen unterliegt. Hohe und variable Risikoaufschläge können dazu führen, dass die Zinsen für Staatsanleihen und Unternehmenskredite zwischen den Ländern schwanken. Geldpolitisch relevant sind indes die inflationsbereinigten Zinsen, also die Realzinsen. Es ist zu bedenken, dass sich die realen Refinanzierungskonditionen selbst dann zwischen den Ländern unterscheiden können, wenn die Weitergabe der nominalen Zinsänderungen friktionslos ist. Wenn sich die Inflationserwartungen in den Mitgliedstaaten unterscheiden, fallen die langfristigen Ex-ante-Realzinsen unterschiedlich aus. Diese Heterogenität der realen Refinanzierungsbedingungen, die das Ergebnis unterschiedlicher Inflationserwartungen ist, hat die EZB bisher nicht zu Schutzmaßnahmen veranlasst. Bei realisierten Inflationsraten, die zwischen 6,5 % (Frankreich) und mehr als 20 % (Estland) liegen, sind die derzeitigen Realzinsunterschiede größer als je zuvor.

Zweitens ist der Zinskanal nur einer von vielen Kanälen, durch die geldpolitische Impulse der EZB an die Realwirtschaft in den Mitgliedstaaten weitergegeben werden. Eine Straffung der Geldpolitik führt z. B. zu einer Änderung von Einkommen und Vermögenspreisen, die als Kreditsicherheiten dienen. Diese Zinsweitergabe unterscheidet sich zwischen den Mitgliedstaaten seit Beginn der gemeinsamen Geldpolitik. Sofern sich die sektorale Zusammensetzung der Volkswirtschaften unterscheidet, die Struktur der Häusermärkte unterschiedlich ist und die Arbeitsmärkte von Land zu Land anders verfasst sind, wird sich auch die Zinsweitergabe unterscheiden. Auch dies wäre kein Grund, ein Programm wie das TPI aufzulegen, um die Transmission zu schützen.

Und drittens existiert ein Transmissionsmechanismus, der unabhängig von nationalen Bankensystemen und länderspezifischen Risiken ist: der Wechselkurs. Höhere Zinsen sollten den Abwertungsdruck auf den Euro dämpfen und eventuell sogar umkehren. Dieser Effekt kommt in allen Mitgliedstaaten gleichermaßen an. Gerade angesichts der stark gestiegenen Preise für importierte Energie ist ein stärkerer Euro als Ergebnis der geldpolitischen Straffung wünschenswert. Inwiefern dies zu niedrigeren Inflationsraten führt, ist bestimmt durch die Abhängigkeit von importiertem Öl und Gas. Die Aufwertung des Euro kann die Inflation in einigen Ländern stärker dämpfen als in anderen. Dies ist das Ergebnis heterogener realwirtschaftlicher Strukturen in der Import- und Exportwirtschaft. Im Ergebnis führt auch der Wechselkurs­kanal zu unterschiedlichen Reaktionen in der Eurozone, ohne dass dies die Singleness der Geldpolitik ernsthaft infrage stellen würde.

Die Einigung auf das TPI hat es der EZB ermöglicht, mit der Normalisierung der Geldpolitik zu beginnen. Als Gegenzug zu der überraschend aggressiven Zinserhöhung von 50 Basispunkten haben auch die geldpolitischen Falken das TPI einstimmig mitgetragen. Unter dem TPI kann die EZB auf dem Sekundärmarkt Wertpapiere einzelner Länder kaufen, sofern bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Damit sollen fundamental ungerechtfertigte Risikoprämien verhindert werden. Das Programm wird ein separates Instrument neben dem OMT-Programm (Outright Monetary Transactions) sein. Problematisch ist die schwächere Konditionalität im Vergleich zum OMT-Programm. Eine dauerhafte Lösung für die fiskalischen Schieflagen in der Eurozone wird durch das Programm nur verschleppt. Die EZB kauft Zeit, wie schon so oft. Das TPI kann aus geopolitischen Gründen angesichts der wirtschaftlichen Konsequenzen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine vertretbar sein. Eine Störung der geldpolitischen Transmission, die die Einheitlichkeit der Geldpolitik untergräbt, taugt aber nicht als Begründung für das neueste Programm der EZB.

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© Der/die Autor:in 2022

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DOI: 10.1007/s10273-022-3247-8