D. Acemoğlu, S. Johnson und J. Robinson erhielten 2024 den Nobelpreis für Wirtschafts-wissenschaften für ihre Forschung zu den Auswirkungen von Institutionen auf den Wohlstand von Nationen. Sie erweiterten die klassische Wirtschaftstheorie um die institutionelle und politökonomische Dimension. Durch die Identifikation natürlicher Experimente zeigen sie, wie inklusive Institutionen langfristigen Wohlstand fördern, während extraktive Institutionen zu Instabilität führen. Die Wahl von Institutionen erklärt den wirtschaftlichen Erfolg – mehr noch als die Geografie. Die Arbeiten der Preisträger blieben nicht ohne wissenschaftliche Kritik. Dies zeigt nicht zuletzt, dass sie eine breite wissenschaftliche Debatte vorangetrieben haben, die noch nicht abgeschlossen ist.
Der US-amerikanisch-türkische Ökonom Daron Acemoğlu (MIT) gehörte schon seit längerer Zeit zu den „üblichen Verdächtigen“, die in der Presse im Vorfeld der Verleihung des Preises der Sveriges Riksbank für Wirtschaftswissenschaften in Gedenken an Alfred Nobel als preiswürdig genannt wurden. Am 6. Dezember 2024 erhielt er diesen Preis gemeinsam mit Simon Johnson (MIT) und James Robinson (University of Chicago). Das Nobelpreiskomitee würdigte das Forscherkollektiv für seine „Studien darüber, wie Institutionen gebildet werden und sich auf den Wohlstand auswirken“ (Prize Committee, 2024a). Die Preisträger erweitern mit ihren Arbeiten den Fokus der Wirtschaftswissenschaften um eine institutionelle und polit-ökonomische Dimension.
Wissenschaftliche Einordnung
Mit dieser Vergabe knüpft das Nobelpreiskomitee an die Reihe der Ehrungen von Wissenschaftler:innen aus dem Bereich der (Neuen) Institutionenökonomik an. Während Preisträger wie Friedrich A. von Hayek (ausgezeichnet 1974), James Buchanan (1986), Ronald Coase (1991), George Akerlof (2001) und Oliver Williamson (2009) eher für ihre theoretischen Basisarbeiten in diesem Bereich ausgezeichnet wurden, verbanden Douglas C. North (1993) sowie Elinor Ostrom (2009) bereits Theorie und Empirie. Die Begründung des Komitees macht deutlich, dass sich die Preisträger in ihren ausgezeichneten Arbeiten mit zwei großen Fragestellungen beschäftigen, die sie sowohl theoretisch als auch empirisch bearbeiten (Prize Committee, 2024a, S. 2).
Die erste Fragestellung ist typisch für die ökonomische Wachstumstheorie und betrifft die Determinanten der wirtschaftlichen Entwicklung bzw. des Wachstums. Legt man die Ansätze der exogenen und endogenen Wachstumstheorie (unter anderem in der Tradition von Robert Solow, Preisträger 1987, und Paul Romer, Preisträger 2018) zugrunde, so sollten die Länder mit mittleren und niedrigen Pro-Kopf-Einkommen aufgrund von Technologie- und Wissensdiffusion sowie damit verbundener Kapitalakkumulationen (technischer Fortschritt und Humankapital) langfristig zu den Ländern mit höheren Einkommen aufschließen (Konvergenz-Hypothese). Auch wenn neuere Arbeiten darauf hindeuten, dass seit den 1990er Jahren wieder eine stärkere Konvergenz zu beobachten ist (z. B. Patel et al., 2021), gibt es auch heute noch eine große Kluft zwischen den Pro-Kopf-Einkommen in den ärmsten und reichsten Ländern der Welt.
Daher nahmen Acemoğlu, Johnson und Robinson in einer Reihe von Arbeiten zu Beginn der 2000er Jahre andere Voraussetzungen bzw. Treiber der wirtschaftlichen Entwicklung ins Visier. Für sie sind es im Wesentlichen die politischen und ökonomischen Institutionen, die die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes beeinflussen. Damit knüpfen sie insbesondere an die Arbeiten von North (1990) an und untersuchen mit modernen empirischen Methoden genauer, welche Institutionen für die wirtschaftliche Entwicklung relevant sind. Dabei greifen sie auf historische Daten zurück, die sie teilweise sogar als natürliche Experimente heranziehen – eine methodische Besonderheit ihrer Forschung.
