Trotz einer leichten Rezession 2023 und eher verhaltenen Wachstumsaussichten für 2024 hat sich der deutsche Arbeitsmarkt bisher als sehr robust erwiesen, wenn auch einige Deutschland schon erneut als „kranken Mann Europas“ sehen. Die abhängige Beschäftigung steigt weiterhin an – wenn auch etwas verlangsamt. Deutschland weist im ersten Quartal 2024 mit 77,4 % eine der höchsten Beschäftigungsquoten aller OECD-Länder auf, mit einem Plus von 1,6 Prozentpunkten gegenüber dem vierten Quartal 2019 (OECD, 2024). Gleichzeitig steigt jedoch auch die Zahl der Arbeitslosen und die Jobchancen für Langzeitarbeitslose haben sich gegenüber dem Vor-Corona-Niveau verschlechtert. Legt man jedoch die standardisierte Arbeitslosenquote der OECD zugrunde, dann weist Deutschland trotz eines leichten Anstiegs in der jüngsten Vergangenheit im April 2024 mit 3,2 %1 weiterhin eine der niedrigsten Arbeitslosenquoten OECD-weit aus. Die Arbeitslosenquote in der OECD insgesamt beträgt im gleichen Monat 4,9 %.
Gleichzeitig besteht noch immer ein anhaltender Fach- und Arbeitskräftemangel. Dieser wird wegen der demografischen Entwicklung auch in Zukunft eine der zentralen Herausforderungen des deutschen Arbeitsmarktes sein. Neben der Fachkräftesicherung werden die angestrebten Transformationen in den Bereichen Digitalisierung und Dekarbonisierung eine wichtige Rolle spielen. Während die wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen während der Coronakrise – insbesondere Kurzarbeit – erfolgreich einen starken Beschäftigungseinbruch verhinderten, gingen sie mit einer Verlangsamung der Jobmobilität einher (Bennewitz et al., 2022). Inzwischen ist ein verstärkter Transformationsdruck zu erwarten, auch ausgelöst durch erhöhte Energiepreise und geopolitische Krisen. Die Transformationsprozesse gehen mit veränderten Tätigkeits- und Qualifikationsanforderungen einher, was wiederum den Fachkräftebedarf befördern wird. Tatsächlich dürfte der Fachkräftemangel damit die wirtschaftliche Dynamik und so das Produktivitätswachstum bremsen.
Trotz schwieriger wirtschaftlicher Lage kein Rückgang des Arbeitskräftebedarfs
Die großen Personalengpässe auf dem Arbeitsmarkt bestehen auch nach einem leichten Rückgang des realen Bruttoinlandsprodukts um 0,2 % im Jahr 2023 und der verhaltenen Wachstumsprognosen für 2024 weiter. Wie lässt sich das erklären?
Ein Grund dafür ist, dass Unternehmen zunehmend ihre Arbeitskräfte auch in konjunkturellen Schwächephasen zu halten versuchen. Denn sie wissen, dass qualifizierte Arbeitnehmer in Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs nur sehr schwer wiederzugewinnen sind. Zudem dürfte die sich verstärkende Transformation von Wirtschaft und Arbeitsmarkt, etwa durch die Digitalisierung oder Dekarbonisierung, den Bedarf für gut qualifizierte Arbeitskräfte erhöhen. Unternehmen stellen daher häufig verstärkt Personal auch auf Vorrat ein, um so in ihre zukünftige Leistungsfähigkeit zu investieren. Dies gilt insbesondere angesichts des nach Corona bestehenden Reallokationsbedarfs der Beschäftigten hin zu neuen Arbeitsplätzen. Weiterhin besteht unabhängig von der Coronakrise und von den konjunkturellen Entwicklungen ein anhaltender Personalbedarf in bestimmten Bereichen. So steigt etwa aufgrund der Alterung der Gesellschaft sowie dem Kita-Ausbau der Bedarf in den Bereichen der Gesundheit, Pflege und Erziehung weiter an (Bauer et al., 2024). Die Beschäftigung im Gesundheitsbereich etwa ist zwischen 2015 und 2022 um 660.000 (+12 %) auf rund 6 Mio. Beschäftigte gestiegen. Im selben Zeitraum ist auch die Zahl des pädagogischen Personals in Kindertageseinrichtungen um rund 165.000 Personen (+31 %) auf mehr als 693.000 Beschäftigte gestiegen (Destatis, 2024a, 2024b).
