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Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung sieht bei der Lohnsteuer die Überführung der Steuerklassenkombination III/V für verheiratete Paare in das Faktorverfahren der Steuerklasse IV vor, mit dem Ziel, die wirtschaftliche Unabhängigkeit und Fairness zu stärken. Das Faktorverfahren könnte mögliche Nachteile der Steuerklassenkombination III/V beheben, insbesondere die hohe Grenzbelastung bei der Lohnsteuer in Steuerklasse V. Die geplante Reform ist gleichzeitig mit mehreren Fallstricken verbunden. Im Folgenden werden die zu erwartenden Aufkommens- und Verteilungswirkungen einer solchen Überführung anhand eines Mikrosimulationsmodells detailliert dargestellt. Ein Fokus liegt auf möglichen Schwierigkeiten bei der Umsetzung, insbesondere bei unterjährig Beschäftigten und Alleinverdienenden.

Die Lohnsteuer (LSt) stellt für veranlagte Steuerpflichtige eine Vorauszahlung dar, die auf die später festgelegte Einkommensteuerschuld angerechnet wird. Die Höhe dieser Vorauszahlung ist von der Wahl der Steuerklasse abhängig. Bei Ehepaaren wird neben der Möglichkeit der Steuerklassenkombination IV/IV, die das Einkommen symmetrisch besteuert, vor allem die Kombination III/V genutzt, bei der in Steuerklasse III der Splittingtarif implementiert ist und in Steuerklasse V durchweg eine höhere Grenzsteuerlast anfällt.

Bach et al. (2022) zeigen in ihrem Beitrag zur Abschaffung der Lohnsteuerklassenkombination III/V anhand von Einzelfallbeispielen anschaulich, wie stark die Belastung von Zweitverdienenden durch die Besteuerung in Steuerklasse V verglichen mit Steuerklasse IV ansteigt. Wenn sich Ehepaare nicht als wirtschaftliche Einheit verstehen, stellt die höhere Steuerlast der Steuerklasse V eine Umverteilung von der schlechter zur besser verdienenden Person dar. Für Deutschland zeigen beispielsweise Beblo und Beninger (2017), dass viele Ehepaare ihr Einkommen nicht poolen. Zudem besteht ein Nachteil der Steuerklasse V in den verminderten Erwerbsanreizen, wenn Steuerpflichtigen nicht vollständig bewusst ist, dass ihre letztendliche Einkommensteuerbelastung unabhängig von der Wahl der Steuerklasse ist (Becker et al., 2019). Zudem sind Lohnersatzleistungen wie das Arbeitslosengeld, das Kurzarbeitergeld und das Elterngeld abhängig vom vorherigen Nettolohn und damit von der Steuerklasse, sodass Personen in Steuerklasse V auch bei diesen Leistungen schlechter gestellt sind als diejenigen in Steuerklasse IV.

Seit 2010 besteht eine Alternative zur Steuerklassenkombination III/V, das sogenannte Faktorverfahren. Dieses Verfahren wird bisher jedoch wenig genutzt.1 Zunächst wird hierbei ein Faktor berechnet als Quotient zwischen der voraussichtlichen Einkommensteuer (ESt) auf den Gesamtjahreslohn beider Eheleute nach dem Splittingtarif und der Summe der voraussichtlichen LSt in Steuerklasse IV. Mit diesem Faktor wird die Lohnsteuerschuld in Steuerklasse IV multipliziert. Dadurch sorgt der Faktor einerseits für die Angleichung der gemeinsamen LSt an die erwartete ESt und verteilt gleichzeitig den Splittingvorteil auf beide Eheleute, wobei sich an der festgesetzten ESt nichts ändert. Eine saldierte geänderte Lohnsteuerlast führt zu einem gleich hohen umgekehrten Effekt bei der verbleibenden ESt.

