Die japanische Wirtschaft hat sich seit dem pandemiebedingten Wirtschaftseinbruch des Jahres 2020 im internationalen Vergleich besonders schwach entwickelt. Die Erholung verlief vergleichsweise langsam und seit Mitte des vergangenen Jahres ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in der Tendenz wieder rückläufig (vgl. Abbildung 1). Sein Niveau war im ersten Quartal 2024 um 0,5 % niedriger als bei seinem Hochstand vor der Coronakrise. Damit bildet Japan das Schlusslicht unter den großen Industrieländern.1 Vergleicht man das aktuelle BIP-Niveau mit dem Niveau, das sich ergeben hätte, wenn sich der Wachstumstrend der Jahre 2012 bis 2019 fortgesetzt hätte, so ergibt sich eine Lücke von 4,6 %. Diese Sicht setzt aber das aktuelle Produktionspotenzial der japanischen Wirtschaft wohl deutlich zu hoch an. Zum einen dürfte sich der ohnehin niedrige Wachstumspfad der japanischen Wirtschaft – der jahresdurchschnittliche Produktionsanstieg in den acht Jahren vor der Pandemie lag bei 1 % – aufgrund der besonders ungünstigen demografischen Entwicklung weiter abgeflacht haben. Zum anderen haben die verschiedenen in den vergangenen Jahren aufgetretenen Schocks das Produktionspotenzial wohl wie in anderen Ländern – nicht zuletzt in Deutschland – nachhaltig gesenkt. So hat der Internationale Währungsfonds die Einschätzung vertreten, dass die japanische Wirtschaft im vergangenen Jahr in etwa normal ausgelastet war (IMF, 2024).
Abbildung 1
Bruttoinlandsprodukt in Japan
![Bruttoinlandsprodukt in Japan](files/journal-issues/wirtschaftsdienst/10.2478/wd-2024-0109/Gern-Abb-1.png)
Saison- und preisbereinigt. Trend berechnet auf Basis der Entwicklung in den Jahren 2012 bis 2019.
Quelle: LSEG Refinitiv, IfW Kiel.
Gebremst wird die gesamtwirtschaftliche Entwicklung vor allem durch den privaten Konsum. Während die privaten Investitionen ihr Vorkrisenniveau in etwa wieder erreicht haben und die Exporte ebenso wie die öffentliche Nachfrage aktuell sogar deutlich höher sind als im Jahr 2019, hat sich der private Konsum von dem pandemiebedingten Einbruch nur zögerlich und nie vollständig erholt. Er lag auch zu Beginn des Jahres 2023 noch um mehr als 2,5 % niedriger als im Jahr 2019. Seitdem gehen die privaten Konsumausgaben wieder zurück, inzwischen im vierten Quartal in Folge (vgl. Abbildung 2). Maßgeblich für die derzeitige Schwäche des privaten Konsums ist ein anhaltender Rückgang der Reallöhne, weil die Lohnzuwächse nach wie vor nicht mit der Inflation Schritt halten (vgl. Abbildung 3). Die Inflation ist im Jahr 2022 zwar nicht ganz so stark gestiegen wie in den meisten anderen fortgeschrittenen Volkswirtschaften, sie hat sich aber besonders langsam verringert; zuletzt ist sie sogar in der Tendenz wieder leicht gestiegen. Inflationserhöhend wirkt zurzeit auch, dass ein Teil der staatlichen Maßnahmen zurückgenommen wird, die dafür gesorgt haben, dass der Anstieg der Energiepreise nicht voll auf die Verbraucherebene durchgeschlagen hat. Während die Subventionen für die Haushaltsenergie im Juli auslaufen, bleiben die Subventionen für Benzin allerdings vorerst noch in Kraft.
Abbildung 2
Privater Konsum in Japan
![Privater Konsum in Japan](files/journal-issues/wirtschaftsdienst/10.2478/wd-2024-0109/Gern-Abb-2.png)
Saison- und preisbereinigt. Trend berechnet auf Basis der Entwicklung in den Jahren 2012 bis 2019.
Quelle: LSEG Refinitiv, IfW Kiel.
Abbildung 3
Lohnanstieg und Inflation in Japan
Veränderung gegenüber dem Vorjahr
![Lohnanstieg und Inflation in Japan](files/journal-issues/wirtschaftsdienst/10.2478/wd-2024-0109/Gern-Abb-3.png)
Quelle: LSEG Refinitiv, IfW Kiel.
