In der Debatte um die Schuldenbremse bildet sich zunehmend ein Konsens für eine Reform heraus. Zuletzt versuchten Feld et al. (2024) den häufig vorgetragenen Kritikpunkt zu entkräfteten, die Schuldenbremse behindere staatliche Investitionen. Die verwendete synthetische Kontrollmethode vergleicht die tatsächliche Investitionstätigkeit Deutschlands mit einem synthetischen „Deutschland ohne Schuldenbremse“. Dieser Beitrag begegnet einigen methodischen Problemen der Studie mit einer Erweitertung der synthetischen Kontrollmethode, stellt die Ergebnisse von Feld et al. (2024) allerdings grundsätzlich infrage.
Die Schuldenbremse gerät spätestens seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom November 2023 unter Druck. Immer mehr führende Ökonom:innen sowie internationale Organisationen hinterfragen die Sinnhaftigkeit allzu strikter Fiskalregeln (IMF, 2023; Wissenschaftlicher Beirat beim BMWK, 2023; OECD, 2024). Zuletzt sprach sich unter anderem der Sachverständigenrat für eine Reform der Schuldenbremse aus (SVR, 2024). In einem kürzlich veröffentlichten Politikpapier versuchen Feld et al. (2024) deshalb den häufig vorgetragenen Kritikpunkt, die Schuldenbremse behindere staatliche Investitionen, empirisch zu entkräften. Ihrer Analyse zufolge habe die Schuldenbremse erheblich zur Konsolidierung des Haushaltes beigetragen, die Zinskosten gesenkt und dabei keinen negativen Effekt auf öffentliche Investitionen gehabt. Dabei vergleichen die Autoren die tatsächliche Investitionstätigkeit Deutschlands mit einer „synthetischen“ Kontrollgruppe, welche ein „Deutschland ohne Schuldenbremse“ abbilden soll. In der vorliegenden Analyse arbeiten wir methodische Probleme der Studie von Feld et al. (2024) heraus und kommen zu dem Schluss, dass für die Frage der kausalen Wirkung der Schuldenbremse die hier genutzte Methodik aufgrund nicht erfüllter Voraussetzungen nicht anwendbar ist. Daher können die Ergebnisse nur sehr eingeschränkt interpretiert werden. Zudem zeigen wir alternative Ergebnisse mit einer verfeinerten Methodik, die auf einen negativen Zusammenhang zwischen der Schuldenbremse und den gesamtstaatlichen Investitionen hindeuten.
Methodische Kritik
Um die Wirksamkeit der Schuldenbremse zu untersuchen, greifen Feld et al. (2024) auf die anerkannte „Synthetic Control Method“ (SCM) zurück.1 Dabei wird ein synthetisches Deutschland aus einer Kombination ähnlicher Länder konstruiert. Die Methode basiert auf einem ähnlichen Prinzip wie vergleichende Fallstudien oder – noch grundlegender – klinische Studien: Dort testet man die Wirksamkeit eines Medikaments, indem man eine Experimentalgruppe, die das Medikament erhält, mit einer Kontrollgruppe vergleicht, die das Medikament nicht erhält. In dem vorliegenden Fall ist die Behandlung die Einführung der Schuldenbremse und es gibt nur einen „Patienten“ in der Experimentalgruppe. Zudem gibt es kein „Deutschland ohne Schuldenbremse“, sodass eine Kontrollgruppe als Durchschnitt aus anderen Ländern konstruiert werden muss.2 Sofern die Methodik sauber angewandt wird und das Treatment – in dem Fall die Einführung der Schuldenbremse – den zentralen Unterschied beider Gruppen ausmacht, können Unterschiede in der jeweiligen Zielvariablen3 auf die Wirksamkeit des Treatments zurückgeführt werden.
