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Dieser Beitrag ist Teil von Wie kann die Sicherheitslage in Deutschland verbessert werden?

Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine wird hierzulande intensiv über die Frage diskutiert, wie Deutschland einen erheblichen eigenen Beitrag zur Gewährleistung seiner äußeren Sicherheit leisten kann (Scholz, 2023). Die gleiche Frage einer stärkeren Verteidigungsfähigkeit stellt sich für die Gemeinschaft der europäischen Staaten mit Blick auf die europäische Sicherheitsarchitektur. Sie stand ohnehin seit längerem im Raum, da in den vergangenen Jahren – und das nicht nur seit dem Amtsantritt des damaligen US-Präsidenten Donald Trump – zunehmend klar geworden ist, dass die europäischen NATO-Staaten im eigenen Interesse vom militärischen Schutz durch die USA weniger abhängig werden müssen.

Nach einigen Anlaufschwierigkeiten wird Deutschland nun voraussichtlich das Minimalziel erreichen, jährlich mindestens 2 % seines Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben vorzusehen. Diese Mittel stehen damit anderen Bereichen staatlichen Handelns nicht zur Verfügung. Somit wächst der Zwang, die verbleibenden öffentlichen Mittel effizient einzusetzen. Zugleich sieht der aktuelle Haushaltsentwurf der Bundesregierung keine deutlich über die 2-Prozent-Marke hinausgehende Erhöhung der Verteidigungsausgaben vor, wie sie der Verteidigungsminister gefordert hatte. Es gilt somit für die öffentliche Hand umso mehr, auch diese Mittel effizient einzusetzen.

Auf beiden Handlungsfeldern, Wohlstand und Sicherheit, lässt sich die Innovationspolitik nutzen, um einen effizienten Mitteleinsatz zu gewährleisten und Effizienzsteigerungen zu bewirken. Im Bereich der Sicherheit werden im Folgenden einige mögliche Ansatzpunkte dazu diskutiert. Darüber hinaus zeigt sich, dass sich aus innovationspolitischer Sicht möglicherweise Synergien zwischen der zivilen und der militärischen Sphäre schöpfen lassen. Der verstärkte Mitteleinsatz auf militärischem Gebiet kann somit nicht zuletzt auch der Weiterentwicklung ökonomischen Wohlstands dienen.

Das deutsche Forschungs- und Innovationssystem in der „Zeitenwende“

Das Militär und mit ihm die militärische Forschung werden in Deutschland historisch bedingt äußerst kritisch beäugt. Aus diesem Grund wurde in der Bundesrepublik die („gute“) zivile Forschung von der („schlechten“) militärischen Forschung weitgehend getrennt. Diese Trennung verschärfte sich zusätzlich mit dem Ende des Kalten Krieges, da die Notwendigkeit militärischer Forschung in den Augen vieler nun endgültig entfallen zu sein schien. Ausdruck der Erwartung eines dauerhaft friedlichen Zusammenlebens in Europa sind unter anderem die Zivilklauseln, die viele deutsche Hochschulen ab den späten 1980er Jahren in ihren Satzungen verankerten. Auch der Rückgang des Anteils der Verteidigungsausgaben an den Gesamtausgaben des Bundes von 3,9 % (1991) auf 2,1 % (2021) dokumentiert diese Hoffnung (Destatis, 2022).

Mit dem russischen Einmarsch in die Ukraine ist das Thema militärische Sicherheit und Militärforschung nun wieder verstärkt in den Blick gerückt. Der als Ausdruck einer umfassenderen „Zeitenwende“ charakterisierte Angriffskrieg hat auch in Deutschland zu einer Neubewertung des Militärischen geführt, eindrucksvoll belegt durch das im Jahr 2022 eingerichtete Sondervermögen Bundeswehr. Dieses 100 Mrd. Euro umfassende Sonderbudget soll der Modernisierung und Aufrüstung der Bundeswehr dienen und sieht einen kleinen Anteil für Investitionen in Forschung, Entwicklung, künstliche Intelligenz (KI) sowie Maßnahmen zur militärischen Cybersicherheit vor (EFI, 2023, S. 31).

