Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 € in Deutschland im Jahr 2015 führte zu einer Umverteilung der Beschäftigung zwischen Unternehmen. Während die Gesamtbeschäftigung stabil blieb, passten sich Unternehmen je nach finanzieller Ausstattung und Betroffenheit unterschiedlich erfolgreich an, mit entsprechend unterschiedlichen Folgen für ihre Beschäftigten. Vor dem Hintergrund der geplanten Erhöhung auf 14,60 € bis 2027 analysieren wir anhand kombinierter Beschäftigten- und Unternehmensdaten die Entwicklungen vor und nach der Mindestlohneinführung 2015, um die heterogenen Wirkungen auf Beschäftigung und Lohnstruktur aufzuzeigen. Finanzierungsengpässe erweisen sich als entscheidender Faktor für die Anpassungsfähigkeit von Unternehmen an Lohnerhöhungen.

Die Mindestlohnkommission hat im Juni 2025 eine weitere Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns vorgeschlagen. Nach der Einführung von 8,50 € im Jahr 2015 und den schrittweisen Anpassungen auf aktuell 12,82 €, soll der Mindestlohn bis 2027 auf 14,60 € steigen. Damit wird er in Relation zum Medianlohn zu den höchsten Mindestlöhnen in Europa gehören. Um die möglichen Auswirkungen der Mindestlohnerhöhung bestmöglich abschätzen zu können, lohnt sich ein Blick auf die bestehende Forschung zum Mindestlohn in Deutschland. Diese hat sich bisher vor allem mit der Einführung des Mindestlohnes im Jahr 2015 beschäftigt. Der neue Mindestlohn erhöhte die Löhne im Niedriglohnbereich und reduzierte die Einkommensungleichheit, während die Auswirkungen auf die Gesamtbeschäftigung begrenzt blieben (Dustmann et al., 2023; Bossler & Schank, 2024). Neben diesen positiven Effekten gibt es allerdings Evidenz, dass der Mindestlohn zu Rückgängen bei den Minijobs und den Arbeitsstunden führte (Bossler et al., 2024). Darüber hinaus reagierten Unternehmen nicht nur mit Preiserhöhungen (Link, 2024), sondern erste Evidenz deutet darauf hin, dass die Unternehmen als Reaktion auf höhere Mindestlöhne ihre Investitionssumme reduzierten und verstärkt auf Outsourcing durch den Einkauf von Zwischenprodukten setzten (Haelbig et al., 2023).

Aggregierte Betrachtungen verdecken jedoch die erheblichen Unterschiede zwischen Unternehmen. Vor allem der nicht-negative Beschäftigungseffekt ist auf eine erfolgreiche Reallokation der Beschäftigung von Unternehmen, die vom Mindestlohn betroffen sind, in andere Unternehmen zurückzuführen.

Die folgende Analyse der Mindestlohneinführung 2015 zeigt: Es gibt wichtige Unterschiede zwischen den vom Mindestlohn betroffenen Unternehmen. So waren nicht alle Betriebe gleichermaßen in der Lage, sich an die neuen Lohnvorgaben und die erhöhten Lohnausgaben anzupassen. Insbesondere Unternehmen mit eingeschränktem Zugang zu externen Finanzierungsmöglichkeiten, beispielsweise aufgrund niedriger Vermögenswerte, hoher Verschuldung oder begrenzter Liquiditätsreserven, standen vor besonderen Herausforderungen. Dies hatte weitreichende Konsequenzen für die Beschäftigten. Denn entscheidend ist damit nicht nur, ob das jeweilige Beschäftigungsverhältnis vom Mindestlohn betroffen ist, sondern auch, ob und wie das jeweilige Unternehmen auf den Mindestlohn reagieren kann.

Methodik und Datengrundlage

Für unsere Analyse kombinieren wir administrative Beschäftigtendaten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) mit Unternehmensbilanzen des Bureau van Dijk (ORBIS). Wir untersuchen Beschäftigungsveränderungen in den drei Jahren vor (2012 bis 2014) und nach (2015 bis 2017) der Mindestlohneinführung. Um eine symmetrische Behandlung wachsender und schrumpfender Unternehmen sicherzustellen, definieren wir die Veränderung nach Davis et al. (1996) jeweils als (Xit - Xi,t - 1) / (0,5 (Xit + Xi,t - 1)), wobei X die Beschäftigung in Unternehmen i zum Zeitpunkt t darstellt.

