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Wir evaluieren den Effekt einer Pflegezusatzversicherung, die die Kosten eines Pflegeheimaufenthalts begrenzen würde. Ein stärkerer Zuschuss der Pflegeversicherung verringert die Kosten für den Aufenthalt in Pflegeheimen und steigert die Wohlfahrt der Pflegebedürftigen. Allerdings könnten sinkende Kosten dazu führen, dass Pflegebedürftige von ambulanter Pflege ins Pflegeheim wechseln, was die Kosten stark ansteigen ließe und die Wohlfahrt übersteigen würde. Von höheren Zuschüssen profitieren vor allem Unverheiratete sowie Pflegebedürftige mit sehr niedrigem und hohem Einkommen. Ein pauschaler Zuschuss wäre bei der Ausgestaltung dem prozentualen vorzuziehen.

Die Zahl der pflegebedürftigen Menschen in Deutschland steigt stetig an. Zudem ändern sich die Familienstrukturen: Menschen haben weniger Kinder, die Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen steigt, und ältere Menschen wohnen weiter entfernt von ihren Kindern. All dies führt zu einem starken Anstieg in der Nachfrage nach professionellen Pflegeleistungen, die bei höherer Pflegebedürftigkeit oft in Pflegeheimen stattfindet. Die Kosten dieser Versorgung sind enorm hoch.

Um pflegebedürftigen Menschen zu helfen, diese Kosten zu tragen, gibt es in Deutschland seit 1995 eine gesetzliche Pflegeversicherung. Um Auszahlungen durch die Pflegeversicherung zu erhalten, muss zunächst die Pflegebedürftigkeit durch einen unabhängigen Experten festgestellt werden. Die Pflegebedürftigen werden je nach Ausmaß der Pflegebedürftigkeit in fünf Pflegegrade eingestuft, wobei ein höherer Pflegegrad eine stärkere Pflegebedürftigkeit ausdrückt. Falls Pflegebedürftigkeit festgestellt wurde, können die Pflegebedürftigen sich für informelle Pflege (durch z. B. Angehörige) zu Hause, ambulante Pflege zu Hause oder Pflege in einem Pflegeheim entscheiden. Je nach Pflegegrad und Art der Pflege erhalten die Pflegebedürftigen unterschiedliche Auszahlungen aus der Pflegeversicherung. Etwa 2,7 Mio. Personen erhielten 2023 das sogenannte Pflegegeld zur Finanzierung von selbst organisierter Pflege in Höhe von 316 Euro pro Monat im niedrigsten bis zu 901 Euro pro Monat im höchsten Pflegegrad (BMG, 2023a; BMG, 2023b). Etwa 173.000 Menschen erhielten einen Zuschuss zur ambulanten Pflege zu Hause von etwa 724 Euro pro Monat im niedrigsten bis zu 2.095 Euro pro Monat im höchsten Pflegegrad. Etwa 730.300 Personen erhielten einen Zuschuss zur Pflege in einem Pflegeheim von 125 Euro pro Monat im niedrigsten und bis zu 2.009 Euro pro Monat im höchsten Pflegegrad. Insgesamt betrugen die Auszahlungen 40,9 Mrd. Euro, wovon etwa 16 Mrd. Euro auf das Pflegegeld, 6 Mrd. Euro auf die ambulante Pflege und 18,9 Mrd. Euro auf Zuschüsse zum Pflegeheim entfallen (BMG, 2023c).

Die Pflege in einem Heim ist allerdings so teuer, dass für die Pflegebedürftigen trotz der Zuschüsse noch hohe Kosten entstehen, die selbst getragen werden müssen. Die Kosten eines Heimaufenthalts bestehen zum einen aus den Pflegekosten, zum anderen aus den Kosten für Unterbringung und Verpflegung sowie einem Entgelt für Investitionen. Am 1. Juli 2023 betrug der durchschnittliche Eigenanteil allein an den Pflegekosten 1.295 Euro monatlich, der Eigenanteil an den gesamten Kosten liegt im Durchschnitt bei 2.660 Euro monatlich (VDEK, 2024). Diese Angaben gelten für das erste Jahr des Aufenthalts im Pflegeheim. Demgegenüber steht eine durchschnittliche Bruttorente von etwa 1.200 Euro (Holtemöller et al., 2024).

