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In Deutschland wird derzeit intensiv über Fachkräftemangel diskutiert. Höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen sowie mehr Wettbewerb am Arbeitsmarkt können einen wichtigen Beitrag zur Lösung des Problems Fachkräftemangel leisten. Andere Maßnahmen zur Bekämpfung der Fachkräfteknappheit, wie Reformen des Einwanderungssystems, der Kinderbetreuung, des Bürgergelds oder des Ehegattensplittings, sind aber keineswegs überflüssig. Da sich aber durch den demografischen Wandel eine weitere Verknappung des Arbeitskräfteangebots abzeichnet, ist eine wettbewerbliche Anpassung an diese Verknappung besonders wichtig.

In Deutschland wird derzeit intensiv über Fachkräftemangel diskutiert. Zunächst ist die Diagnose eines Mangels mit Blick auf die Arbeitsmarktzahlen erstaunlich, da die Zahl der Beschäftigten in Deutschland mit 45,5 Mio. (Statistisches Bundesamt, 2023a) einen Höchststand erreichte. Gleichzeitig fiel der reale Preis von Arbeit 2022 mit einem Reallohnrückgang um 3,1 % (Statistisches Bundesamt, 2023b und Abbildung 1) – ein Rückgang, der in dieser Größe in den vergangenen Jahrzehnten nicht zu verzeichnen war.1 Dennoch sagen nach Umfragen des ifo Instituts knapp 50 % der Unternehmen, sie seien durch Fachkräftemangel eingeschränkt (ifo Institut, 2023 und Abbildung 2). Dies ist ebenfalls ein Höchststand.

Abbildung 1
Veränderung des Reallohnindex
Veränderung des Reallohnindex

Quelle: eigene Berechnungen auf Basis der Daten von Destatis.

Abbildung 2
Fachkräftemangel
Fachkräftemangel

Quelle: ifo Konjunkturumfragen, Januar 2023.

Zwar sind parallel zum Anstieg der Erwerbstätigen die Arbeitsstunden pro Erwerbstätigen so stark gefallen, dass das in Stunden gemessene Arbeitsvolumen in den vergangenen 30 Jahren ungefähr konstant geblieben ist (vgl. Abbildung 3). Zu einem Rückgang des Arbeitsangebots, der vor allem wegen der demografischen Entwicklung in den kommenden Jahren unvermeidlich erscheint, ist es aber noch gar nicht gekommen. Umso wichtiger ist es, das Problem des Fachkräftemangels angemessen zu analysieren und die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen.

Fuest und Jäger (2023) haben in sehr kompakter Form argumentiert, dass höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen sowie mehr Wettbewerb am Arbeitsmarkt einen wichtigen Beitrag zur Lösung des Problems des Fachkräftemangels leisten können. In diesem Beitrag erklären wir die Gründe ausführlicher und beschreiben die der Analyse zugrunde liegende Forschungsliteratur.

Abbildung 3
Erwerbstätige und Arbeitsstunden in Deutschland

1991 = 100

Erwerbstätige und Arbeitsstunden in Deutschland

Quelle: eigene Berechnungen auf Basis der Daten von Destatis.

Sind höhere Löhne die Antwort auf Fachkräftemangel?

Aus klassischer ökonomischer Sicht gibt es auf eine Situation des Mangels, verstanden als eine Situation, in der die Nachfrage größer ist als das Angebot, eine einfache Antwort: die Preiserhöhung. Wenn die Preise steigen, sinkt die Nachfrage und das Angebot steigt. Das geht so lange, bis jeder, der bereit ist, den Marktpreis zu zahlen, auch zum Zuge kommt. Das ändert nichts daran, dass Güter knapp sind, aber ein Mangel in dem Sinne, dass Nachfrager nicht zum Zuge kommen, obwohl sie bereit sind, den herrschenden Marktpreis zu zahlen, besteht nicht mehr. Preiserhöhungen helfen allerdings insofern gegen Knappheit als sie üblicherweise das Angebot steigern.