Abbildung 1
Beispiel für die Wirkungen des Faktorverfahrens
Beispiel für die Wirkungen des Faktorverfahrens

Quelle: Eigene Berechnung auf Basis der aktuell geltenden Regelungen zur Lohn- und Einkommensteuer 2024, wenn Person A einen Jahreslohn von 48.000 Euro erwartet. Alle Berechnungen basieren auf dem Rechtsstand 2024, beide Eheleute sind gesetzlich versichert und zahlen in der Pflegeversicherung den Kinderlosenzuschlag von 0,6 %

Das Fallbeispiel in Abbildung 1 veranschaulicht die Wirkungsweise des Faktorverfahrens. Ausgangspunkt ist ein Ehepaar, bei dem Person A einen erwarteten Jahreslohn von 48.000 Euro hat. Wir variieren das Einkommen der Person B über den Einkommensbereich von 0 Euro bis 48.000 Euro. Dargestellt ist die Differenz der Jahreslohnsteuer beim Vergleich zwischen zwei Steuerklassen(-kombinationen). Der Vergleich zwischen der gemeinsamen Steuerlast mit Faktorverfahren und III/V (violett gestrichelte Linie) zeigt, dass sich im Fall von Alleinverdienenden durch das Faktorverfahren zunächst kaum eine andere Steuerlast ergibt als bei III/V. Das ist naheliegend: Das Faktorverfahren soll zu einer gemeinsamen Steuerlast im Bereich der erwarteten ESt führen, und Steuerklasse III, die den Splittingtarif anwendet, verschafft Alleinverdienenden bei der Berechnung der LSt noch keinen Vorteil gegenüber der ESt.

Das ändert sich, je höher das Einkommen der Person B ist: Der Grenzsteuersatz in der Steuerklasse V liegt zunächst unter dem gemeinsamen Grenzsteuersatz, wenn der gemeinsame Lohn später zur Einkommensteuer veranlagt wird. Dieser gemeinsame Grenzsteuersatz wird im Faktorverfahren abgebildet, wodurch die gemeinsame Lohnsteuerlast zunächst stärker ansteigt als in III/V. Je näher das Einkommen der Person B an dem von Person A liegt, desto weniger vorteilhaft ist die Kombination III/V aufgrund des rasch steigenden Grenzsteuersatzes in V und führt irgendwann auch zu einer höheren gemeinsamen Lohnsteuerlast.

Die Verteilung der gemeinsamen Steuerlast auf Ebene der Personen entwickelt sich aber unterschiedlich: Während Person A mit steigendem Einkommen von Person B stetig stärker belastet wird als bei III (graue Linie), ist die Steuerentlastung bei Person B durch das Faktorverfahren über den ganzen Einkommensbereich stetig steigend (schwarze Linie). Hieran ist zu erkennen, dass das Faktorverfahren zwischen beiden Eheleuten im Vergleich zu III/V in weiten Teilen des Einkommensbereichs zu Verteilungseffekten führt.

Der Vergleich der gemeinsamen Steuerlast in IV/IV zu IV/IV mit Faktor (blau gestrichelt) hängt ebenfalls stark von der Verteilung der Einkommen ab. Dabei kann es im Faktorverfahren nicht zu Belastungen kommen, da der Faktor nach oben auf 1 gedeckelt ist. Im Fall vom Alleinverdienenden ist der Vorteil des Faktorverfahrens gegenüber IV/IV fast ebenso groß wie der Vorteil der III/V. Er nimmt mit steigendem Einkommen von Person B aber rascher ab als bei III/V. Bei annähernd gleich hohen Einkommen ergibt sich ein Faktor nahe 1 und die Steuerlast der beiden Personen entspricht in etwa der bei Wahl der IV/IV.

Das Zusammenspiel zwischen LSt und ESt ist nicht nur bedeutsam, weil sich für Steuerpflichtige nach Berücksichtigung der ESt keine Mehrbelastungen ergeben, sondern auch, weil die im ersten Jahr der Nutzung des Faktorverfahrens entstehenden Gesamtsteuerwirkungen Einmaleffekte darstellen. Beträgt die zu leistende Nachzahlung auf die ESt nach Nutzung der Steuerklassenkombination III/V im Folgejahr über 400 Euro, führt dies bei fortgesetzter Nutzung der Steuerklassen III/V gleichzeitig auch zu Vorauszahlungen bei der ESt. Solche Vorauszahlungen entstehen nicht im Faktorverfahren, und deswegen ergibt sich ab dem Folgejahr eine Gesamtsteuerlast in ähnlicher Höhe. Die im Folgenden geschätzten aggregierten Steuereffekte des Faktorverfahrens sind weitgehend als einmalige Steuereffekte anzusehen – die Verteilungseffekte zwischen den Eheleuten ändern sich bei der LSt dauerhaft.