Dabei kategorisieren wir die Unternehmen anhand zweier Kriterien:

  • Mindestlohn-Betroffenheit („Minimum Wage Bite“): Der Minimum Wage Bite misst, in welchem Umfang die Lohnkosten in Unternehmen durch das neue Mindestlohnniveau ansteigen. Ein Bite von 15 % bedeutet z. B., dass für ein Unternehmen ohne Beschäftigungsanpassungen die Lohnkosten um 15 % steigen werden. Wir klassifizieren Unternehmen mit einem Bite von über 15 % als stark betroffen, solche mit einem Bite von unter 5 % als nicht vom Mindestlohn betroffen.1 Dies bedeutet, dass etwa 13 % der Unternehmen stark vom Mindestlohn betroffen waren.
  • Finanzielle Restriktionen (Verschuldungsgrad): Finanzielle Restriktionen beschränken die Fähigkeit eines Unternehmens, externe Finanzierungsquellen für neue Investitionen oder Einstellungen sowie für laufende Kosten wie Löhne oder Instandhaltung zu nutzen. Wir messen diese anhand des Verschuldungsgrads (Leverage), berechnet als Verhältnis der Gesamtverschuldung zu den Gesamtaktiva der Unternehmensbilanz. Etwa 30 % der Unternehmen wiesen vor der Mindestlohneinführung Verschuldungsgrade von über 50 % auf. Diese klassifizieren wir als finanziell restringiert.

Heterogene Beschäftigungseffekte

Wir betrachten zunächst die gesamte Beschäftigung in Vollzeitäquivalenten.2 Unsere Ergebnisse zeigen ein klares Muster: Finanziell nicht restringierte, nicht betroffene Unternehmen – solche mit soliden Bilanzen und geringer Mindestlohn-Exposition – verzeichneten mit fast 2 % das stärkste Beschäftigungswachstum nach der Mindestlohneinführung (Abbildung 1). Im Gegensatz dazu ging die Beschäftigung in finanziell eingeschränkten und vom Mindestlohn stark betroffenen Unternehmen mit mehr als 2 % deutlich zurück. In Unternehmen, die nur einen hohen Verschuldungsgrad aufweisen oder nur vom Mindestlohn stark betroffen waren, blieb die Beschäftigung nahezu stabil. Adverse Beschäftigungseffekte einer Mindestlohnerhöhung sind demnach in vulnerablen Unternehmen stark.

Abbildung 1
Veränderung der vollzeitäquivalenten Beschäftigung drei Jahre vor und nach Mindestlohneinführung
Veränderung der vollzeitäquivalenten Beschäftigung drei Jahre vor und nach Mindestlohneinführung

Unternehmen mit hohem Verschuldungsgrad haben ein durchschnittliches Verhältnis von Schulden zu Aktiva vor 2015 über 50 %. Niedrig verschuldete Unternehmen liegen unter 50 %. Betroffene Unternehmen haben eine Mindestlohn-Exposition über 15 %, nicht betroffene unter 5 %.

Quelle: eigene Berechungen auf Basis von Arabzadeh et al. (2024).

Tabelle 1 zeigt den ökonometrisch geschätzten Unterschied in der vollzeitäquivalenten Beschäftigung für verschiedene Mindestlohn-Expositionen und Verschuldungsgrade. In Spalte 1 sehen wir, dass die Beschäftigung in Unternehmen ohne Verschuldung mit einer Mindestlohn-Exposition von 20 % nach Mindestlohneinführung um 1,1 % niedriger ist als in Unternehmen, die vom Mindestlohn nicht betroffen sind (0,2 × 0,057). In Unternehmen mit einem mittleren Verschuldungsgrad (27,1 %), ist die Beschäftigung um zusätzliche 0,8 % geringer (0,143 × 0,20 × 0,271 = 0,008). Beide Größen verstärken jeweils den adversen Effekt der anderen, d. h. dass der negative Beschäftigungseffekt des Mindestlohns in Unternehmen mit hoher Verschuldung deutlich verstärkt wirkt.