Deutschland leistet sich mit 66,8 Mrd. US-Dollar (2023) das siebthöchste Militärbudget der Welt (Tian et al., 2024). Auch wenn ein dauerhafter Aufwuchs dieses Budgets über die kommenden Jahre unumgänglich sein wird: Jede Erhöhung steht in Konkurrenz zu anderen, in aller Regel zivilen, Verwendungszwecken. Daher ist es unabdingbar, die Effizienz des Mitteleinsatzes in den Blick zu nehmen und zu verbessern. Dies kann über strukturelle Reformen gelingen, die einerseits sogenannte Verbundeffekte und andererseits Größeneffekte stärker nutzen.

Dazu sind vor allem zwei Maßnahmen geeignet: zum einen die Aufhebung der Trennung von ziviler und militärischer Forschung, zum anderen eine gemeinsame europäische Rüstungspolitik mit dem Ziel, die Zahl der Waffensysteme in Europa zu reduzieren und die Koordinierung der nationalen Rüstungsprogramme zu verbessern. Die erste Maßnahme nutzt Verbundeffekte, die über Kostensenkungen oder Qualitätserhöhungen wirtschaftliche Vorteile eröffnen, indem mehrere Produkte im Verbund unter einem Dach produziert werden anstatt unter mehreren Dächern via Einzelproduktion. Von diesen Verbundeffekten können auch Forschungs- und Entwicklungs (FuE)- Vorhaben profitieren, denn die positiven technologischen Spillovers (Übertragungseffekte) zwischen militärischer und ziviler Forschung können in diesem Rahmen besser genutzt werden. Die zweite Maßnahme nutzt Größeneffekte, indem bei gesteigertem Produktionsvolumen die Stückkosten gesenkt werden. Mit den auf diese Weise eingesparten Ressourcen lassen sich zusätzliche FuE-Maßnahmen realisieren.

Die von beiden Maßnahmen zu erwartende Steigerung der Kosteneffizienz dürfte die Attraktivität von Investitionen in FuE erhöhen und so letztlich zu mehr Innovationen führen.

Nutzung von Verbundeffekten von ziviler und militärischer Forschung und Entwicklung

Das Zusammenwirken von militärischer und ziviler FuE hat schon in der Vergangenheit zu einer Reihe von Innovationen von globaler Bedeutung geführt. GPS, Internet und Raketentechnologie sind prominente Beispiele dafür. Die Beziehungen zwischen militärischer und ziviler FuE lassen sich in zwei Kategorien einteilen: Spillovers und Dual Use (doppelter Verwendungszweck). Von Spillovers wird gesprochen, wenn militärische FuE-Aufträge an Unternehmen weitere privatwirtschaftliche FuE-Aktivitäten auslösen (Moretti et al., 2019), oder wenn, wie bei GPS und dem Internet, Wissen und Erkenntnisse aus dem militärischen Sektor vom zivilen Sektor übernommen, weiterentwickelt und für die zivile Nutzung vermarktet werden.

Von Dual Use spricht man hingegen, wenn Technologien von vornherein sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können. Die Bedeutung von Dual Use hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen – nicht zuletzt aufgrund der hohen Anwendungsbreite digitaler Technologien. Ein aktuelles Beispiel sind die Entwicklungen im Bereich von KI. In vielen Ländern werden Spillovers und Dual Use bewusst gefördert, da sie zu erheblichen Leistungs- und Effizienzsteigerungen sowohl im militärischen als auch im zivilen Bereich beitragen können (EFI, 2024, S. 36).

Die gemeinsame zivile und militärische Nutzung bestimmter Infrastrukturen führt ebenfalls zu Synergien. Diese Effekte werden jedoch noch nicht überall realisiert. So nutzen z. B. Italien und Südkorea Erdbeobachtungssatelliten für zivile und für militärische Zwecke, während Deutschland jeweils eigene Satelliten für die zivile und die militärische Nutzung in den Orbit bringt. Erst die gemeinsame militärische und zivile Nutzung derartiger Infrastruktur kann zu Synergieeffekten führen, die sich in höherer Effizienz bei der Leistungserstellung niederschlagen, aber auch die weitere Entwicklung technischer Infrastrukturen beflügeln.