Empirische Ergebnisse zu Aufkommen und Verteilung

Um die gesamtwirtschaftlichen steuerlichen Wirkungen der Ersetzung der Steuerklassenkombination III/V durch das Faktorverfahren quantifizieren zu können, haben wir die Daten der Faktisch Anonymisierten Lohn- und Einkommensteuerstatistik (FAST) des Jahres 2017 verwendet und in das Jahr 2024 fortgeschrieben.2 Die LSt setzt sich aus bis zu zwölf monatlichen Einzelbeträgen zusammen, was ihren rechnerischen Nachvollzug anhand des vorhandenen Bruttoeinkommens erschwert. In der Regel sorgt der Lohnsteuer-Jahresausgleich bei den Beschäftigten für Konsistenz zwischen Jahreseinkommen und gezahlter LSt, welche demzufolge aus den Daten hergeleitet werden kann. Allerdings wird dieser Jahresausgleich nicht immer angewendet. Er ist nach § 42b EStG zwingend ausgeschlossen unter anderem für Personen, die Steuerklasse V nutzen oder bei denen das Faktorverfahren angewendet wird. Auch bei unterjährigem Lohnbezug ist nicht von einem Lohnsteuer-Jahresausgleich auszugehen (siehe Richtlinie R42b LStR). Liegt die rechnerische Jahreslohnsteuer deutlich unter dem gezahlten Betrag, haben wir eine Verteilung des Jahreseinkommens auf weniger als zwölf Monate getestet3, was aufgrund des progressiven Tarifs zu einer höheren LSt führt. Unser Datensatz enthält daher eine Schätzung zu der Zahl der Monate der Beschäftigung jeder Person und bildet damit unterjährigen Lohnbezug ab.

Unter Verwendung des Mikrosimulationsmodells MIKMOD-ESt (Flory & Stöwhase, 2012) schätzen wir die fiskalischen Effekte unterschiedlicher Rechtsstände auf individueller und aggregierter Ebene und analysieren ihre Verteilungswirkungen. Konkret berechnen wir für alle veranlagten Lohnsteuerzahlenden zunächst den zur Anwendung kommenden Faktor, wenn die Bruttoarbeitseinkommen korrekt antizipiert werden, und dann die Lohnsteuerschuld, die sich ergibt, wenn das Faktorverfahren als alternativer Rechtsstand zur Anwendung kommt. Abbildung 2 zeigt die Gesamtwirkung des Faktorverfahrens verteilt auf sechs Einkommensklassen auf Personenebene für Ehepaare mit der bisherigen Steuerklassenkombination III/V, bei denen beide Personen ganzjährig beschäftigt sind.

Abbildung 2
Wirkungen einer Einführung des Faktorverfahrens für ganzjährig Beschäftigte Steuerklasse III/V

Berechnungsjahr 2024

Wirkungen einer Einführung des Faktorverfahrens für ganzjährig Beschäftigte Steuerklasse III/V

Quelle: eigene Berechnung auf Basis der FAST Daten, 2017.

Insgesamt stellen sich rund 2,6 Mio. Personen bei der Lohnsteuerbelastung besser und 2,5 Mio. Personen schlechter. Das Entlastungsvolumen beträgt knapp 8,1 Mrd. Euro und das Belastungsvolumen 12,4 Mrd. Euro. Saldiert erhöht sich das Lohnsteueraufkommen um 3,5 Mrd. Euro und das Solidaritätszuschlagsaufkommen beim Lohnsteuerabzug um 800 Mio. Euro. Das Entlastungsvolumen verteilt sich stark auf untere Einkommensbereiche – zu knapp 64 % entfällt es auf Einkommen von höchstens 40.000 Euro im Jahr, während das Belastungsvolumen zu weniger als 5 % auf diesen Einkommensbereich entfällt. Im Durchschnitt halbiert sich bei den entlasteten Personen die LSt, während sie bei Belasteten um etwa 30 % ansteigt.

Die Verteilungseffekte hängen stark damit zusammen, dass in der Regel die besserverdienende Person Steuerklasse III verwendet: Denn während die Entlastungen fast ausschließlich auf Personen in Steuerklasse V entfallen, sind die Belastungen nur in Steuerklasse III zu finden. Der große Effekt beim Solidaritätszuschlag (SolZ) ist dadurch begründet, dass in Steuerklasse III bei seiner Berechnung die doppelte Freigrenze zum Tragen kommt. Beim Faktorverfahren wird zwar die Bemessungsgrundlage des SolZ durch den Faktor reduziert, die Freigrenzen verteilen sich aber grundsätzlich auf beide Eheleute. Zudem wird die Freigrenze auch in Steuerklasse V berücksichtigt, sodass bei der LSt für Ehepaare in der Kombination III/V sogar das Dreifache der Freigrenze den SolZ verringern könnte.