Tabelle 1
Regression: Veränderung der vollzeitäquivalenten Beschäftigung vor und nach Mindestlohneinführung*
logarithmiert
  (1) (2) (3)
  Vollzeitäquivalente Beschäftigung
Mindestlohn-Bite -0.057* (0.032) -0.024 (0.027) 0.996*** (0.117)
Leverage -0.041** (0.016) -0.063*** (0.011) 0.035*** (0.010)
Bite × Leverage -0.143** (0.073) -0.133** (0.061) -0.149*** (0.056)
Industrie-Standort (fixer Effekt) Nein Ja Ja
Kontrollvariablen Nein Nein Ja
Anzahl der Beobachtungen (N) 403.400 403.091 366.274

* Regressionsergebnisse mit der Veränderung der vollzeitäquivalenten Beschäftigung (logarithmiert) vor und nach der Mindestlohneinführung als abhängige Variable.

Robuste Standardfehler mit Clustering nach Branche und Standort in Klammern. *p < 0.10, **p < 0.05, ***p < 0.01. Kontrollvariablen (im Niveau und als Interaktion mit Bite) sind Betriebsgröße, Produktivität und das Beschäftigungswachstum jeweils gemessen in den Jahren vor der Mindestlohneinführung.

Quelle: eigene Berechungen auf Basis von Arabzadeh et al. (2024).

Es gilt der Einwand, dass die Finanzierungssituation eines Unternehmens mit zahlreichen anderen Dimensionen korreliert, die ebenfalls die Beschäftigungsanpassung eines Unternehmens an den Mindestlohn determinieren. Dazu gehören unter anderem Industrie- und Standortspezifika, Produktivität, Betriebsgröße und Wachstumspotenzial. Im Rahmen der Regression können wir dies anhand von fixen Effekten für Industrie und Standort (Spalte 2) sowie zahlreicher zusätzlicher Variablen (Spalte 3) kontrollieren. Auch wenn die Effekte sich quantitativ verändern, bleibt die Interaktion von Mindestlohnbetroffenheit und Finanzierungsrestriktionen signifikant negativ.

Löhne und Lohnungleichheit

Die Finanzstruktur von Unternehmen wirkt nicht nur auf die Beschäftigungsanpassung. Ebenso passen Unternehmen die gesamte Lohnstruktur innerhalb ihrer Unternehmen unterschiedlich an, je nachdem, welche finanziellen Spielräume sie haben. Dies betrifft dann nicht nur die Beschäftigten, die unmittelbar vom Mindestlohn betroffen sind, sondern auch Personen mit höheren Einkommen.

Mindestlöhne führen typsicherweise dazu, dass die Lohn­ungleichheit innerhalb von Unternehmen abnimmt. Dies liegt im Allgemeinen daran, dass ein Mindestlohn die Löhne von Niedrigverdienern direkt erhöht, wohingegen die Löhne von Personen mit höherem Einkommen, wenn überhaupt, proportional weniger auf den Mindestlohn reagieren.

In Arabzadeh et al. (2024) zeigen wir, dass die Lohnungleichheit innerhalb eines Unternehmens deutlich stärker zurückgeht, wenn die Unternehmen finanziellen Beschränkungen unterliegen. Diese Unternehmen zahlen typischerweise niedrigere Löhne, sodass ein Mindestlohn größere Erhöhungen für Geringverdienende erfordert. Gleichzeitig haben diese Unternehmen weniger finanziellen Spielraum, um die Löhne von Gutverdienenden zu erhöhen. Als Konsequenz steigt das Risiko, dass diese Personen in besser zahlende Unternehmen (ohne Finanzierungsbeschränkungen) wechseln.

Da die Ungleichheit innerhalb von Unternehmen einen relevanten Teil der gesamten Lohnungleichheit in einer Volkswirtschaft darstellt, beeinflussen die finanzielle Situation eines Unternehmens und damit auch die gesamtwirtschaftlichen Finanzierungsbedingungen erheblich, wie effektiv Mindestlohnpolitik die Lohnungleichheit reduziert.

