Ende 2022 haben sich die Mitgliedstaaten der EU darauf verständigt, die in der EU ansässigen großen Konzerne einer globalen Mindestbesteuerung zu unterwerfen. Seit März liegt nun ein Entwurf zur Umsetzung der entsprechenden Richtlinie in nationales Recht vor. Die breite Öffentlichkeit wird die Nachricht begrüßen und die Politik sie als großen Erfolg langjähriger Bemühungen feiern. Endlich, so die Botschaft, müssen auch international tätige Konzerne ihrer Steuerpflicht nachkommen und können sie nicht länger mit legalen, aber trickreichen Rechtskonstruktionen unterlaufen. So schön das klingen mag, so unschön könnten indes die Nebenwirkungen der Reform sein. Sie könnten die Beendigung der internationalen Zusammenarbeit bei Steuern sein.
Die globale Mindestbesteuerung großer Konzerne ist lediglich ein Steuerreformteil von zweien, auf die sich 137 Staaten im November 2021 geeinigt hatten. Die Reform war von den G20-Staaten angestoßen und der OECD vermittelt worden. Weil die beiden Teile auch Säulen genannt werden, spricht man von der Zwei-Säulen-Lösung. Unter der ersten Säule sollten Besteuerungsrechte international neu verteilt werden. Genauer sollten alle Staaten, in denen Internetgiganten wie Google, Amazon, Facebook und Apple Gewinne erwirtschaften, an deren Besteuerung beteiligt werden. Nach geltendem Recht würde das Recht der Gewinnbesteuerung einen inländischen Anknüpfungspunkt wie eine Betriebsstätte voraussetzen. In der digitalen Wirtschaft fehlt ein solcher Anknüpfungspunkt aber immer häufiger. Künftig würden insbesondere kleine Länder von der Besteuerung der Gewinne der Internetgiganten selbst dann profitieren, wenn diese keine inländische Betriebsstätte unterhielten. Die EU-Richtlinie betrifft jedoch nicht diese erste Reformsäule, sondern lediglich die zweite und damit die Durchsetzung der globalen Mindestbesteuerung. Genauer sollen die Voraussetzungen geschaffen werden, damit in der EU ansässige Konzerne effektiv 15 % Körperschaftsteuer in jedem Land der Welt zahlen, in dem sie tätig sind. Niedrigere Steuersätze wie 0 % auf den Bahamas oder 9 % in Ungarn können damit nicht länger als Mittel genutzt werden, um europäische Konzerne zu veranlassen, Betriebseinheiten dort anzusiedeln. Das wird durch eine Ergänzungssteuer erreicht, die die Konzerne dann in ihrem Sitzstaat zu zahlen haben, wenn der effektive Steuersatz auf global erwirtschaftete Gewinne die 15 %-Grenze nicht erreichen sollte. Die Einführung der globalen Mindestbesteuerung klingt zunächst gut. Wenigstens wäre ein erster Reformschritt getan, der die erste Säule zwar nicht umfasst, aber auch nicht ausschließt. Es ist jedoch völlig unklar, ob die erste Säule jemals umgesetzt wird. Sie würde sich stark zulasten der USA auswirken, in denen die meisten Internetgiganten ansässig sind. Bliebe die Umsetzung deswegen aus, würde für die meisten Niedrigsteuerstaaten die wesentliche Voraussetzung entfallen, die sie veranlasst hat, der Zwei-Säulen-Lösung zuzustimmen. Politische Enttäuschung wäre nicht das eigentliche Problem. Die alleinige Umsetzung der zweiten Säule käme einem Bruch des geltenden Rechts der internationalen Besteuerung gleich. Konkret würden die meisten Doppelbesteuerungsabkommen, von denen allein Deutschland knapp 100 abgeschlossen hat, als gebrochen gelten. Deutschland könnte sich bei der Einführung der globalen Mindestbesteuerung nicht darauf berufen, dass 137 Staaten im November 2021 einer solchen Reform zugestimmt haben. Viel hängt vom Verhalten der USA ab, die nur ein geringes Interesse an einer erfolgreichen Umsetzung der Zwei-Säulen-Lösung haben. Nicht nur geht die erste Säule stark zulasten US-amerikanischer Interessen; die USA profitieren auch weniger stark als Deutschland oder Frankreich von der Umsetzung der zweiten Säule. Schließlich haben sie bereits 2017 unter Trump eine eigene Reform verwirklicht und die zweite Säule wurde dieser lediglich nachgebildet. Allerdings handelten die USA damals ohne vorherige Verständigung mit dem Ausland aus einer Position der Stärke heraus. Nun schickt sich Europa an, diesem problematischen Vorbild zu folgen. Jedenfalls bedeutet die einseitige Einführung der globalen Mindestbesteuerung ein Bruch mit der langjährigen Praxis, das internationale Steuerrecht im Wege der wechselseitigen Verständigung zu entwickeln.
Viel hängt auch vom Verhalten der vielen meist kleineren Staaten ab, die sich an dem Reformprozess nur beteiligt haben, weil sie von der geplanten Umverteilung der Besteuerungsrechte zu profitieren hofften. Diese Staaten werden nicht einfach stillhalten, sondern steuerpolitisch reagieren. Zu erwarten ist, dass sie nicht abgestimmte Steuern, sogenannte Digitalsteuern (Digital Services Taxes), einführen. 2020 hatten bereits 22 Staaten eine Digitalsteuer eingeführt oder geplant. Mit ihnen lassen sich einseitig und ohne internationale Verständigung jene Steuereinnahmen erzwingen, die den Staaten unter der ersten Säule in Aussicht gestellt wurden. Die USA sähen sich als wichtigster Sitzstaat der Internetkonzerne herausgefordert. Sie müssten entweder bei der ersten Säule kleinbeigeben oder nach Vergeltungsmaßnahmen im sonstigen Waren- und Dienstleistungshandel suchen. In letzterem Fall würde ein größerer Handelskrieg drohen. Wie auch immer die Vergeltung aussähe, die internationale Zusammenarbeit in Fragen der Besteuerung stünde vor dem Ende.