Passungsprobleme auf dem Arbeitsmarkt
Laut IAB-Stellenerhebung hatten die Betriebe im Jahr 2023 durchschnittlich 1,7 Mio. offene Stellen, im ersten Quartal 2024 ging die Zahl auf 1,57 Mio. zurück (Gürtzgen et al., 2024), was immer noch ein historisch hoher Wert ist (vgl. Abbildung 1). Demgegenüber standen im Jahresdurchschnitt 2023 etwa 2,6 Mio. bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) als arbeitslos gemeldete Personen sowie knapp über 1 Mio. Personen in der Stillen Reserve (Bauer et al., 2024), d. h. Personen, die zwar aktuell keine Arbeit suchen, aber grundsätzlich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Die vom Statistischen Bundesamt ausgewiesene Zahl der Erwerbslosen liegt niedriger und ist seit 2022 weitaus weniger stark angestiegen als die Zahl der Arbeitslosen und die Unterbeschäftigung insgesamt.
Abbildung 1
Arbeitslose, Erwerbslose, Unterbeschäftigung und offene Stellen in Deutschland seit 2015
Quartalszahlen
Quelle: IAB-Stellenerhebung, 2024; Statistik der Bundesagentur für Arbeit, 2024; Statistisches Bundesamt (Destatis), 2024; eigene Berechnungen.
In Abbildung 1 wird deutlich, dass auf dem deutschen Arbeitsmarkt ein zunehmendes Passungsproblem („Mismatch“) besteht. Offene Stellen passen oft nicht zu den Menschen, die arbeiten möchten oder können. Dafür gibt es vielfältige Gründe: Arbeitsplatzangebote befinden sich an anderen Orten und in anderen Regionen als die Arbeitsuchenden; die offenen Stellen passen nicht zu den Qualifikationen oder Vorstellungen der (häufig niedrig qualifizierten) Arbeitsuchenden; eine unvollkommene Informationslage oder ein Fehlen von Markttransparenz verhindern, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammenfinden. Die Transformationsprozesse dürften diese Passungsprobleme weiter verstärken, wenn nicht erfolgreich gegengesteuert wird.
Demografiebedingte Schrumpfung des Arbeitsmarktes
Die demografische Entwicklung in der Zukunft dürfte die bereits bestehenden Personalprobleme noch weiter verschärfen: Bis zum Jahr 2035 wird die besonders geburtenstarke Generation der „Babyboomer“ in Rente gehen. Dadurch kommt es zu einem starken Rückgang der inländischen Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (15 bis 75 Jahre). Dies wiederum verringert das inländische Erwerbspersonenpotenzial, d. h. die Summe aller Personen, die grundsätzlich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Getrieben wird dieser Rückgang einerseits durch eine schrumpfende Bevölkerung, andererseits durch einen Zuwachs an älteren Personen, die allgemein geringere Erwerbsquoten verzeichnen.
Das hiesige Erwerbspersonenpotenzial belief sich 2020 auf 47,4 Mio. Personen. In einem Szenario ohne Nettozuwanderung nach Deutschland verringert sich die Zahl der Personen selbst unter einer plausiblen Annahme von steigenden inländischen Beschäftigungsquoten bis 2035 um etwa 4,5 Mio. Personen (Fuchs et al., 2021).
Was sind also die potenziellen Ansatzpunkte, mit denen diesem projizierten Rückgang begegnet werden kann?
Netto-Zuwanderung
Ein konstantes inländisches Erwerbspersonenpotenzial würde voraussetzen, dass die jährliche Zuwanderung nach Deutschland markant ansteigen müsste. Konkret bräuchte es dafür laut IAB-Berechnungen (Hellwagner et al., 2022) eine Netto-Zuwanderung von 400.000 Personen jährlich. Weil viele Zugewanderte Deutschland auch wieder verlassen, wäre dafür bei unveränderter Abwanderungsrate eine jährliche Zuwanderung von ca. 1,8 Mio. Menschen nötig. Gleichzeitig wird die Zuwanderung aus EU-Staaten jedoch an Einfluss verlieren, da in den Hauptzuwanderungsländern eine ähnliche und teilweise stärkere Alterung zu beobachten ist und das Wirtschaftswachstum recht hoch ist.
