Die neue Plattform für strategische Technologien für Europa (STEP) soll Investitionen in strategisch als wichtig erachtete Wirtschaftsbereiche lenken und so die europäische Wettbewerbsfähigkeit stärken. Zu diesem Zweck wird mit STEP erstmals eine breitflächige Förderung von Großunternehmen aus Mitteln der EU-Strukturfonds möglich. Die Europäische Kommission betrachtet STEP als Vorläufer eines Instruments für eine umfassende EU-Industriepolitik. Vor diesem Hintergrund wird der sich andeutende Paradigmenwechsel hin zu einer stärker dirigistischen europäischen Wirtschaftspolitik untersucht.
Der US-amerikanische Inflation Reduction Act von 2022 führte zu Rufen nach einer europäischen Antwort. Mit dem etwa 370 Mrd. US-$ schweren Maßnahmenpaket fördern die USA Energiesicherheit und Dekarbonisierung. Auf europäischer Ebene war dem Inflation Reduction Act das 750 Mrd. Euro umfassende Investitionsprogramm Next Generation EU vorausgegangen. Die Europäische Kommission wollte zunächst mit einem weiteren umfassenden Investitionsprogramm, einem Souveränitätsfonds, auf den Inflation Reduction Act reagieren. Schließlich legte die Kommission im Juni 2023, im Rahmen der regulären Halbzeitüberprüfung des mehrjährigen Finanzrahmens der EU (MFR) für 2021 bis 2027, mit STEP eine zunächst kleinere Antwort auf den Inflation Reduction Act vor. Aufgegeben hat die Europäische Kommission den Souveränitätsfonds jedoch nicht. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen versteht STEP als Vorbote eines umfassenden industriepolitischen Instruments der EU: „This will be the precursor to a fully fledged Sovereignty Fund that would be created in the future“ (Europäische Kommission, 2023a).
STEP hingegen beruht vor allem auf Umschichtungsmöglichkeiten aus bestehenden EU-Fördertöpfen. Aus diesen sollen Finanzmittel in als strategisch wichtig erachtete Bereiche, wie etwa digitale und grüne Technologien, gelenkt werden. Zusätzlich hatte die Europäische Kommission im Rahmen von STEP ursprünglich 10 Mrd. Euro zusätzlicher Finanzmittel vorgeschlagen. Hiervon blieb in der im Februar 2024 verabschiedeten STEP-Verordnung allerdings nur eine 1,5 Mrd. Euro Mittelaufstockung für den Europäischen Verteidigungsfonds übrig. In der öffentlichen Diskussion etwas weniger wahrgenommen wurde der industriepolitische Kern von STEP.
Weitreichende Anpassungen der EU-Kohäsionspolitik durch STEP
Der industriepolitische Kern von STEP zeigt sich vor allem in den darin enthaltenen weitreichenden Anpassungen der EU-Kohäsionspolitik, die für eine breitflächigere Großunternehmensförderung geöffnet wird. Um die in STEP definierten strategischen Ziele zu verfolgen, können die Mitgliedstaaten ihre EU-Strukturfondsmittel auch zur Förderung von Großunternehmen umschichten. Eine Förderung von Großunternehmen erfolgt entlang üblicher Verfahren der Kohäsionspolitik, also per EU-Zuschuss mit verpflichtendem nationalen Finanzierungsanteil und Projektbindung. Mit den Strukturfonds wurden bisher vor allem öffentliche regionale Fördervorhaben sowie kleine und mittlere Unternehmen gefördert. Eine Förderung von Großunternehmen war nur in eng begrenzten Ausnahmefällen möglich.