Genau wie in einer klinischen Studie dürfen die Länder, aus denen das synthetische Deutschland konstruiert wird, dabei nicht dieselbe Behandlung erfahren wie die eigentliche Experimentalgruppe. Für diesen bestimmten Anwendungsfall bedeutet das konkret, dass die für die Kontrollgruppe ausgesuchten Länder keine ähnlichen nationalen Fiskalregeln eingeführt haben dürfen. Dies würde einem „Experiment“ gleichen, bei dem sowohl der Experimentalgruppe als auch der Kontrollgruppe eine ähnliche Behandlung zuteil wird. Abadie et al. (2015), Pioniere der SCM, unterstreichen diese zentrale Grundvoraussetzung für das Forschungsdesign: „First, units affected by the event or intervention of interest or by events of a similar nature should be excluded from the donor pool“ (Abadie et al., 2015, 500). An dieser Stelle ergibt sich für die Arbeit von Feld et al. (2024) ein Problem, denn viele europäische Länder führten ebenso wie Deutschland neue nationale Fiskalregeln ein bzw. verschärften bestehende Regeln (vgl. Abbildung 1). Das methodisch richtige Vorgehen wäre gewesen, diese Länder aus der Analyse auszuschließen. Die Autoren merken jedoch richtigerweise an, dass dann kaum noch Länder übriggeblieben wären. Von den insgesamt 28 Ländern der Kontrollgruppe änderten 17 ihre Fiskalregeln zwischen 2010 und 2014. Lediglich sechs änderten ihre Fiskalregeln zwischen 2010 und 2021 nicht. Die Autoren sehen aus diesem Grund „in der Analyse von einer Ausgrenzung von Staaten aus der Kontrollgruppe aufgrund von [Änderungen der] Fiskalregeln“ ab, wenngleich dies „eine Einschränkung der Ergebnisse darstellt“ (Feld et al., 2024, 22). Gerechtfertigt wird diese Vorgehensweise mit dem Vermerk, dass „selbst wenn Fiskalregeln ein makroökonomisches Aggregat in einem der Kontrollstaaten, denen in der synthetischen Kontrolle ein positives Gewicht zugewiesen wird, erheblich beeinflussen würden, dies den geschätzten Effekt für Deutschland allenfalls abschwächen dürfte“ (Feld et al., 2024, 22). Intuitiv sagen die Autoren hier, dass der beobachtete Effekt kleiner wird, wenn man der Kontrollgruppe das gleiche Medikament (in geringerer Dosierung) verabreicht und dieses in die gleiche Richtung wirkt.
Abbildung 1
Fiskalregeländerungen in der Stichprobe von Feld et al. (2024)
Lesebeispiel: Zwischen 2010 und 2014 änderten die dargestellten 17 Länder ihre nationalen Fiskalregeln, d. h. führten neue Regeln ein oder schafften bestehende ab.
Quelle: eigene Darstellung basierend auf Davoodi et al. (2022).
Einem solchen Vorgehen liegen Annahmen zugrunde, in welche Richtung Fiskalregeln allgemein wirken. Während die Annahme eines allgemeinen positiven oder neutralen Zusammenhangs, z. B. beim Primärsaldo, noch rechtfertigbar sein mag, wird es insbesondere in Bezug auf die Investitionen deutlich schwerer. Damit die Resultate von Feld et al. (2024) zur Investitionsquote als Nullresultat interpretierbar wären, müsste man annehmen, dass die Einführung nationaler Fiskalregeln in den Ländern der Kontrollgruppe keinen oder einen positiven Effekt auf die öffentliche Investitionstätigkeit hatte. Gäbe es einen negativen Zusammenhang zwischen Fiskalregeln und öffentlichen Investitionen,4 kann die Einführung nationaler Fiskalregeln in den Ländern der Kontrollgruppe dazu führen, dass wir mit SCM keinen negativen Zusammenhang beobachten würden, während in der Realität zwei kausale negative Effekte vorlägen. In klinischen Studien wäre der Extremfall, dass Experimentalgruppe und Kontrollgruppe exakt das gleiche Medikament bekommen. Dann können unterschiedliche Verläufe nicht (eindeutig) auf das Treatment zurückgeführt werden. Aber auch bereits eine kleinere Dosierung in der Kontrollgruppe reicht aus, um das Ergebnis möglicherweise gravierend zu verfälschen. Dies wäre eine mögliche Erklärung für die Nullergebnisse von Feld et al. (2024) in Bezug auf die öffentliche Investitionsquote. Dieses Problem kann auch nicht durch die Aussage aufgelöst werden, dass die deutsche Schuldenbremse allgemein strenger sei.