Deshalb sind viele Pflegebedürftige neben den Zuschüssen der Pflegeversicherung auf zusätzliche staatliche Hilfe angewiesen. Vor der Einführung der Pflegeversicherung waren mehr als ein Drittel der Pflegebedürftigen in Pflegeheimen auf Hilfe zur Pflege, eine Form der Sozialhilfe, angewiesen (eigene Berechnungen basierend auf Eurostat, 2024; Hackmann et al., 2024 und Statistisches Bundesamt, 1993). Dieser Anteil hat sich mit der Einführung der Pflegeversicherung stark verringert, betrug aber 2022 dennoch etwa 7 % (eigene Berechnungen, basierend auf BMG, 2023a; und Destatis, 2023). Die Regierungskoalition aus SPD, Bündnis 90/die Grünen und FDP hat in ihrem Koalitionsvertrag von 2021 vereinbart, die Eigenanteile bei stationärer Pflege zu begrenzen, eventuell sogar eine Vollversicherung anzubieten (Koalitionsvertrag, 2021). Die privaten Krankenkassen haben einen Expertenrat beauftragt, einen Vorschlag auszuarbeiten. Dieser Rat hat zur Absicherung der Eigenanteile der stationären Pflege eine sogenannte „Pflege+ Versicherung“ vorgeschlagen. Diese kapitalgedeckte Zusatzversicherung ist darauf angelegt, die pflegebedingten Kosten bis auf einen prozentualen Selbstbehalt in Höhe von 10 % abzudecken. Die alleinige Subventionierung der pflegebedingten Kosten ist ein wichtiger Unterschied zur jetzigen Versicherung, die einen Fixbetrag auszahlt.

In diesem Beitrag wird untersucht, wie sich die Entscheidungen pflegebedürftiger Menschen sowie die Preise der Pflegeheime ändern würden, wenn eine solche Pflege+ Versicherung eingeführt würde. Für diese Analyse wird in einem Szenario angenommen, dass die Übernahme von 90 % der Pflegekosten anstelle der aktuellen Auszahlung eines Fixbetrages eingeführt würde. Es wird also die Kombination aus der aktuellen Versicherung plus einer Zusatzversicherung betrachtet, die dafür sorgt, dass niemand mehr als 10 % der pflegebedingten Kosten selbst zahlen muss. Hierbei ist auf drei Punkte hinzuweisen: Erstens werden pflegebedürftige Menschen im Angesicht fallender Heimpreise öfter die Pflege im Heim der Pflege zu Hause vorziehen. Diese Verhaltensanpassung ist von Seiten der Pflegeversicherung sehr teuer, da die Zuschüsse zu Pflegeheimen viel höher sind als zur Pflege zu Hause. Diesen hohen Kosten stehen weniger hohe Anstiege in der Konsumentenwohlfahrt gegenüber, da viele Menschen eine starke Präferenz dafür haben, zu Hause gepflegt zu werden, solange es möglich ist. Zweitens ist zu erwarten, dass Pflegeheime auf diesen Anstieg der Nachfrage reagieren, indem sie die Preise erhöhen. Drittens erwarten wir, dass diese mögliche Reform unterschiedlich große Auswirkungen auf verschiedene Bevölkerungsschichten hat. Mit unseren Berechnungen möchten wir die möglichen Effekte einer Pflege+ Versicherung auf diese drei Bereiche untersuchen.