Mit STEP ändert sich dies grundlegend für den größten EU-Strukturfonds, den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) mit einem Mittelvolumen von 217 Mrd. Euro und den Fonds für einen gerechten Übergang (JTF) mit Mitteln in Höhe von 19 Mrd. Euro (Europäische Kommission, 2021).1 Eine Förderung von Großunternehmen aus Mitteln des EFRE wird vor allem für Süd- und Osteuropa ermöglicht. STEP sieht nämlich eine Großunternehmensförderung in Regionen mit einem BIP pro Kopf unterhalb des EU-Durchschnitts sowie für reichere Regionen in Mitgliedstaaten mit einem unterdurchschnittlichen BIP pro Kopf vor. In Deutschland kommt die neue Möglichkeit zur Großunternehmensförderung somit vor allem für die neuen Bundesländer in Betracht. Die Großunternehmensförderung ist insgesamt auf 20 % der gesamten EFRE-Mittel begrenzt. Mit dem JTF hingegen können Europas Großunternehmen ohne regionale Einschränkung und ohne anteilige Begrenzung gefördert werden.
Mit zwei weiteren grundlegenden Änderungen an der bisherigen EU-Strukturpolitik werden den Mitgliedstaaten finanzielle Anreize gesetzt, STEP und die neu geschaffene Möglichkeit zur Großunternehmensförderung zu nutzen:
Erstens wird den Mitgliedstaaten für STEP-Vorhaben ein hoher Vorschuss in Höhe von 30% des STEP-Fördervolumens gewährt, zusätzlich zu der ohnehin in der Strukturpolitik ausgezahlten geringeren regulären Vorfinanzierung. Deren Zweck ist es eigentlich, den Strukturprojekten zu Beginn der Förderung etwas Liquidität bereitzustellen. Voraussetzung für die Auszahlung des Vorschusses in Höhe von 30% ist, dass die Mitgliedstaaten ihre STEP-Fördervorhaben vorab von der Europäischen Kommission genehmigen lassen. Für den JTF wurde der 30 % Vorschuss mit Inkrafttreten von STEP bereits pauschal an die Mitgliedstaaten ausgezahlt. Beim JTF ist aufgrund seines Klimabezugs eine Genehmigung der an STEP angepassten Programme durch die Kommission nicht erforderlich. Der zusätzliche Vorschuss von 30 % kann auch für den Europäischen Sozialfonds Plus (ESF+) mit einem Fördervolumen von 98,5 Mrd. Euro und für den EU-Kohäsionsfonds mit einem Volumen von 48 Mrd. Euro ausgezahlt werden. Eine Großunternehmensförderung für STEP-Vorhaben ist mit diesen beiden Fonds allerdings nicht möglich.
Ein zweiter Anreiz zur Großunternehmensförderung mit Strukturfondsmitteln über STEP ist die Aufhebung des bisher verpflichtenden nationalen Finanzierungsanteils. Für den EFRE, ESF+, Kohäsionsfonds und JTF wird eine 100 %ige EU-Finanzierung von Kohäsionsmaßnahmen möglich. Bisher beträgt der nationale Finanzierungsanteil zwischen 15 % und 60 %, gestaffelt nach dem wirtschaftlichen Entwicklungsstand der geförderten Region. Wohlhabendere Regionen müssen einen höheren nationalen Finanzierungsanteil erbringen. Dieser ist ein zentrales Prinzip der EU-Strukturförderung, da er die Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Fördervorhaben sicherstellen soll. Zudem erhöht der nationale Finanzierungsanteil das gesamte Fördervolumen.
Eine Umschichtung von Strukturfondsmitteln in STEP-Fördervorhaben, einschließlich einer Großunternehmensförderung müssen sich die Mitgliedstaaten von der Europäischen Kommission genehmigen lassen. Durch diesen neugeschaffenen Genehmigungsvorbehalt kann die Kommission direkter in die konkrete Ausgestaltung der Förderpolitik eingreifen. Bislang waren die Mitgliedstaaten frei bei der Entscheidung, welche Projekte sie fördern, solange diese im Rahmen der mit der Kommission geschlossenen Partnerschaftsvereinbarungen und Programme förderfähig waren. Nun wird die Kommission bis auf die Projektebene an der Entscheidung beteiligt.