Nach unserer Auswertung nutzen in weniger als 7,5 % aller hier berücksichtigten Fälle Frauen Steuerklasse III.4 Somit ergibt sich ein Netto-Entlastungsvolumen von beschäftigten Frauen von rund 6,8 Mrd. Euro. Einem bei 2,4 Mio. Frauen entstehendem Entlastungsvolumen von 7,5 Mrd. Euro steht ein auf 150.000 Frauen entfallendes Belastungsvolumen von gut 0,6 Mrd. Euro gegenüber. Bei beschäftigten Männern ist das Verhältnis umgekehrt: Knapp 200.000 Männer werden um ca. 0,6 Mrd. entlastet, 2,3 Mio. um 11,7 Mrd. Euro belastet.

Eine allgemeine Einführung des Faktorverfahrens könnte dazu führen, dass mehr Ehepaare es verwenden, die derzeit Steuerklasse IV ohne Faktor nutzen. Abbildung 1 zeigt, dass bei gleichverdienenden Eheleuten keine Änderung der Steuerlast entsteht und es sonst ausschließlich zu Entlastungen kommen kann. Abbildung 3 zeigt resultierende Lohnsteuereffekte doppelverdienender Ehepaare, die aktuell nach Steuerklassenkombination IV/IV besteuert werden. Dabei ergeben sich Steuermindereinnahmen von ca. 1,5 Mrd. Euro, und 3,26 Mio. Personen zahlen weniger Steuern. Die Entlastungen fallen im Durchschnitt geringer aus als in den III/V-Fällen.

Abbildung 3
Effekte des Faktorverfahrens für ganzjährig Beschäftigte in Steuerklasse IV/IV

Berechnungsjahr 2024

Effekte des Faktorverfahrens für ganzjährig Beschäftigte in Steuerklasse IV/IV

Quelle: eigene Berechnung auf Basis der FAST Daten, 2017.

Fallstricke einer allgemeinen Einführung des Faktorverfahrens

Wenn das Faktorverfahren für Ehepaare als einzige Alternative zur Steuerklassenkombination IV/IV Bestand haben soll, ergeben sich im Vergleich zur aktuellen Gesetzeslage einige Probleme, auf die nun eingegangen wird. Der Faktor wird anhand der Jahresarbeitslöhne berechnet. Gibt es in den Monaten Schwankungen der Lohnhöhe, beispielsweise durch unterjährige Lohnänderungen, Sonderzahlungen etc., so ist der Faktor selbst bei richtig antizipiertem Gesamtjahreslohn nur dann korrekt ermittelt, wenn die voraussichtliche LSt durch Aufsummierung von zwölf unterschiedlichen Monatswerten ermittelt würde oder wenn ein Lohnsteuer-Jahresausgleich stattfindet. Letzterer ist beim Faktorverfahren aktuell ausgeschlossen, sodass sich in solchen Fällen zwingend ein nicht korrekter Faktor ergibt.

Der fehlende Lohnsteuer-Jahresausgleich betrifft insbesondere unterjährig Beschäftigte. Unterjährigkeit ist ein deutliches Beispiel für systematische Fehlkalkulationen des Faktors. Folgendes Fallbeispiel, dargestellt in Tabelle 1, soll das verdeutlichen: Wie in Abbildung 1 verfügt Person A über einen Jahresarbeitslohn von 48.000 Euro. Bei Person B beträgt der Monatslohn 2.000 Euro – zum Jahresbeginn wäre also ein Jahresarbeitslohn von 24.000 Euro zu erwarten. Letztlich arbeitet sie aber nur sechs Monate im Jahr. Es ergibt sich eine gemeinsame Steuerlast von 4.806 Euro und liegt nahe an der zu erwartenden ESt in Höhe von 4.944 Euro.

Tabelle 1
Beispiel einer unterjährigen Beschäftigung
  Jahreslohnsteuer
  Person A Person B Gesamt
(1) Nutzung III/V; Person B nur halbjährig beschäftigt 2.872 1.935 4.806
(2) Faktorverfahren: Beschäftigung am Jahresanfang; Faktor bleibt unverändert 6.380 613 6.993
(3) Faktorverfahren: Beschäftigung ab zweiter Jahreshälfte; Faktor ab dann wie in 2. 4.620 613 5.223

Quelle: eigene Berechnung auf Basis der aktuell geltenden Regelungen zur Lohn- und Einkommensteuer 2024. Person A erwartet ein Jahresbruttolohn von 48.000 Euro.

