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„Ganz knapp“ haben rechtspopulistische – d. h. nationalistische und euroskeptische – Parteien bei der Wahl im Juni eine Mehrheit im Europäischen Parlament verfehlt. „Gerade so“ konnte eine rechtsextreme Mehrheit bei den Parlamentswahlen in Frankreich verhindert werden, allerdings nicht, weil die demokratischen Parteien mit ihren politischen Programmen hätten überzeugen können – eine erstaunliche Koalition von marktliberalen über christdemokratische und ökologische bis hin zu kommunistischen Parteien hatte sich strategisch abgestimmt, nur um die Wahl der Kandidat:innen des Rassemblement National zu verhindern. Hier bewahrheitet sich eine Prognose des Economist aus dem Juli 2016: „Farewell, left versus right. The contest that matters now is open against closed.“

Darin liegt durchaus ein Erfolg des Populismus, dass es gelungen ist, dem politischen Diskurs das Freund-Feind-Schema zu oktroyieren, das typisch für populistische Kampagnen ist. Die politische Polarisierung ist dabei Ausdruck zugrundeliegender gesellschaftlicher Spaltung, die immer weniger Platz für inhaltliche Auseinandersetzung lässt. In den USA kämpft die Demokratische Partei weniger für die Fortführung der eigenen Wirtschaftspolitik als vielmehr gegen eine erneute Präsidentschaft Donald Trumps. Wer in Deutschland nicht für die AfD ist, ist meist strikt gegen sie. Das lässt wenig Raum für Zwischentöne und reduziert den Streit um Sachpolitik auf eine negative Abgrenzung vom politischen Gegner. Eine lösungsorientierte Auseinandersetzung um die zukünftige Offen- oder Geschlossenheit westlicher Gesellschaften bleibt dabei auf der Strecke. Auch ohne konkrete Machtoption gewinnen Populisten so Einfluss auf die politische Agenda und die Gestaltungsfähigkeit demokratisch gewählter Regierungen.

Mit der gesellschaftlichen Spaltung einher geht eine politische Polarisierung im Raum. In den meisten Ländern hat das Erstarken des Populismus eine bemerkenswerte regionale Komponente. Überall gibt es ausgeprägte Stadt-Land-Unterschiede in der Unterstützung populistischer Parteien, die letztlich aus dem anhaltenden Zuzug liberal gesinnter Individuen in urbane Zentren resultiert. Darüber hinaus schwankt die Unterstützung populistischer Parteien erheblich zwischen den Küstenregionen und den Binnenstaaten der USA, zwischen nördlichen und südlichen Regionen im Vereinigten Königreich oder in Italien, zwischen östlichen und westlichen Regionen in Polen – und in Deutschland.

Diese Unterschiede liegen in kulturell geprägten regionalen Identitäten, sie haben aber auch – und nicht zuletzt – ökonomische Ursachen. Schließlich profitieren die Regionen je nach Industrie- und Bevölkerungsstruktur sehr unterschiedlich von makroökonomischen Entwicklungen wie Globalisierung, technologischem Fortschritt oder internationaler Mi­gration. Populisten gewinnen gerade in s­olchen Re­gionen an Unterstützung, die im strukturellen Wandel ins Hintertreffen geraten. Dabei sind es nicht allein diejenigen, die direkt von den Arbeitsmarkteffekten des Strukturwandels betroffen sind, die ihr Kreuz bei den Populisten machen. Wähler:innen verschiedener Erwerbs- und Einkommensgruppen erliegen der populistischen Rhetorik, wenn ihre Heimatregion im wirtschaftlichen Wandel abgehängt wird.

Demgegenüber steht eine Bevölkerungsmehrheit, die nicht nur objektiv vom ökonomischen Wandel profitiert, sondern auch subjektiv die liberale Demokratie unterstützt. Wie kann diese Spaltung überwunden werden? Mittelfristig muss es darum gehen, die Diskursfähigkeit zwischen den Kritiker:innen und Befürworter:innen einer offenen Gesellschaft zu erhalten und zu stärken. Dazu gehört, auch irrationale Ängste und Befürchtungen in der Diskussion ernst zu nehmen, ohne in unbegründete Schwarzmalerei zu verfallen. Kurzfristig sind es aber gerade die ökonomischen Ursachen des Populismus, die Ansatzpunkte für politische Gegenmaßnahmen bieten.

Jede Politik, die Ungleichheiten zwischen „Gewinnern“ und „Verlierern“ des wirtschaftlichen Wandels abmildert, hat auch das Potenzial, die politische Polarisierung zu verringern. Für die Regionalpolitik ist eine solche Wirkung nun empirisch und durch Kausalanalysen belegt. Das Kieler Arbeitspapier „Paying Off Populism: How Regional Policies Affect Voting Behavior“ zeigt auf, dass EU-Strukturfondsförderung die Unterstützung populistischer Parteien in strukturschwachen Regionen europaweit reduziert. Inter­essant dabei ist, dass der Wirkungskanal weniger mit der direkten Umverteilungswirkung von Regionalpolitik zu tun hat – vielmehr steigt in geförderten Regionen das Vertrauen der Wähler:innen in demokratische Institutionen, und zwar unabhängig von ihren ökonomischen Perspektiven. Hier scheint ein Schlüssel für die Wirksamkeit von Wirtschaftspolitik gegen politische Polarisierung zu liegen. Es geht nicht primär darum, die Verlierer des wirtschaftlichen Wandels monetär zu entschädigen. Vielmehr müssen für benachteiligte Regionen und Bevölkerungsgruppen Entwicklungsperspektiven geschaffen werden.

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© Der/die Autor:in 2024

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DOI: 10.2478/wd-2024-0135