Die Wirtschaftsschwäche in Deutschland hielt in diesem Jahr unverändert an. Das momentane reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) liegt gerade mal auf Vor-Corona-Niveau und 0,7 % unter dem letzten Nach-Corona-Höchststand im dritten Quartal 2022. Danach ist das preis- und saisonbereinigte BIP in den nachfolgenden acht Quartalen – abwechselnd, bei sinkender Tendenz – viermal gestiegen und viermal gesunken. Bei zwei aufeinanderfolgenden Rückgängen hätte man von einer (technischen) Rezession gesprochen; nach einer anderen Definition, der einer ständig wachsenden Unterauslastung des Produktionspotenzials, befindet sich Deutschland mitten in einer Rezession. Das Wirtschaftswachstum wird im Jahresdurchschnitt 2024 mit -0,2 % im zweiten Jahr nacheinander (2023: -0,3 %) negativ sein.
Noch deutlicher wird die aktuelle Wirtschaftsschwäche bei struktureller Betrachtung der BIP-Entwicklung. Allein die staatlichen Konsumausgaben sind aktuell höher als vor Corona, real um mehr als 10 %, nominal sogar um fast ein Drittel. Die realen Bruttoinvestitionen des Staates sind hingegen etwa auf dem Vor-Corona-Niveau. Die preisbereinigten privaten Konsumausgaben bewegen sich ebenfalls lediglich auf dem Niveau von vor Corona. Die Ausrüstungsinvestitionen, entscheidend für den Aufbau des gesamtwirtschaftlichen Kapitalstocks und für das künftige Wachstum, sind um mehr als 10 % zurückgegangen. Ebenso sind die Bauinvestitionen, sowohl in Wohnbauten wie auch in Nichtwohnbauten, um etwa ein Zehntel niedriger. Diese Daten zeigen zweierlei: eine Vernachlässigung staatlicher Investitionsausgaben zugunsten staatlicher Konsumausgaben sowie einen starken Rückgang der privaten Investitionstätigkeit. Sie sind Spiegelbild der Standortschwäche und der Hauptgrund für das inzwischen geringe Potenzialwachstum, das nur mehr auf etwa 0,5 % geschätzt wird.
Der Arbeitsmarkt schien trotz der Wachstumsschwäche lange Zeit recht robust, allerdings zulasten der gesamtwirtschaftlichen Produktivität, die in den letzten fünf Jahren nahezu stagnierte. Überdies wurde insbesondere die Beschäftigung im öffentlichen Bereich ausgeweitet, während die in der krisengeschüttelten Industrie zurückging. Die anhaltende konjunkturelle Schwäche schlägt sich nun zunehmend auch auf dem Arbeitsmarkt nieder. Die Zahl der Beschäftigten ist seit Mai dieses Jahres rückläufig. Die Zahl der Arbeitslosen, die aufgrund der Ausweitung des Arbeitsangebots, zum Teil wegen der Zuwanderung, schon seit Mitte 2022 zunimmt, steigt weiter. Positive Signale gibt es lediglich von der Preisfront. Die Inflationsrate für die Verbraucherpreise ist im Spätsommer 2024 zeitweilig unter die Stabilitätsmarke von 2 % gesunken. Dafür verantwortlich waren zunächst allerdings Basiseffekte und günstigere Kraftstoffpreise. Zuletzt hat sie sich wieder auf 2,2 % erhöht. Die sogenannte Kernrate von noch 3 % sowie deutlich gestiegene Arbeitskosten signalisieren aber weiterhin einigen Inflationsdruck; zudem sind die Energiepreise recht volatil.