Wegen des fehlenden Jahresausgleichs ist in Tabelle 1 Beispiel (1) die Steuerlast unabhängig davon, ob die Person am Jahresanfang oder erst im Laufe des Jahres beschäftigt ist. Für die Anwendung des Faktorverfahrens ist die Unterscheidung dagegen von Bedeutung. Angenommen die Beschäftigung bestand am Jahresanfang, siehe Beispiel (2), so ergibt sich für Person B ein erwarteter Jahresarbeitslohn von 24.000 Euro und ein Faktor von 0,957. Er ergibt sich als Quotient aus der bei einem gemeinsamen Einkommen von 72.000 Euro zu erwartenden ESt von 7.160 Euro und der Summe der LSt nach Steuerklasse IV von 6.667 Euro (Person A) und 1.281 Euro (Person B). Findet keine Neuberechnung des Faktors nach Ende der Beschäftigung statt, wird zwar eine geringere LSt gezahlt als ohne Berücksichtigung des Faktors, aber gemessen an der erwarteten ESt von 4.944 Euro fällt die Lohnsteuerlast des Ehepaares mit 6.993 Euro zu hoch aus. Sie liegt deutlich weiter weg von der erwarteten ESt als bei Nutzung der Steuerklassen III/V, obwohl das Faktorverfahren gerade die Annäherung der Lohn- an die voraussichtliche ESt bewirken soll.

Anders stellt es sich dar, wenn Person B in der zweiten Jahreshälfte ihre Beschäftigung aufnimmt, Beispiel (3). Für die Steuerlast der alleinverdienenden Person nehmen wir an, dass sie entweder nach Steuerklasse III oder nach IV mit einem Faktor besteuert wird, der die Steuerlast in Steuerklasse III in etwa abbildet. In der zweiten Jahreshälfte wird der gleiche Faktor wie in Beispiel (2) verwendet: Er ergibt sich, wenn die Monatslöhne beider Personen auf das ganze Jahr hochgerechnet werden, und er ist der korrekte Faktor für das Folgejahr, wenn die Beschäftigung bestehen bleibt. Da Person A in der ersten Jahreshälfte eine deutlich geringere Steuerlast zu tragen hatte, beträgt die Gesamtsteuerlast 5.233 Euro, also 1.760 Euro weniger als im Beispiel (2).

Bei unterjähriger Aufnahme einer Tätigkeit ist das Faktorverfahren in der aktuellen Ausgestaltung also eher geeignet, den fehlenden Lohnsteuer-Jahresausgleich zu kompensieren, als wenn eine Beschäftigung schon bestand. Implizit ist das darauf zurückzuführen, dass bei Aufnahme der Tätigkeit auch eine unterjährige Berechnung bzw. Änderung des Faktors erfolgt (und auch erfolgen muss, wenn in solchen Fällen eine Alternative zur IV/IV vorhanden sein soll). Tabelle 2 zeigt die geschätzten steuerlichen Wirkungen bei Ehepaaren mit unterjährigem Lohnbezug. Den Daten der aufbereiteten FAST ist nicht zu entnehmen, ob eine unterjährige Tätigkeit zu Jahresanfang bestand oder erst aufgenommen wurde. Daher haben wir Annahmen zur Verteilung in Abhängigkeit von der Zahl der Tätigkeitsmonate jeder Person getroffen.

Wir schätzen das zusätzliche Lohnsteueraufkommen in dieser Gruppe auf rund 790 Mio. Euro. Wie aufgrund der Beispielrechnungen zu erwarten, fallen die Belastungen bei zu Jahresanfang Beschäftigten deutlich höher aus als bei Personen, die im Laufe des Jahres eine Beschäftigung aufnehmen. Hinsichtlich der Aufteilung der Be- und Entlastungseffekte auf die Steuerklassen unterscheiden sich unterjährige Fälle nicht von ganzjährig beschäftigten Ehepaaren: Entlastungen gibt es fast ausschließlich in der Steuerklasse V, Belastungen vollständig in der III.

