Die Megatrends unserer Zeit – der Klimawandel, der demografische Wandel und der damit in Verbindung stehende Fachkräftemangel – stellen Unternehmen vor immense Herausforderungen. Bestehende Produkte und Dienstleistungen werden grundlegend infrage gestellt, Absatzmärkte schrumpfen oder fallen gänzlich weg, Energie- bzw. Ressourcenengpässe häufen sich. Sogar in Zeiten des Fachkräftemangels werden betriebliche Bündnisse zur Beschäftigungssicherung vereinbart, Investitionen und Qualifizierung spielen dabei häufig eine Rolle (Pusch und Seifert, 2023). Dies geht vielfach einher mit einer intensivierten Einführung und Nutzung digitaler Technologien – oftmals begleitet durch entsprechende Förderinitiativen (Kudic et al., 2023). Einerseits werden digitale Technologien zur Effizienzsteigerung der eigenen Prozesse eingesetzt. Anderseits werden die vielfältigen Möglichkeiten der Digitalisierung von Unternehmen als Chance begriffen, um neue digital gestützte Geschäftsmodelle zu erschließen.
Gleichzeitig ist in vielen Branchen ein Wandel vom Arbeitgeber- zum Arbeitnehmermarkt zu beobachten. Die Umsetzung digitaler Lösungsansätze scheitert nicht selten an fehlenden oder nicht ausreichend qualifizierten Fachkräften im Betrieb. Spezielle Anwendungen wie der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) im Personalwesen können auch eine Reaktion auf einen sich verschärfenden Fachkräftemangel darstellen. Folglich richten wir im vorliegenden Beitrag den Fokus auf die Schnittstelle von Digitalisierung und Arbeit. Wir ziehen aktuelle Daten von rund 3.700 befragten Betrieben und Dienststellen auf Grundlage der WSI-Betriebsrätebefragung 2023 heran, um zu untersuchen, wie die Einführung neuer digitaler Technologien mit folgenden Aspekten zusammenhängt: (i) Neueinstellungen bzw. Entlassungen, (ii) Arbeitsverdichtung bzw. -entlastung, (iii) Qualifizierung der Stammbelegschaft.
Die Grundlage der Analysen ist die WSI-Betriebs- und Personalrätebefragung 2023. Die mit Telefoninterviews durchgeführte repräsentative Panel-Befragung umfasst Betriebe mit Betriebsrat und seit 2021 auch Dienststellen mit Personalrat ab 20 Beschäftigten.1 In der Befragung 2023 wurden 3.713 Teilnehmer, davon 2.712 Betriebsräte und 1.001 Personalräte, interviewt. Die Befragung umfasst zwar nur mitbestimmte Betriebe, die etwa die Hälfte der Beschäftigten in Betrieben ab 20 Beschäftigten repräsentieren (Ellguth und Kohaut, 2022), erscheint aber für die Untersuchung der Einführung und der Effekte neuer Technologien in diesen Betrieben besonders geeignet (siehe unten). Die in der Befragung 2023 erhobenen Informationen zur Einführung digitaler Technologien im Jahr vor der Befragung (von 2022 bis 2023) umfassen fünf Technologien, die sich derzeit stark in der Entwicklung befinden:2
- Internet der Dinge, d. h. die Kommunikation von mit Sensoren ausgestatteten Objekten oder Maschinen über das Internet,
- Managementinformationssysteme, wie z. B. Systeme oder Dienste, die Informationen zur Entscheidungsfindung bereitstellen,
- Plattformdienste und Cloud-Lösungen, wie z. B. Software, die nicht auf lokalen Rechnern, sondern im Internet gespeichert ist,
- Audiovisuelle Technologien, z. B. Augmented Reality (AR) oder Virtual Reality (VR) Brillen,
- Künstliche Intelligenz, z. B. Einführung von Methoden des maschinellen Lernens oder Einführung von Muster- und Bilderkennungsverfahren in der Produktion.
Gut die Hälfte (54 %) der privat geführten Betriebe und knapp die Hälfte der Dienststellen (46 %) haben im Jahr vor der Befragung mindestens eine dieser Technologien eingeführt. Wird nach der Technologie differenziert, von der die meisten Beschäftigten betroffen waren, so war die Einführung neuer Plattformdienste bzw. Cloud-Lösungen am bedeutsamsten (vgl. Abbildung 1). Bei den Anteilswerten der Technologien mit der größten Bedeutung gibt es nur leichte Unterschiede zwischen dem Dienstleistungsbereich (privat und öffentlich) und dem produzierenden Gewerbe. Am ehesten noch weist das produzierende Gewerbe einen höheren Anteil von Technologieeinführungen im Bereich Internet der Dinge aus.