Ein weiteres Beispiel ist der an Bedeutung stetig zunehmende Bereich der Cybersicherheit. Bei Cyberangriffen auf zivile und militärische Infrastrukturen kommt ähnliche Software zum Einsatz, sodass auch die Programme zur erfolgreichen Abwehr solcher Angriffe einander sehr ähnlich sind und somit nicht doppelt entwickelt werden müssen.

Das Zusammenwirken von ziviler und militärischer FuE wird in aller Regel politisch gefördert. Prominente Beispiele hierfür sind die DARPA (Defense Advanced Research Projects Agency) in den USA und die Militäreinheit 8200 in Israel.

Die DARPA, im Jahr 1958 als Reaktion auf den Sputnik-Schock gegründet, fördert die Entwicklung neuer Technologien für das US-Militär. Mit einem geplanten Jahresbudget von zuletzt 4,1 Mrd. US-Dollar (DARPA, o. D.) beauftragt die DARPA Forschungsaktivitäten für das Militär. Dabei entstehen innovative Anwendungen, die vom zivilen Sektor aufgegriffen und dort vermarktet werden. Im Ergebnis ziehen die von der DARPA finanzierten FuE-Projekte für das Militär Spillovers in der Privatwirtschaft nach sich und tragen somit zur Innovationskraft der US-Wirtschaft bei. Die DARPA verfolgt einen ambitionierten Förderansatz zur Unterstützung anwendungs­orientierter, besonders risikoreicher und kostenintensiver FuE-Projekte, für deren Finanzierung sich in aller Regel keine privatwirtschaftlichen Akteure finden. Dabei lässt sie bewusst Raum für neue Herangehensweisen. Im internationalen Kontext nimmt sie damit eine Vorreiterrolle ein (EFI, 2024, S. 36).

Die Militäreinheit 8200 ist eine Einheit der israelischen Streitkräfte, die für verdeckte Operationen, Spionageabwehr, Codeentschlüsselung, Cyberkriegsführung, militärische Aufklärung und Überwachung zuständig ist. Die Soldat:innen der Einheit 8200 werden dafür im Umgang mit Informations- und Kommunikationstechnologien, Informatik und Cybersicherheit ausgebildet. Nach Beendigung ihrer Dienstzeit ist es ihnen erlaubt, ihre im militärischen Bereich erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten im zivilen Bereich zu nutzen. Viele ehemalige Soldat:innen werden von privaten IT-Unternehmen übernommen oder gründen eigene Start-ups. Die Einheit 8200 ist somit ein zentraler Faktor hinter dem Erfolg Israels als einer der weltweit führenden Volkswirtschaften im Bereich IT und Cybersicherheit (EFI, 2024, S. 37).

Die Wirkung militärischer FuE auf zivile FuE kann einerseits über Produktivitätseffekte und damit outputorientiert, andererseits über die Veränderung von FuE-Aktivitäten und damit inputorientiert quantitativ erfasst werden. Eine Langzeitstudie auf Basis von OECD-Länderdaten legt den Schluss nahe, dass eine Erhöhung der staatlich finanzierten FuE typischerweise zu einer Steigerung der privatwirtschaftlichen FuE in bestimmten Branchen führt. Dies gilt insbesondere für staatlich finanzierte militärische FuE. Moretti et al. (2019) stellen darüber hinaus fest, dass ein durch militärische FuE induzierter Anstieg privater FuE auch zu Produktivitätssteigerungen führt, also nicht nur Input-, sondern auch Output-Effekte aufweist.