Ein weiteres, gravierendes Problem hinsichtlich der Validität der Studie ergibt sich aus der Konstruktion des synthetischen Deutschlands. Intuitiv wird das synthetische Deutschland so zusammengebaut, dass dieses beispielsweise in den Investitionen sowie anderen Kriterien (im folgenden Prädiktoren) wie Pro-Kopf-Einkommen und Zinsen vor Einführung der Schuldenbremse möglichst ähnlich zum tatsächlichen Deutschland ist. Diese Prädiktoren sollten so ausgewählt sein, dass sie die Höhe der Investitionen möglichst gut vorhersagen. Technisch wird die Gewichtung der Länder so gewählt, dass der Abstand zwischen dem tatsächlichen und dem synthetischen Deutschland (also dem Vergleichsdeutschland) vor der Einführung der Schuldenbremse minimiert wird.5 Die zentrale Annahme hierbei ist, dass sich das synthetische Deutschland ohne Schuldenbremse aus einer Kombination von OECD-Ländern zusammensetzen lässt. Diese Annahme ist allerdings nicht sonderlich plausibel. Insbesondere bei den europäischen Volkswirtschaften, die einen Großteil des synthetischen Deutschlands ausmachen, gab es mögliche Spillover-Effekte und strukturelle Brüche:
Spillover-Effekte entstehen dann, wenn die Behandlung Auswirkungen auf die Kontrollgruppe hat. In klinischen Studien ist das selten ein Problem. Gibt man einem Patienten ein Medikament, hat das in den meisten Fällen keine Auswirkungen auf die Patienten in der Kontrollgruppe. In einer stark integrierten Wirtschaft ist das problematischer. Wirkt die Schuldenbremse sich indirekt auch auf andere Länder aus, dann verunreinigt dies den beobachteten Effekt. In welche Richtung sich die Veränderung auswirkt, ist ohne weitere Annahmen und Analysen nicht zu sagen. Durch die starke makroökonomische Verflechtung ist ein sauberes Identifizieren des Treatment-Effekts in dem gegebenen Design der Studie schwierig. Für ein ähnliches Problem sorgen strukturelle Brüche. Im Rahmen von SCM trifft man die implizite Annahme, dass die Kombination der Länder, die Deutschland vor Einführung der Schuldenbremse am besten repräsentieren, auch nach Einführung der Schuldenbremse weiterhin eine gute Approximation Deutschlands ohne Schuldenbremse ist. Gibt es allerdings einen strukturellen Bruch, der dazu führt, dass einige Länder, die vor Einführung der Schuldenbremse Deutschland noch ähnlich waren, sich nun aber stärker unterscheiden, verunreinigt das den beobachteten Effekt. Ein wesentlicher Bruch war z. B. die Eurokrise, welche die Volkswirtschaften Europas in unterschiedlichem Ausmaß traf (De Grauwe & Ji, 2012; Lane, 2012). Um ein Beispiel zu nennen: Mit der Finanz- und Eurokrise fand ein „Flight to Safety“ statt (De Grauwe & Ji, 2012; Lane, 2012), von dem Deutschland in Form von niedrigeren Zinsen profitierte, während andere Länder, wie z.B. Italien oder Frankreich, negativ betroffen waren (Kaczmarczyk, 2021). Dieser Effekt hatte nichts mit der Einführung der Schuldenbremse zu tun, sondern war vielmehr mit der Rolle Deutschlands als Benchmark-Emittent der sichersten Staatsanleihen in der Eurozone verbunden. Diese Rolle gibt Deutschland innerhalb der Eurozone ein „exorbitant privilege“, das vergleichbar mit der Position des US-Dollar innerhalb der Weltwirtschaft ist (Hüther & Südekum, 2020). In den unterschiedlichen Auswirkungen der Eurokrise zeigt sich neben möglichen strukturellen Brüchen in den Ländern der Kontrollgruppe auch das Problem, dass Deutschland womöglich neben dem „Treatment“ der Schuldenbremse mindestens ein weiteres, zeitgleiches Treatment erhalten hat, das sich aus der Struktur der Währungsunion ergab. In der Analogie der klinischen Studie gesprochen: Die Experimentalgruppe hat gleichzeitig mehrere Medikamente bekommen, sodass der Effekt der einzelnen Medikamente schwer voneinander zu trennen ist.
Ein weiteres Beispiel für einen Bruch in der Entwicklung zwischen Deutschland und der synthetischen Kontrollgruppe war die strukturell unterschiedliche Fähigkeit der Volkswirtschaften, die schwächelnde Nachfrage aus den Industriestaaten durch eine von Konjunkturprojekten gestärkte chinesische Nachfrage nach Rohstoffen und schweren Maschinen auszugleichen (Chen et al., 2019). Deutschland profitierte durch seine sektorale Wirtschaftsstruktur und die besondere Einbindung in die globalen Wertschöpfungsketten stärker von der gesteigerten chinesischen Nachfrage als der Großteil der Staaten der Kontrollgruppe, die diese Nachfrage nicht bedienen konnten (Ahuja & Nabar, 2012).6 So stieg etwa der Anteil der Exporte nach China am deutschen BIP zwischen 2009 und 2011 um fast einen ganzen Prozentpunkt von 1,5 auf 2,4 Prozentpunkte, währen die Veränderung für die Eurozone ohne Deutschland lediglich bei 0,3 Prozentpunkten lag.7 Die Beispiele zeigen, wie sich veränderte Rahmenbedingungen unterschiedlich auf Deutschland und die Länder der Kontrollgruppe auswirken und damit die kausale Interpretation mittels der SCM erschweren. So haben unter anderem die asymmetrischen Effekte auf das BIP automatisch auch einen Effekt auf die Schuldenquote, welche im Nenner das BIP enthält.
