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Die Wettbewerbsschwäche der Automobilbranche in Deutschland ist in aller Munde. Neben den umfangreichen Sparmaßnahmen bei Volkswagen hat jüngst auch Ford großen Personalabbau angekündigt, ausgerechnet im Kölner Werk, das erst kürzlich auf die Produktion von E-Fahrzeugen umgestellt wurde. BMW und Daimler leiden ebenfalls unter Gewinn­einbrüchen. Bei zahlreichen Zuliefer­betrieben sieht die Lage ähnlich düster aus. Die Sorge um den Verlust von Arbeitsplätzen (und Gewerbe­steuer­einnahmen) hängt bleiern über dieser deutschen Schlüssel­industrie. Bei der Suche nach Gründen gibt es eine große Bandbreite im öffentlichen Diskurs: Klar ist, die Produkte der Hersteller finden immer weniger Absatz. Abgesehen von einer augenscheinlich verfehlten Modellpolitik werden häufig die politischen Rahmen­bedingungen diskutiert: zu großes Maß an Dirigismus, zu wenig staatliche Kaufanreize oder zu große politische Sprunghaftigkeit. Zusätzliche Dringlichkeit erhält die Debatte durch ein geo- und handelspolitisches Umfeld, das die Situation weiter verschärft: China und die Vereinigten Staaten schotten ihre Märkte zunehmend ab – ein großes Problem für die export­orientierten deutschen Hersteller.

Ein Aspekt wird in der Debatte bisher übersehen: Die Wettbewerbs­fähigkeit europäischer und deutscher Automobilhersteller wird nicht nur exogen beeinträchtigt. Ein wichtiger Bremsklotz dürfte die Industrie und ihre enge Verflechtung mit der Politik selbst sein. Bereits seit Gordon Tullock oder George Stigler wissen wir, dass Unternehmen substanzielle Ressourcen aufwenden, um die Politik von Regulierung zu überzeugen, die ihnen nützt. Anstatt alle Energie in die Entwicklung neuer, wettbewerbsfähiger Produkte zu investieren, wird versucht, das eigene Produkt sowohl gegen den Markteintritt neuer Wettbewerber als auch gegen neue Auflagen und Produkt­standards zu schützen. Diese Bemühungen können auch darauf abzielen, öffentliche Subventionen zugunsten der eigenen Produkte zu erwirken. Und es lohnt sich: Nimmt man im eigenen Sinne Einfluss auf Gesetzgebung, Regulierung und Behörden, hebt man Markt­eintritts­barrieren. Das sichert Profite und senkt den Druck zu innovieren.

„Rent-Seeking“ lässt sich seit vielen Jahren auch bei der deutschen Autoindustrie beobachten: Ob Abwrack­prämie, Widerstand gegen Vorschriften zum Flottenverbrauch oder auch die beinahe kollaborative „Aufsicht“ durch das Kraftfahrtbundesamt, etwa im Hinblick auf die Überwachung von Emissions­grenzwerten, sind zentrale Beispiele für erfolgreiche Lobbyarbeit der Automobil­konzerne. Rücken­deckung bekommen diese Aktivitäten von der in Politik, Wirtschaft und weiten Teilen der Gesellschaft verankerten Auffassung, dass der Automobilsektor eine Schlüsselindustrie für Deutschland sei. Die Vorstände der Hersteller sitzen regelmäßig bei Auto- oder Indus­triegipfeln im Bundes­kanzler­amt.

Zusammen haben beide Phänomene jedoch langfristig gegenteilige Auswirkungen: Die Abschottung von Wettbewerb erzeugt Fehlanreize, verzerrt Preis- und somit Informationssignale und hemmt Innovation. Gelingt es einem Neuling doch, die künstlich hochgezogenen Zutritts­schranken zu überwinden, wird der ausgebliebene Fortschritt offenbar. Während abgeschottete Industrien graduelle Prozess­innovationen meist noch im Griff haben, werden sie von Disruption oft kalt erwischt. Die Wucht, mit der die deutsche Automobil­branche von der Elektrifizierung überrascht wurde, erinnert an Blackberry und Nokia bei der Einführung des iPhones. Doch selbst in der Produktionstechnologie ist Deutschland nicht mehr führend. „Gigacasting“, ein neuartiges Verfahren, bei dem sehr große Karosserie­teile in einem einzigen Arbeitsschritt hergestellt werden, fand zuerst den Weg zu Neueinsteigern wie Tesla. Zudem sind deutsche und europäische Hersteller bei der mittlerweile so wichtigen Software ins Hintertreffen geraten. Hier rächt sich, dass die Digitalindustrie, von wenigen Ausnahmen abgesehen, ausschließlich in den USA und China prosperiert.

Diese Entwicklungen haben die deutsche Automobil­industrie von der Spitzen­position verdrängt. Doch der Prozess ist durchaus umkehrbar. Möchte man die Unternehmen wieder wettbewerbsfähig machen, muss man sie stärker dem Konkurrenz­druck aussetzen. Statt per Staatsbeteiligung gar Modellpolitik zu betreiben, wie es im teils politisch besetzten VW-Aufsichtsrat passiert, oder durch Handels­hemmnisse die Burg­gräben um den europäischen Binnenmarkt zu vertiefen, braucht es wieder mehr Distanz zwischen Industrie und Politik. Wer mehr für die deutsche Automobil­industrie tun möchte, sollte darum vor allem eins tun: Weniger auf deren Lobbyisten hören. Das wird ökonomisch zunächst schmerzhaft sein, aber unumgänglich, um die Existenz der Branche in Deutschland langfristig zu sichern. Andernfalls kommen die Autohersteller der Zukunft weder aus Wolfsburg, Stuttgart, Köln oder München, sondern ausschließlich aus Texas, Hangzhou oder Shenzhen.

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© Der/die Autor:in 2024

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DOI: 10.2478/wd-2024-0210