Deutliche Effekte auf private FuE-Ausgaben dokumentiert auch eine aktuelle Langzeitstudie zu den militärischen FuE-Ausgaben in den US-Bundesstaaten (Pallante et al., 2023). Danach induziert 1 US-Dollar an staatlich finanzierter militärischer FuE zwischen 0,57 und 0,72 US-Dollar an zusätzlichen privaten FuE-Ausgaben. Darüber hinaus ist wehrtechnische FuE nachweisbar mit positiven Beschäftigungseffekten verbunden.1

Militärische Forschung und Entwicklung neu bewerten

Aufgrund der strikten Trennung von militärischer und ziviler Forschung wird in Deutschland bislang weitgehend auf die leistungssteigernde Wirkung von Spillovers und Dual Use verzichtet. Eine der wenigen Ausnahmen stellt die im Jahr 2020 gegründete Agentur für Innovation in der Cybersicherheit dar.2 Die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) hat bereits in einem ihrer letzten Gutachten darauf hingewiesen, dass infolge dieser Trennung die knappen Ressourcen für Forschung und Innovation (F&I) nicht effizient zur Lösung gesellschaftlich wichtiger Probleme, etwa der Sicherung von Datennetzen und kritischer Infrastruktur, eingesetzt werden (EFI, 2023, S. 31).

Angesichts zunehmender globaler Bedrohungen sollten die Optionen im Umgang mit militärischer FuE nun neu bewertet werden. Denn die genannten Studien zeigen deutlich, dass militärische FuE über Spillovers positive Effekte auf zivile FuE haben kann und neben Leistungssteigerungen im militärischen Bereich auch positive Produktivitäts- und Beschäftigungseffekte im zivilen Bereich mit sich bringt. Um dies effizient zu erreichen, sollten Synergien zwischen militärischer und ziviler Forschung ermöglicht werden. Daher gilt es, die in Deutschland jahrzehntelang praktizierte strikte Trennung grundsätzlich zu überdenken und – wo sinnvoll – aufzuheben (EFI, 2024, S. 37; BDI & Roland Berger, 2024).

Daher wäre es angebracht, dass die zentralen Akteure des F&I-Systems, d. h. Hochschulen und öffentlich finanzierte Forschungseinrichtungen, ihre Selbstverpflichtungen (Zivilklauseln) und Regulierungen, die auf eine strikte Trennung zwischen militärischer und ziviler Forschung abstellen, einer kritischen Prüfung unterziehen (EFI, 2023, S. 31).

Mehr Freiräume für die Cyberagentur

Mit der fortschreitenden Digitalisierung und digitalen Vernetzung wird der Schutz vor Cyberangriffen für Unternehmen, Forschungs­einrichtungen und Infrastruktureinrichtungen zu einem immer drängenderen Thema (EFI, 2020, S. 44). Die Bundesregierung hat die Bedeutung von Cybersicherheit erkannt und im Jahr 2020 die Cyberagentur (Agentur für Innovation in der Cybersicherheit) gegründet. Mit ihr wurde eine Organisation geschaffen, die die in Deutschland tradierte Trennung zwischen militärischer und ziviler Forschung überwindet. Dies ist besonders wichtig, da bei der Forschung zur Cybersicherheit ohnehin kaum zwischen zivilen und militärischen Problemstellungen unterschieden werden kann. Insbesondere stößt sie mit den von ihr ausgeschriebenen Projekten Innovationsaktivitäten im zivilen Bereich an, die dazu beitragen sollen, die innere und äußere Sicherheit Deutschlands gegen Cyberangriffe zu verbessern.

Allerdings hat die Cyberagentur mit strukturellen Problemen zu kämpfen, die die Effektivität ihrer Arbeit einschränken. So fallen Rechte über das geistige Eigentum an Forschungsergebnissen, die in den ausgeschriebenen Projekten entstehen, grundsätzlich der Cyberagentur zu. Ausnahmen von dieser Regelung können nur mit großem Aufwand beantragt werden. Dies macht eine Zusammenarbeit mit der Cyberagentur für externe Forschende und Unternehmen wenig attraktiv und erschwert es der Agentur, geeignete Kooperationspartner für ihre Projekte zu finden. Zudem beeinträchtigen vergaberechtliche Rahmenbedingungen die Ausschreibung von Forschungsprojekten mit hoher Ergebnisunsicherheit. Die Cyberagentur benötigt daher mehr Freiräume, um ihre zentrale Aufgabe – das Vorantreiben von Forschung und bahnbrechenden Innovationen im Bereich der Cybersicherheit – erfüllen zu können (EFI, 2023, S. 31).