Tabelle 2
Verbindliche Einführung des Faktorverfahrens bei unterjährig Beschäftigten der Steuerklasse III/V

Berechnungsjahr 2024

  Betroffene Lohnsteuer-differenz Entlastete Entlastungs-volumen Belastete Belastungs-volumen
in 1.000 in Mio. in 1.000 in Mio. in 1.000 in Mio.
Beschäftigung am Jahresanfang 720 620 370 710 350 1.330
Beschäftigung im Laufe des Jahres 980 170 510 900 470 1.070
Gesamteffekt 1.700 790 880 1.610 820 2.400

Quelle: eigene Berechnung auf Basis der FAST Daten 2017.

Wir hatten in Beispiel (3) offengelassen, ob die zeitweise alleinverdienende Person Steuerklasse III nutzt oder Steuerklasse IV mit einem Faktor, der die LSt in Steuerklasse III weitgehend abbilden würde. Im Koalitionsvertrag ist die Absicht festgehalten, „die Kombination aus den Steuerklassen III und V in das Faktorverfahren der Steuerklasse IV“ zu überführen (Bundesregierung, 2021). Es wird dabei nicht präzisiert, welche Regelung zukünftig für Alleinverdienende gelten soll. Die Steuerklassenkombination III/- wurde mit dem Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz dauerhaft gestrichen unter anderem mit der Begründung, sie sei programmtechnisch nicht umzusetzen (Deutscher Bundestag, 2017, S. 59 f.). Wenn eine Person Steuerklasse III nutzen möchte, muss auf Antrag beider Personen der anderen Person Steuerklasse V zugewiesen werden (und umgekehrt). Zugleich kann das Faktorverfahren aktuell nur angewendet werden, wenn beide Eheleute beschäftigt sind.5 Für Alleinverdienende stünde nach geltender Rechtslage damit nur noch Steuerklasse IV ohne Faktor zur Verfügung. Für die Steuerklasse IV einen Faktor zu berechnen, der die Steuerklasse III einer alleinverdienenden Person weitgehend abbildet, sollte aber technisch ebenso möglich sein wie die Anwendung des Faktorverfahrens, ohne dass beide Eheleute beschäftigt sind. Unsere Rechnungen unterstellen, dass eine solche Möglichkeit besteht; sie muss aber erst geschaffen werden.

Doch daraus ergibt sich ein Folgeproblem. Denn aktuell geht die Nutzung des Faktorverfahrens einher mit einer Veranlagungspflicht. Eine solche Veranlagungspflicht beträfe demzufolge auch Alleinverdienenden-Ehepaare, die sich bislang nicht zur ESt veranlagen lassen (müssen). Zum Fortschreibungsstand 2024 schätzen wir, dass über 1,7 Mio. Personen in Steuerklasse III betroffen wären. Ihre einzige Möglichkeit, keine Veranlagung durchzuführen, verbleibt damit in der Wahl der Steuerklasse IV ohne Faktor, was in der Regel zu einer deutlich höheren Steuerlast führen würde. Im Endeffekt dürfte die Nutzung des Faktorverfahrens in Verbindung mit einer Veranlagung in den meisten dieser Alleinverdienenden-Fälle zu erwarten sein. Will der Gesetzgeber also einen massiven Anstieg von Einkommensteuererklärungen vermeiden, muss über die Frage der Veranlagungspflicht im Faktorverfahren ebenfalls nachgedacht werden. Alternativ könnten automatische Einkommensteuererstattungen dazu beitragen, diesen Anstieg zu vermeiden. Beide Ansätze sind mit echten Steuerentlastungen verbunden: So haben Hauck und Wallossek (2021) gezeigt, dass schon im Jahr 2014 nichtveranlagte Steuerpflichtige auf fast 1 Mrd. Euro an Rückerstattungen verzichtet haben.

Fazit

Insgesamt summiert sich die Nettobelastung des Faktorverfahrens bei den hier untersuchten Fallgruppen auf 2,8 Mrd. Euro. Das Entlastungsvolumen von 11,1 Mrd. Euro und das Belastungsvolumen von 13,9 Mrd. Euro stellen eine erhebliche Umverteilung des Nettoeinkommens bei Doppel­verdienenden von der erstverdienenden zur zweitverdienenden Person dar. Hinzu kommen hier noch nicht quantifizierte Auswirkungen bei Alleinverdienenden und nicht veranlagten Lohnsteuerfällen. Mit dem 2. Jahressteuergesetz hat die Bundesregierung am 24. Juli die Überführung der Steuerklassen III und V in das Faktorverfahren auf den Weg gebracht. Es beinhaltet Lösungsansätze für die Veranlagungspflicht und für die Anwendung des Faktorverfahren für Alleinverdienende und stärkt aus unserer Sicht damit deutlich die Akzeptanz der beabsichtigten Reform, auch wenn sie erst 2030 vollständig greifen soll. Bis dahin steht der Gesetzgeber vor der Aufgabe, deutlich zu machen, dass das Faktorverfahren im Zusammenspiel mit der ESt nicht zu Belastungseffekten auf Ebene gemeinsam veranlagter Steuerpflichtiger führen wird.

