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Für den Haushalt 2023 haben die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein das Konjunkturbereinigungsverfahren einmalig angepasst. Eigentlich wird in beiden Ländern der relevante Steuereinnahmetrend anhand der Potenzialschätzung in der Frühjahrsprojektion der Bundesregierung und der Mai-Steuerschätzung bereits in der ersten Jahreshälfte des Vorjahres fixiert (Deutsche Bundesbank, 2017). Die frühzeitige Fixierung soll die Planungssicherheit erhöhen. Mit der Herbstprojektion der Bundesregierung gab es nun das Kuriosum, dass zwar das reale Produktionspotenzial nach unten revidiert wurde, das Nominale aber deutlich nach oben. Der aus der Herbstprojektion zu ermittelnde Steuereinnahmetrend übersteigt den des Frühjahrs deutlich.

Dies haben Niedersachsen und Schleswig-Holstein zum Anlass genommen, vom bisherigen Verfahren abzuweichen, und vermutlich dadurch verhindert, eine Notlage für die Schuldenbremse feststellen zu müssen, was im Gegensatz dazu Nordrhein-Westfalen und Brandenburg getan haben. Nun mag eine Änderung im Konjunkturbereinigungsverfahren weniger massiv wirken als das Ausrufen einer Notlage, doch deutet es auf ein grundsätzliches Thema zukünftiger Reformen der Konjunkturbereinigung hin.

Die wiederholte Überprüfung des Konjunkturbereinigungsverfahrens ist durchaus geboten, schließlich sollte stets auf methodische Neuerungen und andere relevante makro­ökonomische Veränderungen reagiert werden (können). Bei der Beurteilung von Reformen der Potenzialschätzung bzw. der Konjunkturbereinigung ist allerdings zu beachten, dass mehrere Kriterien relevant sind. Wird nur ein Kriterium alleine herangezogen, kann dies zu unplausiblen Ergebnissen führen. Welche Kriterien wie zu gewichten sind, hängt letztlich von Werturteilen ab. Die Reform der Konjunkturbereinigung findet daher im politischen Raum statt.

Es besteht nun aber das Risiko, dass bei Reformen der Konjunkturbereinigung kurzfristige finanzielle Spielräume als entscheidendes Kriterium herangezogen werden. Zu berücksichtigen ist zudem, dass die Vorgaben der Schuldenbremse kein symmetrisches Neuverschuldungsziel darstellen, sondern eine Obergrenze. Sofern die mögliche Neuverschuldung als auskömmlich empfunden wird, dürfte der politische Reformdruck begrenzt sein, was durchweg plausibel ist, da Reformprozesse politisches Kapital binden und entsprechend aus Effizienzüberlegungen Reformen nicht erfolgen dürften oder sogar sollten, wenn sie keinen Effekt haben. Entsprechend ist es wahrscheinlich, dass Reformen der Konjunkturbereinigung vordringlich dann angestrebt werden, wenn sich dadurch fiskalische Spielräume erhöhen. Niedersachsen und Schleswig-Holstein bieten hierfür aktuelle Beispiele.

Sofern wiederholte Reformen dazu dienen, Ausgabenspielräume in der Tendenz in eine Richtung zu verändern, deutet sich ein Widerspruch zur verfassungsrechtlichen Vorgabe an, konjunkturelle Schwankungen symmetrisch zu berücksichtigen. Dieser dürfte auch dann bestehen, wenn das abzulösende und das neue Verfahren jeweils für sich als symmetrisch gelten.

Auf Bundesebene gab es seit Einführung der Schuldenbremse bisher nur vergleichsweise kleine methodische Eingriffe in die Potenzialschätzung. Durch die Bindung des Schätzverfahrens an das gemeinsame Vorgehen auf europäischer Ebene im Rahmen der „Output-Gap-Working-Group“ des wirtschaftspolitischen Ausschusses waren die Möglichkeiten beschränkt, Reformen der Potenzialschätzmethode für die Ausweitung nationaler fiskalischer Spielräume einzusetzen.

Die aktuelle Bundesregierung ist bestrebt, das Potenzialschätzverfahren zu evaluieren und gegebenenfalls zu reformieren. 2022 wurde vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz ein Beteiligungsprozess ins Leben gerufen, über den Vorschläge für alternative Produktionspotenzialschätzmethoden gesammelt wurden (BMWK, 2022; Ochsner et al., 2022). Diese werden derzeit in einem Gutachten des IfW Kiel empirisch vergleichend gegenübergestellt.1 Sofern größere Reformen der Konjunkturbereinigung selten bleiben und transparent ablaufen, dürfte das Risiko, gegen die Symmetrievorgabe des Grundgesetzes zu verstoßen, begrenzt bleiben. Würden nationale Reformen der Potenzialschätzung bzw. Konjunkturbereinigung hingegen zur neuen Gewohnheit werden, könnte hier ein Konflikt entstehen.

  • 1 Der Autor ist Teil des Teams, das das Gutachten bearbeitet.

Literatur

BMWK (2022), Quo vadis, Potenzialschätzung?, Schlaglichter der Wirtschaftspolitik, Monatsbericht, August.

Deutsche Bundesbank (2017), Zur Konjunkturbereinigung der Länder im Rahmen der Schuldenbremse, Monatsbericht, März.

Ochsner, C. et al. (2022), Schuldenbremse: Schätzmethode des Produktionspotenzials auf dem Prüfstand, Zeitgespräch, Wirtschaftsdienst, 102(11), 821-844, https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2022/heft/11/beitrag/schuldenbremse-schaetzmethode-des-produktionspotenzials-auf-dem-pruefstand.html (17. Januar 2023).

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