Der Bundeswirtschaftsminister hat aktuell vorgeschlagen, die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) auf eine breitere Bemessungsgrundlage zu stellen, damit den steigenden Ausgaben auch zusätzliche Einnahmen gegenüberstehen, ohne dass es zu einer Erhöhung der GKV-(Zusatz-)Beiträge kommt. Hierfür sollen Kapitalerträge herangezogen werden, wobei nur Personen mit sehr hohen Kapitalerträgen belastet werden sollen. Der Vorschlag ist bisher nicht ausformuliert, trotzdem soll hier eine erste Analyse vorgenommen werden.
Neben Steuereinnahmen stehen den öffentlichen Gebietskörperschaften Gebühren und Beiträge sowie den Sozialversicherungen die Sozialversicherungsbeiträge als Einnahmen zur Verfügung. Der große Unterschied zwischen Steuern einerseits und den anderen drei hier genannten Einnahmekategorien andererseits besteht darin, dass nur bei den Steuern kein Anspruch auf eine Gegenleistung besteht. Bei der Sozialversicherung hingegen gilt das Äquivalenzprinzip, wonach es einen Zusammenhang zwischen Leistung und Beitragszahlung gibt.
Ein naheliegender Ansatz wäre somit, dass zur Beitragsfinanzierung ausschließlich der Teil der Bevölkerung herangezogen wird, der zumindest die Möglichkeit hat, Leistungen z.B. der GKV in Anspruch zu nehmen. Dies sind die GKV-Mitglieder. In diesem Fall dürfte die vom Wirtschaftsminister avisierte Personengruppe mit hohen Kapitaleinkünften tatsächlich kaum belastet werden können, da sie vermutlich oftmals in der privaten Krankenversicherung (PKV) versichert ist. Die Ausnahme wäre z. B. eine Person, die aufgrund einer Erbschaft Kapitaleinkünfte in sehr großer Höhe hat, für die es aber wegen verschiedener Vorerkrankungen und/oder mehrerer Kinder finanziell attraktiver ist, in der GKV statt in der PKV versichert zu sein. Dass diese Gruppe zahlenmäßig nicht sehr groß sein dürfte, liegt nahe. Mit Mehreinnahmen in großem Umfang ist somit eher nicht zu rechnen. Klar dürfte hingegen sein, dass mit diesem Ansatz zusätzliche Verwaltungskosten entstehen. Denn wie die GKV zum Zwecke der Beitragserhebung Informationen über diese Kapitaleinkünfte erhalten soll, ist unklar.
Ein anderer Ansatz bestünde darin, tatsächlich eine Belastung aller Bezieher von Kapitalerträgen (Zinsen, Dividenden und Veräußerungsgewinne) unter Berücksichtigung großzügiger Freibeträge vorzunehmen und die damit verbundenen Einnahmen der GKV zur Verfügung zu stellen. In diesem Fall dürfte auch mit entsprechend hohen Mehreinnahmen zu rechnen sein. Allerdings ist fraglich, ob die so erzielten Einnahmen der GKV finanzverfassungsrechtlich wirklich zustehen. Die neue Abgabe wäre eine weitere Form der Besteuerung der Kapitaleinkünfte natürlicher Personen. Das Aufkommen stünde daher nach Art. 103 Abs. 6 GG Bund, Ländern und Gemeinden zu, nicht aber der GKV. Für die Einführung oder Erhöhung dieser Abgaben müsste es zudem eine Mehrheit im Bundestag und im Bundesrat geben. Andernfalls könnte der Bund die grundgesetzlich festgelegte Finanzverteilung im föderalen Staat zu seinen Gunsten beeinflussen, indem immer neue Abgaben etwa zur Finanzierung der Sozialversicherungen eingeführt und damit die Steuerbasis von Ländern und Gemeinden unterminiert werden würde.
Vor diesem Hintergrund sollte dem vorgeschlagenen Weg des Bundeswirtschaftsministers nicht gefolgt werden. Sollen die Ausgaben nicht begrenzt werden, so müssen die Einnahmen steigen. Dies könnte dadurch erreicht werden, dass zunächst die sogenannten versicherungsfremden Leistungen der GKV regelmäßig quantifiziert und die damit verbundenen Ausgaben aus dem allgemeinen Bundeshaushalt finanziert werden. Bei den versicherungsfremden Leistungen handelt es sich um GKV-Ausgaben, denen entgegen dem Versicherungsgedanken keine Beiträge gegenüberstehen. Zu nennen wäre etwa die beitragsfreie Mitfinanzierung von Ehegatten in der GKV. Die so entstehenden Ausgabendefizite müssten eigentlich von der Allgemeinheit, also den Steuerzahlern und damit auch den Beamten und Selbständigen, die zumeist nicht in der GKV versichert sind, mitfinanziert werden. Erfolgt dies nicht, so steigen die Beitragssätze zur GKV. Die zur Finanzierung der versicherungsfremden Leistungen benötigten Mittel könnten durch Umschichtung im Bundeshaushalt gewonnen werden, etwa durch Minderung von Subventionszahlungen. Möglich wäre selbstverständlich auch, Steuermehreinnahmen durch Steuererhöhungen, z.B. auf Kapitalerträge, zu generieren. Der Bundesanteil an diesen Steuermehreinnahmen könnte zur Finanzierung der quantifizierten versicherungsfremden Leistungen verwendet werden.