Folglich müsste der Personalbedarf durch gesteuerte Zuwanderung aus Drittstaaten gedeckt werden. Allerdings beläuft sich diese gezielte Zuwanderung bis 2019 lediglich auf etwa 60.000 Personen pro Jahr. In diesen Dimensionen wird auch das 2023 verabschiedete Fachkräfteeinwanderungsgesetz nur begrenzt etwas ausrichten können. Ein großer Teil der aktuellen Migration ist Fluchtmigration, der nicht zwangsläufig auf Deutschlands Fachkräftebedarfe zugeschnitten ist.
Insgesamt lässt sich daher festhalten, dass unter den aktuellen Rahmenbedingungen eine erhöhte Netto-Zuwanderung die zukünftige demografiebedingte Fachkräftelücke am Arbeitsmarkt bei weitem nicht schließen können wird. Daher muss der Fokus auch auf der Hebung von inländischen Potenzialen liegen und es ist ein Schwerpunkt auf die Sprachkenntnisse und die berufliche Qualifizierung der Geflüchteten mit Bleibeperspektive zu legen. Viele der Geflüchteten finden bisher kurzfristig keine Anstellung als Fachkräfte in Deutschland.
Arbeitszeit und Arbeitsanreize
Bei der Aktivierung von Erwerbspotenzialen im Inland spielt vor allem eine Ausweitung der Arbeitszeit eine wichtige Rolle. Während die Beschäftigung auf Rekordniveau liegt, ist die Arbeitszeit in den vergangenen Jahren nicht im selben Umfang gestiegen. Abbildung 2 illustriert diesen Fakt: Zwischen 2013 und 2023 ist die Zahl der Erwerbstätigen um 8,5 %, darunter die Zahl der abhängig Beschäftigten um 11,1 %, gestiegen, das Arbeitsvolumen der Erwerbstätigen jedoch um lediglich 4,3 % und das der abhängig Beschäftigten um 9 %. Folglich ist die Arbeitszeit pro Kopf in diesem Zeitraum gesunken, eine Erklärung für das verhaltene Wachstum des BIP pro Beschäftigten. Die schwächere Dynamik für die Erwerbstätigen im Vergleich zu den abhängig Beschäftigten hängt an den rückläufigen Trends bei den Selbstständigen.
Abbildung 2
Zahl der Erwerbstätigen, der abhängig Beschäftigten und deren jeweiligen Arbeitsvolumen
Quelle: IAB-Arbeitszeitrechnung, 2024; iab.de/daten/iab-arbeitszeitrechnung/.
Bedingt ist diese Entwicklung unter anderem durch eine Teilzeitquote, die im Jahr 2023 mit 39 % auf Rekordniveau liegt, was vor allem auf eine erhöhte Beschäftigungsquote von Frauen zurückgeht. Insbesondere für Mütter stellt die Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine Herausforderung dar, was häufig dazu führt, dass sie unter ihrer gewünschten Arbeitszeit bleiben. Institutionelle Regelungen wie das Ehegattensplitting, die Verdienstgrenze bei Minijobs oder die kostenlose Mitversicherung in der gesetzlichen Krankenkasse tragen dazu bei, dass sich Mehrarbeit in Paarhaushalten oft finanziell nicht lohnt. Diese Regelungen reduzieren die Arbeitsanreize der (meist weiblichen) zweiten verdienenden Person in Paarhaushalten. Zudem erschwert der bereits eklatante Personalmangel in der Kinderbetreuung und Pflege vielen Erwerbstätigen mit Betreuungsverpflichtungen eine Ausweitung ihrer Arbeitszeit.