Übertragen auf den Arbeitsmarkt würde das bedeuten, dass man den Mangel schlicht aus der Welt schaffen kann, indem man die Löhne erhöht oder Arbeitsbedingungen verbessert. Dies wirft eine entscheidende Frage auf: Würden wettbewerbsbedingte Lohnerhöhungen in der jetzigen Situation, selbst wenn sie Mängel im oben erläuterten Sinn beseitigen, wenig verändern, weil sie lediglich von Arbeitgebern zu Arbeitnehmern umverteilen? Oder ergäben sich daraus gesamtwirtschaftliche Vorteile, also eine Vergrößerung des „Kuchens“?

Aus der üblichen Analyse von Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt gibt es auf diese Frage eine klare Antwort: Wenn Unternehmen zu den herrschenden Löhnen gerne mehr Arbeitskräfte einstellen würden, aber keine finden, führt eine Lohnerhöhung in funktionierenden Märkten dazu, dass einige Unternehmen sich aus dem Markt zurückziehen, weil die Löhne höher sind als das, was sie mit zusätzlichen oder vorhandenen Beschäftigten erwirtschaften. Manche, insbesondere unliebsame Tätigkeiten werden wegfallen oder automatisiert. Beschäftigte wechseln in Jobs mit höheren Löhnen und höherer Produktivität. Für einzelne Unternehmen, die bei der Konkurrenz um Arbeitskräfte nicht mehr mithalten können, kann das bitter sein. Gesamtwirtschaftlich ergibt sich daraus aber ein Gewinn.

Hinzu kommt, dass das Arbeitsangebot tendenziell steigt; Menschen, die bei niedrigeren Löhnen lieber weniger oder gar nicht arbeiten, sind nun eher bereit, eine Stelle anzunehmen. Ein gegenläufiger Effekt, den Ökonomen als Einkommenseffekt bezeichnen, besteht darin, dass höhere Löhne mehr Wohlstand bedeuten und einige Menschen darauf mit höherem Freizeitkonsum, also geringerer Arbeitsbereitschaft reagieren. Aber empirische Studien legen nahe, dass der positive Effekt höherer Löhne auf das Arbeitsangebot überwiegt (Chetty et al., 2011; Bargain und Peichl, 2016). Somit ist aus klassischer Perspektive klar, dass höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen in der aktuellen Situation der Knappheit von Arbeitskräften zu gesamtwirtschaftlichen Vorteilen führen.

Was bedeuten Arbeitsmarktfriktionen für Lohnerhöhungen und Fachkräftemangel?

Der These, Lohnerhöhungen seien die richtige Antwort auf Fachkräftemangel, halten einige Ökonomen entgegen, dass der Arbeitsmarkt eben kein voll funktionierender Markt und der gezogene Schluss daher irreführend sei (Rürup, 2023; Rürup und Hüther, 2023). Aus Perspektive der evidenzbasierten Arbeitsmarktforschung ist dies richtig und falsch zugleich.

Richtig ist, dass der Arbeitsmarkt kein Markt mit perfektem Wettbewerb in dem Sinne ist, dass keinerlei Friktionen auftreten und alle Akteure Löhne und Arbeitsbedingungen als gegeben, also von ihnen nicht beeinflussbar ansehen. Falsch ist die Schlussfolgerung, aus diesem Grund könnten Lohnerhöhungen nicht helfen, das Problem des Fachkräftemangels zu lösen. Das erklärt sich, wie folgt. Friktionen sind am Arbeitsmarkt nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Viele Beschäftigte haben spezifische Fähigkeiten und langjährige Erfahrung und sind nicht ohne Weiteres austauschbar. So verursacht der Verlust langjähriger Beschäftigter für Unternehmen große Kosten (Jäger und Heining, 2022).

Zugleich wollen oder können Arbeitnehmer oft nicht mühelos von einem zum anderen Arbeitgeber wechseln. Nach Verlust des Arbeitsplatzes können Beschäftigte oft nicht ohne Weiteres einen vergleichbaren Arbeitsplatz finden – der Verlust einer gut bezahlten Stelle geht daher mit langfristigen Lohnverlusten einher (Schmieder et al., i. E.). Gleichzeitig sind Beschäftigte im Niedriglohnbereich nicht ausreichend über ihre Alternativen und Bezahlung bei anderen Arbeitgebern informiert (Jäger et al., 2021).