Die finanziellen Auswirkungen der Großunternehmensförderung mit STEP auf den laufenden MFR sind begrenzt. Es können lediglich Mittel innerhalb der Zuweisung je Mitgliedstaat umgeschichtet werden. Allerdings erfolgte mit STEP ein Richtungsentscheid. Mit der Möglichkeit zu einer breitflächigeren Großunternehmensförderung wurde ein vollkommen neuer europäischer Förderzweck eingeführt. Wird dieser von den Mitgliedstaaten genutzt, worauf die geschaffenen Anreize über Vorschusszahlung und vollständiger EU-Finanzierung hindeuten, könnten sich daraus finanzielle Folgen für den nächsten MFR ab 2028 ergeben. In den 2025 beginnenden Verhandlungen über den nächsten MFR könnten für den neuen Förderzweck Großunternehmensförderung zusätzliche Finanzmittel gefordert werden. Deutschland müsste zusätzliche EU-Finanzmittel gemäß dem deutschen Finanzierungsanteil von etwa 25 % bezahlen. Zum Vergleich, Deutschland erhält gegenwärtig etwa 5 % der EU-Strukturfondsmittel.
Gesetzgebungsverfahren und Beschluss von STEP
Die politischen Verhandlungen zu STEP wurden von aktuellen geopolitischen Themen überlagert und verliefen eher unauffällig. Mit der MFR-Halbzeitüberprüfung, in dessen Rahmen STEP vorgeschlagen wurde, ging die Europäische Kommission über die übliche Adressierung unabweisbarer Bedarfe hinaus. Neben STEP umfasste die Halbzeitüberprüfung europapolitisch aktuelle Vorschläge wie eine zusätzliche Unterstützung der Ukraine, zusätzliche Mittel für Migration und die Schaffung eines Sonderinstruments für die Zahlung der gestiegenen Zinskosten für Anleihen von Next Generation EU (Europäische Kommission, 2023b). Diese aktuellen Vorschläge, vor allem derjenige zur Ukrainehilfe, überlagerten die öffentliche Diskussion von STEP in Deutschland. Der ehemalige Bundesfinanzminister Christian Lindner, zu der Zeit zuständig für den EU-Haushalt, äußerte sich jedoch Ende September 2023 im Bundestag eher kritisch zu neuen EU-Töpfen zur Förderung von als strategisch wichtig erachteten Industrien in der EU (o. V., 2023). Auf europäischer Ebene dürften die STEP-Vorschläge zur Kohäsionspolitik vor allem den größeren Kohäsionsmittel-Empfängern in Süd- und Osteuropa entgegengekommen sein. Das Anliegen der Kommission mit STEP ein umfassendes Instrument für eine europäische Industriepolitik einzuführen, dürfte bei den Nettoempfängern des MFR ebenfalls auf Zustimmung gestoßen sein.
Die erste hochrangige europäische Aussprache zu STEP fand am 26. und 27. Oktober 2023 im Europäischen Rat statt. Dieser verwies die Arbeiten zur MFR-Halbzeitüberprüfung einschließlich STEP jedoch zur weiteren Beratung zurück an die vorbereitenden Ratsgremien (Europäischer Rat, 2023a). Vorherrschende Themen beim Europäischen Rat waren die Lage in der Ukraine und in Nahost. Im folgenden Europäischen Rat am 14. und 15. Dezember 2023 wurde STEP als Teil der MFR-Halbzeitüberprüfung von 26 Mitgliedstaaten unterstützt (Europäischer Rat, 2023b). Eine Einigung scheiterte am Widerstand Ungarns, vor allem mit Blick auf die im Paket enthaltene Hilfe für die Ukraine. Eine Einigung zur Halbzeitüberprüfung, einschließlich STEP, wurde im Europäischen Rat am 1. Februar 2024 erzielt (Europäischer Rat, 2024). In der Folge nahm der Rat die Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament auf, das sich bereits im Vorfeld für STEP ausgesprochen hatte. Am 7. Februar 2024 einigten sich Rat und Parlament auf STEP, die Verordnung wurde am 29. Februar veröffentlicht (EU-Verordnung, 2024).