Bis zu den Neuwahlen und der Aufnahme der Regierungsgeschäfte durch die nächste Bundesregierung – bis etwa April/Mai 2025 – sind keine nennenswerten Impulse für die Konjunktur zu erwarten. Die privaten Verbraucher dürften trotz gestiegener Realeinkommen vorsichtig agieren, d. h. ihre Sparneigung hochhalten. Und auch die Unternehmen dürften bei ihren Planungen zunächst die „neue Wachstumsinitiative“ einer neuen Bundesregierung abwarten und ihre Investitionen auf das Notwendige beschränken. Alles in allem dürfte das preis- und saisonbereinigte BIP bis zum Frühjahr 2025 kaum zunehmen (Abbildung 1). Angesichts des wirtschaftspolitischen Stillstands bieten die Neuwahlen im Februar 2025 die Chance für eine rasche wirtschaftliche Wende. Die meisten Parteien zeigen im angelaufenen Wahlkampf ein Bewusstsein für die Wachstums- und Standortprobleme. Es wird erwartet, dass die nächste Regierung diese Probleme prioritär angeht und relativ schnell Maßnahmen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und zur Behebung der Investitionsschwäche umsetzt. Damit würde die Privatwirtschaft neue Impulse erhalten.
Abbildung 1
Reales Bruttoinlandsprodukt
Saison- und arbeitstäglich bereinigt
1 Veränderung in % gegenüber dem Vorquartal, auf Jahresrate hochgerechnet, rechte Skala.
2 Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %.
Quelle: Statistisches Bundesamt; ab 4. Quartal 2024 Prognose des HWWI.
Eine wichtige Stütze der Konjunktur 2025/26 dürfte der private Konsum bleiben. Trotz voraussichtlich niedrigerer Lohnabschlüsse aufgrund sinkender Inflation werden die Realeinkommen weiter moderat steigen. Gleichzeitig wird nach den Neuwahlen und bei politisch stabileren Verhältnissen erwartet, dass sich die Sparneigung der Haushalte normalisiert, was umgekehrt eine Erhöhung der Kaufneigung bedeutet. Die Bauinvestitionen dürften bis zum Frühjahr 2025 zwar noch zurückgehen, dann sollte sich aber auch hier ein Umschwung einstellen. Bis dahin werden die Zinsen voraussichtlich weiter sinken, womit sich die Finanzierungsbedingungen vor allem für den Wohnungsbau verbessern. Vielfach diskutierte Maßnahmen im Rahmen einer neuen Wachstumsinitiative sind Steuerentlastungen und verbesserte Abschreibungsbedingungen für Unternehmen. Hier wird davon ausgegangen, dass die nächste Regierung ein Maßnahmenbündel beschließt, das die Standortbedingungen hierzulande und die Rahmenbedingungen für Unternehmensinvestitionen verbessert. Weniger günstig sind die Bedingungen von weltwirtschaftlicher Seite. Deutschlands Haupthandelspartner, die EU, wird ebenfalls nur moderat wachsen. Von Seiten des wichtigsten Außenhandelspartners außerhalb der EU, den USA, drohen Einfuhrzölle. Und auch aus China ist mit Strafzöllen zu rechnen, nachdem die EU für Importe von Elektroautos aus China ihrerseits Zölle eingeführt hat. Doch die Zuwachsraten bei den Ausfuhren werden auch wegen der verschlechterten preislichen Wettbewerbsfähigkeit deutlich geringer ausfallen als in der Vergangenheit. Gleichzeitig werden die Einfuhren bei Belebung der Konjunktur hierzulande merklich zunehmen, sodass im Prognosezeitraum von Seiten des Außenhandels kaum ein Wachstumsbeitrag zu erwarten ist.