Aus diesen Faktoren entsteht eine gewisse Marktmacht von Arbeitgebern und auch von manchen Arbeitnehmern, die anders als im perfekten Wettbewerb nicht Preisnehmer sind, sondern selbst Löhne mit beeinflussen (Manning, 2003, 2021; Berger et al., 2022). Ein Symptom für diese Marktmacht besteht darin, dass das Gesetz des einheitlichen Preises am deutschen Arbeitsmarkt nicht gilt. Für gleich qualifizierte Arbeitnehmer kann es je nach Arbeitgeber deutliche Unterschiede in der Entlohnung geben (Card et al., 2013). Produktivere Firmen zahlen dabei tendenziell höhere Löhne (Jäger et al., 2021). Selbst bei einfachen Dienstleistungen gibt es einigen Spielraum für Lohnunterschiede (Goldschmidt und Schmieder, 2017).

Diese Perspektive hilft dabei, viele überraschende Befunde besser zu verstehen: z. B., dass es gleichzeitig offene Stellen und Arbeitslosigkeit gibt; in Deutschland etwa gibt es zurzeit 2 Mio. offene Stellen (IAB, 2023) und 2,6 Mio. Arbeitslose (Arbeitsagentur, 2023). Oder dass der Mindestlohn in Deutschland zumindest bislang nicht zu starken Beschäftigungsverlusten geführt hat (Caliendo et al., 2018) und sich durch den Mindestlohn stattdessen die Beschäftigung von weniger produktiven in produktivere Betriebe verlagerte (Dustmann et al., 2022).

Gerade bei Arbeitsmarktfriktionen helfen Lohnerhöhungen gegen Fachkräftemangel

Nun zur entscheidenden Frage: bedeutet die Tatsache, dass der Arbeitsmarkt kein perfekter Markt ist, dass Wettbewerb und Lohnsteigerungen in der aktuellen Lage lediglich umverteilen oder gar schädlich sind? Aus der Perspektive der modernen Arbeitsmarktökonomik spricht viel dafür, dass das Gegenteil richtig ist. Arbeitskräftemangel ist demnach Ausdruck der Tatsache, dass – anders als im perfekten Wettbewerb – die angebotenen Löhne geringer sind als die Produktivität, also als das, was der Arbeitnehmer für das Unternehmen erwirtschaften könnte. Gerade die Friktionen am Arbeitsmarkt sorgen dafür, dass Arbeitskräfte nicht dort eingesetzt werden, wo sie am produktivsten sind und im Zuge des Strukturwandels gebraucht werden. Man stelle sich vor, ein hochproduktives E-Mobility-Startup kann sich nicht entwickeln, weil die benötigten Ingenieur:innen aufgrund von Friktionen bei einem etablierten Zulieferer für Verbrennungsmotoren bleiben. Durch derartige Arbeitsmarktrigiditäten können gesamtwirtschaftliche Produktivitätsverluste entstehen, die nach Schätzungen für Deutschland erheblich sind (Bachmann et al., 2022).

Mehr Wettbewerb um Arbeitskräfte hat also auch aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive Vorteile: Arbeitskräfte werden vermehrt dort eingesetzt, wo sie produktiver sind, und Löhne und Arbeitsbedingungen verbessern sich insbesondere dort, wo sie aus marktwirtschaftlicher Sicht zu niedrig waren. Sofern Beschäftigte mit niedrigen Einkommen überproportional profitieren, sinkt zusätzlich die Ungleichheit, es ergibt sich also eine Art „Doppelte Dividende“ in Form von Effizienzverbesserungen und sinkender Ungleichheit.

Genau diesen Schluss legt eine aktuelle Studie von Autor et al. (2023) aus den USA nahe, wo trotz günstigerer demografischer Struktur ebenfalls über Fachkräftemangel geklagt wird. In der Pandemie hatten sich dort viele Arbeitnehmer beruflich oder geografisch neu orientiert. Diese höhere Mobilität hat den Wettbewerb um Arbeitskräfte verstärkt, zu Abwanderung aus relativ schlecht bezahlten Jobs und zu Lohnzuwächsen insbesondere im Niedriglohnbereich geführt. Die Ungleichheit ging zurück.