Paradigmenwechsel in der europäischen Wirtschaftspolitik
STEP passt zu einer sich abzeichnenden Tendenz innerhalb und außerhalb Europas hin zu einer stärker interventionistischen Wirtschaftspolitik. Die Wirtschaftspolitik der EU war bislang durch ordnungsliberale Prinzipien geprägt. Ordnungsliberale Prinzipien betonen die Bedeutung von Marktmechanismen und die Minimierung staatlicher Eingriffe in die Wirtschaft. Diese Prinzipien wurden insbesondere durch die Arbeiten des deutschen Ökonomen Walter Eucken und der Freiburger Schule geprägt. Eine marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung betont den Wettbewerb als zentrales Steuerungsinstrument und sieht den Staat vornehmlich in der Rolle des Rahmensetzers, der die Bedingungen für freien Wettbewerb gewährleistet, ohne jedoch selbst als wirtschaftlicher Akteur aufzutreten.
Dieses ordoliberale Prinzip des Primates des Marktes wurde im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) festgehalten und konkretisiert. Während das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der Wirtschaftsordnung neutral ist und keine explizite Festlegung auf eine marktwirtschaftliche Ordnung enthält,2 konkretisiert der AEUV die Prinzipien einer wettbewerbsorientierten Marktwirtschaft und legt verbindliche Regeln für staatliche Eingriffe und Wettbewerb fest. So enthält der europäische Rechtsrahmen umfassende Regeln zur Wettbewerbspolitik und zur Kontrolle staatlicher Beihilfen, die darauf abzielen, faire Wettbewerbsbedingungen innerhalb des Binnenmarkts zu gewährleisten. Diese Regeln sind in den Artikeln 101 bis 109 des AEUV verankert. Artikel 101 AEUV verbietet alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die den Wettbewerb einschränken könnten, wie Kartelle und Absprachen. Artikel 102 AEUV untersagt den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. Artikel 107 AEUV regelt die Zulässigkeit staatlicher Beihilfen und legt fest, dass staatliche Beihilfen, die den Wettbewerb verfälschen und den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen, grundsätzlich mit dem Binnenmarkt unvereinbar sind.
Die Entscheidung der Europäischen Kommission, ordnungspolitische Prinzipien in ihren Verträgen festzuschreiben und eine wettbewerbsorientierte Marktwirtschaft zu fördern, resultiert aus mehreren historischen und politischen Gründen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wollten die Gründerväter der Europäischen Gemeinschaft eine Wirtschaftsordnung schaffen, die Frieden, Stabilität und Wohlstand in Europa gewährleisten sollte. Sie erkannten, dass ein freier und fairer Wettbewerb unerlässlich ist, um die Effizienz der Märkte zu steigern und die Wirtschaftskraft der Mitgliedstaaten zu stärken. Auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat durch seine Rechtsprechung maßgeblich zur Durchsetzung der Wettbewerbsregeln und damit zur Stärkung der marktwirtschaftlichen Ordnung beigetragen. So hat der EuGH wiederholt betont, dass Wettbewerbsregeln wesentliche Bestandteile der EU-Verträge sind und strikt eingehalten werden müssen, um den Binnenmarkt zu schützen und zu fördern. Die Europäische Kommission, als Hüterin der Verträge, und insbesondere die Generaldirektion Wettbewerb, spielte in den letzten Jahrzehnten eine zentrale Rolle bei der Durchsetzung der Wettbewerbsregeln zur Sicherung der marktwirtschaftlichen Ordnung.