Nutzung von Größeneffekten in Europa

Rüstungsbeschaffung und weitgehend auch Rüstungsentwicklung sind in Europa traditionell eine nationale Angelegenheit. Lediglich im militärischen Flugzeugbau gab es mit den Projekten MRCA Tornado, Eurofighter und dem Transportflugzeug Airbus A400 transnationale Rüstungsprojekte. Im Bereich der Landfahrzeuge, insbesondere bei Panzern, und im Marineschiffbau sind gemeinsame Entwicklungen dagegen noch Fremdwörter. Dabei könnten hier – ähnlich wie im Flugzeugbau – erhebliche Skaleneffekte und damit Kosteneinsparungen realisiert werden. Die Konsequenz: Während die USA bei großen Waffensystemen von Heer, Luftwaffe und Marine (Stand 2017) über 51 verschiedene Systeme verfügen, sind es in Europa mit 254 Systemen fünfmal so viele (Kleczka et al., 2017; Gannon, 2023).

Ein wesentliches Hindernis für eine gemeinsame Entwicklungs- und Beschaffungspolitik besteht darin, dass militärische Sicherheit in den europäischen NATO-Staaten nach wie vor primär als nationale Aufgabe verstanden wird. Ausnahmen bilden die NATO Response Force (NRF), auch als „Schnelle Eingreiftruppe der NATO“ bekannt, und die Deutsch-Französische Brigade. Diese Verbände stellen jedoch keine homogenen europäischen Verbände dar, und die Beschaffung der Ausrüstung erfolgt dezentral durch die nationalen Verteidigungsministerien.

Darüber hinaus werden nationale Rüstungsprogramme immer noch zu sehr unter dem Gesichtspunkt nationaler Industriepolitik und regionaler Strukturentwicklung gesehen und nicht unter dem Gesichtspunkt der Notwendigkeit, mit einem knappen Budget eine möglichst effektive Verteidigungsfähigkeit zu erreichen.3 Diesen Luxus kann sich Europa angesichts der gestiegenen Bedrohung durch Russland und China nicht mehr leisten. Denn gerade diese beiden Länder sind in der Lage, mit wenigen Waffensystemen erhebliche Skaleneffekte für ihre großen Armeen zu erzielen. Zudem leidet das europäische Verteidigungssystem unter der mangelnden Kompatibilität der verschiedenen nationalen Waffensysteme. Es bedarf daher einer Kraftanstrengung, aber auch eines Umdenkens bei den europäischen NATO-Staaten, um von der rein nationalen Rüstungsentwicklung und -beschaffung zu einer groß angelegten europäischen Beschaffungspolitik zu gelangen.

Sicherheitslage von Schlüsseltechnologien abhängig

Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit eines Staates hängen maßgeblich vom Einsatz modernster Technologien ab, die vielfach zuerst im zivilen Sektor entwickelt werden. Auch bei den Themen Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit findet zunehmend ein Technologiewettlauf statt (Brose, 2019). Den sogenannten Schlüsseltechnologien kommt hierbei eine besondere Rolle zu, denn sie eröffnen nicht nur weitreichende und hohe technologische sowie wirtschaftliche Potenziale, sondern können gleichzeitig zur Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit eines Staates oder eines Staatenbündnisses beitragen.

Dabei sind nicht alle Schlüsseltechnologien für die Verbesserung der Sicherheitslage gleichermaßen relevant. So spielen die Bio- und Lebenswissenschaften für die Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit vermutlich eine geringere Rolle4 als die Produktions- und Materialtechnologien, wenngleich sie ebenfalls bedeutsam sein können (Brent et al., 2024). Die mit Abstand größte Bedeutung kommt den digitalen Schlüsseltechnologien zu. Sie weisen ein sehr hohes Dual-Use-Potenzial auf, denn sie können sowohl im zivilen als auch im militärischen Bereich intensiv eingesetzt werden. Zu den digitalen Schlüsseltechnologien zählen neben Mikroelektronik, KI, Internet der Dinge, Big Data und digitalen Mobilitätstechnologien (assistiertes und autonomes Fahren sowie die Vernetzung von Fahrzeugen) auch digitale Sicherheitstechnologien (EFI, 2021, S. 40 ff.).