Zusammengenommen bedeuten die Erkenntnisse zu Beschäftigung und Lohnungleichheit aber auch einen Trade-off zwischen beiden Größen, vor allem in Unternehmen. Innerhalb eines Unternehmens bedeutet eine Mindestlohnerhöhung daher, dass die Lohnungleichheit dann besonders stark fällt, wenn die Beschäftigung ebenfalls zurückgeht. Es besteht also ein Trade-off zwischen positiven und negativen Effekten des Mindestlohnes. Dies ist in finanziell eingeschränkten Unternehmen besonders deutlich der Fall.

Vollzeit- versus Teilzeitbeschäftigung

Die Aufschlüsselung der Beschäftigungsanpassung nach Beschäftigungsformen offenbart weitere wichtige Erkenntnisse. Wie in Abbildung 2, Panel (a) dargestellt, verteilt sich der Beschäftigungsanstieg in Unternehmen mit niedrigem Verschuldungsgrad und geringer Mindestlohn-Exposition gleichmäßig auf Voll- und Teilzeitstellen. Das Verhältnis von Vollzeit- zu Teilzeitbeschäftigten bleibt in diesen Unternehmen demnach gleich. In Unternehmen mit niedrigem Verschuldungsgrad, die stark vom Mindestlohn betroffen sind, zeigt sich hingegen ein völlig anderes Bild. Zwar bleibt die vollzeitäquivalente Gesamtbeschäftigung in diesen Unternehmen insgesamt stabil, die Vollzeitbeschäftigung wird aber stark abgebaut, stattdessen steigt die Teilzeitbeschäftigung überproportional.

Abbildung 2
Veränderung der vollzeitäquivalenten Beschäftigung nach Gruppen und Beschäftigungsumfang
Veränderung der vollzeitäquivalenten Beschäftigung nach Gruppen und Beschäftigungsumfang

VZÄ = Vollzeitäquivalente. Unternehmen mit hohem Verschuldungsgrad haben ein durchschnittliches Verhältnis von Schulden zu Aktiva vor 2015 über 50 %. Niedrig verschuldete Unternehmen liegen unter 50 %. Betroffene Unternehmen haben eine Mindestlohn-Exposition über 15 %, nicht betroffene unter 5 %.

Quelle: eigene Berechungen auf Basis von Arabzadeh et al. (2024).

Dieses Muster zeigt sich in Unternehmen mit hohem Verschuldungsgrad nochmals deutlich verstärkt. In diesen Unternehmen geht die Vollzeitbeschäftigung so stark zurück, dass der Anstieg bei der Teilzeit die Beschäftigungsverluste nicht mehr ausgleichen kann. Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass die Unternehmen auf steigende Lohnkosten in erster Linie durch eine Anpassung der Arbeitsstunden (intensive Marge des Arbeitseinsatzes) und weniger durch eine Anpassung der Beschäftigtenzahl (extensive Marge des Arbeitseinsatzes) reagieren. Dies lässt sich als Umverteilung von Vollzeit- zu Teilzeitbeschäftigung innerhalb von verschuldeten Unternehmen sowie einer Umverteilung von Vollzeitbeschäftigung von verschuldeten zu nicht verschuldeten und nicht vom Mindestlohn betroffenen Unternehmen interpretieren.

Die deskriptiven Ergebnisse bestätigen sich in Regressionen, die analog zu Tabelle 1 verschiedene fixe Effekte und Kontrollvariablen enthalten. Die negative Interaktion von Mindestlohn und Finanzierung ist am stärksten bei der Vollzeitbeschäftigung ausgeprägt (Balleer et al., 2025).

In Unternehmen, die stark vom Mindestlohn betroffen sind, geht zudem die geringfügige Beschäftigung kräftig zurück. Dies zeigt, dass der Mindestlohn erfolgreich prekäre Beschäftigung reduziert hat. Dieser Effekt ist unabhängig vom Verschuldungsgrad und ist vergleichbar zum in der Literatur dokumentierten Rückgang von Minijobs. Es ist naheliegend, dass einige Beschäftigte wegen des höheren Stundenverdienstes von geringfügiger Beschäftigung zu Teilzeitbeschäftigung wechseln, es also einen Anstieg des Arbeitsangebots gibt (Substitutionseffekt). Auch ein Wechsel von Vollzeit zu Teilzeit könnte zum Teil eine Veränderung des Arbeitsangebots widerspiegeln (Einkommenseffekt).

