Schon vor mehr als zehn Jahren empfahl Lucia Reisch, eine der Protagonistinnen der deutschen Verbraucherforschung, angesichts der großen Herausforderungen in der Verbraucherpolitik aus wissenschaftlicher Sicht dringend den Ausbau der Verbraucherforschung. Immer häufiger bildet sich für dieses Forschungsfeld mittlerweile der Begriff der Verbraucherwissenschaften heraus, unter anderem angestoßen durch die weit zirkulierenden Arbeiten im gleichnamigen Sammelwerk „Verbraucherwissenschaften“. Inzwischen erstrecken sich Teile der Verbraucherforschung längst über die traditionellen Wirtschafts- und Rechtswissenschaften hinaus insbesondere in die Psychologie, die Politikwissenschaften, die Soziologie, die Kulturwissenschaften oder die Informatik und Wirtschaftsinformatik sowie einige Natur- und Umweltwissenschaften und die Medizin. Hierbei wird unter dieser noch relativ jungen Wissenschaftsdisziplin eine empirische, experimentelle oder (modell-)theoretische Forschung verstanden, oft unter Bezug zur Neuen Institutionenökonomik und Verhaltensökonomik, deren Untersuchungsschwerpunkt auf der Rolle von Verbraucher:innen in Märkten liegt. Zudem wird ausdrücklich auf die Interdisziplinarität und die Transdisziplinarität hingewiesen.
Einer EU-weiten Ausschreibung im Jahr 2023 konnte man nun entnehmen, dass die Bundesregierung die Einrichtung eines Bundesinstituts für Verbraucherforschung erwägt, finanziert aus Steuermitteln. Es soll zwar auch über Alternativen nachgedacht werden, jedoch scheint der Fokus auf einer zentralen Bundesoberbehörde zu liegen.
Nun mag es verschiedene Gründe für eine erneute Förderinitiative zur Verbraucherforschung geben, nach dem nur wenig genutzten „window of opportunity“ zehn Jahre zuvor. Eine wohl geringe Sichtbarkeit deutscher Forschungsbeiträge in den drei international einschlägigen Zeitschriften Journal of Consumer Research, Journal of Consumer Policy und Journal of Consumer Affairs kann dazu gehören, ebenso aber auch die zersplitterte, in der Regel nur auf einzelne Fachdisziplinen ausgerichtete Publikationstätigkeit, wie Finanzen oder Marketing.
Damit ist jedoch noch nicht weiter motiviert, weshalb es einer zentralen bundesstaatlichen Einrichtung bedarf, unter anderem auch, weil es in einigen Bundesländern bereits Forschungseinrichtungen gibt, die als Anker der Verbraucherforschung förderungsfähig sind und ausbaufähig wären, so z. B. das Forschungszentrum Verbraucher, Markt und Politik (Universität Friedrichshafen), die Forschungsstelle Verbraucherfinanzen & Verbraucherbildung (Universität Bamberg) oder das Institut für Verbraucherwissenschaften (Universität Düsseldorf).
Trägt es nicht eher zu einer Stärkung der Verbraucherforschung hin zur Etablierung der Verbraucherwissenschaften als eigenständige Disziplin in Deutschland bei, einen fairen Wettbewerb zu initiieren, statt einer Zentralisierung und einem exekutiven Handeln in der Forschung Vorschub zu leisten? Sollten die Regulierung und die Vergabeprozesse der Förderinstrumente nicht eher unabhängigen wissenschaftsbasierten Institutionen unterliegen, wie der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), als den Verwaltungseinheiten des Bundes?
Nach den verstärkten Initiativen zur Verbraucherforschung in Deutschland vor etwa 20 Jahren und dem erneuten Fokus vor ca. zehn Jahren mit Initiativen und Gründungen des Bundesnetzwerks Verbraucherforschung und des Sachverständigenrats für Verbraucherfragen (strukturell nach dem Vorbild der Verbraucherkommission Baden-Württemberg), aber auch des Forschungszentrums Verbraucher, Markt und Politik, der Forschungsstelle Verbraucherfinanzen & Verbraucherbildung und des Kompetenzzentrums Verbraucherforschung der Verbraucherzentrale NRW, ist die Verbraucherforschung in Deutschland deutlich ausgebaut und auf ein breiteres und tieferes Fundament gestellt worden. Warum sollen die Institute der etablierten Verbraucherforschung insbesondere in den Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen nun zentral verdrängt und ein weiteres zentrales Bundesinstitut geschaffen werden? Sind die Fortschritte der Verbraucherforschung in den genannten Bundesländern nicht gerade durch einen wissenschaftlichen Exzellenzwettbewerb forciert worden, statt durch bundesstaatlichen Forschungsdirigismus?
Warum nicht mehr Wettbewerb in der Verbraucherforschung wagen? Zum Beispiel, indem auch, aber nicht nur, bundesstaatliche Fördermittel über ausgewiesene Institutionen wie die DFG mit etablierten wissenschaftlichen Regeln alloziert werden und nicht über Bundesbehörden wie die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE), deren Vergabemodalitäten eher an solche im Bereich Verkehrswege oder Kindertagesstätten erinnern und weniger an evidenzbasierte Forschung?