Hat stärkerer Wettbewerb um Arbeitskräfte auch Nachteile?

Kritiker eines stärkeren Wettbewerbs um Arbeitskräfte führen an, dass damit zumindest für Teilbereiche der Wirtschaft auch Kosten einhergehen können. Eine Sorge besteht darin, dass höhere Löhne zu höheren Preisen führen, sodass Reallöhne stagnieren oder gar zurückgehen. Mit solchen Preissteigerungen ist zu rechnen. Allerdings legt z. B. die Studie von Autor et al. (2023) nahe, dass stärkerer Wettbewerb um Arbeitskräfte zu steigenden Reallöhnen für einen großen Teil der Beschäftigten führt. Das ist nicht überraschend, weil Löhne eben nur einen Teil der gesamtwirtschaftlichen Einkommen darstellen. Wenn alle Einkommen in einer Volkswirtschaft proportional erhöht werden, kann der Effekt neutral sein in dem Sinne, dass die Preise im gleichen Umfang steigen. Lohnsteigerungen, von denen wir hier sprechen, bedeuten aber eine Verschiebung der Einkommen zugunsten des Faktors Arbeit sowie durch Produktivitätssteigerungen und mehr Arbeitsangebot eine Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Produktion.

Sofern Löhne durch vermehrten Wettbewerb insbesondere im Niedriglohnbereich steigen, kommt eine weitere wichtige Überlegung hinzu: In Deutschland wird der Niedriglohnbereich durch staatliche Transfers wie etwa Aufstocken oder das Wohngeld subventioniert – eine Zeche, die durch Steuern und Sozialabgaben an anderer Stelle gezahlt wird. In dieser Situation kann ein großer Niedriglohnsektor hohe gesellschaftliche Kosten haben, die zum Teil verdeckt sind, vor allem dann, wenn produktivere Arbeitsplätze vorhanden sind, aber nicht besetzt werden. Damit ist das vom App-Fahrer ausgelieferte Essen schon heute gesamtgesellschaftlich teurer als es die Rechnung ausweist – es gibt also eine Arbeitsmarktverzerrung. In einer Welt mit umverteilendem Steuer- und Transfersystem sind bestimmte Arbeitsmarktverzerrungen unvermeidlich. Aber wenn Beschäftigte wegen rigider Arbeitsmärkte nicht in die bestmögliche Verwendung gelangen, entsteht ein Wohlfahrtsverlust. Vor diesem Hintergrund kann ein verstärkter Wettbewerb um Arbeitskräfte, der hier zu Lohnsteigerungen führt, gesellschaftlich wünschenswert sein, da dann die ausgewiesenen Preise auch eher den gesellschaftlichen Kosten entsprechen.

Selbst in einer Welt ohne Subventionen führen Friktionen dazu, dass es einen zu großen Niedriglohnsektor geben kann (Acemoglu, 2001; Jäger et al., 2021; Bachmann et al., 2022). Auch vor diesem Hintergrund können Lohnsteigerungen in diesem Bereich die gesamtwirtschaftliche Produktivität steigern. Höhere Löhne in diesem Bereich würden zudem zu stärkeren Anreizen führen, dass Firmen in die Aus- und Weiterbildung ihrer Mitarbeiter investieren (Acemoglu und Pischke, 1999). In der dynamischen Perspektive können höhere Löhne auch zu Innovationsschüben führen, die zwar teilweise Arbeit durch Automatisierung ersetzen, aber die gesamtwirtschaftliche Produktivität steigern (Acemoglu, 2010).