Da der Verschuldungsgrad eines Unternehmens einen deutlichen Einfluss ausübt, lässt sich der starke Wechsel von Vollzeit zu Teilzeit aber hauptsächlich durch eine veränderte Arbeitsnachfrage erklären. Die Ergebnisse sind konsistent mit der Interpretation, dass Finanzierungsengpässe Unternehmen zu Kostensenkungen drängen, die sie bei den kostenintensiveren Vollzeitbeschäftigten durchführen. Hierbei dürften eine umfassende unternehmerische Reorganisation, Substitution von Beschäftigung, z. B. durch Automatisierung, oder auch arbeitsrechtliche Möglichkeiten zur Arbeitszeitreduktion wie Altersteilzeit eine Rolle gespielt haben.

Eine Anpassung der Beschäftigtenzahl wie oben dargestellt kann durch zwei Kanäle geschehen: fortbestehende Betriebe reduzieren die Zahl ihrer Beschäftigten oder ganze Betriebe schließen. Tatsächlich zeigt sich, dass ein Großteil der negativen Beschäftigungsentwicklung vor allem in verschuldeten Unternehmen auf Betriebsschließungen zurückzuführen ist. Abbildung 2, Panel (b) zeigt die Beschäftigungsanpassung ausschließlich in fortbestehenden Betrieben. Interessanterweise geht die Beschäftigung in den fortbestehenden Betrieben mit hohem Verschuldungsgrad mit geringer und hoher Mindestlohnbetroffenheit deutlich weniger zurück als in allen Betrieben. Dies zeigt, dass Finanzierungsres­triktionen eher zu Betriebsschließungen als zu Beschäftigungsumstrukturierungen in fortbestehenden Betrieben führen. Auch wenn die Beschäftigungsanpassung in Vollzeitäquivalenten sich in stark vom Mindestlohn betroffenen fortbestehenden Betrieben kaum von nicht betroffenen Betrieben unterscheidet, substituieren diese dennoch Vollzeit- durch Teilzeitbeschäftigung und bauen geringfügige Beschäftigung ab. Diese Verschiebungen in der Beschäftigtenstruktur durch den Mindestlohn entsprechen dem Muster für alle Betriebe aus Abbildung 2, Panel (a).

Fazit und wirtschaftspolitische Implikationen

Die Einführung des deutschen Mindestlohnes hat das primäre Ziel erreicht, Löhne am unteren Ende der Verteilung zu erhöhen, ohne die Gesamtbeschäftigung signifikant zu reduzieren. Unsere Analyse zeigt jedoch: Mindestlohnpolitik wirkt umverteilend, nicht nur zwischen Beschäftigten, sondern auch zwischen Unternehmen. Die Anpassungslasten sind hierbei nicht nur zwischen vom Mindestlohn mehr oder weniger betroffenen Unternehmen ungleich verteilt. Finanziell starke Betriebe profitieren, während finanziell schwächere Unternehmen Beschäftigung stärker abbauen. Finanzierungsengpässe erweisen sich daher als entscheidende Barriere für eine beschäftigungsfreundliche Anpassung an höhere Lohnkosten. Dies bedeutet auch, dass Arbeitnehmer heterogen vom Mindestlohn betroffen sind, wenn sie in ansonsten vergleichbaren Beschäftigungsverhältnissen, aber finanziell unterschiedlich aufgestellten Unternehmen arbeiten. Eine Reallokation von Beschäftigung nach der Mindestlohnerhöhung kann volkswirtschaftlich effizient sein, erfordert aber flankierende Maßnahmen:

  1. Finanzierungszugang als entscheidender Erfolgsfaktor: Unternehmen mit besserer Finanzausstattung können Lohnsteigerungen besser abfedern. Die Politik sollte daher parallel zum Mindestlohn den Zugang zu Unternehmensfinanzierung stärken.
  2. Graduelle Einführung und Übergangszeiten: Eine graduelle Einführung von Mindestlohnerhöhungen mit ausreichenden Übergangszeiten kann auch finanziell schwächeren Unternehmen Zeit geben, Anpassungsstrategien zu entwickeln.
  3. Begleitende Maßnahmen zur Arbeitsvermittlung: Für eine erfolgreiche Reallokation besonders betroffener Beschäftigter zu anderen Unternehmen sollten die bestehenden Instrumente der Weiterbildung und Arbeitsvermittlung gezielt eingesetzt werden.