Aufbauend auf diesen Erkenntnissen können sie ihre zweite Forschungsfrage bearbeiten: Warum übernehmen Länder mit niedrigem Einkommen nicht die Institutionen, die erfolgversprechend für eine bessere wirtschaftliche Entwicklung sind? Unter diesem Fokus haben die Preisträger die Theorie des institutionellen Wandels weiterentwickelt, die ebenfalls von Douglas North begründet wurde. In diesem Zweig ihrer Arbeiten entwickeln die Preisträger ein politökonomisches Modell, das Pfandabhängigkeiten der institutionellen Entwicklung ebenso berücksichtigt, wie interessenbasierte Hemmnisse des Wandels. Auch hier versuchen sie für die theoretisch begründeten Zusammenhänge empirische Evidenz zu finden.
Acemoğlu, Johnson und Robinson haben mit ihren Arbeiten einen wesentlichen Beitrag zur methodisch komplexen und empirisch anspruchsvollen Analyse der Bedeutung von Institutionen geleistet (Prize Committee, 2024a, S. 2). Die Preisträger kombinieren ökonometrische Analysen mit historischen Fallstudien aus unterschiedlichen Zeiten und Regionen, um zu zeigen, wie institutionelle Unterschiede das langfristige wirtschaftliche Wachstum beeinflussen.
Die Bedeutung von politischen und ökonomischen Institutionen
In zwei vielzitierten Arbeiten aus den Jahren 2001 und 2002 entwickelten die Autoren die Grundlage für ihre bis heute fortgeführten Forschungsarbeiten. In Acemoğlu, Johnson und Robinson (2001) untersuchen die Preisträger die Ursachen für die unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklung der früheren Kolonien europäischer Länder. Die Kolonialisierung wird von den Preisträgern als natürliches Experiment genutzt, das unterschiedliche Gruppen von kolonialisierten Ländern abbildet. Dies ermöglicht es methodisch, mit einer „Interventionsgruppe“ und einer „Kontrollgruppe“ zu arbeiten und die Effekte unterschiedlicher Interventionen isoliert zu betrachten.
Die Arbeit basiert auf drei Annahmen (Acemoğlu et al., 2001, S. 1370): Erstens, die institutionellen Settings in den Kolonien lassen sich unterscheiden in sogenannte extraktive Staaten (z. B. Kongo) und in neo-europäische Staaten wie etwa Australien, Neuseeland und Kanada. Mit Blick auf die privaten Eigentumsrechte, die z. B. für das Ausmaß des Handels relevant sind (Demsetz, 1967), weil sie Transaktionskosten senken, zeigen beide Regime große Unterschiede. In den neo-europäischen Staaten wurden die Eigentumsrechte durch ein quasi Kopieren der in den Kolonialmächten bestehenden Institutionen gut abgesichert, und es wurde ein politisches System mit gegenseitiger Kontrolle (checks and balances) etabliert, das längerfristig ausgerichtet war. In den extraktiven Staaten gab es keine abgesicherten privaten Eigentumsrechte. Die Kolonialisierung war allein auf die kurzfristige Ausbeutung der Ressourcen durch die Kolonialmacht ausgerichtet. Zweitens, die Wahl des institutionellen Regimes war nicht von der Kolonialmacht abhängig, sondern von den – durch Krankheiten determinierten – Möglichkeiten einer langfristigen Besiedelung. Waren die Bedingungen für die (Gesundheit der) Siedler schlecht, wählten die Kolonialmächte eher das extraktive Regime. Bei guten Bedingungen wurde das neo-europäische Modell implementiert. Auf Basis dieser Logik verwendeten Acemoğlu, Johnson und Robinson in ihren empirischen Analysen die von ihnen ermittelten Mortalitätsraten der Siedler als Instrumentvariable für die Qualität der Institutionen. Drittens, die einmal implementierten Institutionen zeigen eine hohe Persistenz. Sie blieben auch nach dem Rückzug der Kolonialmächte erhalten. Hier zeigt sich die in der Institutionenökonomik bekannte Pfadabhängigkeit von Institutionen.