Entscheidungsprozesse Pflegebedürftiger

In einem aktuellen Forschungsprojekt „Cash or Care: Insights from the German Long-term Care System“ (Kesternich et. al, 2024) untersuchen wir die Entscheidungsprozesse pflegebedürftiger Menschen und die damit verbundenen finanziellen Auswirkungen. Konkret wird untersucht, wie pflegebedürftige Menschen sich zwischen den Optionen Pflegegeld für informelle Pflege zu Hause, ambulanter Pflege zu Hause und stationärer Pflege im Pflegeheim entscheiden. Wir entwickeln ein Modell der Entscheidungen und ermitteln die Entscheidungsparameter mit Hilfe der Pflegestatistik und einem administrativen Datensatz.1 Dabei treffen wir eine Annahme im Sinne offenbarter Präferenzen, sodass die gewählte Art der Pflege jeweils einen höheren Nutzen stiftet als die beiden nicht gewählten Alternativen. Weiterhin wird angenommen, dass die Entscheidungen pflegebedürftiger Menschen abhängen von beobachteten Faktoren wie dem eigenen Einkommen, der Familiensituation, den Preisen und der Qualität der Heime, den Auszahlungen aus der Pflegeversicherung sowie auch von unbeobachteten Faktoren wie den Opportunitätskosten der informell Pflegenden. Anschließend wird statistisch ermittelt, wie stark die Entscheidungen der Pflegebedürftigen von den verschiedenen Faktoren beeinflusst werden. Wir berücksichtigen zudem, dass Pflegeheime ihre Preise erhöhen können, wenn viele Menschen einen Pflegeheimplatz nachfragen.

Seit 1999 erfasst die Pflegestatistik im Rhythmus von zwei Jahren und mit Hilfe einer Vollerhebung alle Menschen in Deutschland, die Zahlungen aus der Pflegeversicherung erhalten sowie alle Pflegeheime und alle ambulanten Pflegedienste. Wir verwenden für unsere Schätzungen die Jahre 1999 bis 2015. Nach 2015 gab es eine Reform in den vormals drei Pflegestufen, sodass keine über die Zeit vergleichbaren Berechnungen mehr durchgeführt werden können. Allerdings interessieren ohnehin nur die zeitkonstanten Präferenzen der Patienten, um die Auswirkungen der, um die Auswirkungen der Pflege+ Versicherung zu berechnen. Im Jahr 2015 umfasst der Datensatz etwa 3 Mio. Pflegebedürftige, etwa 13.000 ambulante Pflegedienste und 14.000 Pflegeheime. Zusätzlich werden Informationen zu Familienstand und Einkommen aus dem Mikrozensus verwendet, in dem jährlich 1 % der Haushalte in Deutschland zu ihren Arbeits- und Lebensbedingungen befragt werden. Betrachtet werden hier nur die vollstationäre Pflege, es werden also Pflegebedürftige von der Analyse ausgeschlossen, die Kurzzeit- oder Tages- und Nachtpflege erhalten.

Die Ergebnisse zeigen, dass wie zu erwarten die Entscheidung für ein Pflegeheim positiv von dessen Qualität und negativ von dessen Preis abhängt. Männliche und verheiratete Pflegebedürftige sind mit geringerer Wahrscheinlichkeit in einem Pflegeheim als weibliche und unverheiratete. Am stärksten reagieren Menschen mit mittlerem Einkommen auf die Preise von Pflegeheimen. Dass die höchste Einkommensgruppe nicht sehr preissensitiv ist, überrascht nicht. Dass die niedrigste Einkommensgruppe nicht sehr preissensitiv ist, lässt sich dadurch erklären, dass in dieser Gruppe die Kosten überwiegend durch die Sozialhilfe getragen werden. In der niedrigsten Pflegestufe 1 bevorzugen die Pflegebedürftigen informelle Pflege zu Hause gegenüber ambulanter Pflege, und die am wenigsten bevorzugte Art der Pflege ist die Pflege im Heim. Die Präferenzen für informelle Pflege nehmen in den höheren Pflegestufen ab. In Pflegestufe 3 bevorzugen die Pflegebedürftigen im Mittel sogar die Pflege im Heim.

Ergebnisse der Politiksimulation

Unsere Analyse erlaubt eine Vorhersage, wie Pflegebedürftige auf die Änderung der Auszahlungen der Pflegeversicherung reagieren würden. Die Pläne für die Pflege+ Versicherung bzw. die Vollversicherung betreffen nur die Kosten für Pflege. Es wird angenommen, dass die Pflegeheime die Kosten für Unterbringung und Verpflegung konstant halten. Dies ist eine konservative Annahme in der Hinsicht, dass es den Heimen nicht erlaubt ist, einen Teil dieser Kosten, für die die Pflegeversicherung keine Deckung bietet, auf die Pflegekomponente zu verlagern.