Für die wirtschaftspolitische Begleitung der nächsten Mindestlohnschritte sowie die zukünftige Gestaltung der Mindestlohnpolitik folgt daraus: Lohnuntergrenzen sollten nicht isoliert betrachtet werden, sondern als Teil eines wirtschaftspolitischen Gesamtkonzepts. Eine begleitende Stärkung der Unternehmensfinanzierung könnte die volkswirtschaftlichen Kosten der Mindestlohnpolitik reduzieren und die positiven Verteilungseffekte des Mindestlohns realisieren, ohne finanzschwache Unternehmen und ihre Beschäftigten unverhältnismäßig zu belasten.

Vor dem Hintergrund des strukturellen Wandels im Zuge der Digitalisierung und Dekarbonisierung bedeutet der Mindestlohn eine zusätzliche Belastung für Unternehmen. Er kann jedoch auch die für einen erfolgreichen Wandel notwendige Reallokation von Arbeit vorantreiben. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels ist aber kritisch zu sehen, dass die durch den Mindestlohn verursachte Substitution von Vollzeit- durch Teilzeitbeschäftigung trotz eines geringen Rückgangs der Zahl der Beschäftigten einen Rückgang im gesamten Arbeitsvolumen bedeuten kann. Diese Entwicklung ist angesichts von Arbeits- und Fachkräfteknappheit keine gute Nachricht und sollte bei der aktiven wirtschaftspolitischen Begleitung der nächsten Mindestlohnschritte Beachtung finden.

  • 1 Arabzadeh et al. (2024) zeigen, dass die Auswirkungen eines hohen Verschuldungsgrades auf die Löhne nach der Mindestlohnerhöhung bei einem Bite von über 15 % deutlich sichtbar werden.
  • 2 Vollzeitäquivalent (VZÄ) = Anzahl Vollzeitbeschäftigte + 0,5 × Teilzeitbeschäftigte + 0,1 × geringfügig Beschäftigte.

Literatur

Arabzadeh, H., Balleer, A., Gehrke, B. & Taskin, A. A. (2024). Minimum wages, wage dispersion and financial constraints in firms. European Economic Review, 163, 104678.

Balleer, A., Gehrke, B., Taskin, A. A. (2025). Mindestlohn als Stresstest: Finanzielle Spielräume entscheiden über Beschäftigungseffekte. Version: 1.0 Wirtschaftsdienst [Dataset].

Bossler, M. & Schank, T. (2023). Wage inequality in Germany after the minimum wage introduction. Journal of Labor Economics, 41(3), 813–857.

Bossler, M., Liang, Y. & Schank, T. (2024). The devil is in the details: Heterogeneous effects of the German minimum wage on working hours and minijobs. IZA DP, 16964.

Davis, S. J., Haltiwanger, J. & Schuh, S. (1996). Job Creation and Destruction. MIT Press.

Dustmann, C., Lindner, A., Schönberg, U., Umkehrer, M. & Vom Berge, P. (2022). Reallocation effects of the minimum wage. Quarterly Journal of Economics, 137(1), 267–328.

Haelbig, M., Mertens, M. & Müller, S. (2023). Minimum wages, productivity, and reallocation. IWH Discussion Paper, Nr. 8.

Link, S. (2024). The price and employment response of firms to the introduction of minimum wages. Journal of Public Economics, 239, 105236.

Title:Minimum wage as a stress test: financial leeway determines employment effects

Abstract:The introduction of Germany’s statutory minimum wage of €8.50 in 2015 led to a redistribution of employment between firms. While overall employment remained stable, companies adapted with varying success depending on their financial resources and exposure to wage increases. Financially constrained firms struggled, which affected their employees more severely. Access to financial funding proved to be a key factor in determining a company’s ability to adjust to higher labor costs, highlighting the importance of financial resilience in mitigating negative employment effects from wage policy changes.

Beitrag als PDF

© Der/die Autor:in 2025

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht (creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).

Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.

DOI: 10.2478/wd-2025-0191