  • 1 Laut Deutscher Bundestag (2020) entsprach die Zahl der Personen mit Steuerklasse IV mit Faktor im Jahr 2019 mit knapp 85.000, weniger als 1 % der möglichen Fälle.
  • 2 Die Fortschreibung der Daten berücksichtigt sowohl zu erwartende Änderungen der Zahl und strukturellen Zusammensetzung der Gruppe der Steuerpflichtigen auf Grundlage aktueller Bevölkerungs- und Arbeitsmarktdaten als auch eine Fortschreibung der Einkünfte nach Arten.
  • 3 Den sich ergebenden Anteil der unterjährigen Beschäftigung haben wir dabei mit Daten des sozio-oekonomischen Panels abgeglichen.
  • 4 Die Schätzung steht im Einklang mit Buettner et al. (2019), die zeigen, dass die Ehepartnerin deutlich seltener die Steuerklasse III verwendet, selbst wenn sie Meistverdienerin ist.
  • 5 Siehe Bundesrat (2019) zum Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften, vgl. auch Seer (2024).

Literatur

Bach, S., Haan, P. & Wrohlich, K. (2022). Abschaffung der Lohnsteuerklasse V sinnvoll, ersetzt aber keine Reform des Ehegattensplittings. DIW Wochenbericht, (10), 159–165.

Beblo, M. & Beninger, D. (2017). Do husbands and wives pool their incomes? A couple experiment. Review of Economics of the Household, 15(3), 779–805. https://doi.org/10.1007/s11150-016-9342-0

Becker, J., Fooken, J. & Steinhoff, M. (2019). Behavioral Effects of Withholding Taxes on Labor Supply. Scandinavian Journal of Economics, 121(4), 1417–1440. https://doi.org/10.1111/sjoe.12345

Buettner, T., Erbe, K. & Grimm, V. (2019). Tax planning of married couples and intra-household income inequality. Journal of Public Economics, 179, 104048. https://doi.org/10.1016/j.jpubeco.2019.104048

Bundesrat. (2019). Stellungnahme des Bundesrates - Entwurf eines Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften. Drucksache 356/19.

Bundesregierung. (2021, 25. April). Koalitionsvertrag: Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit.

Deutscher Bundestag. (2017). Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss). Drucksache 18/12127.

Deutscher Bundestag. (2020). Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Lisa Paus, Anja Hajduk, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Drucksache 19/18921.

Flory, J. & Stöwhase, S. (2012). MIKMOD-ESt: A Static Microsimulation Model of Personal Income Taxation in Germany. International Journal of Microsimulation, 5(2), 66–73. https://doi.org/10.34196/ijm.00073

Hauck, T. & Wallossek, L. (2021). Automatische Einkommensteuererstattungen zur Entlastung niedriger Einkommen. Wirtschaftsdienst, 101(12), 956–959.

Seer, R. (2024). §§ 39. Rn 4. In P. Kirchhof & R. Seer (Hrsg.), Einkommensteuergesetz (EStG). Kommentar (23. Aufl. 2024). Verlag Dr. Otto Schmidt KG.

Title:Distributional Effects and Pitfalls of Withholding Taxation with a Factor

Abstract:The German coalition agreement (2021) intends to transform withholding tax class combination III/V for married couples to the symmetric tax class combination IV/IV with a factor, to strengthen economic independence and fairness. The taxation with a factor could eliminate possible disadvantages of tax class combination III/V, particularly the high marginal tax burden in tax class V. The planned reform is associated with several pitfalls. We present the expected reform effects on tax revenues and income distribution, which we calculate using a microsimulation model. We then discuss possible difficulties associated with the reform’s implementation, in particular those concerning individuals employed less than 12 months and sole earners.

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© Der/die Autor:in 2024

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DOI: 10.2478/wd-2024-0143

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