Eine weitere Sorge ist, dass verstärkter Wettbewerb um Arbeitskräfte zur Abwanderung von Arbeitskräften aus Bereichen wie Kindergärten oder dem Pflegesektor führen könnte. Diese Bereiche sind nicht marktwirtschaftlich organisiert, aber gesamtwirtschaftlich und gesellschaftlich von großer Bedeutung. In diesen Sektoren bestimmen politische Entscheidungen statt Marktkräfte, wie Leistungen bewertet und wie die Löhne und Arbeitsbedingungen der dort Beschäftigten gestaltet werden. Hier hat die Politik die Aufgabe, Bezahlung und Arbeitsbedingungen so anzupassen, dass genügend Arbeitskräfte verfügbar sind. Z. B. legt für die Pflegebranche eine aktuelle Studie nahe, dass viele Arbeitskräfte bei verbesserten Löhnen und Arbeitsbedingungen sogar mehr arbeiten würden oder aus anderen Sektoren zurückkehren würden (Becka et al., 2023). In jedem Fall wäre es aus gesamtwirtschaftlicher Sicht kontraproduktiv, Löhne anderswo niedrig zu halten, nur um Arbeitskräfte in diesen Bereichen zu halten.

Was können Politik und Tarifparteien tun, um den Wettbewerb am Arbeitsmarkt zu stärken?

Unsere Analyse führt zu dem klaren Befund, dass mehr Wettbewerb um Arbeitskräfte und damit verbundene Verbesserungen von Löhnen und Arbeitsbedingungen signifikant zur Lösung des Fachkräftemangels in Deutschland beitragen können. Dies heißt keineswegs, dass andere Maßnahmen zur Bekämpfung der Fachkräfteknappheit überflüssig oder auch nur nachrangig sind. Reformen des Einwanderungssystems, der Kinderbetreuung, des Bürgergelds oder des Ehegattensplittings sollten nicht auf die lange Bank geschoben werden. Aber gerade weil sich durch den demografischen Wandel eine weitere Verknappung des Arbeitskräfteangebots abzeichnet, ist eine wettbewerbliche Anpassung an diese Verknappung besonders wichtig.

Was kann die Politik dazu beitragen? Ein Hebel ist der Abbau von Wettbewerbshemmnissen am Arbeitsmarkt. In den USA hat die Biden-Administration hierzu ein breites Maßnahmenpaket angekündigt, das per Erlass mit Instrumenten des Wettbewerbs- und Kartellrechts für stärkeren Wettbewerb um Arbeitskräfte sorgen soll (Executive Order 14036, 2021). Die geplanten Maßnahmen beinhalten nachvertragliche Wettbewerbsverbote (in Deutschland in § 74a HGB geregelt), ein stärkeres Vorgehen gegen Lohnabsprachen sowie gegen Abwerbeverbote (in Deutschland geregelt § 75f HGB geregelt). Marktmacht im Arbeitsmarkt entsteht allerdings nicht nur durch kartellähnliche Absprachen zwischen Arbeitgebern, sondern auch bereits durch eine horizontale Differenzierung von Stellen und heterogene Präferenzen (Card et al., 2018; Berger et al., 2022) sowie durch Mobilitäts- und Informationsfriktionen (Manning, 2003; Jäger et al., 2021).

Vor diesem Hintergrund plant die Biden-Administration auch eine Liberalisierung der Berufszulassungen (Kleiner und Soltas, i. E.). In Deutschland gibt es entsprechende Diskussionen beispielsweise mit Blick auf den Meisterzwang (Runst et al., 2018; Thomä and Runst, 2018) sowie die reglementierten Berufe. Derzeitige Rufe nach stärkerer Berufsorientierung und Stärkung des Ausbildungssystems (Deutsche Handwerkszeitung, 2022) sollten berücksichtigen, dass berufliche Ausbildungen im Vergleich zu einem Hochschulstudium langfristig mit geringerer Anpassungsfähigkeit und damit in Zeiten ökonomischen Wandels größeren Beschäftigungsrisiken und weniger beruflicher Mobilität im späteren Leben einhergehen (Hanushek et al., 2017) und so einen zukünftigen Mismatch begünstigen könnten. Eine Antwort darauf könnte eine Aufwertung der dualen Ausbildung durch akademische Ausbildungselemente wie etwa in dualen Studiengängen sein.