Um die Potenziale von Schlüsseltechnologien nutzen zu können, müssen Deutschland und Europa über ein hohes Maß an technologischer Souveränität im Umgang mit sicherheits- und verteidigungsrelevanten Schlüsseltechnologien verfügen. Verlieren sie bei der technologischen Entwicklung international den Anschluss und damit an Souveränität, können sich Abhängigkeiten ergeben, die nicht nur wohlfahrtsmindernd, sondern auch sicherheitsgefährdend sind.

Deutschland und Europa weisen im Bereich der digitalen Technologien im internationalen Vergleich deutliche Schwächen auf. Damit verlieren sie nicht nur den Anschluss in einem ökonomisch immer wichtiger werdenden Technologiebereich, sondern gefährden auch ihre bestehenden Stärken in anderen Schlüsseltechnologiefeldern, wie beispielsweise den Produktionstechnologien, deren Weiterentwicklung zunehmend von digitalen Technologien abhängt. Diese deutsche Schwäche im Bereich der digitalen Technologien bedeutet auch eine zentrale Schwäche für die Sicherheitslage Deutschlands. Verschärft wird diese Problematik dadurch, dass Deutschland gerade im Bereich der digitalen Technologien in vielen Fällen einseitig von Importen abhängig ist, dabei in zahlreichen Fällen von China (EFI, 2021, S. 55).

Daher ist die Förderung von Forschung und Innovation bei Schlüsseltechnologien grundsätzlich angezeigt, vor allem wenn sie dem Erhalt der technologischen Souveränität Deutschlands und Europas dienen. Bei dieser Förderung ist darauf zu achten, dass primär die eigenen Kompetenzen und Fähigkeiten sowie dazu passende, systemisch relevante Infrastrukturen gestärkt werden. Hingegen sind Standortsubventionen für EU-ausländische Investoren auf ein unumgängliches Minimum zu beschränken. Die Standorte für Forschung, Entwicklung und Produktion von Schlüsseltechnologien müssen nicht zwingend in Deutschland, sondern können durchaus auch in anderen EU-Staaten angesiedelt sein. Da die technologische Souveränität Deutschlands ohnehin nur im Verbund mit den europäischen Partnern gesichert werden kann, liegt der Aufbau von Standorten für Schlüsseltechnologien in einem europäischen Partnerland auch im deutschen Interesse. Eine auf europäischer Ebene abgestimmte Ansiedlungspolitik ist zudem eine zentrale Voraussetzung, um einen innereuropäischen Subventionswettlauf zu vermeiden und protektionistischen Bestrebungen bei der nationalen Rüstungsbeschaffung entgegenzuwirken.

Darüber hinaus muss sich die Bundesregierung auf EU-Ebene für ein deutlich höheres Tempo bei der Förderung von Schlüsseltechnologien einsetzen. In Anbetracht der massiven staatlichen Unterstützungsmaßnahmen, wie sie beispielsweise für die Chipindustrie in China, Japan, Südkorea, Taiwan und den USA zu beobachten sind, drohen die europäischen Länder weiter ins Hintertreffen zu geraten (EFI, 2023, S. 29).

Um Schlüsseltechnologien gezielt fördern zu können, ist es notwendig, diese kontinuierlich mittels Foresight- und Monitoring-Maßnahmen zu identifizieren und ihre Entwicklung zu verfolgen. Damit die komplexe Aufgabe der Identifikation von Schlüsseltechnologien nicht von durchsetzungsstarken Einzelinteressen bestimmt wird, sollte damit eine unabhängige Beobachtungseinheit beauftragt werden, die sich aus mehreren einschlägigen und möglichst europäischen Forschungs­einrichtungen zusammensetzt. Es spricht vieles für die Einrichtung eines unabhängigen strategischen Beratungsgremiums, das mit der Auswertung der Ergebnisse betraut wird. Dieses idealerweise auf europäischer Ebene angesiedelte Beratungsgremium sollte kontinuierlich ein Schlüsseltechnologieportfolio aktualisieren und für EU-Kommission und -Parlament Handlungsempfehlungen für den Umgang mit ausgewählten Schlüsseltechnologien erarbeiten (EFI, 2022, S. 55).