Jeder der obigen Punkte spricht dafür, dass die Ergebnisse nicht ohne Weiteres kausal interpretiert werden sollten, da die Anforderungen von SCM nicht erfüllt sind. Für eine sinnvolle kausale Interpretation müssten mindestens die folgenden Annahmen getroffen werden:8 (1) Die Einführung nationaler Fiskalregeln hatte in den anderen Ländern keinen Effekt auf die zu erklärenden Variablen. (2) Es entstanden keine Spillover-Effekte durch die Einführung der Schuldenbremse. (3) Exogene Schocks und andere Politikmaßnahmen hatten ähnliche Auswirkungen auf Deutschland und die Länder der Kontrollgruppe. (4) Es gab kein weiteres zeitgleiches Treatment in Deutschland. Erachtet man eine dieser Annahmen als verletzt, schränkt das die Interpretierbarkeit der Ergebnisse grundlegend ein. Daran ändern auch die in Feld et al. (2024) durchgeführten Robustheitstests nichts, da diese Tests den gleichen methodischen Problemen unterliegen.
Eigene Ergebnisse basierend auf ASCM
Akzeptiert man die obigen impliziten Annahmen lässt sich die Methode dennoch verbessern, indem man statt SCM die Weiterentwicklung „Augmented SCM“ (ASCM) von Ben-Michael et al. (2021) benutzt. Dies zeigen wir am Beispiel der Investitionsquote (identischen Variable wie Feld et al., 2024), welche die öffentlichen Investitionen in Relation zum Wirtschaftswachstum setzt und somit besonders relevant für die aktuellen politischen Debatten rund um die Transformation der Wirtschaft ist. Die erfolgreiche Anwendung von SCM setzt einen guten Pre-treatment-fit voraus (Abadie et al., 2015, 500). Sowohl in den Investitionen als auch deren Prädiktoren (z. B. Zinsen) sollten das synthetische und das tatsächliche Deutschland vor Einführung der Schuldenbremse sehr nah beieinander liegen. Hier stellen Feld et al. (2024) allerdings eine schlechte Passgenauigkeit fest. In der Literatur hat sich für genau diesen Fall ASCM als Erweiterung von SCM herausgebildet, wobei die Abweichung des synthetischen Deutschlands zur realen Entwicklung vor Einführung des Treatments verringert und die Projektionsgenauigkeit erhöht wird.9 Ist der Pre-treatment-fit gut, sind SCM und ASCM nahezu identisch, bei schlechtem Fit ist ASCM vorzuziehen. Dies ist hier der Fall. Im Aufbau unserer eigenen Analyse sind wir möglichst genau den Spezifikationen von Feld et al. (2024) gefolgt und haben insbesondere die gleichen Prädiktoren verwendet.10
Abbildung 2 zeigt die Differenz der gesamtstaatlichen Investitionsquote zwischen Deutschland und dem synthetischen Deutschland für unsere Replik der Ergebnisse von Feld et al. (2024) auf Basis von ASCM. Es ist ein deutlicher Unterschied der gesamtstaatlichen Investitionsquote zwischen dem tatsächlichen und synthetischen Deutschland nach Einführung der Schuldenbremse von bis zu 0,6 Prozentpunkten zu beobachten, welcher über die Zeit allerdings wieder etwas abnahm. Unsere Ergebnisse decken sich dahingehend gut mit denen von Feld et al. (2024) und sind nicht nur statistisch größtenteils signifikant, sondern vor allem ökonomisch ausgesprochen relevant: Ausgehend von einer durchschnittlichen Investitionsquote von ca. 2,2 Prozentpunkten vor Einführung der Schuldenquote, stellt dies eine Reduktion um bis zu einem Viertel dar. Zwischen 2012 und 2018 übersetzt sich die geschätzte jeweilige Differenz jährlich in zweistellige Milliardenbeträge und eine Differenz von über 100 Mrd. Euro insgesamt. Für den Bund finden wir wie Feld et al. (2024) keinen signifikanten Zusammenhang.11 Über die Gründe hierfür könnten wir nur spekulieren. An dieser Stelle sei einschränkend gesagt, dass wir in diesem Teil die konzeptionelle Kritik an Feld et al. (2024) nicht adressieren. Es gibt z. B. weiterhin das Problem, dass die Länder der Kontrollgruppe ebenfalls behandelt wurden und es mögliche strukturelle Brüche gab. Folglich sollten auch unsere Ergebnisse mit Vorsicht interpretiert werden, da sie ebenfalls von der grundlegenden Kritik im ersten Teil dieses Textes betroffen sind.