In Tabelle 1 werden die Auszahlungen aus der Pflegeversicherung und der Anteil der Pflegebedürftigen im Jahr 2015 vor der Reform dargestellt. Die Tabelle zeigt, dass die Auszahlungen für das Pflegegeld am niedrigsten, im Fall eines Pflegeheimaufenthalts am höchsten sind. Die Auszahlungen steigen zudem mit der Pflegestufe an. In der niedrigsten Pflegestufe 1 erhalten noch die meisten Pflegebedürftigen Pflegegeld, in den höheren Pflegestufen wird der größte Anteil von Pflegebedürftigen im Pflegeheim gepflegt.

Tabelle 1
Auszahlungen der Pflegeversicherung und Anteil Pflegebedürftiger im Jahr 2015 vor der Reform
  Pflegestufe 1 Pflegestufe 2 Pflegestufe 3
Auszahlungen (Euro)
Pflegegeld 235 440 700
Ambulante Pflege 450 1.100 1.550
Pflegeheime 1.023 1.279 1.550
Anteil Patienten (%)
Pflegegeld 55,3 37,7 22,4
Ambulante Pflege 22,2 22,6 19,0
Pflegeheim 22,5 39,7 58,6

Quelle: eigene Berechnungen.

Tabelle 2 fasst die Ergebnisse unserer Simulation unter der Prämisse zusammen, wonach die Pflegebedürftigen im Pflegeheim 10 % der pflegebedingten Kosten und die anderen Kosten ganz selbst tragen. Die Spalten zeigen die Änderungen durch die Reform in den drei Pflegestufen. Die Berechnungen beziehen sich auf die Kombination von gesetzlicher Pflegeversicherung und einer Pflege+ Versicherung. Bei den Heimpreisen wird der durchschnittliche Effekt über alle Landkreise hinweg berichtet und danach aufgeschlüsselt, wie die Heime ihre Preise ändern und welche Preisänderung nach Abzug der Versicherungsleistung bei den Patienten ankommt. Die Marktanteile nach Einführung der Pflege+ Versicherung folgen in den nächsten Zeilen. Hier geben wir die prozentuale Änderung in Klammern an. Die gesamte Wohlfahrtsänderung für die Patienten sowie die aus der Reform resultierenden Mehrausgaben der Pflege+ Versicherung schließen die Ergebnisse ab.

Tabelle 2
Berechnete Effekte der Pflege+ Versicherung (90 % Deckung) pro Jahr
    Pflegestufe 1 Pflegestufe 2 Pflegestufe 3
Pflegeheime (%)
Bruttopreis 1,5 1,1 0,75
Nettopreis -12,6 -31,9 -20,3
Anteil Patienten (%)
Pflegegeld 62,0 (+12,1) 39,2 (+4,0) 20,8 (-7,1)
Ambulante Pflege 7,5 (-66,2) 5,5 (-75,7) 5,7 (-70,0)
Pflegeheim 30,5 (+35,6) 55,4 (+39,6) 73,5 (+25,4)
Patienten
Wohlfahrtsänderung (Mio. Euro) 2,15 46,8 47,6
Wohlfahrtsänderung p. c. (Euro) 52,6 96,6 191
Pflege+ Versicherung
Mehrkosten (Mio. Euro) 334,5 339,6 174,0

Quelle: eigene Berechnungen.

