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In der Juniausgabe 2022 veröffentlichte der Wirtschaftsdienst einen Aufsatz mit dem Titel „Dezemberfieber senken: Vermeidung von verschwenderischen Jahresendausgaben“ von Christoph Siemroth. Gunnar Schwarting vertritt in einer Replik eine andere Auffassung, im Anschluss erläutert Christoph Siemroth seinen Standpunkt in einer Erwiderung.

Das Dezemberfieber – Lösung in Sicht?

Von Gunnar Schwarting

Im Juniheft dieser Zeitschrift hat sich Christoph Siemroth mit dem „Dezemberfieber“ (Siemroth, 2022) im öffentlichen Sektor auseinandergesetzt. Anhand einiger Beispiele aus dem In- und Ausland zeigt er einige (skurrile und ärgerliche) Auswüchse. Als Ausweg schlägt er die Nutzung des Instruments der Übertragbarkeit vor, um das „Auskehren“ von noch zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln zu verhindern. Damit wird allerdings nur (unzulänglich) am Symptom kuriert. Der grundlegende Mangel besteht im Haushaltsaufstellungsverfahren. Solange sich Haushaltsansätze an den Werten der Vergangenheit orientieren (Inkrementalismus), ist das „Dezemberfieber“ aus Sicht der Fachverwaltung rational. Würden Ansätze dagegen bedarfsorientiert ermittelt (was in der kommunalen Doppik grundsätzlich möglich wäre), könnte zielgerichteter veranschlagt werden. Der Anreiz, die Mittel auszuschöpfen, würde insoweit reduziert. Bedauerlicherweise ist ein solches Verfahren in öffentlichen Verwaltungen (noch) kein Standard.

Um überflüssige Jahresendausgaben einzugrenzen, behelfen sich manche Finanzressorts in öffentlichen Verwaltungen anderer – allerdings höchst intransparenter – Instrumente. Mit dem Vorziehen des Kassenschlusses für das laufende Haushaltsjahr auf einen früheren Zeitpunkt als den 31.12. können zumindest „Last-Minute-Zahlungen“ unterbunden werden. Danach ausgelöste Zahlungen gehen dann auf die Rechnung des neuen Jahres. Auch die frühzeitige Sperrung eines bestimmten Anteils der Ansätze kann dämpfend wirken. Zwingend erforderliche Zahlungen können davon ausgenommen werden; ansonsten muss die Aufhebung der Sperre von der Fachverwaltung beantragt werden. Auch eine häufigere Visakontrolle durch die Rechnungsprüfung zum Jahresende könnte in Betracht kommen.

Mittlerweile sollte aber vor allem ein leistungsfähiges Controlling (auf der operativen und auf der zentralen Ebene) dafür sorgen, dass die Haushaltsmittel zielgerichtet eingesetzt werden. Das ist eines der Kernanliegen – wenn auch (noch) nicht flächendeckend vorhanden – der in Deutschland üblichen kommunalen Doppik.

Das Instrument der Übertragbarkeit, genauer: der Ermächtigungsübertragung ist im kommunalen Haushaltsrecht seit langem verankert. Galt es früher vor allem für Investitionen, ist es heute für alle Aufwendungen und Auszahlungen anwendbar (§ 22 KomHVO NRW). Die Übertragung erfolgt indes nicht automatisch, sondern bedarf eines gesonderten Aktes. So nützlich das für die Bewirtschaftung des Haushalts ist, so problematisch ist die Übertragung für die Transparenz der finanziellen Grundlagen des Verwaltungshandelns. Das wird besonders sichtbar bei den Investitionen. Wie das Kommunalpanel der KfW z. B. für das Jahr 2019 zeigt (KfW, 2019, 9), werden gar nicht alle veranschlagten Investitionszahlungen auch realisiert. Konsequent wäre eine Neuveranschlagung im Folgejahr. Das ist, da der neue Haushalt zum 1.1. in Kraft treten soll, zeitlich gar nicht möglich. Also werden die „übrig­gebliebenen“ Mittel als Haushaltsrest ins nächste Jahr übertragen.

Die Haushaltsreste stehen insoweit nicht im neuen Haushaltsplan, sind aber ins Rechnungswesen integriert. Hinzu kommt, dass im investiven Bereich noch Verpflichtungsermächtigungen veranschlagt werden können. Die Verwaltung hätte daher theoretisch die Möglichkeit, Aufträge in Höhe der Haushaltsreste, der veranschlagten Mittel und der Verpflichtungsermächtigungen zu erteilen. Das aber ist nahezu unmöglich, sodass sich die Reste immer weiter aufbauen würden. Für den laufenden Aufwand wäre eine Akkumulation von Übertragungen wohl noch unübersichtlicher. Für die Öffentlichkeit, vor allem aber für die Politik sind Übertragungen – selbst, wenn sie am Jahresende in einer Übersicht zusammengestellt werden – im Haushaltsalltag kaum zu überblicken.