Abbildung 2
Abweichung der gesamtstaatlichen Investionsquote vom synthetischen Deutschland
Technische Details: Der graue Bereich rund um die Schätzung zeigt ein 95 %-Konfidenzintervall auf Basis Barber et al. (2019). Co-Variablen: Zinsen (10-jährig), erwerbsfähige Bevölkerung, Gesundheitsausgaben, BIP je Einwohner, Inflation, Außenhandelsquote, Arbeitslosenquote, Wahlperiode, politische Ausrichtung (alle identisch wie Feld et al., 2024).
Quelle: eigene Berechnungen.
Allgemeine Einordnung: Fiskalregeln & Investitionen
Auch wenn die obigen, vorläufigen Ergebnisse als Erweiterung von Feld et al. (2024) auf einen negativen Einfluss der Schuldenbremse auf die öffentliche Investitionstätigkeit hindeuten, lässt es sich nicht abschließend klären, ob die Schuldenbremse für die zu niedrigen Investitionen in der Vergangenheit verantwortlich war. Schließlich müssten auch für diese Analyse die genannten Annahmen gelten, was bezweifelt werden kann. Man könnte an dieser Stelle zudem argumentieren, dass die Schuldenbremse in den 2010er Jahren keinen unmittelbaren Effekt auf die Staatsverschuldung hatte: Unter dem Dogma der „Schwarzen Null“ übertraf der Bund in Sachen Sparsamkeit seine selbst auferlegten Regeln, was auch durch die gute Konjunktur und das Niedrigzinsumfeld möglich war. In einer solchen Situation mit einer nicht scharf geschalteten Schuldenbremse mag eine Analyse mit SCM zu dem Ergebnis kommen, dass die Schuldenbremse zumindest für den Bund keine Investitionen verhinderte. Spätestens seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist das anders: Die Schuldenbremse bindet und spätestens jetzt muss man sich fragen, ob die Schuldenbremse nicht eine Gefahr für die öffentliche Investitionstätigkeit sein könnte, selbst wenn man nicht glaubt, dass sie ursächlich für unterlassene Investitionen in der Vergangenheit sei. Die historisch zweifelsfrei interessante Frage, ob die Schuldenbremse in der Vergangenheit zu weniger Investitionen geführt hat, bietet kaum Erkenntnisse darüber, ob eine Reform der Schuldenbremse heute und in der Zukunft nicht möglicherweise für mehr Investitionen sorgen könnte. Zudem lassen sich aus einem so kurzen Zeitraum mit historisch niedrigen Zinsen kaum verallgemeinerbare Erkenntnisse ziehen. Hier lohnt sich ein Blick auf mögliche Mechanismen zwischen Fiskalregeln/Konsolidierung und Investitionen, welche in der Literatur diskutiert wurden, obgleich die empirische Basis insgesamt bisher dünn bleibt: In einer jüngeren Übersicht der vorhandenen Empirie durch Blesse et al. (2023) zeigt sich ein uneindeutiges Bild, wobei eine Studie von Burret und Feld (2018) sogar einen positiven Zusammenhang zwischen Fiskalregeln und Investitionen findet, einige Studien keinen signifikanten Zusammenhang identifizieren können (z. B. Gregori, 2014; Grembi et al., 2016) und andere Papiere wiederum einen negativen Zusammenhang finden (Venturini, 2020; Jürgens, 2022; Gerling & Mühlenweg, 2023). Insbesondere in der jüngeren Literatur findet sich durchaus ein Trend, welcher auf einen negativen Zusammenhang zwischen strikteren Fiskalregeln und öffentlichen Investitionen hindeutet – was aber oftmals das intendierte Ziel der Einführung von Fiskalregeln ist.