Die Preisänderung messen wir auf der Ebene der Heime („Bruttopreis“) und der Patienten („Nettopreis“). Die Patientenebene berücksichtigt, dass ein Teil der Heimkosten durch die Zahlungen der Pflege+ Versicherung übernommen werden. Über alle Pflegestufen hinweg führt die 90-prozentige Übernahme der Kosten für die Pflege zu substanziell fallenden Kosten eines Pflegeheimaufenthalts für die Patienten, zwischen 12,6 % in Pflegestufe 1 bis zu 20,3 % in Pflegestufe 3. Im Durchschnitt vereinnahmen die Pflegeheime selbst nur einen geringen Teil der gestiegenen Versicherungsleistung. Im Großen und Ganzen deuten unsere Ergebnisse also nicht auf eine problematische Marktmacht der Pflegeheime hin. Hinter der durchschnittlichen Preisänderung verbergen sich allerdings in Pflegestufe 1 und 2 jeweils rund 15 % und 5 % der Heime, die ihre Bruttopreise so deutlich erhöhen, dass die Preise für die Patienten abzüglich der Versicherungsleistung steigen. Dies erklärt, warum mit der Pflege+ Versicherung in Pflegestufe 1 und 2 mehr Patienten das Pflegegeld bevorzugen. In Pflegestufe 3 ist die Patientenpräferenz für Pflegeheime allerdings so stark, dass dieser Effekt verschwindet und nach der Reform nur noch der Anteil der Pflegebedürftigen in einem Pflegeheim ansteigt. Die große Spanne der Preiseffekte bei den Pflegeheimen ist dadurch begründet, dass auch der Anteil der Pflegekosten an den Heimpreisen schwankt. Da die Pflege+ Versicherung sich nur auf die Pflegekomponente bezieht, entstehen somit die unterschiedlichen Änderungen der Heimpreise. Dies kommt dadurch zustande, dass die Pflege+ Versicherung eine anteilige Deckung statt einer pauschalen Versicherungsleistung anbietet.

Über alle Pflegestufen hinweg sehen wir außerdem, dass die pflegebedürftigen Patienten aus der informellen Pflege und vor allem auch aus der ambulanten Pflege zu Hause in die stationäre Pflege ins Heim wechseln. Dies treibt den Anstieg der Kosten für die Pflege+ Versicherung in die Höhe. Diesem Kostenanstieg von 848,1 Mio. Euro jährlich steht die gemessene Änderung der Patientenwohlfahrt entgegen. Diese Änderung ist als Antwort auf folgende Frage zu verstehen: Was wäre die Gesamtheit der Patienten bereit für die Einführung der Pflege+ Versicherung zu zahlen? Über alle Pflegestufen hinweg ergibt sich hier eine Zahlungsbereitschaft von 96,6 Mio. Euro jährlich. Die Patienten erfahren also insgesamt eine Verbesserung ihrer Situation durch die neue Versicherung. Diese Verbesserung steht allerdings in keinem günstigen Verhältnis zu den damit verbundenen Kosten. Dies lässt sich hauptsächlich dadurch erklären, dass wir bei den Patienten generell eine stark ausgeprägte Präferenz für die informelle Pflege im eigenen Zuhause ermitteln. Durch die fallenden Heimpreise ergibt sich zwar eine Verbesserung, aber die Patienten wechseln in die relativ weniger beliebten Heime. Verglichen mit den obigen Gesamtauszahlungen der Pflegeversicherung ergibt sich somit eine Steigerung der Kosten von knapp 34 %.

In Tabelle 3 zeigen wir dieselbe Analyse für eine Vollversicherung. Hier würde also der 10 % Selbstbehalt für die pflegebedingten Kosten wegfallen. In diesem Fall werden alle Effekte noch verstärkt, was zu einer Steigerung der Kosten für die Pflegeversicherung von knapp 60 % führt. Das Verhältnis der Steigerung der Patientenwohlfahrt zu den resultierenden Mehrkosten bleibt ungünstig.

Tabelle 3
Berechnete Effekte einer Vollversicherung (100 % Deckung) pro Jahr
  Pflegestufe 1 Pflegestufe 2 Pflegestufe 3
Pflegeheime (%)
Bruttopreis 3,1 2,0 1,1
Nettopreis -29,4 -31,9 -34,7
Anteil Patienten (%)
Pflegegeld 52,1 (-5,8) 31,4 (-16,7) 16,9 (-24,6)
Ambulante Pflege 6,3 (-71,6) 4,5 (-80,1) 5,0 (-73,7)
Pflegeheim 41,6 (+84,9) 64,1 (+61,5) 78,2 (+33,5)
Patienten
Wohlfahrtsänderung (Mio. Euro) 105,8 156,2 102,1
Wohlfahrtsänderung p. c. (Euro) 166,7 258,4 414,5
Vollversicherung
Mehrkosten (Mio. Euro) 682,8 562,5 250,9

Quelle: eigene Berechnungen.