Der hartnäckige Preisauftrieb rührt nicht zuletzt daher, dass die japanische Währung drastisch an Wert verloren hat. Zuletzt mussten für einen US-Dollar mehr 160 Yen bezahlt werden, rund 50 % mehr als vor zwei Jahren. Vor allem aufgrund der Abwertung hat Japan im vergangenen Jahr seinen Platz als drittgrößte Volkswirtschaft der Welt an Deutschland abgegeben. Hintergrund ist die nach wie vor sehr expansive Geldpolitik. Anders als die übrigen großen Notenbanken erhöhte die Bank von Japan ihre Leitzinsen bislang nicht nennenswert, und der Zinssatz für zehnjährige Staatsanleihen wurde auf einem niedrigen Niveau (rund 1 %) gehalten. Für die nächste Zeit ist nicht mit einer durchgreifenden Änderung dieser Politik zu rechnen, zumal die Zinsen in der übrigen Welt allgemein gesenkt werden.
Auf der Entstehungsseite wird die gesamtwirtschaftliche Produktion vom verarbeitenden Gewerbe gebremst. Das Niveau der Produktion von vor der Pandemie wurde im Verlauf der wirtschaftlichen Erholung nicht wieder erreicht (vgl. Abbildung 4). Im Jahr 2021 wurde die Erholung vor allem durch erhebliche Rückgänge der Produktion in der Automobilindustrie belastet, die – wie in Deutschland – wesentlich durch Probleme in den Lieferketten bedingt waren. Seit Mitte 2022 sind es – abermals eine Parallele zu Deutschland – vor allem die energieintensiven Industriezweige wie Stahl- und Metallerzeugung, Chemie- oder Zement- und Glasindustrie, die ihre Produktion angesichts der gestiegenen Kosten für die zu großen Teilen importierten Energieträger zurückfahren. Zuletzt kam ein Faktor hinzu, der zwar vermutlich weniger strukturell, gleichwohl aktuell von erheblicher Bedeutung ist: Gegen Ende des vergangenen Jahres geriet der Automobilsektor in Schwierigkeiten, nachdem Unregelmäßigkeiten in den Zulassungsverfahren für die Modelle eines Herstellers bekannt geworden waren. Zeitweise wurde dort die Produktion eingestellt, und die Neuzulassungen brachen zu Jahresbeginn ein. Nachdem sich die Situation im Frühjahr offenbar wieder entspannt hatte – Zulassungen und Produktion zogen im März kräftig an –, wurden Anfang Juni ähnliche Vergehen bei mehreren anderen Herstellern bekannt, sodass für die kommenden Monate mit neuerlichen Belastungen der Konjunktur zu rechnen ist.
Abbildung 4
Produktion im verarbeitenden Gewerbe in Japan
![Produktion im verarbeitenden Gewerbe in Japan](files/journal-issues/wirtschaftsdienst/10.2478/wd-2024-0109/Gern-Abb-4.png)
Energieintensive Industrien beinhalten die Produktion von Stahl- und Nichteisenmetallen, chemischen Produkten, Erdöl- und Kohleerzeugnissen, Zement, Keramik und Glas sowie Zellstoff und Papier.
Quelle: Ministry of Economics, Trade and Industry, Japan. IfW Kiel.
Gleichwohl dürfte sich die japanische Konjunktur in den kommenden Monaten allmählich beleben. Die Geldpolitik bleibt anregend, die Finanzpolitik ist in etwa neutral ausgerichtet. Im vergangenen Herbst sind Maßnahmen beschlossen worden, die eine starke Bremswirkung – durch das Auslaufen der 2023 beschlossenen Maßnahmen zur Linderung der Energiekrise – verhindern und Investitionen in grüne Technologie und digitale Infrastruktur fördern sollen. Der schwache Yen belastet zwar die Kaufkraft im Inland, regt aber die Exporte an. Trotz einer merklichen Belebung im Verlauf dürfte die japanische Wirtschaft in diesem Jahr insgesamt aber wohl nur geringfügig zulegen. Für das kommende Jahr ist ein Anstieg um 1,3 % zu erwarten, sofern die Erholung nicht durch Belastungen von der außenwirtschaftlichen Seite gebremst wird, beispielsweise durch eine schwächer als erwartete Konjunktur in China oder den USA, oder durch eine deutliche Verschlechterung des handelspolitischen Klimas.
- 1 Vergleichsbasis ist im Allgemeinen das vierte Quartal 2019. In Japan wurde der Hochstand allerdings bereits im dritten Quartal 2019 erreicht, da die gesamtwirtschaftliche Produktion zum Jahresende durch einen Sonderfaktor – die Mehrwertsteuererhöhung von 8 auf 10 % zum 1. Oktober 2019 – deutlich gedrückt wurde.
Literatur
IMF - International Monetary Fund. (2024, 8. Februar). Japan: Staff Concluding Statement of the 2024 Article IV Mission.