Abbildung 1
Wichtigste neu eingeführte Technologien
Anteile in %
N = 1.928.
Quelle: WSI-Betriebs- und Personalrätebefragung 2023; eigene Berechnungen.
Die Akzeptanz und die Auswirkungen der Einführung neuer Technologien dürften im Zusammenhang mit einer Partizipation der Beschäftigten bzw. deren Vertretungen bei der Einführung stehen. Hierfür besteht für die Betriebsräte auch ein Rechtsanspruch.3 In der Mehrzahl der Fälle wurde in der Belegschaft keine Bedarfsanalyse vor der Einführung der Technologien durchgeführt (produzierendes Gewerbe 82 %, private Dienstleistungen 80 %, öffentlicher Dienst 81 %). Allerdings wurden die Beschäftigten bei der Einführung der neuen digitalen Technologien in etwa der Hälfte der Betriebe (55 %) und Dienststellen (48 %) insofern beteiligt, als dass die Technologien in mehreren Runden mit Feedbackmöglichkeit eingeführt wurden.
Die Einführung digitaler Technologien verändert Produktion und Prozesse. Daraus resultierende Produktivitätssteigerungen können zum Unternehmenserfolg beitragen, können aber mit einer zunehmenden Arbeitsintensität verbunden sein. Zudem können Arbeitsplätze durch neue digitale Technologien bedroht sein, insbesondere bei der KI ist dies viel diskutiert, aber auch umstritten.4 Beide Effekte würden die Betriebsratsarbeit unmittelbar betreffen, da Beschäftigungssicherung und Arbeitsintensivierung regelmäßig zu den wichtigsten Themen zählen (BetrVG; Behrens und Brehmer, im Erscheinen). Aus diesem Grund ermöglichen die Antworten der Betriebs- und Personalräte einen ersten Einblick in kurzfristige Effekte.5 Es sind auch andere Effekte denkbar, zumal Entlassungen in einem zunehmenden Arbeitnehmermarkt eine geringere Rolle spielen und Betriebe vielfach Probleme mit dem Fachkräftemangel haben. So könnte die Entlastung von Beschäftigten mit hoher Arbeitsintensität im Vordergrund stehen (mit positiven Effekten beispielsweise auf die Arbeitszufriedenheit und den Krankenstand). Die Frage, ob die Einführung neuer digitaler Technologien (kurzfristig – der zeitliche Horizont der Umsetzung der neuen Technologien umfasst in der Befragung nur ein Jahr) mit einer höheren, niedrigeren oder auch gleichbleibenden Arbeitsbelastung einhergeht, wurde von den Betriebsräten unterschiedlich beantwortet (vgl. Abbildung 2).
Abbildung 2
Einführung digitaler Technologien und Arbeitsintensität
Anteile in %
N = 1.860; Antworten für die jeweilig bedeutsamste Technologie.
Quelle: WSI-Betriebs- und Personalrätebefragung 2023; eigene Berechnungen.
Die erhoffte arbeitsentlastende Wirkung ist nach Auskunft der Betriebs-/Personalräte immerhin in knapp 20 % der befragten Betriebe/Dienststellen eingetreten. Allerdings berichten in allen drei hier betrachteten Sektoren etwa 30 % der Betriebs- und Personalräte von einer zunehmenden Arbeitsbelastung im Zusammenhang mit der Technologieeinführung, in etwa 50 % der Fälle hat sich die Arbeitsintensität nicht geändert. Inwiefern die zunehmende Arbeitsbelastung nur ein vorübergehendes Problem ist, verdient eine genauere Betrachtung und wird Gegenstand zukünftiger Untersuchungen sein.
Hinsichtlich der kurzfristigen Arbeitsplatzeffekte digitaler Technologien finden sich in den Befragungsdaten kaum Hinweise für einen Stellenabbau (vgl. Abbildung 3). Eher gehen die Befunde in Richtung eines leichten Stellenaufbaus. Diese müssten allerdings noch genauer untersucht werden, da die Antworten der Befragung keine Aussagen über die Quantitäten von Stellenaufbau und -abbau erlauben. Zudem gelten bei den Arbeitsplatzeffekten die bereits erwähnten Effekte eines zunehmenden Arbeitnehmermarkts. Neueinstellungen, insbesondere von hochqualifizierten Fachkräften im Bereich digitaler Technologien, dürften kurzfristig nicht ohne Weiteres möglich sein. Eventuell kann dieser Restriktion teilweise auch durch den internen Arbeitsmarkt und Qualifizierungen begegnet werden.