In einem zweiten grundlegenden Aufsatz (Acemoğlu, Johnson & Robinson, 2002) stellen die Autoren zwei unterschiedliche Erklärungsansätze für die Entwicklung der Kolonien gegenüber und untersuchen sie empirisch: Die These, dass die geografische Lage die Entwicklungsmöglichkeiten „treibt“, z. B. von Sachs (2001) vertreten, wird mit der These kontrastiert, dass Institutionen die Treiber sind (z. B. North & Weingast, 1989, und Olson, 2000). Anhand weiterer empirischer Analysen zeigen die Preisträger, dass ehemals reiche Kolonien heute oft arm sind, während ehemals arme Kolonien heute reich sind. Sie argumentieren, dass gute Institutionen zu einem „reversal of fortune“ geführt haben: Länder, die vor der Kolonialisierung reich waren, aber schlechte Siedlungsbedingungen aufwiesen, entwickelten sich mit extraktiven Institutionen schlecht, während in armen Ländern mit guten Bedingungen eher Institutionen mit abgesichertem Privateigentum implementiert wurden. Diese institutionellen Unterschiede wurden besonders während der Industrialisierung relevant und können die bis heute bestehenden Unterschiede in der Einkommensentwicklung erklären. Wenig überraschend lautet auch bei Acemoğlu et al. (2002) das Ergebnis: Institutions matter – more than geography!
Das Acemoğlu-Johnson-Robinson-Modell
In einem Beitrag im Handbook of Economic Growth aus dem Jahr 2005 fassten die Autoren ihr bis dahin entwickeltes Wachstumsmodell zusammen (Acemoğlu et al., 2005). Acemoğlu, Johnson und Robinson differenzieren seither explizit zwischen zwei Arten von Institutionen (politische und ökonomische), die in jeweils zwei Ausprägungen (inklusiv und extraktiv) vorliegen können. Dabei bilden politische und ökonomische Institutionen eine Institutionenhierarchie mit Rückkopplungseffekten.
Politische Institutionen bestimmen – da sie die Staatsordnung determinieren – die de jure Machtverteilung in einer Gesellschaft. Sie legen fest, welche Akteure die politischen Entscheidungen in einem Land treffen. Sie bestimmen die Regeln und Normen, die die Beziehungen zwischen verschiedenen politischen Akteuren regeln sowie zwischen Bürger:innen und dem Staat. Typische politische Institutionen sind etwa Verfassungen, in denen z. B. eine Gewaltenteilung in Legislative, Exekutive und Judikative festgelegt werden kann. Diese Institutionen binden das Handeln der politischen Akteure und sollen ihnen Anreize geben, im Sinne des Gemeinwohls zu agieren (z. B. Buchanan, 1993).
Bei der Gestaltung dieser Institutionen ergibt sich das bekannte Problem der Selbstbindung, das auch einen institutionellen Wandel verhindern kann: Da Regelsetzer und Regelunterworfene bei den politischen Institutionen identisch sind, gibt es erhebliche Beharrungstendenzen des institutionellen Status quo. In den Worten von Acemoğlu, Johnson und Robinson (2005, S. 392): „This creates a tendency for persistence: political institutions allocate de jure political power, and those who hold political power influence the evolution of political institutions, and they will generally opt to maintain the political institutions that give them political power.“
Mit dieser politökonomischen Begründung liefern die Preisträger – auch mit Verweis auf Coase (1960) – eine Antwort auf ihre zweite, oben genannte Fragestellung: Länder mit niedrigem Einkommen übernehmen nicht einfach diejenigen Institutionen, die erfolgversprechend für eine bessere wirtschaftliche Entwicklung sind, weil die bestehenden politischen Institutionen vorteilhaft für die Herrschenden sind (Acemoğlu et al., 2005, S. 428–430). Die aktuell Herrschenden wären sonst die politischen Verlierer eines durch sie selbst herbeigeführten institutionellen Wandels. Einem Herrschaftswechsel auf friedlichem Weg stehen dabei auch Commitment-Probleme der neuen Herrschenden (politische Gewinner) entgegen. Eine Kompensation der politischen Verlierer ist nicht glaubhaft dazustellen: „If those who gained political power from institutional change could promise to compensate those who lost power then there would be no incentive to block better institutions“ (Acemoğlu et al., 2005, S. 432). Oft kann selbst die Sicherheit der alten Herrschenden im Inland nicht gewährleistet werden, sodass in der Regel nur die Flucht in ein Drittland möglich ist.