Aus politökonomischer und praktischer Sicht erscheinen die negativen Auswirkungen von Fiskalregeln auf Investitionen plausibel, da die gegebenen Anreiz- und Gesetzgebungsstrukturen Kürzungen eher bei Investitionen als bei konsumtiven Ausgaben incentivieren. Politökonomisch stehen insbesondere kurzfristige Wahlzyklen einer verzögerten Wirkung von Investitionsausgaben gegenüber: Ergibt sich aus den Fiskalregeln ein Konsolidierungsdruck, so sind Kürzungen bei Investitionsausgaben für die Politik die attraktivere Alternative, da der Nutzen von Investitionen (im Durchschnitt) – anders als bei nicht-investiven Ausgaben – erst mit einer gewissen Verzögerung eintritt. Teils können Investitionen sogar mit Beeinträchtigungen für die Bevölkerung einhergehen, wie es vor allem bei Infrastrukturprojekten der Fall ist (etwa aufgrund von Staus oder Baustellen beim Ausbau von Stromtrassen). Nicht-investive Ausgaben hingegen wirken direkt oder lediglich mit einer kurzen Verzögerung. Umgekehrt werden Kürzungen nicht-investiver Ausgaben häufig direkt spürbar, während die negativen Folgen von Einsparungen im investiven Bereich erst mit der Zeit sichtbar werden. In kurzfristigen Wahlzyklen besteht deshalb ein starker Anreiz für Einsparungen bei Investitionen.
Für Kürzungen bei Investitionen spricht allerdings auch ein praktischer Grund: Während viele nicht-investive Ausgaben wie Renten oder auch manche klimaschädlichen Subventionen, wie die Befreiung internationaler Flüge von der Kerosinsteuer durch Gesetze oder internationale Abkommen, festgelegt sind, gilt dies für Investitionen häufig nicht. Bestehende Investitionsvorhaben kann man deshalb einfacher auslaufen lassen und neue Projekte leicht vertagen. Beznoska und Kauder (2020) legen dahingehend auf kommunaler Ebene empirisch dar, dass in Kommunen, die unter finanziellem Druck stehen, Investitionen im Zweifel weichen müssen, da Sozial- und Personalausgaben nicht so einfach gekürzt werden können.
Es bleibt festzuhalten, dass nicht-investive Ausgaben aus politökonomischen und/oder praktischen Gründen häufig für Einsparungen wegfallen. Der Rotstift würde entsprechend bei Investitionen angesetzt werden. Schon als man unter Kohl versuchte zu sparen, beschwerte sich der Verkehrsminister über die Plünderung des Verkehrsetats (Bundesregierung, 1987, 9). Mit Blick auf die kommenden Haushaltsdebatten sind Einsparungen bei den Investitionen eine nicht zu unterschätzende Gefahr für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Die politökonomischen und rechtlichen Anreizstrukturen im Rahmen der Schuldenbremse sind nicht förderlich für eine Investitionsoffensive, die es sowohl aus klimapolitischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Perspektive dringend bräuchte.
Wir bedanken uns bei Martin Beznoska, Sebastian Dullien, Philippa Sigl-Glöckner, Jens Südekum und Achim Truger für ihr Feedback auf den ersten Entwurf des Papiers.
- 1 Wir kritisieren explizit nicht die Methode selbst. Wie jede Methode der Kausalinferenz benötigt sie allerdings bestimmte Annahmen, die es in jedem Einzelfall zu prüfen gilt. Die Validität der Resultate hängt dann maßgeblich davon ab, wie gravierend die Verletzung dieser Annahmen ist.
- 2 Zu den technischen Details siehe z. B. Abadie (2021) oder Ben-Michael et al. (2021).
- 3 Schuldenquote, Primärsaldo, Refinanzierungskosten und Investitionsquote in Feld et al. (2024).
- 4 Es gibt beispielsweise für Italien durchaus belastbare Evidenz, die in diese Richtung deutet: „A design permits to find rigorous empirical evidence that the switching in 2007 to rules which are more binding in terms of fiscal discipline leads to a recomposition of municipal expenditure against investment spending“ (Venturini, 2020, 1).
- 5 Formal werden die Gewichte der Länder der Kontrollgruppe (W) so gewählt, dass die euklidische Norm ‖ − W‖ = (( − − ... − )2) minimiert wird, wobei h der Indikator für die Prädiktoren und J der für die Länder der Kontrollgruppe ist, eine Matrix der Zielvariable und der Prädiktoren für Deutschland, für die Länder der Kontrollgruppe und die Gewichtung der Prädiktoren darstellen. Die Gewichtung der einzelnen Prädiktoren V basiert auf der Minimierung des mittleren quadrierten Vorhersagefehlers (Abadie, 2021, 369).