Abbildung 3
Arbeitsplatzeffekte der Einführung digitaler Technologien
Anteile in %
N = 1.916; Antworten für die jeweilig bedeutsamste Technologie.
Quelle: WSI-Betriebs- und Personalrätebefragung 2023; eigene Berechnungen.
Die Transformation der Arbeitswelt durch die Einführung neuer digitaler Technologien ist unbestritten. Für die kurze Frist ergibt sich netto eine leichte Tendenz zur Arbeitsverdichtung. Dies könnte auf einen Rationalisierungsdruck hindeuten, allerdings verzeichneten im Zuge der Technologieeinführung netto etwas mehr Betriebe einen Stellenaufbau als einen Stellenabbau. Interessant für die arbeitsmarktpolitische Debatte ist zudem der mit den digitalen Technologien verbundene Qualifizierungsbedarf. So wurden die Hauptnutzer der neuen digitalen Technologien für deren Nutzung in drei Viertel der Fälle weiterqualifiziert (Produzierendes Gewerbe 74 %, Private Dienstleistungen 77 %, Öffentlicher Dienst 76 %). Die Schulungen waren dabei überwiegend kurz, der Medianwert der Schulungsdauer liegt bei acht Stunden (private Dienstleistungen und öffentlicher Dienst) bzw. zehn Stunden (produzierendes Gewerbe). Dies ist auch vor dem Hintergrund des ab dem 1. April 2024 eingeführten Qualifizierungsgeldes von Inter-
esse, das als Unterstützungsleistung für Betriebe bzw. deren Beschäftigte intendiert ist, die unter besonderem Transformationsdruck zur Wandlung ihres Geschäftsmodells stehen. Die im Gesetz formulierte Dauer der Qualifizierung von mindestens 120 Stunden wird aktuell bei den Qualifizierungen im Themenbereich digitaler Technologien in ca. 3 % der weiterbildungsaktiven Betriebe erreicht.
- 1 Grundlage ist eine disproportionale Zufallsziehung aus der Betriebsdatei der Bundesagentur für Arbeit. Für eine Datensatzbeschreibung der hier verwendeten Welle 2023: UZ Bonn (2024).
- 2 Die Auswahl basiert auf einem technologischen Katalog der EU (Gossé et al., 2022).
- 3 In Betrieben mit über 100 Beschäftigten besteht für die Betriebsräte nach BetrVG auch ein Anspruch auf Informationen über den Wirtschaftsausschuss bei wesentlichen Änderungen im Produktionsablauf, z. B. Rationalisierungen.
- 4 So schätzen Fregin et al. (2023) hohe Substitutionspotenziale durch KI insbesondere für höherqualifizierte Beschäftigte. Hingegen zeigt Stettes (2020) mit Daten des IW Personalpanels, „dass die Personalplanungen der Unternehmen für das laufende Geschäftsjahr in keinem systematischen Zusammenhang mit der Zahl und der Art der eingesetzten Digitalisierungstechnologien stehen.“
- 5 Mittelfristige Effekte können in der Folgebefragung 2025 in den Blick genommen werden.
Literatur
Behrens, M. und W. Brehmer (im Erscheinen), Betriebs- und Personalratsarbeit in Zeiten der COVID-Pandemie, in B. Kohlrausch, K. Schulze Buschoff und E. Peters (Hrsg.), Was von Corona übrig bleibt.
Ellguth, P. und S. Kohaut (2022), Tarifbindung und betriebliche Interessenvertretung: Ergebnisse aus dem IAB-Betriebspanel 2021, WSI-Mitteilungen, 75(4), 328-336.
Fregin, M.-C. et al. (2023), Automatisierungspotenziale von beruflichen Tätigkeiten: Künstliche Intelligenz und Software – Beschäftigte sind unterschiedlich betroffen, IAB Kurzbericht, (21).
Gossé, J. et al. (2022), Survey of Businesses on the Data Economy, A study prepared for the European Commission.
Kudic, M. et al. (2023), Knowledge Spillover: Between Serendipity and Strategic Planning, Proceedings of the ACM on Human-Computer Interaction, (8), 1-86.
Pusch, T. und H. Seifert (2023), Beschäftigungssicherung in den Betrieben während der Corona-Pandemie, WSI Working Paper, (214).
Stettes, O. (2020), (Keine) Angst vor Robotern? Aktualisierte Befunde zu potenziellen Beschäftigungseffekten der Digitalisierung, Vierteljahresschrift zur empirischen Wirtschaftsforschung, 47(4), 85-103.
UZ Bonn (2024), WSI-Betriebs- und Personalrätebefragung 2023, Methodenberichte, (2), im Erscheinen.