Dem Fachkräftemangel bei der Bundeswehr begegnen

Die Bundeswehr leidet seit Jahren unter einem Fachkräftemangel. Die Sollstärke der Bundeswehr von ca. 200.000 Soldat:innen konnte bisher nicht erreicht werden.5 Der stärkste Hebel, um eine ausreichende Personalstärke zu erreichen, ist eine attraktive Bezahlung. Eine ähnliche Wirkung könnte auch eine gute Ausbildung erzielen, die später berufliche Chancen im zivilen Leben eröffnet. Letzteres ist in einigen Bereichen, insbesondere in den Kampfverbänden, jedoch nur eingeschränkt möglich.

Daher ist es wichtig, insbesondere Zeitsoldat:innen zum einen schon während der Dienstzeit durch berufsorientierende Maßnahmen und Fortbildungen einen reibungslosen Übergang in das zivile Berufsleben zu ermöglichen, ihnen zum anderen aber auch zu gestatten, ihre während des Militärdienstes erworbenen Fähigkeiten nach israelischem Vorbild im zivilen Leben zu nutzen.6

Durch eine exzellente Ausbildung in Kombination mit der Möglichkeit, die in der Bundeswehr erworbenen Fähigkeiten zivil zu nutzen, kann der für das Innovationssystem nachteilige Effekt eines temporären Entzugs von Fachkräften nicht nur ausgeglichen, sondern – wie das israelische Beispiel der Einheit 8200 zeigt – zu einer nachhaltigen Stärkung des Innovationssystems beitragen. Dabei geht es beispielsweise um Fähigkeiten bei digitalen technologischen Anwendungen im Bereich der Cyberabwehr und der bildgebenden Verfahren sowie der dazugehörigen Forschung. Auf diese Weise kann die Sicherheitslage Deutschlands in doppelter Hinsicht verbessert werden.

Fazit: Synergie von ziviler und militärischer Forschung aktiv anstreben

Es bedarf erheblicher Anstrengungen, um die Verteidigungsfähigkeit Europas, insbesondere Deutschlands, auf ein der Sicherheitslage angemessenes Niveau zu heben. Zum einen sind dazu Synergieeffekte zwischen ziviler und militärischer Forschung und damit Verbundeffekte zu realisieren. Zum anderen ist es erforderlich, die Effizienz der Verteidigungsausgaben der europäischen NATO-Staaten massiv zu steigern. Insbesondere gilt es, durch gemeinsame europäische Beschaffungs­programme die Zahl unterschiedlicher Waffensysteme zu reduzieren und durch die Produktion großer Stückzahlen Skaleneffekte zu nutzen.

Darüber hinaus sollte die Bundesregierung gemeinsam mit ihren europäischen Partnern einen Prozess aufsetzen, um Schlüsseltechnologien systematisch zu identifizieren und zu fördern und damit einseitige Abhängigkeiten in diesen Technologiebereichen zu vermeiden. Schließlich gilt es dem Fachkräftemangel, der den zivilen Bereich und die Bundeswehr gleichermaßen betrifft, aktiv zu begegnen. Eine Lösung kann sein, die Ausbildung der Soldat:innen darauf hin auszurichten, dass sie ihre im Militärdienst erworbenen Kenntnisse – beispielsweise in der Cyberabwehr – auch im zivilen Leben nutzen können.