Wir können unsere Berechnungen ebenfalls nutzen, um zu ermitteln, welche pflegebedürftigen Menschen am meisten von der Pflege+ Versicherung profitieren. Dies sind gerade die Patienten, die bereits vor Einführung der Pflege+ Versicherung mit einer hohen Wahrscheinlichkeit die Pflege im Heim wählen. Nach der Einführung profitieren diese Patienten somit von den gefallenen Heimpreisen. Dies sind insbesondere die Patienten am unteren und oberen Ende der Einkommensverteilung. Bei Patienten mit niedrigem Einkommen trägt die Sozialhilfe die hohen Heimpreise, und die Patienten mit hohem Einkommen können die finanzielle Last selbst tragen. Am geringsten profitieren die Patienten mit mittleren Einkommen, die keine Unterstützung der Sozialhilfe erhalten, weil sie noch genug verdienen, um die Kosten der Pflege im Heim tragen zu können.

Fazit, Diskussion und Limitationen

Insgesamt sagen unsere Analysen voraus, dass eine stärkere Zuzahlung zu den Pflegeheimkosten zwar zu einer Erhöhung der Patientenwohlfahrt führt. Die entstehenden Kosten übersteigen die Erhöhung der Patientenwohlfahrt jedoch bei weitem.

In unserer Studie Kesternich et al. (2024) zeigen wir zudem, dass die Erhöhung der Zuschüsse zu Pflegeheimen relativ zum Pflegegeld mit einem starken Anstieg der öffentlichen Ausgaben verbunden ist. Aus unserer Sicht wäre also eine kosteneffektivere politische Maßnahme, die Zuschüsse zur Pflege zu Hause zu erhöhen, ob in Form des Pflegegeldes oder ambulant. Unsere Ergebnisse bezüglich des Einkommens der Pflegebedürftigen werfen zudem die Frage auf, ob es sinnvoll sein könnte, die Leistungen der Pflegeversicherung an das Einkommensniveau der Pflegebedürftigen zu koppeln. Wenn in Zukunft nur noch die Kosten der Pflegekomponente übernommen werden, nicht jedoch Kosten für Unterbringung, Verpflegung oder Investitionskosten, gibt es natürlich einen Anreiz für Pflegeheime, einen Teil der Kosten für Unterbringung, Verpflegung und Investition auf die Pflegekomponente zu verlagern. Die Preissetzung der Heime müsste dann stärker kontrolliert werden. Ein pauschaler Zuschuss anstelle einer fixen Deckungsquote, so wie in der aktuellen Pflegeversicherung, würde diese Probleme gar nicht erst entstehen lassen.

Unsere Kostenberechnungen berücksichtigen noch nicht, dass die Ausweitung der Kapazität in Form von Pflegeheimplätzen finanziert werden muss. Wir sagen vorher, dass die Reform zu einem massiven Anstieg in der Nachfrage nach Pflegeheimplätzen führen würde. Diese Ausweitung würde die ohnehin schon hohen Kosten der Reform noch weiter steigern. Allerdings ist der aktuelle Reformvorschlag so geplant, dass die Zusatzversicherung langsam über die Zeit aufgebaut würde. Der Anstieg in den Kosten sowie der Kapazitätsanforderungen würde also allmählich geschehen.

Zu bedenken ist außerdem, dass die hier berechneten Kosten einer Reform in Zukunft substanziell höher sein werden, da wir einen starken Anstieg der alternden Bevölkerung erwarten, von derzeit 18,7 Mio. über 65-Jährigen auf 23 Mio. in 2050. Bei den über 80-Jährigen steigt die Anzahl von 6,1 Mio. auf 9,5 Mio. in 2050 (Eurostat, 2023; Eurostat, 2024). Positiv im Hinblick auf die Bevölkerungsalterung wäre an der vorgeschlagenen Pflege+ Versicherung, dass sie als kapitalgedeckte Versicherung gedacht ist. Die Pflege­bedürftigen würden also das Kapital für die Versicherung über den Lebenszyklus selbst aufbauen, und es müssten nicht die immer weniger werdenden Arbeitskräfte für die Versorgung der steigenden Zahl der Pflegebedürftigen finanzieren.