Ökonomische Institutionen, wie sie im Zentrum der Arbeiten von Douglas C. North standen, sind hingegen auf der Ebene der Wirtschaftsordnung verortet. Sie werden für die Akteure in der Wirtschaft (als Regelunterworfene) von den politischen Entscheidungsträgern festgelegt und sind daher leichter zu verändern: „Economic institutions are collective choices, and they are chosen and sustained by the state“ (Acemoğlu et al., 2005, S. 451). Ökonomische Institutionen sind die Spielregeln für wirtschaftliche Aktivitäten und beeinflussen z. B. die Anreize für Investitionen und Innovation. Hier spielt das Privatrecht (in dem unter anderem die Übertragung von Privateigentum geregelt wird) eine wichtige Rolle, aber auch Teile des öffentlichen Rechts, wenn es etwa um das Kartellrecht geht.
Wie die Abbildung 1 zeigt, ist die Zuordnung der de jure Macht über politische Institutionen nicht allein entscheidend für die wirtschaftliche Entwicklung. Im Sinne des deutschen Sprichworts „Papier ist geduldig“ spielt nicht die in einer Verfassung zugewiesene Machtverteilung die entscheidende Rolle, sondern die de facto ausgeübte politische Macht. Diese wiederum hängt von der de facto Verteilung der ökonomischen Ressourcen ab, die aus den ökonomischen Institutionen resultieren. Damit wirken die ökonomischen Institutionen zurück auf die politischen Institutionen, insbesondere auf die Verteilung der de facto Macht.
Abbildung 1
Schematische Darstellung der Zusammenhänge zwischen Institutionen und politischer Macht

Quelle: Acemoğlu, Johnson und Robinson (2005, S. 392).
Hier zeigen sich im Acemoğlu-Johnson-Robinson-Modell (AJR-Modell) Parallelen zur deutschen Ordnungsökonomik. Eine ordoliberale Grundidee besteht bekanntlich darin, dass – aus den historischen Erfahrungen – wirtschaftliche Macht genutzt werden kann, um über politische Einflussnahme die angestrebte Wettbewerbsordnung zu unterminieren. Im Ergebnis braucht es daher einen starken Staat, der die Spielregeln für die Wirtschaft, z. B. über eine durchsetzungsstarke Wettbewerbsaufsicht, so durchsetzt, dass ein funktionsfähiger Wettbewerb bestehen kann, wirtschaftliche Machtkonzentration, z. B. durch Monopole, verhindert wird und somit auch der Staat vor Einflussnahme geschützt bleibt (Eucken, 1952/2008).
Sowohl die politischen als auch die ökonomischen Institutionen können in zwei Ausprägungen gestaltet sein, die die realisierte Verteilung der Ressourcen beschreiben: Inklusive Institutionen zeichnen sich durch breite gesellschaftliche Partizipation, Eigentumssicherung, eine breite, gerechte Verteilung der Ressourcen und eine politische Machtverteilung mit checks and balances aus. Sie schaffen ein Umfeld, in dem Innovationen durch schöpferische Zerstörung entstehen und wirtschaftliche Aktivitäten gedeihen können, weil die breite Bevölkerung von den wirtschaftlichen Möglichkeiten in einem Land profitiert.
Im Gegensatz dazu konzentrieren extraktive Institutionen Ressourcen und Macht in den Händen einer kleinen Elite. Diese Elite (z. B. Oligarchen) beutet die Ressourcen eines Landes zu ihren Gunsten aus, was langfristig die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung behindert.
Die Differenzierung in politische und ökonomische sowie inklusive und extraktive Institutionen ermöglichen es Acemoğlu, Johnson und Robinson, politische und ökonomische Ordnungen zu systematisieren: So sind Demokratien als politische Ordnung durch inklusive politische Institutionen gekennzeichnet, während extraktive politische Institutionen kennzeichnend für Autokratien oder Diktaturen sind. Im Bereich der ökonomischen Ordnungen haben marktwirtschaftliche (oder kapitalistische) Ordnungen, die auf einem mit adäquaten Regeln versehenen Wettbewerb basieren, inklusive Institutionen. Hingegen stehen sozialistische Ordnungen, die durch (staatliche) Monopole, einen dominierenden Einfluss des Staates auf die Wirtschaft und Oligarchen geprägt sind, für extraktive Institutionen.