Die bestehenden Instrumente der Wirtschaftsförderung der EU berücksichtigen diese Festlegung und sind darauf ausgerichtet wirtschaftliches Wachstum und Entwicklung zu fördern, ohne Marktverzerrungen zu verursachen. So sind die EU-Strukturfonds so konzipiert, dass sie die Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit der geförderten Regionen und Sektoren steigern, ohne den Wettbewerb zwischen den Unternehmen zu beeinträchtigen. Die Europäische Kommission führt regelmäßige Bewertungen durch, um sicherzustellen, dass die Mittelvergabe transparent, zielgerichtet und wettbewerbsneutral erfolgt.
Auch im Gefolge der Euro-Schuldenkrise ab 2010 hat die EU versucht, die Wettbewerbsfähigkeit mit besseren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, wie etwa verlässliche Rechtsrahmen, effiziente öffentliche Verwaltungen oder gut funktionierende Arbeitsmärkte, zu stärken. Diese vertikal ausgerichtete Industriepolitik verfolgte die EU vor allem mit ihrem wirtschaftspolitischen Koordinierungsinstrument, dem Europäischen Semester. Ein Ergebnis des Europäischen Semesters sind die länderspezifischen Empfehlungen des Rates, die zentrale wirtschaftspolitische Herausforderungen aller Mitgliedstaaten darlegen. Diese haben üblicherweise ein Eigeninteresse daran, ihre wirtschaftlichen Rahmenbedingungen regelmäßig zu verbessern. Die vertikal ausgerichtete europäische Industriepolitik gründet auf der wissenschaftlich und politisch wenig strittigen Annahme, dass günstige wirtschaftliche Rahmenbedingungen eine zentrale Voraussetzung für Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftswachstum sind.
Eine Verschiebung der europäischen Wirtschaftspolitik hin zu einer stärker dirigistischen bzw. horizontalen Industriepolitik deutet sich in verschiedenen europäischen Maßnahmen der vergangenen Jahre an. Ein bekanntes Beispiel hierfür dürfte der Green Deal sein, mit dem unter anderem lenkend in den europäischen Automobilmarkt eingegriffen wird, indem der Verbrennermotor ab 2035 faktisch verboten werden soll. Weitere Beispiele könnten EU-Maßnahmen für fortschrittliche Computerchips sein, mit denen europäische Produktionskapazitäten ausgeweitet werden sollen oder Ausnahmen im Beihilferecht geschaffen werden.3 Der von der Europäischen Kommission angekündigte Vorschlag für ein Instrument für einen Souveränitätsfonds bzw. eine umfassende EU-Industriepolitik bleibt abzuwarten.
Gründe für diesen sich andeutenden Paradigmenwechsel in der europäischen Wirtschaftspolitik könnten außerhalb und innerhalb der EU zu finden sein. Global ist eine Tendenz zur Blockbildung und zur Abkehr von der internationalen Arbeitsteilung zu beobachten. Die daraus folgende stärkere Systemrivalität wird vielfach über Subventionen und Protektionismus ausgetragen (Fischer, 2024). Die EU verlor mit dem Austritt Großbritanniens im Januar 2020 einen Fürsprecher marktwirtschaftlicher Prinzipien. Der Brexit verschob das Kräfteverhältnis im Rat zugunsten der Befürworter stärkerer staatlicher Eingriffe in den Markt.
