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Die chinesische Wirtschaft hat sich nach dem Ende der strikten Corona-Politik nicht so stark erholt, wie erhofft. Sie wird vor allem durch verschiedene strukturelle Probleme gebremst. So stößt das investitionsgetriebene Wachstumsmodell der vergangenen Jahrzehnte mit einer im internationalen Vergleich außergewöhnlich hohen Investitionsquote von über 40 % zunehmend an Grenzen. Mit wachsendem Kapitalstock wird es immer schwieriger, Mittel dieses Umfangs gewinnbringend zu investieren. Dies zeigt sich unter anderem an abnehmenden Ertragsraten von Investitionen in die (öffentliche) Infrastruktur und in den Wohnungsbau (Brandt et al., 2020). Zudem ist es in einigen Branchen des verarbeitenden Gewerbes zum Aufbau teils erheblicher Überkapazitäten gekommen (Boullenois et al., 2024). Parallel dazu ist die totale Faktorproduktivität (TFP) in China mindestens seit 2014 tendenziell gesunken (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1
Totale Faktorproduktivität und Investitionsquote, China
Totale Faktorproduktivität und Investitionsquote, China

Quelle: National Bureau of Statistics of China und Penn World Table, eigene Darstellung.

Zur Überwindung der strukturellen Wachstums- und Produktivitätsschwäche bei gleichzeitiger Realisierung eines „hohen Niveaus nationaler Sicherheit“ setzt die chinesische Führung unter dem neuen wirtschaftspolitischen Leitbild der Entwicklung neuer Produktivkräfte noch stärker als schon bisher auf die Förderung der „Eigenständigkeit und Selbstverbesserung“ in Wissenschaft und Technologie und die umfassende (technologische) „Modernisierung des Industriesystems“. Durch eigenständige wissenschaftliche und technologische Innovationen sollen die Industrie modernisiert, industrielle Innovationen vorangetrieben, neue Wachstumstreiber in der Industrie gefördert und die TFP stetig erhöht werden.1

Zur Steigerung der Innovationskraft beabsichtigt die chinesische Regierung, die staatliche Planung, Steuerung und Koordination von Wissenschaft und Technologie sowie Industrie zu verstärken. Wissenschaft und Innovationen sollen dabei enger an den strategischen Zielen des Landes und den „Erfordernissen der industriellen Entwicklung“ ausgerichtet werden. Um Durchbrüche in Schlüsseltechnologien zu erzielen, soll auch die Grundlagenforschung stärker strategisch geplant werden und staatliche und private Ausgaben für die Grundlagenforschung sollen deutlich erhöht werden. Um Probleme bei der Umsetzung wissenschaftlich-technologischer Forschungsergebnisse in neue Produktionsverfahren und marktfähige Produkte abzubauen, sollen Forschung und Industrie sowohl organisatorisch als auch geografisch stärker integriert werden (Li, 2024; Naughton, 2024).

Die Modernisierung des Industriesystems soll grundsätzlich alle industriellen Wirtschaftszweige umfassen: traditionelle Industrien ebenso wie die „Neuen Strategischen Industrien“ und die „Zukunftsindustrien“. In allen Bereichen soll eine moderne, wettbewerbs- und widerstandsfähige heimische Industrie mit (möglichst) vollständigen Innovations- und Produktionsketten entstehen. Dabei setzt die politische Führung auch hier auf mehr staatliche Planung und Steuerung durch staatliche Aktionspläne und Innovationsprogramme, die Förderung industriespezifischer nationaler Cluster, Demonstrationszonen für moderne Fertigung und Entwicklungs­zonen für die Zukunftsindustrien. In den traditionellen Industrien soll der breite Einsatz fortschrittlicher Technologien und Prozesse gefördert werden, um die Wettbewerbsfähigkeit dieser Industrien zu verbessern und die Widerstandsfähigkeit der Industrie- und Lieferketten zu erhöhen. Chinas Stärken bei Fahrzeugen mit alternativen Antrieben und in der Informations- und Kommunikationsindustrie sollen weiter ausgebaut werden und neue Wachstumstreiber in Bereichen wie Bioproduktion, neue Materialien und kommerzieller Raumfahrt entwickelt werden (Li, 2024).