Ähnlich wie bei Schumpeter (1950/2008) lassen sich also auch hier Demokratie und Marktwirtschaft (bzw. Kapitalismus) als komplementäre Ordnungen beschreiben. Die in beiden Ordnungen ermöglichten Freiheiten geben den Bürger:innen Möglichkeiten und Anreize, politisch und wirtschaftlich aktiv zu werden. So ermöglichen diese inklusiven Ordnungen es, dass sich Länder wirtschaftlich erfolgreich entwickeln. Autokratien und sozialistisch bzw. oligarchisch geprägte Systeme sind hingegen weniger leistungsfähig, auch weil ein großer Ressourceneinsatz zur Stabilisierung des ausbeuterischen Systems über Kontroll- bzw. Zwangsmaßnahmen notwendig ist.
Das Nobelpreiskomitee betont daher, dass inklusive Institutionen langfristiges Wachstum und Wohlstand fördern, da sie die Entwicklung der Fähigkeiten und Potenziale breiter Bevölkerungsschichten unterstützten. Dagegen führten extraktive Institutionen oft zu Instabilität und wirtschaftlichem Niedergang, da sie wirtschaftliche Ressourcen und politische Macht auf wenige privilegierte Gruppen konzentrieren (Prize Committee, 2024a, S. 11–12).
Der Bestseller – „Warum Nationen scheitern“
Einem breiteren Kreis von Leser:innen auch außerhalb der Wissenschaft wurden zwei der Preisträger spätestens im Jahr 2012 bekannt. Damals veröffentlichten Acemoğlu und Robinson das Buch „Why Nations Fail: The Origins of Power, Prosperity, and Poverty“, das in viele Sprachen übersetzt wurde und auf einigen Bestsellerlisten landete (Acemoğlu & Robinson, 2012). Das Buch stellt eine Synthese ihrer theoretischen und empirischen Erkenntnisse dar und hat eine breite Debatte über die Frage ausgelöst, wie politische Machtverhältnisse und institutionelle Strukturen das wirtschaftliche Schicksal von Nationen beeinflussen.
In dem Buch bereiten Acemoğlu und Robinson das oben beschriebene AJR-Modell populärwissenschaftlich auf. Anhand vieler historischer Beispiele und zweier natürlicher Experimente erläutern sie die Überlegenheit von inklusiven Ordnungen (Marktwirtschaft und Demokratie) gegenüber extraktiven Ordnungen (Planwirtschaft und Sozialismus). Als natürliche Experimente werden die Teilungen Koreas in Nord- und Südkorea sowie Deutschlands in die Bundesrepublik Deutschland und die DDR herangezogen. Vor der jeweiligen Teilung, so die Annahme, herrschten in den beiden Teilen Koreas und Deutschlands annähernd identische Bedingungen, z. B. die Kultur und die geografische Lage betreffend. Nach der jeweiligen Teilung änderten sich diese Faktoren nicht – aber Nordkorea und die DDR führten eine sozialistische Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung ein. Auf Basis von statistischen Analysen lässt sich dann zeigen, dass die wirtschaftliche Entwicklung in den sozialistischen Ländern schlechter war als in den demokratisch verfassten Marktwirtschaften. Ein klarer Sieg also für das westliche Modell.
Das Buch wendet sich in der zweiten Hälfte einem neuen Fall zu, der das westliche Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell heute herausfordert: China. China stellt nämlich – in der oben genannten Differenzierung – ein Land dar, das eine extraktive sozialistische, politische Ordnung (mit einer dominierenden Einheitspartei) in seinen Sonderwirtschaftszonen mit einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung kombiniert. Die Kernthese des Buches lautet hier: Der aktuell zu beobachtende wirtschaftliche Erfolg des chinesischen Modells kann nicht von Dauer sein. Die Autoren führen zwei Argumente zur Begründung an. Erstens, andauerndes ökonomisches Wachstum benötigt Innovationen – und diese wiederum einen Prozess der kreativen Zerstörung im Schumpeterschen Sinn. Zweitens, in einem System mit extraktiven Institutionen ist die Macht sehr begehrt. Daher werden Machtkämpfe das politische System destabilisieren (Acemoğlu & Robinson, 2012, S. 430).
Kritik
Wie bei vielen anderen empirischen Arbeiten gibt es auch zu den nun ausgezeichneten Arbeiten von Acemoğlu, Johnson und Robinson keine ungeteilte Zustimmung. Dabei wird z. B. darauf hingewiesen, dass die institutionenökonomischen Arbeiten der drei Preisträger im Wesentlichen auf den Vorarbeiten der eingangs genannten Autor:innen beruhen und keine wirkliche Neuerung darstellen.