- 6 Aktuell ergibt sich der gegenteilige Effekt, wo die schwache Nachfrage aus China die deutschen Exporte gerade in wichtigen Industriesektoren, wie Automobil, Chemie und Elektronik, bremst und sich negativ auf das Wachstum auswirkt (Bundesbank, 2024).
- 7 Eigene Berechnung basierend auf IWF (2023, 2024).
- 8 Neben den konzeptionellen Problemen wäre es wichtig zu erfahren, welches Paket zur Berechnung der Gewichte und zur Zusammenstellung der Kontrollgruppe benutzt wurde, da zahlreiche Pakete, die für die SCM verwendet werden, erhebliche numerische Instabilitäten aufweisen (Malo et al., 2023). So hängt die Gewichtung z. B. oft nicht von den numerischen Fundamentaldaten ab, sondern von der Anordnung der Donors in den Ausgangsdaten (Malo et al., 2023). Dies gilt jedoch grundsätzlich für Arbeiten mit SCM, weniger für die Studie von Feld et al. (2024).
- 9 Für technische Details siehe Ben-Michael et al. (2021).
- 10 Feld et al. (2024) berücksichtigen die Investitionsquote erst ab 1996 für die Kalibrierung der Gewichte. Um ihre Ergebnisse möglichst genau zu replizieren, nutzen wir ebenfalls die Werte ab 1996.
- 11 Eine Betrachtung der gesamtstaatlichen Investitionen erscheint in Bezug auf die Erreichung gesamtgesellschaftlicher investiver Ziele sinnvoller, da der Bund lediglich 30 % der öffentlichen Investitionen ausmacht (Destatis, 2024, Tabelle 3.6.1). Zudem besteht bei einer gesamtstaatlichen Betrachtung nicht die Gefahr, dass die Ergebnisse durch Verschiebungen zwischen den staatlichen Ebenen in Deutschland oder Ländern der Kontrollgruppe verunreinigt werden.
Literatur
Abadie, A. (2021). Using Synthetic Controls: Feasibility, Data Requirements, and Methodological Aspects. Journal of Economic Literature, 59(2), 391–425. https://doi.org/10.1257/jel.20191450
Abadie, A., Diamond, A. & Hainmueller, J. (2015). Comparative Politics and the Synthetic Control Method. American Journal of Political Science, 59(2), 495–510. https://doi.org/10.1111/ajps.12116
Ahuja, A. & Nabar, M. (2012). Investment-Led growth in China: global spillovers. IMF Working Paper, 12(267). https://doi.org/10.5089/9781475556414.001
Barber, R. F., Candes, E. J., Ramdas, A. & Tibshirani, R. J. (2019). Predictive inference with the jackknife+. https://doi.org/10.48550/ARXIV.1905.02928
Ben-Michael, E., Feller, A. & Rothstein, J. (2021). The Augmented Synthetic Control Method. Journal of the American Statistical Association, 116(536), 1789–1803. https://doi.org/10.1080/01621459.2021.1929245
Beznoska, M. & Kauder, B. (2020). Schieflagen der kommunalen Finanzen. IW-Policy Paper, 15. https://www.iwkoeln.de/studien/martin-beznoska-bjoern-kauder-schieflagen-der-kommunalen-finanzen.html
Blesse, S., Dorn, F. & Lay, M. (2023). Schwächen fiskalregeln öffentliche investitionen? ifo Schnelldienst, 76(06), 22–28. https://www.ifo.de/publikationen/2023/aufsatz-zeitschrift/schwaechen-fiskalregeln-oeffentliche-investitionen
Bundesbank. (2024). Risiken für Deutschland aus der wirtschaftlichen Verflechtung mit China. Monatsbericht, Januar. https://www.bundesbank.de/de/aufgaben/themen/wirtschaftliche-risiken-fuer-deutschland-aus-der-verflechtung-mit-china-922432
Bundesregierung. (1987). 12. Kabinettssitzung am Mittwoch, dem 1. Juli 1987. https://kabinettsprotokolle.bundesarchiv.de/protokoll/d123da2f-9fd9-46af-8d14-a3a32003ce92#K76b-0c3-4cb
Burret, H. T. & Feld, L. P. (2018). (Un-)intended effects of fiscal rules. European Journal of Political Economy, 52, 166–191. https://doi.org/10.1016/j.ejpoleco.2017.06.002
Chen, W., Mrkaic, M. & Nabar, M. S. (2019). The Global Economic Recovery 10 Years After the 2008 Financial Crisis. IMF Working Papers. https://www.imf.org/en/Publications/WP/Issues/2019/04/26/The-Global-Economic-Recovery-10-Years-After-the-2008-Financial-Crisis-46711