Mit einem solchen wirtschaftspolitischen Paradigmenwechsel wären für Europa Risiken verbunden. Es gibt kein historisches Beispiel für erfolgreichen Interventionismus. Der von von Hayek als Entdeckungsverfahren beschriebene Wettbewerb (von Hayek, 1969) wird in einer stärker staatlich gelenkten Wirtschaft geschwächt. An die Stelle des Koordinierungssystems des Marktes treten zunehmend staatlich gelenkte europäische Entscheidungen. Die unterminierte Allokationsfunktion des Marktpreises kann zu Ineffizienzen führen, wie z. B. die staatliche Lenkung europäischer Finanzmittel in sich als unrentabel herausstellende Bereiche. Es gilt als unstrittig, dass der Staat dem Markt in der Koordinierung von Angebot und Nachfrage unterlegen ist. Umfassendere europäische Eingriffe in die Wirtschaft würden zudem das Risiko bergen, dass Unternehmen ihre Ressourcen zunehmend dafür einsetzen, europäische Förderung zu erhalten. Der für einen funktionierenden Wettbewerb in Europa wichtige Ersatz nicht mehr rentabler Unternehmen oder Produkte durch neue rentable Unternehmen oder Produkte könnte gestört werden. Eine vermehrt dirigistische europäische Wirtschaftspolitik könnte, obgleich genau das Gegenteil beabsichtigt ist, zu geringerer Wettbewerbsfähigkeit und sinkendem Wirtschaftswachstum in Europa führen.
Kritik an der Förderung von Großunternehmen – Erfahrungen in den neuen Bundesländern
Die Förderung von Großunternehmen ist nicht neu. Diesem Ansatz liegt die Idee zugrunde, dass der Staat aufgrund von absehbaren Entwicklungen steuernd in die Wirtschaft eingreifen könne. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands gab es den Politikansatz der Förderung von regionalen Wachstumspolen und Unternehmensclustern in den neuen Bundesländern. Durch eine Förderung bestimmter Regionen und Unternehmensbereiche wollte man positive externe Effekte für die ganze Region induzieren. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der wirtschaftlichen Entwicklung hat in seinem Jahresgutachten 2004/05 diesen Politikansatz empirisch überprüft. Das Ergebnis ist ernüchternd. So zeigte eine erneute Analyse der ursprünglich als Wachstumspole identifizierten Arbeitsmarktregionen, dass sich die Erwartungen nicht erfüllt haben. Weder in den betrachteten Teilzeiträumen noch über den Gesamtzeitraum der Jahre von 1992 bis 2001 zeigten die „Wachstumscluster“ höhere wirtschaftliche Zuwächse als der Durchschnitt der neuen Bundesländer. In einer Arbeitsmarktregion, die nicht als Wachstumscluster eingeordnet wurde, konnte demgegenüber ein weit überdurchschnittliches Wachstum beobachtet werden. Der Sachverständigenrat kommt daher zu dem Ergebnis, dass eine Konzentration von Fördermitteln auf regionale Wirtschaftspole auf einer empirisch unsicheren Basis steht und eine Konzentration in der Förderpolitik auf bestimmte Cluster allenfalls ein ergänzendes Element sein könne (SVR, 2004, S. 458).
Diese Einschätzung lässt sich auf die europäische Ebene übertragen und die Sinnhaftigkeit der Förderung von Großunternehmen im Rahmen der STEP-Verordnung hinterfragen. Eine massive Förderung einzelner Investitionen wird natürlich eine gewisse Wirkung haben und nicht wirkungslos verpuffen. Allerdings sollten bei der Beurteilung des Erfolgs der Förderung nicht nur die positiven Effekte der Fördermaßnahmen berücksichtigt werden, vielmehr müssten auch die negativen Effekte des mit der Finanzierung der Investitionszuschüsse verbundenen Mittelentzugs berücksichtigt werden. Diese Mittel stehen an anderer Stelle nicht mehr zur Verfügung und hätten, wären sie beim Steuerzahler verblieben, einen höheren Wachstumsbeitrag leisten können. Eine solche Berücksichtigung der Opportunitätskosten findet jedoch bei industriepolitischer Förderung üblicherweise nicht statt. Zudem ist die Förderung einzelner Unternehmen teuer, da mit erheblichen Mitnahmeeffekten zu rechnen ist. Die Investoren, die ein Investitionsvorhaben ohne Förderung nicht, mit Förderung aber gerade noch durchführen, sind sehr schwer zu identifizieren. Daher werden auch solche Investoren Zuschüsse erhalten, deren Investitionsvorhaben auch ohne Förderung rentabel genug gewesen wären (SVR, 2004, S. 470).