Ein grundlegender Kritikpunkt bezieht sich auf die in den Arbeiten aus den Jahren 2001 und 2002 verwendeten Daten und statistischen Verfahren. Hier wurde insbesondere von Albouy (2012) die Verwendung von Mortalitätsraten als Instrumentvariable für die Qualität von Institutionen in den Schätzungen von Acemoğlu, Johnson und Robinson (2001) kritisiert. Albouy (2012, S. 360) kommt zu dem Ergebnis: „Controlling for the source of the mortality rates weakens the empirical relationship between expropriation risk and mortality rates substantially. Furthermore, if these controls are added and the conjectured data are removed, the relationship virtually disappears, suggesting that it is largely an artifact of the data’s construction.” Diese Kritik haben Acemoğlu, Johnson und Robinson (2012) in einer Replik anhand differenzierter Analysen, in denen sie die Kritik von Albouy (2012) an ihrer Datengrundlage berücksichtigen, widerlegt. Ob damit alle Zweifel an ihren Ergebnissen beseitigt sind, wird sich zeigen. Möglicherweise ist die Verleihung des Nobelpreises Ansporn für Kritiker, nach weiteren Schwachstellen in den verwendeten Daten zu suchen.
Ein zweiter Punkt thematisiert die von Acemoğlu, Johnson und Robinson herausgehobene Bedeutung der privaten Eigentumsrechte als ökonomische Institution für die wirtschaftliche Entwicklung. So weisen z. B. Ogilvie und Carus (2014) darauf hin, dass die historischen Daten ein eher uneinheitliches Bild der Bedeutung der Eigentumsrechte liefern.
Ein weiterer Kritikpunkt zielt auf die zu undifferenzierte Kategorisierung der untersuchten Länder ab. So bestehen etwa zwischen den Ländern, die der Kategorie „Demokratie & Marktwirtschaft“ zugeordnet werden, erhebliche institutionelle Unterschiede: Der auf Kooperation ausgelegte Föderalismus mit der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland lässt sich nur schwerlich mit dem eher wettbewerblich geprägten Föderalismus und der marktwirtschaftlichen Ordnung in den USA vergleichen. Um solche Unterschiede angemessen zu berücksichtigen, müssen zusätzliche Variablen in den Analysen berücksichtigt werden. Letztlich bleibt auch abzuwarten, ob die oben genannten prognostizierten Tendenzen zur Destabilisierung von extraktiven Ordnungen sich in Zukunft tatsächlich zeigen werden.
Und heute?
Da die ausgezeichneten Arbeiten inzwischen schon mehr als 20 Jahre alt sind, stellt sich die Frage, womit sich die drei Preisträger heute beschäftigen.
James Robinson hat in den letzten Jahren insbesondere an Fragen aus dem Bereich der Entwicklungsökonomik gearbeitet. Veröffentlichungen mit seinen beiden Ko-Preisträgern sind selten zu finden.
Simon Johnson hat sich in der jüngeren Vergangenheit unter anderem mit den ökonomischen Folgen des Ukraine-Kriegs beschäftigt (Acemoğlu & Johnson, 2023b; Becker et al., 2022). Ein weiterer Forschungsschwerpunkt, den er mit Acemoğlu bearbeitet, sind die Auswirkungen von neuen Technologien auf die wirtschaftliche Entwicklung (Acemoğlu & Johnson, 2023b; Acemoğlu et al., 2023).
Daron Acemoğlu ist auf diesem Gebiet ebenfalls sehr aktiv. Er weist auch im Jahr 2024 eine beeindruckende Produktivität auf. Oft in Zusammenarbeit mit Pascual Restrepo oder Simon Johnson analysiert er die aktuellen Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz und versucht ihre Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung abzuschätzen (z. B. Acemoğlu & Restrepo, 2019; Acemoğlu, 2025). Darüber hinaus äußert er sich auch vermehrt zu aktuellen politischen Entwicklungen insbesondere in den USA, wo etwa Elon Musk seine ökonomische Macht nutzt, um im Sinne einer ungleichen Verteilung der „Power of Persuasion“ politischen Einfluss auf Donald Trump zu nehmen (von Petersdorff-Campen, 2024). Mit Blick auf die Entwicklung des westlichen Modells liberaler Demokratien gibt sich Acemoğlu inzwischen kritisch: „Ich glaube, wir erleben gerade die Geburtsschmerzen eines neuen Modells, und wir wissen noch nicht, was das neue Modell sein wird“ (Pennekamp, 2024).
Literatur
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