Ein weiteres Potenzial für ein höheres Arbeitsvolumen liegt bei älteren Personen, deren relativer Anteil an allen Erwerbspersonen durch die demografische Entwicklung wachsen wird. Auch nach Anstieg der Erwerbsquoten bei den 60- bis 69-Jährigen sind diese weiterhin deutlich niedriger als für jüngere Altersgruppen. Fuchs et al. (2021) errechnen, dass eine Erhöhung der Erwerbsbeteiligung bei den 60- bis 69-Jährigen bis 2035 zu 2,4 Mio. zusätzlichen Erwerbspersonen führen würde.
Bezüglich der Handlungsspielräume in diesem Kontext war die Aufhebung der Hinzuverdienstgrenzen bei vorgezogenem Renteneintritt 2023 ein wichtiger Schritt, um eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung für Ältere gegenüber Minijobs attraktiver zu gestalten. Der Plan aus dem Haushaltsentwurf für 2025, die Arbeitgeberbeiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung direkt als Lohn an Beschäftigte nach Renteneintritt auszuzahlen, soll die Erwerbsanreize im Alter weiter erhöhen. Ein weiterer Vorschlag betrifft das Renteneintrittsalter: Der Sachverständigenrat (SVR Wirtschaft, 2023) empfiehlt z. B. eine Kopplung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung als eine Reformmöglichkeit. Gleichzeitig sind neben den institutionellen Regelungen auch die Betriebe gefordert, ihre Arbeitsbedingungen so zu gestalten und gegebenenfalls zu flexibilisieren, dass ältere Erwerbspersonen gerne weiterarbeiten oder eine neue Beschäftigung aufnehmen – gegebenenfalls im Rahmen von Teilzeiterwerbstätigkeit nach Renteneintritt.
In der politischen Diskussion wurde in letzter Zeit die Reform der Grundsicherung (Stichwort: Bürgergeld) intensiv diskutiert. Die Jobaufnahmen von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten sind 2023 etwas zurückgegangen und die Langzeitarbeitslosigkeit ist gestiegen, dies ist aber zuvorderst der schwachen Konjunktur geschuldet. Die massive öffentliche Kritik an der Bürgergeldreform moniert, dass sich die Arbeitsanreize reduziert hätten – etwa, weil die Regelsätze erhöht und die Sanktionsandrohungen abgeschwächt wurden.
Allerdings haben sich die Verdienste im Niedriglohnsektor durch die starke Mindestlohnerhöhung 2022 gleichzeitig deutlich verbessert, sodass der Nettoeffekt offen ist. Die Mikrosimulationen in Blömer et al. (2024) zeigen, dass trotz Anhebung des Bürgergelds weiterhin immer ein Lohnabstand zur Arbeit besteht. Allerdings lohnt sich oft eine Ausweitung der Arbeitszeit kaum, da das hierdurch zusätzlich erzielte Bruttoeinkommen dem Beschäftigten durch steigende Abgaben und sinkende Transferleistungen teils fast vollständig wieder entzogen wird. Daraus ergeben sich Empfehlungen zu einer Ausweitung der finanziellen Anreize Arbeit aufzunehmen (siehe z. B. Bruckmeier und Weber, 2024).
Sanktionen werden seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2019 deutlich seltener und in geringerer Höhe ausgesprochen. Mit der Einführung des Bürgergelds ging die Sanktionierung nochmals leicht zurück. Sanktionen werden vor allem dann angewendet, wenn Menschen Termine nicht einhalten, und nur in wenigen Fällen, wenn Jobangebote abgelehnt werden. Aktuell unternimmt die Bundesregierung eine leichte Verschärfung der Sanktionierung zur Stärkung des Forderns in der Grundsicherung.
Die mit der Bürgergeldreform beabsichtigte Stärkung des Förderns durch Coaching und Qualifizierung benötigt Zeit und Angebote. In dieser Hinsicht wichtige Teile der Reform traten erst im Juli 2023 in Kraft und die Umsetzung erfolgt erst im Laufe der Zeit und unter Unsicherheiten hinsichtlich der Finanzierungsmöglichkeiten für die Maßnahmen. Daher wird es einige Zeit dauern, bis der Gesamteffekt der Bürgergeldreform ermittelt werden kann (Fitzenberger, 2024). Angesichts starker Vermittlungshemmnisse (z. B. verfügt ein Großteil der Leistungsberechtigten über keine abgeschlossene Berufsausbildung) – und damit großer Passungsprobleme – sind starke Anstrengungen und passende Jobangebote notwendig, um über die Beschäftigung von Leistungsbeziehenden im Bürgergeld einen deutlichen Beitrag zur Fachkräftesicherung zu leisten. Genau dies strebte das Bürgergeld ursprünglich an und am Ende wird es sich auch an diesem Ziel messen lassen müssen.