Die zu beobachtende Hinwendung zu einer Industriepolitik, die einzelne Unternehmen und Technologien fördert, ist Ausdruck einer Überschätzung des staatlichen Wissens. Woher soll der Staat die Technologien von morgen kennen? Und woher kommt der Glaube, solche Technologien besser als der private Sektor identifizieren zu können. Fehlschläge einer solchen staatlichen Technologiepolitik sind daher vorprogrammiert.
Der Beitrag gibt die persönliche Meinung der Autoren wieder und entspricht nicht notwendigerweise der Position des Bundesministeriums der Finanzen.
- 1 Der JTF wurde 2021 im Rahmen des Maßnahmenpakets Green Deal eingeführt, um den regionalen Strukturwandel hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft zu unterstützen. Seine Finanzmittel setzen sich zusammen aus etwa 11 Mrd. Euro aus Next Generation EU und etwa 8 Mrd. Euro aus dem MFR 2021 bis 2027.
- 2 Das Bundesverfassungsgericht hat die fehlende Eindeutigkeit des Grundgesetzes im Bezug zur marktwirtschaftlichen Ordnung im Mitbestimmungs-Urteil vom 1. März 1979 hervorgehoben. So enthalte „das Grundgesetz … keine unmittelbare Festlegung und Gewährleistung einer bestimmten Wirtschaftsordnung“ (Papier, 2007).
- 3 Vgl. European Chips Act und Important Projects of Common European Interest.
Literatur
Europäische Kommission. (2021). The EU´s 2021-2027 long-term-budget and NextGenerationEU – Facts and figures.
Europäische Kommission. (2023a, 20. Juni). Presseerklärung zu STEP.
Europäische Kommission. (2023b, 20. Juni). Presseerklärung zum EU-Haushalt.
Europäischer Rat. (2023a, 27. Oktober). European Council meeting (26 and 27 October 2023) – Conclusions. EUCO, 14/23.
Europäischer Rat. (2023b, 15. Dezember). European Council meeting (14 and 15 December 2023) – Conclusions. EUCO, 20/23.
Europäischer Rat. (2024, 1. Februar). Special meeting of the European Council (1 February 2023) – Conclusions. EUCO, 2/24.
EU-Verordnung. (2024). Verordnung (EU) 2024/795 des Europäischen Parlaments und Rates vom 29. Februar 2024 zur Einrichtung der Plattform „Strategische Technologien für Europa“ (STEP) und zur Änderung der Richtlinie 2003/87/EG und der Verordnungen (EU) 2021/1058, (EU) 2021/1056, (EU) 2021/1057, (EU) Nr. 1303/2013, (EU) Nr. 223/2014, (EU) 2021/1060, (EU 2021/695, (EU) 2021/697 und (EU) 2021/241. Amtsblatt der Europäischen Union.
Fischer, P. (2024, 26. März). Der Westen im Subventionsfieber. Neue Züricher Zeitung.
o. V. (2023, 7. September). Lindner lehnt neue Finanztöpfe für strategisch wichtige Technologien ab. Reuters.
Papier, H.-J. (2007, 19. März). Wirtschaftsordnung und Grundgesetz. APuZ – Aus Politik und Zeitgeschichte. Bundeszentrale für politische Bildung.
SVR – Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. (2004). Erfolge im Ausland – Herausforderungen im Inland. Jahresgutachten 2004/05.
von Hayek, F. A. (1969). Wettbewerb als Entdeckungsverfahren. In F. A. von Hayek, Freiburger Studien: Gesammelte Aufsätze (S. 249–265). Mohr Siebeck.