Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

Die Vorschläge der Ampelregierung zur Reform des Wis-senschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) sehen unter anderem eine Verkürzung der Höchstbefristungsdauer für Postdocs von sechs auf drei Jahre vor. In den (sozialen) Medien rief dieser Vorschlag viele negative Reaktionen hervor. Aber ist das wirklich so eine schlechte Idee? Akademische Karrieren stehen heute vor zwei Hauptproblemen: Erstens gibt es zu Beginn der Karriere eine lange Phase der Unsicherheit. Diese Phase (meist Anfang bis Mitte 30) fällt genau in die Familiengründung. Zweitens gibt es ein Missverhältnis zwischen der Zahl von Postdocs und Professuren. 2021 waren nur 10 % des wissenschaftlichen Personals an deutschen Universitäten Professor:innen mit Tenure, 84 % waren wissenschaftliche Mitarbeiter:innen. Nur 0,5 % waren auf Tenure-Track-Stellen. In anderen Ländern sind dem „Oberbau“, also den Professor:innen mit Tenure, ein weit höherer Anteil der wissenschaftlichen Beschäftigten zuzurechnen – in den USA haben über 40 % des Lehrpersonals Tenure und weitere 20 % sind Assistant Professors, haben also üblicherweise eine Tenure-Track-Stelle.

Würden mehr unbefristete Mittelbaustellen das Problem lösen? Deutschland hat damit in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gemacht. Viele auf diesen Stellen haben wenig geforscht und mäßig motiviert gelehrt. Es ist nachvollziehbar, dass eine Position „zweiter Klasse“ mit ähnlichen Aufgaben wie eine Professur, aber mit deutlich niedrigerem Gehalt zu wenig Motivation führt. Hier sei angemerkt, dass es z. B. auch in den USA quasi keine unbefristeten Mittelbaustellen gibt: Neben Full und Associate Professors mit Tenure gibt es Assistant Professors mit Tenure Track (der nicht immer eine Weiterbeschäftigungsgarantie ist!) sowie eine große Zahl an Lecturers und Adjuncts, die teilweise in prekären Beschäftigungsverhältnissen sind (z. B. mit Einjahresverträgen).

Aber kann eine Verkürzung der Postdoc-Phase das Prob-lem lösen? Sie könnte ein wichtiger Schritt sein hin zu einer deutschen Wissenschaftslandschaft mit mehr Tenure-Track-Stellen, weniger befristeten Postdocs und Habilitanden, einem besseren Oberbau-Mittelbau-Verhältnis und dann auch weniger Unsicherheit für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Wie soll das möglich sein? Halten wir uns vor Augen, wie Tenure-Track-Stellen in Deutschland heute ausgestaltet sind. An manchen Universitäten werden diese Stellen mit Wissenschaftler:innen besetzt, die ungefähr sechs Jahre nach der Promotion sind. Dann verlängert sich durch den Tenure Track die Qualifizierungsphase auf bis zu 18 Jahre – die Unsicherheitsphase wird dann durch Tenure Track länger. An anderen Universitäten wird die Tenure-Track-Phase als Teil der sechs Jahre nach der Promotion gesehen, die das aktuelle WissZeitVG ermöglicht. Dann sind Tenure-Track-Stellen nur mit Personen besetzbar, die schnell promoviert wurden und höchstens ein Jahr Postdoc waren – oder Teile ihrer bisherigen wissenschaftlichen Laufbahn im Ausland verbracht haben. Die Verkürzung der Postdoc-Befristung auf drei Jahre setzt hier eine klare Norm, dass die Tenure-Track-Befristung nicht unter die Postdoc-Regel des WissZeitVG fällt und dass Tenure-Track-Stellen nicht mit Personen besetzt werden sollten, die bereits für eine W2- oder W3-Professur qualifiziert wären. Dafür wäre sogar eine noch kürzere Höchstbefristung – z. B. auf zwei Jahre – zielführend.

Die Verkürzung der Höchstbefristungsdauer hat auch den Effekt, dass es für die Lehrstuhlinhaber:innen unattraktiver wird, befristete Postdocs einzustellen. Momentan ist es für viele bequem, erfahrenene Mitarbeiter:innen zu haben, die man nicht groß betreuen muss, die selbstständig lehren und sogar Promovierende mitbetreuen und manche Ver-waltungsaufgabe übernehmen – und gleichzeitig sehr viel arbeiten, da der Druck hoch ist. Bleibt ein Mitarbeiter nur maximal zwei oder drei Jahre, „lohnt“ sich die Einarbeitung weniger und die Stelle wird eher eine weitere Promoti-onsstelle oder man schließt sich mit ein paar Kolleg:innen zusammen und schafft aus mehreren Stellen eine unbefris-tete W2- oder W3-Professur mit Tenure Track. Das vergrö-ßert den Flaschenhals – oder verlegt ihn zumindest nach vorne, wenn Promotionsstellen geschaffen werden.

Alternativ kann so ein Stellenpool auch Tenure-Track-Stellen für vorgezogene Nachbesetzungen finanzieren. Schön wä-re es gewesen, wenn der Bund hier flankierend auch direkt Mittel bereitgestellt hätte. Möglich ist auch, dass nach der 1 Mrd. Euro für das Tenure-Track-Programm der Bund die Länder in der Pflicht sieht. Gleichzeitig hätte der Bund aber auch weitere Hebel: Er könnte z. B. anregen, dass die DFG weniger Postdoc-Stellen finanziert und dafür neue Förderprogramme etabliert, die eine Finanzierung von Tenure-Track-Stellen für planmäßig freiwerdende Stellen ermög-licht – mit regulärem Berufungsverfahren, d. h. ohne dass Finanzierte selbst einen Antrag stellen müssen. So kann die Verkürzung der Postdoc-Befristungsdauer den Übergang in eine Welt beschleunigen, in der eine Unikarriere bedeutet, dass man spätestens ein bis zwei Jahre nach der Promotion eine Tenure-Track-Stelle hat. Dies bedeutet immer noch Un-sicherheit, aber eine Unsicherheit mit klaren Kriterien.

Beitrag als PDF

© Der/die Autor:in 2023

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht (creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).

Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.2478/wd-2023-0070