  • 1 Einschränkend ist festzuhalten, dass die Förderung durch die DARPA auch privatwirtschaftliche FuE-Projekte einbezieht, um deren Entwicklungen im Sinne des Dual-Use-Ansatzes im Militärsektor zu nutzen, vgl. Pallante et al. (2023).
  • 2 Vgl. Website der Agentur für Innovation in der Cybersicherheit.
  • 3 Ein Beispiel ist der Beschluss der jetzigen Bundesregierung, den Marine-Unter- und Überwasserschiffsbau zur Schlüsseltechnologie zu erklären und Beschaffungen für die Marine von europaweiten Ausschreibungen auszuschließen, vgl. Bundesregierung (2021).
  • 4 Da biologische und chemische Kampfstoffe in Deutschland geächtet sind, ist die Bedeutung der Bio- und Lebenswissenschaften für die militärische und Verteidigungsforschung vermutlich eher gering, vgl. Auswärtiges Amt (o. D.).
  • 5 Derzeit hat sie ca. 180.000 Soldat:innen, hinzu kommen 80.000 zivile Mitarbeiter:innen.
  • 6 Die Expertenkommission hat bereits in ihrem Gutachten 2021, Kapitel B2, auf die Notwendigkeit von Weiterbildungs- und Umschulungsmaßnahmen im noch laufenden Beruf hingewiesen.

Literatur

Auswärtiges Amt. (o. D.). Biologische und Chemische Waffen.

BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie & Roland Berger (Hrsg.). (2024). Innovationsindikator 2024, 43.

Brent, R., McKelvey, Jr., T. & Matheny, J. (2024). The New Bioweapons: How Synthetic Biology Could Destabilize the World. Foreign Affairs, 103(5), 148–159.

Brose, C. (2019). The New Revolution in Military Affairs: War’s Sci-Fi Future. Foreign Affairs, 98(3), 122–134.

Bundesregierung. (2021). Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Koalitionsvertrag 2021 – 2025 zwischen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP.

DARPA – Defence Advanced Research Projects Agency. (o. D.). Budget and Finance.

Destatis. (2022, 9. März). Entwicklung der staatlichen Ausgaben für Verteidigung seit 1991 [Pressemitteilung], Nr. 104. Statistisches Bundesamt.

EFI – Expertenkommission Forschung und Innovation. (2020), Jahresgutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2020.

EFI – Expertenkommission Forschung und Innovation. (2021), Jahresgutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2021.

EFI – Expertenkommission Forschung und Innovation. (2022), Jahresgutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2022.

EFI – Expertenkommission Forschung und Innovation. (2023), Jahresgutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2023.

EFI – Expertenkommission Forschung und Innovation. (2024), Jahresgutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2024.

Gannon, J. A. (2023). Planes, Trains, and Armored Mobiles: Introducing a Dataset of the Global Distribution of Military Capabilities. International Studies Quarterly, 67(4).

Kleczka, M., Buts, C. & Jegers, M. (2017). Addressing the “headwinds” faced by the European arms Industry. Defense & Security Analysis, 30(2), 129–160.

Moretti, E., Steinwender, C. & van Reenen, J. (2019). The Intellectual Spoils of War? Defense R&D, Productivity and International Spillovers. National Bureau of Economic Research, 26483.

Pallante, G., Russo, E. & Roventini, A. (2023). Does public R&D funding crowd-in private R&D investment? Evidence from military R&D expenditures for US states. Research Policy, 52(8), 104807.

Scholz, O. (2023). The Global Zeitenwende. How to Avoid a New Cold War in a Multipolar Era. Foreign Affairs, 102(1), 22–38.

Tian, N., Lopes da Silva, D., Liang, X. & Scarazzato, L. (2024, April). Trends in World Military Expenditure, 2023. SIPRI Fact Sheet.

Title:Smart Utilisation of Synergy Effects Between Civil and Military Research

Abstract:To synergise civil and military research, their separation should be abandoned and the so-called ‘civil clauses’ still enshrined in the statutes of many German universities should be reconsidered. Together with its European partners, the German government should establish joint development and procurement processes for the military. Key technologies must be systematically identified and promoted in order to avoid unilateral dependencies in these technology areas that could weaken military security. In order to counter the lack of skilled personnel, the Bundeswehr should train soldiers in such a way that they can use the knowledge they have acquired during their military service in civilian life.

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© Der/die Autor:in 2024

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DOI: 10.2478/wd-2024-0175