Unter vorgenannten Bedingungen würden sich ab etwa Mitte 2025 zumindest von binnenwirtschaftlicher Seite die Wachstumsbedingungen hierzulande zu verbessern beginnen. Das könnte die Konjunktur im zweiten Halbjahr 2025 anschieben und sich im Jahr 2026 fortsetzen. Gleichwohl ist, da die Überwindung des Reformstaus einige Zeit benötigen wird, nicht so schnell mit derart hohen Expansionsraten wie in früheren Aufschwüngen zu rechnen. Im Jahresdurchschnitt würde dann das Wirtschaftswachstum 2025 etwa 0,5 % und 2026 rund 1,5 % erreichen (Tabelle 1). Mit Belebung der Konjunktur im Sommer 2025 sollten auch die Zahl der Erwerbstätigen wieder zu steigen und die der Arbeitslosen zu sinken beginnen. Die Inflation auf der Verbraucherstufe ist zwar in den Bereich der Stabilitätsmarke von 2 % abgesunken, allerdings gibt es noch einzelne Inflationstreiber, nicht zuletzt wird der bisherige kräftige Anstieg der Arbeitskosten noch einige Zeit nachwirken. Wenn sich die Lohnabschlüsse künftig mehr und mehr an der aktuellen Inflationsentwicklung orientieren, wird sich die Inflationsrate für die Verbraucherpreise bei 2 % stabilisieren.
Tabelle 1
Eckdaten der Prognose
Veränderung in % gegenüber dem Vorjahr
2023 | 2024 | 2025 | 2026 | |
---|---|---|---|---|
Bruttoinlandsprodukt1 | -0,3 | -0,2 | 0,5 | 1,5 |
Private Konsumausgaben | -0,4 | 0,1 | 0,8 | 1,4 |
Staatliche Konsumausgaben | -0,1 | 2,2 | 0,8 | 1,0 |
Anlageinvestitionen | -1,2 | -2,8 | 0,0 | 3,9 |
Ausrüstungen | -0,8 | -5,7 | 0,3 | 5,4 |
Bauten | -3,4 | -3,6 | -1,0 | 2,9 |
Sonstige Anlagen | 4,7 | 3,9 | 1,7 | 4,1 |
Inlandsnachfrage | -0,4 | -0,1 | 0,7 | 1,5 |
Ausfuhr | -0,3 | -0,4 | 0,8 | 2,8 |
Einfuhr | -0,6 | -0,3 | 1,4 | 2,9 |
Arbeitsmarkt | ||||
Erwerbstätige | 0,7 | 0,2 | -0,2 | 0,2 |
Arbeitslose (in Mio.) | 2,61 | 2,80 | 2,92 | 2,78 |
Arbeitslosenquote2 (in %) | 5,4 | 5,8 | 6,0 | 5,7 |
Verbraucherpreise | 5,9 | 2,2 | 2,1 | 2,0 |
Finanzierungssaldo des Staates (in % des BIP) | -2,6 | -2,2 | -2,0 | -1,4 |
Leistungsbilanzsaldo3 (in % des BIP) | 5,9 | 6,5 | 6,2 | 6,2 |
1 Preisbereinigt.
2 Arbeitslose in % der inländischen Erwerbspersonen (Wohnortkonzept).
3 In der Abgrenzung der Zahlungsbilanzstatistik.
Quelle: Statistisches Bundesamt; Deutsche Bundesbank; Bundesagentur für Arbeit; 2024 bis 2026 Prognosen des HWWI.
Die Prognosen für 2025/26 sind vermehrten Unwägbarkeiten ausgesetzt. Die geopolitischen Krisen – Ukrainekrieg und Nahostkrise – haben verschärfende Tendenzen. Noch nicht überschaubar, aber wohl an Bedeutung gewinnen dürften handelspolitische Restriktionen. Besondere Unsicherheiten bestehen angesichts der im Februar 2025 anstehenden Neuwahlen von innenpolitischer Seite. Die nun vorgezogenen Wahlen bieten die Chance, relativ zeitnah wachstums- und standortfördernde Wirtschaftsreformen durchzuführen. Davon wurde in dieser Prognose weitgehend ausgegangen. Eine schnelle und diesbezüglich einvernehmliche Regierungsbildung ist aber trotz des Problembewusstseins dafür in den meisten Parteien nicht unbedingt gewährleistet.