Allerdings wird die Bevölkerungsalterung auch den Fachkräftemangel verstärken und so Pflege im Pflegeheim noch stärker verteuern. Ein von der niederländischen Regierung veröffentlichter Bericht über die Alterung der niederländischen Bevölkerung sagt vorher, dass der Anteil der Menschen, die im Gesundheits- und Pflegesektor arbeiten, von 14 % auf 25 % bis 2040 steigen müsste, um das Verhältnis von Pflegepersonal zu älterer Bevölkerung konstant zu halten (Sociaal-Economische Raad, 2020). Da die demografische Alterung in Deutschland sogar noch stärker ausfällt, werden wir mit ähnlichen Anforderungen konfrontiert werden. Ob sich Pflege in Zukunft dann ganz anders gestalten wird – beispielsweise mit Hilfe einer stärkeren Rolle von Technologie – ist eine wichtige, derzeit noch unbeantwortete Forschungsfrage.

Wir bedanken uns bei Dr. Janisch vom Forschungsdatenzentrum des Freistaats Sachsen sowie dem Team vom Forschungsdatenzentrum in Düsseldorf für ihre Unterstützung. Zudem bedanken wir uns bei Prof. Dr. Friedrich Breyer für seine sehr hilfreichen Kommentare. Iris Kesternich und Marjolein Van Damme bedanken sich beim Fonds Wetenschappelijk Onderzoek (FWO) für finanzielle Unterstützung.

Literatur

BMG – Bundesministerium für Gesundheit. (2023a). Soziale Pflegeversicherung Leistungsempfänger nach Leistungsarten und Pflegegraden im Jahresdurchschnitt 2023.

BMG – Bundesministerium für Gesundheit. (2023b). Leistungsansprüche der Versicherten im Jahr 2023 an die Pflegeversicherung im Kurzüberblick.

BMG – Bundesministerium für Gesundheit. (2023c). Die Finanzentwicklung der sozialen Pflegeversicherung.

BMG – Bundesministerium für Gesundheit. (2024). Zahlen und Fakten zur Pflegeversicherung.

Destatis. (2023, 17. Oktober). Hilfe zur Pflege im Laufe des Jahres.

Eurostat. (2023, 28. Juni). Population on 1st January by age, sex and type of projection [Data set].

Eurostat. (2024, 22. Juli). Population on 1 January by age group and sex [Data set].

Hackmann, M. B., Heining, J., Klimke, R., Polyakova, M. & Siebert, H. (2021). General Equilibrium Effects of Insurance Expansions: Evidence from Long-Term Care Labor Markets. SSRN 3975416.

Holtemöller, O., Schultz, B. & Zeddies, G. (2024). Reformvorschläge für die Gesetzliche Rentenversicherung in Deutschland. IWH Policy Notes, Nr. 1/2024.

Kesternich, I., Romahn, A., Van Biesebroeck, J. & Van Damme, M. (2024). Cash or care? Insights from the German long-term care system [Unveröffentlichtes Manuskript].

Koalitionsvertrag. (2021), Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit.

Sociaal-Economische Raad. (2020). VERKENNING 20/02 | Juni 2020 Zorg voor de toekomst: Over de toekomstbestendigheid van de zorg.

Statistisches Bundesamt. (1993). Reihe 2 Sozialhilfe, Fachserie 13, 1993.

VDEK. (2024, 10. Juli). Finanzielle Eigenbeteiligung von Pflegebedürftigen in Pflegeheimen steigt weiter – Bund und Länder in der Verantwortung [Pressemitteilung].

Title:The Future of Care and Its Costs – Do We Need Higher Insurance Cover?

Abstract:We evaluate the effect of supplementary long-term care insurance, which would limit the costs of a stay in a care facility. A higher long-term care insurance subsidy reduces the costs of a stay in a care facility and increases the welfare of those in need of care. However, falling costs could lead to people in need of care switching from outpatient care to in-patient facilities, which would cause costs to rise sharply and exceed the welfare gains. The main beneficiaries of higher subsidies are unmarried people and those in need of care with very low and high incomes. A flat-rate subsidy would be preferable to a percentage-based subsidy.

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© Der/die Autor:in 2024

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DOI: 10.2478/wd-2024-0201