Ein weiteres Instrument, das auf eine Wettbewerbsstärkung durch Verringerung der Informationsfriktionen abzielt, ist die Stärkung der Entgelttransparenz. Ein entscheidender Faktor ist hierbei – anders als bei dem in Deutschland 2017 eingeführten Entgelttransparenzgesetz – die Stärkung der Transparenz über Entgeltunterschiede bei unterschiedlichen Arbeitgebern (Cullen, 2023). Mehrere andere europäische Länder wie Österreich oder die Slowakei führten z. B. die Pflicht ein, bei Stellenausschreibungen Löhne auszuschreiben. Dies führte zu einem Anstieg der Bewerbungen bei besser zahlenden Unternehmen sowie einem Anstieg der Löhne in Bereichen, in denen vor Einführung der Transparenzpflicht wenig Entgelttransparenz herrschte (Skoda, 2022). In Deutschland ist es zudem durch den Rückgang der Tarifbindung (Jäger et al., 2022) aus Arbeitnehmerperspektive schwerer geworden, etwaige Lohnunterschiede zwischen Betrieben und Branchen festzustellen. Eine Stärkung der Transparenz kann auch über Branchen hinweg zu einer Reallokation von Beschäftigten zu höher zahlenden Branchen und Betrieben führen, wie eine Untersuchung zur Transparenzwirkung branchenspezifischer Mindestlöhne verdeutlicht (Demir, 2023).

Als weiteres Instrument zur Stärkung des Wettbewerbs kann die Regierung auch Maßnahmen wie die Kurzarbeit, die Arbeitsplatzwechseln möglicherweise entgegenwirken, überprüfen. Trotz fast 2 Mio. offener Stellen erhalten zurzeit über 200.000 Beschäftigte in Deutschland Kurzarbeitergeld (IAB, 2023b). Das Kurzarbeitergeld kann gerade in Krisenzeiten zu einer Sicherung von Arbeitsplätzen beitragen (Giupponi et al., 2022). Allerdings sorgt es auch dafür, dass Beschäftigungsverhältnisse, die in einem Unternehmen gesichert werden, Arbeitskräfte binden, die anderen Arbeitgebern natürlicherweise nicht zur Verfügung stehen können und somit Strukturwandel behindert wird. Zudem deutet eine aktuelle Studie aus Italien darauf hin, dass Kurzarbeitsregelungen insbesondere von weniger produktiven Arbeitgebern in Anspruch genommen werden und zu negativen Spillovers auf das Beschäftigungswachstum produktiver Firmen führen (Giupponi und Landais, 2023). Insofern könnte auch eine Überprüfung der Kurzarbeitsregelungen, die sich z. B. dynamisch an branchenspezifischen Personalengpässen oder Produktivitätsentwicklungen orientieren könnten, zu einer doppelten Dividende durch mehr Wettbewerb um Arbeitskräfte führen.

Neben diesen Instrumenten zur Stärkung des Wettbewerbs um Arbeitskräfte, die in der Hand des Gesetzgebers und der Bundesregierung liegen, gilt aber vor allen Dingen: die Tarifparteien haben es selbst in der Hand, dort, wo Arbeitskräfte fehlen, der Knappheit durch Lohnerhöhungen und Verbesserungen von Arbeitsbedingungen entgegenzuwirken.

Eine stark komprimierte Version dieses Aufsatzes erschien am 5.3.2023 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

    • 1 Hier ist zu berücksichtigen, dass die steigenden Energiepreise 2022 wichtiger Treiber des Reallohnrückgangs waren. In energieimportierenden Ländern wie Deutschland hat dieser Anstieg zur Folge, dass die mit dem Konsumentenpreisindex deflationierten realen Einkommen stärker sinken als das mit dem BIP-Deflator gemessene reale Bruttoinlandsprodukt (Nierhaus, 2023).

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Title:Can Higher Wages Contribute to Solving the German Labor Shortage?

Abstract:Germany faces an intense debate around labor and skills shortages. The authors argue that increased competition in the labor market and consequently higher wages and better working conditions are a crucial factor to address labor scarcity. This does not mean that other measures to combat labor scarcity, such as reforms to the immigration system, provision of childcare, or tax disincentives are redundant. However, as the demographic transition will dramatically reduce labor supply, increased competition for labor is important to allocate a scarce factor more efficiently.

© Der/die Autor:in 2023

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DOI: 10.2478/wd-2023-0079