Das kommunale Haushaltsrecht bietet mit der Bildung von Budgets (§ 21 KomHVO NRW) noch eine andere Möglichkeit. Innerhalb des Budgets sind über- oder außerplanmäßige Finanzbedarfe aufzufangen. Damit muss die für das Budget verantwortliche Verwaltungseinheit insoweit darauf achten, dass die Mittel für alle Zwecke ihres Budgets bis zum Jahresende ausreichen. Auch das kann ein Beitrag zu einem verantwortungsvolleren Umgang mit öffentlichen Mitteln sein. Vielleicht lässt sich von den Kommunen insoweit lernen. Der relativ geringe Anstieg der kommunalen Ausgaben im 4. Quartal (Siemroth, 464) deutet zumindest darauf hin, dass die Kommunen das Problem besser im Griff haben. Ihr „Instrumentenkasten“ enthält jedenfalls weitaus differenziertere Methoden als nur den Übertragungsvermerk.

Literatur

KfW-Research (2019), Kommunalpanel 2019, https://difu.de/publikationen/2019/kfw-kommunalpanel-2019 (7. Juli 2022).

Siemroth, C. (2022), Dezemberfieber senken: Vermeidung von verschwenderischen Jahresendausgaben, Wirtschaftsdienst, 102(6), 461-464, https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2022/heft/6/beitrag/dezemberfieber-senken-vermeidung-von-verschwenderischen-jahresendausgaben-7074.html (7. Juli 2022).

 

 

Unkomplizierte Mittelübertragung vorantreiben

Von Christoph Siemroth

Gunnar Schwartings erster Punkt ist äußerst wichtig und kam bei mir zu kurz: Solange sich die Haushaltsansätze an den Ausgaben der Vergangenheit orientieren, so wird es einen starken Anreiz geben, möglichst alles am Jahresende auszugeben. Das muss sich ändern!

Es ist darüber hinaus dennoch wichtig, unkomplizierte Mittelübertragung zu ermöglichen. Auch wenn verbleibende Mittel am Jahresende nicht zu Kürzungen zukünftiger Mittel führen, so verbleibt ein Anreiz, alles am Jahresende auszugeben, wie das Modell in Siemroth (2022) zeigt. Das ist die Essenz von „use it or lose it“. Die Mittelübertragung reduziert diesen Anreiz, indem sie die Wahl zu „use it or keep some of it“ ändert.

Einige der beschriebenen Ad-hoc-Maßnahmen in Schwarting (2022), um verschwenderische Jahresendausgaben zu unterbinden, können im Einzelfall helfen. Die Rechnungsprüfung auf Ausgaben am Jahresende zu konzentrieren ist klug. Aber ein vorgezogener Kassenschluss funktioniert nur, wenn er unerwartet kommt, sonst wird eben kurz vor dem neuen Kassenschluss verschwendet. Und eine vorzeitige Sperrung bestimmter Mittel mag Verschwendung verhindern, macht aber auch legitime Ausgaben schwerer, kann also hohe Wohlfahrtskosten haben.

Es ist besser, wenn die Regeln so gestaltet sind, dass Verschwendung gar nicht erst rational ist. Bedarfsorientierte Haushaltsansätze wie von Gunnar Schwarting vorgeschlagen, sowie ein partieller Übertrag (für den Fall, dass der Bedarf doch nicht alle Mittel ausschöpft), sind da eine bessere Lösung. Denn die beiden Hauptursachen der Jahresendverschwendung werden damit neutralisiert: Bei Sparen (statt Verschwendung) werden zukünftige Mittel nicht bestrafend reduziert und ungenutzte Mittel verfallen für das Ressort nicht komplett, sondern sind teilweise in der Zukunft nutzbar.

Die abschließenden Absätze in Schwarting (2022) beschreiben einige Probleme mit Mittelübertragung im kommunalen Haushaltsrecht. Ich stimme zu, dass es Probleme gibt, die aber oft – wie etwa Intransparenz – eine Folge der existierenden Umsetzung sind und nicht des Konzepts der Mittelübertragung an sich. So sind etwa IT-Systeme denkbar, die sehr transparent ausweisen, was wo übertragen und später ausgegeben wurde.

Insgesamt bleibt es dabei: Wenn im Status quo Mittel verschwendet werden und eine unkomplizierte Übertragung stattdessen eine sinnvollere Verwendung später ermöglicht, dann ist das eine Verbesserung.

Literatur

Schwarting, G. (2022), Das Dezemberfieber – Lösung in Sicht?, Wirtschaftsdienst, 102(8), https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2022/heft/6/beitrag/dezemberfieber-senken-vermeidung-von-verschwenderischen-jahresendausgaben-7074.html, (20. Juli 2022).

Siemroth, C. (2022), Ending Wasteful Year-End Spending: On Optimal Budget Rules in Organizations, https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3991922 (20. Juli 2022).

Title:Debate About “Dezemberfieber” – Reply and Response

Abstract:In its June 2022 issue, Wirtschaftsdienst published an article by Christoph Siemroth entitled “Dezemberfieber senken: Vermeidung von verschwenderischen Jahresendausgaben”. Now, Gunnar Schwarting takes a different view in his reply to the article that is followed by a response of Christoph Siemroth explaining his position.

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© Der/die Autor:in 2022

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht (creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).

Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.1007/s10273-022-3262-9

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