Sicherung des Fachkräftenachwuchses
Die Deckung des Bedarfs an qualifizierten Fachkräften läuft in Deutschland seit jeher über das Ausbildungssystem, einer Stärke Deutschlands. Trotz dieser entscheidenden Rolle für die Fachkräftesicherung ist das Ausbildungssystem in den letzten Jahren verstärkt unter Druck geraten. Ein größerer Anteil an Gymnasialschülern führt zu einer größeren Zahl an Personen, die sich für ein Studium und gegen eine Ausbildung entscheiden. Unter anderem deswegen ist die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber am Ausbildungsmarkt seit 2018 rückläufig, allerdings hat sich das Ausbildungsplatzangebot nach dem Einbruch während der Coronakrise jüngst wieder erholt, auch wenn das Vor-Corona-Niveau noch nicht wieder erreicht worden ist. Der Anteil an unbesetzten Ausbildungsplätzen ist deutlich angestiegen (Fitzenberger et al., 2024). Die wesentliche Herausforderung ist es daher, mehr junge Menschen für eine berufliche Ausbildung zu gewinnen, denn gleichzeitig hatten fast 2,9 Mio. Menschen im Alter zwischen 20 und 34 Jahren im Jahr 2022 keinen Berufsabschluss (BIBB, 2024).
Steigerung der Produktivität
Ein weiterer Weg, trotz Arbeitskräfteknappheit den Wohlstand zu sichern, sind Produktivitätssteigerungen, also ein größerer Output pro geleisteter Arbeitsstunde, gerade in Zeiten, in denen viele Beschäftigte ihre Arbeitszeit reduzieren wollen, wie die Diskussion um die 4-Tage-Woche illustriert. In Sachen Produktivität zeigt sich in den letzten Jahren jedoch nur ein sehr schwaches Wachstum. Ein (auch zukünftiges) Hemmnis ist die positive Beschäftigungsentwicklung in den eher weniger produktiven personalintensiven Dienstleistungen im Bereich der Daseinsvorsorge (z. B. Gesundheit, Erziehung, Pflege), in welchen Produktivitätsgewinne schwer zu realisieren sein werden. Im Rahmen der Transformation von Wirtschaft und Arbeitsmarkt ist es umso mehr geboten, die Produktivität in anderen Bereichen durch Investitionen zu steigern, damit Beschäftigung für die Daseinsvorsorge verfügbar und ohne Wohlstandseinbußen finanzierbar bleibt.
Chancen der Digitalisierung nutzen
Weitaus größeres Potenzial liegt in den oft thematisierten Transformationen Digitalisierung und Dekarbonisierung, insbesondere bei der Digitalisierung. Die Option des Homeoffice kann in den Berufen, in denen sich die Tätigkeiten dafür eignen, zur Flexibilisierung der Arbeitszeiten beitragen und damit Arbeitszeitausweitungen ermöglichen, insbesondere bei Personen mit Betreuungsverpflichtungen. Des Weiteren besteht die Möglichkeit für Produktivitätssteigerungen durch Digitalisierung, z. B. eine Reduzierung des Arbeitskräftemangels durch Investitionen in Automatisierungstechnologien. Demgegenüber stehen aber fehlende IT-Sicherheit und ein ineffizienter Datenschutz. Daher sind auch staatliche Infrastrukturinvestitionen hier von Nöten.
Die Digitalisierung und jetzt auch die Künstliche Intelligenz (KI) verändern laufend die Berufsbilder, (siehe z. B. Grienberger et al., 2024), aber die Digitalisierung ist kein Jobkiller, sondern sie hat eher zu neuen bzw. verbesserten Gütern und Dienstleistungen geführt. Vielmehr wandeln sich vor allem die ausgeübten Tätigkeiten und es besteht der Bedarf, neue technische Hilfsmittel zu beherrschen.