Angesichts der strukturellen Probleme der chinesischen Wirtschaft scheint eine Strategie, die auf ein stärker innovationsgetriebenes Wachstum setzt, grundsätzlich sinnvoll. Ob die Regierungspläne tatsächlich geeignet sind, Produktivität und Wirtschaftswachstum Chinas substanziell zu erhöhen, scheint angesichts gravierender Zielkonflikte und inhärenter Widersprüche jedoch fraglich. So dürfte die seit Jahren schwache TFP-Entwicklung nicht primär auf einen allgemein geringen technologischen Fortschritt in Chinas Industrie zurückzuführen sein, sondern vor allem auf eine Zunahme allokativer und technologischer Ineffizienzen. Diese werden durch die geplante „Modernisierung des Industriesystems“ jedoch teilweise sogar noch verstärkt. So birgt die starke angebotsseitige Förderung der Industrie – wenn sie nicht durch effektive Maßnahmen zur Steigerung der heimischen Nachfrage begleitet wird – die Gefahr weiter zunehmender industrieller Überkapazitäten.

Zudem impliziert das Streben nach Eigenständigkeit in Wissenschaft und Technologie und einer möglichst umfassenden Industriebasis mit geschlossenen Innovations- und Produktionsketten einen bewussten Verzicht auf Produktivitätsgewinne aus Spezialisierung und internationaler Arbeitsteilung. Dies ist etwa dann der Fall, wenn traditionelle Industrien, die aufgrund gestiegener Löhne in China nicht mehr wettbewerbsfähig sind, im Land gehalten werden oder Vorleistungen in China selbst produziert werden sollen, obwohl sie zu geringeren Kosten oder in höherer Qualität importiert werden könnten. Entsprechende Maßnahmen sowie der mit zunehmenden Überkapazitäten steigende Druck, Produktion auch zu nicht kosten­deckenden Preisen zu exportieren, dürften zudem zu einem weiteren Anstieg des in den vergangenen Jahren stark gestiegenen chinesischen Ausfuhrüberschusses bei Industrieerzeugnissen (vgl. Abbildung 2) und einer weiteren Verschärfung der Handelskonflikte mit den USA und der EU, aber auch mit verschiedenen Schwellenländern führen (Boullenois et al., 2024).

Abbildung 2
Ausfuhrüberschuss – Industrieerzeugnisse, China
Ausfuhrüberschuss – Industrieerzeugnisse, China

Industrieerzeugnisse = Internationales Warenverzeichnis für den Außenhandel (SITC), Teile 5-9.

Quelle: General Administration of Customs of China, eigene Darstellung.

Auch auf die Leistungsfähigkeit des chinesischen Innovationssystems könnten sich einige der geplanten Maßnahmen eher negativ auswirken. Eine immer umfassendere staatliche Planung und Steuerung von Forschung und Innovation, die immer kleinteiliger vorgibt, in welchen Bereichen Wissenschaft und Unternehmen forschen und investieren sollen, könnte Innovation und Produktivität längerfristig eher schwächen. Insbesondere scheint sie schwer vereinbar mit einer Stärkung der Grundlagenforschung, die Kreativität und (Ergebnis-)Offenheit erfordert. Eine stärker staatlich gesteuerte und an chinesischen strategischen Interessen ausgerichtete Forschungs-, Innovations- und Industriepolitik dürfte zudem mehr internationale Unternehmen und ausländische Wissenschaftler von weiteren Investitionen in China und Kooperationen mit chinesischen Partnern abschrecken, sodass Innovation und Produktivität in China in Zukunft voraussichtlich weniger von Beiträgen ausländischer Akteure profitieren werden.

  • 1 Die entsprechenden Pläne wurden von Ministerpräsident Li Qiang beim Nationalen Volkskongress im März 2024 vorgestellt (Li, 2024) und auf der dritten Plenartagung des XX. Zentralkomitees der KP Chinas im Juli bekräftigt (ZK KPCh, 2024).

Literatur

Boullenois, C., Kratz, A. & Rosen, D. H. (2024, 26. März). Overcapacity at the Gate. Rhodium Group.

Brandt, L., Litwack, J., Mileva, E., Wang, L., Zhang Y. & Zhao, L. (2020). China’s Productivity Slowdown and Future Growth Potential. Policy Research Working Paper, 9298, World Bank Group.

Li, Q. (2024, 5. März). Report on the Work of the Government. Delivered at the Second Session of the 14th National People’s Congress of the People’s Republic of China.

Naughton, B. (2024, 27. Februar). Re-engineering the Innovation Chain: How a New Phase of Government Intervention is Transforming China’s Industrial Economy. IGCC-MERICS Policy Brief.

ZK KPCh – Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas. (2024, 18. Juli). Beschluss des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas über die weitere umfassende Vertiefung der Reform zum Vorantreiben der Chinesischen Modernisierung.

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© Der/die Autor:in 2024

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DOI: 10.2478/wd-2024-0167