Davoodi, H., Fotiou, A., Elger, P., Garcia-Macia, D., Han, X., Lagerborg, A., Lam, W. R. & Medas, P. (2022). Fiscal Rules and Fiscal Councils: Recent Trends and Performance during the COVID-19 Pandemic. IMF Working Papers, 2022(011). https://doi.org/10.5089/9798400200472.001
De Grauwe, P. & Ji, Y. (2012). Mispricing of Sovereign Risk and Macroeconomic Stability in the Eurozone. JCMS: Journal of Common Market Studies, 50(6), 866–880. https://doi.org/10.1111/j.1468-5965.2012.02287.x
Destatis. (2024). Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen—Arbeitsunterlage Investitionen [dataset]. https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Volkswirtschaftliche-Gesamtrechnungen-Inlandsprodukt/Publikationen/Downloads-Inlandsprodukt/investitionen-xlsx-5811108.html
Feld, L. P., Hassib, J., Langer, M. & Nientiedt, D. (2024). Die Schuldenbremse. Ein Garant Für Nachhaltige Haushaltspolitik? Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. https://www.freiheit.org/de/deutschland/neues-gutachten-zeigt-keine-wirkung-der-schuldenbremse-auf-oeffentliche-investitionen
Gerling, L. & Mühlenweg, L. (2023). Do Fiscal Rules Reduce Public Investment? Evidence from European Regions. https://doi.org/10.2139/ssrn.4562321
Gregori, W. D. (2014). Fiscal Rules and Public Spending: Evidence from Italian Municipalities. https://doi.org/10.2139/ssrn.2391726
Grembi, V., Nannicini, T. & Troiano, U. (2016). Do Fiscal Rules Matter? American Economic Journal: Applied Economics, 8(3), 1–30. https://doi.org/10.1257/app.20150076
Hüther, M. & Südekum, J. (2020). How to re-design German fiscal policy rules after the COVID19 pandemic. IW-Policy Paper, 25/2020. Institut der deutschen Wirtschaft. https://hdl.handle.net/10419/228778
IMF – International Monetary Fund. (2023). Germany: Staff Concluding Statement of the 2023 Article IV Mission. https://www.imf.org/en/News/Articles/2023/05/16/mcs051623-germany-staff-concluding-statement-of-the-2023-article-iv-mission
IWF – Internationaler Währungsfonds. (2023). World Economic Outlook (WEO)—April 2023 [dataset]. https://www.imf.org/en/Publications/WEO/weo-database/2023/October/select-country-group
IWF – Internationaler Währungsfonds. (2024). Direction of Trade Statistics (DOTS) [dataset]. https://data.imf.org/?sk=9d6028d4f14a464ca2f259b2cd424b85
Jürgens, E. (2022). The effects of fiscal rules on public investment over the cycle. FMM Working Paper, 84. http://hdl.handle.net/10419/274242
Kaczmarczyk, P. (2021). Growth models in a world of international trade and capital flows: A Schumpeterian, firm-centric analysis of European economic development. PhD Thesis, University of Sheffield. https://etheses.whiterose.ac.uk/30219/
Malo, P., Eskelinen, J., Zhou, X. & Kuosmanen, T. (2023). Computing synthetic controls using bilevel optimization. Computational Economics. https://doi.org/10.1007/s10614-023-10471-7
Lane, P. R. (2012). The European Sovereign Debt Crisis. Journal of Economic Perspectives, 26(3), 49–68. https://doi.org/10.1257/jep.26.3.49
OECD. (2024). OECD Economic Outlook (Volume 2024 Issue 1: Preliminary version). https://doi.org/10.1787/69a0c310-en
SVR – Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. (2024). Die Schuldenbremse nach dem BVerfG-Urteil: Flexibilität erhöhen – Stabilität wahren, Policy Brief, 1. https://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/publikationen/policy-briefs/policy-brief-1/2024.html
Venturini, F. (2020). The unintended composition effect of the subnational government fiscal rules: The case of Italian municipalities. European Journal of Political Economy, 63, 101874. https://doi.org/10.1016/j.ejpoleco.2020.101874
Wissenschaftlicher Beirat beim BMWK. (2023). Finanzierung von Staatsaufgaben: Herausforderungen und Empfehlungen für eine nachhaltige Finanzpolitik. https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Publikationen/Ministerium/Veroeffentlichung-Wissenschaftlicher-Beirat/gutachten-wissenschaftlicher-beirat-finanzierung-von-staatsaufgaben.pdf