Hieraus ergibt sich allerdings ein gewisser Anpassungsdruck. Die Bedeutung von Weiterbildung im Erwerbsleben wird noch wichtiger werden und fordert angesichts der Alterung der Erwerbsbevölkerung eine hohe Mobilität und Agilität von Beschäftigten und Betrieben, um mit den technologischen Änderungen Schritt halten zu können. Das Lernen und die Anpassung an neue berufliche Stationen muss nicht nur als etwas begriffen werden, was am Anfang der Erwerbslaufbahn ansteht, sondern als ein integraler Bestandteil des gesamten Berufslebens. Nur auf diese Weise kann eine Vergrößerung der Passungsprobleme und damit eine Verschärfung des Fachkräftemangels verhindert werden.
Fazit
Starke Transformationsprozesse durch Digitalisierung und Dekarbonisierung verändern den Arbeitsmarkt. Trotz aktuell schwacher Wirtschaftsentwicklung dürfte sich der Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel aufgrund einer alternden Erwerbsbevölkerung weiter verschärfen, trotz einer in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern hohen Beschäftigungsquote. Um dies abzufedern, ist die Erschließung weiterer Beschäftigungspotenziale von Älteren, von Frauen und von Zugewanderten notwendig. Ebenso bedarf es höherer Investitionen, vor allem in die Digitalisierung, und eine höhere Mobilität, Agilität und Weiterbildung von Beschäftigten und Betrieben, um die Arbeitsproduktivität zu steigern. Auf diesem Wege können Arbeitskräfte ohne Wohlstandsverluste eingespart und die Beschäftigung in gut bezahlten Jobs gesichert werden. Zu adressieren sind ebenfalls die starken Passungsprobleme zwischen der großen Zahl an offenen Stellen und an Arbeitsuchenden sowie der langfristige Rückgang der Zahl der Selbstständigen.
- 1 Im Vergleich hierzu weist die Bundesagentur für Arbeit aufgrund einer anderen Zählweise eine Arbeitslosenquote von 6,0 % aus.
Literatur
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Bennewitz, E., Klinge, S., Leber, U. & Schwengler, B. (2022). Zwei Jahre Corona-Pandemie: Die deutsche Wirtschaft zwischen Krisenstimmung und Erholung – Ein Vergleich der Jahre 2019 und 2021 – Ergebnisse des IAB-Betriebspanels. IAB-Forschungsbericht, 20/2022.
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Blömer, M., Fischer, L., Pannier, M. & Peichl, A. (2024). „Lohnt“ sich Arbeit noch? Lohnabstand und Arbeitsanreize im Jahr 2024. ifo Schnelldienst, 77(1), 35–38.
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Fitzenberger, B. (2024, 11. März). Warum die aktuelle Bürgergelddebatte nicht die richtigen Schwerpunkte setzt. IAB-Forum.
Fitzenberger, B., Leber, U. & Schwengler, B. (2024, 19. Juni). Wie hoch ist der Anteil der unbesetzten Ausbildungsstellen wirklich? Warum unterschiedliche Zahlen ausgewiesen werden. IAB-Forum.
Fuchs, J., Söhnlein, D. & Weber, B. (2021, 23. November). Demografische Entwicklung lässt das Arbeitskräfteangebot stark schrumpfen. IAB-Kurzbericht.
Grienberger, K., Matthes, B. & Paulus, W. (2024, 12. März). Folgen des technologischen Wandels für den Arbeitsmarkt: Vor allem Hochqualifizierte bekommen die Digitalisierung verstärkt zu spüren. IAB-Kurzbericht. 5.
Gürtzgen, N., Kubis, A. & Popp, M. (2024, 25. Juni). IAB-Monitor Arbeitskräftebedarf 1/2024: Die Zahl der offenen Stellen ist im Vergleich zum Vorjahresquartal um rund ein Zehntel gesunken. IAB-Forum.
Hellwagner, T., Söhnlein, D., Wanger, S. & Weber, E. (2022, 21. November). Wie sich eine demografisch bedingte Schrumpfung des Arbeitsmarkts noch abwenden lässt. IAB-Forum.
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