Das Europäische System der Zentralbanken (ESZB) folgt in erster Linie dem Ziel der Preisstabilität. Darüber hinaus kann es weitere Ziele anstreben. Genauer gesagt kann sogar die Pflicht bestehen, eine so genannte mehrdimensionale nicht-neutrale Geldpolitik umzusetzen. Denn laut Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) soll das ESZB, soweit ohne Beeinträchtigung des Ziels der Preisstabilität möglich, die allgemeine Wirtschaftspolitik unterstützen. Bisher geschieht dies zurückhaltend. Dieser Beitrag erklärt, welche Möglichkeiten es gibt, dies zu ändern.
In letzter Zeit ist die Geldpolitik in der Eurozone zunehmend grün. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat einen Fahrplan für klimabezogene Maßnahmen beschlossen (ECB, 2021a; ECB, 2021b) und weicht damit von der Idee der Neutralität ab, derzufolge die Geldpolitik das Ziel der Preisstabilität verfolgen sollte, ohne Einfluss auf wirtschaftliche Strukturen nehmen zu wollen. Diese Kehrtwende steht im Einklang mit dem Mandat des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB). Laut Art. 127 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) soll nämlich das ESZB, soweit ohne Beeinträchtigung des Ziels der Preisstabilität möglich, die allgemeine Wirtschaftspolitik in der EU unterstützen und zur Verwirklichung der in Art. 3 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) festgelegten Ziele der EU beizutragen. Liegt eine entsprechende demokratisch legitimierte Wirtschaftspolitik vor, so ruft das ESZB-Mandat zur Unterstützung auf. Da die EU mit dem Green Deal und dem Klimagesetz zu dessen Durchsetzung (European Commission, 2019; European Commission, 2021) eine grüne Transformation der Wirtschaft anstrebt und sich darüber hinaus im Rahmen des Pariser Abkommens zur Klimapolitik verpflichtet hat, ist diese Voraussetzung gegeben.
Art. 3 EUV enthält allerdings mehrere Ziele, unter anderem ein ausgewogenes Wirtschaftswachstum, eine wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt, sowie Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität. Zu fördern ist demnach auch der wissenschaftliche und technische Fortschritt, der wirtschaftliche, soziale und territoriale Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten. Das ESZB-Mandat fordert insofern nicht nur eine grüne Geldpolitik, sondern eine mehrdimensional nicht-neutrale Geldpolitik.
Ungeachtet der Vorgaben des Art. 127 AEUV wird das Konzept einer grünen Geldpolitik kontrovers diskutiert (Elderson, 2021; Kaldorf et al., 2022; Li & Schickfus, 2021; NGFS, 2021; Schnabel, 2020; Schnabel, 2022a; Schnabel, 2022b; Schwarz, 2022; Treptow, 2021; Walter, 2021; Walter, 2023). Für eine nicht-neutrale Geldpolitik im weiteren Sinne ist eine solche Diskussion noch zu führen. Hier setzt dieser Beitrag an.
Begründung und Probleme nicht-neutraler Geldpolitik
Grundsätzlich ist eine nicht-neutrale Geldpolitik durch das ESZB-Mandat gerechtfertigt. Damit in Einklang steht die Forderung, dass Zentralbanken Probleme eines Marktversagens korrigieren sollten, welches bei der Kreditgewährung von Geschäftsbanken entsteht. Vergeben Geschäftsbanken nämlich Kredite an Nicht-Banken, dann haben sie systematische Anreize (Fuders, 2024), Kredite
- eher an Unternehmen zu vergeben, die Kosten durch Schadstoffeintrag in die Umwelt externalisieren, als an Unternehmen, die Schadensvermeidung betreiben, dadurch weniger Gewinn erzielen und so aus Bankensicht weniger kreditwürdig erscheinen.
- eher an Unternehmen in ökonomischen „hot-spot-Regionen“ (z. B. Rhein/Main) zu vergeben als an Unternehmen in der ökonomisch schwächeren Peripherie (z. B. Saarland), woraufhin die regionale Polarisierung zunimmt.
- eher an gewinnorientierte Unternehmen zu vergeben als an (z. B. soziale) Non-Profit-Organisationen, die sich daraufhin auf anderem Wege finanzieren müssen.
- eher in ökonomischen Boom-Zeiten zu vergeben als in der konjunkturellen Krise, in der jedoch Bankkredite besonders erwünscht wären.
Somit steht das von kommerziellen Interessen geleitete Handeln der Geschäftsbanken der Verfolgung vieler der in Art. 3 EUV genannten Ziele eher entgegen. Daher sollte die EZB diese Ziele berücksichtigen.
Das Hauptproblem einer nicht-neutralen Geldpolitik können Zielkonflikte sein. Erstens kann eine geldpolitische Unterstützung der Wirtschaftspolitik die Verfolgung des Primärziels der Preisstabilität stören. Erfordert beispielsweise die Inflationsbekämpfung eine restriktive Geldpolitik, so gibt es eventuell keinen Spielraum für den gezielten Kauf grüner Anleihen. Kauft hingegen die EZB gezielt grüne Anleihen, so ist politischer Druck auf die EZB vorstellbar, Kompromisse bei der Preisstabilität einzugehen (Kaldorf et al., 2022; Schwarz, 2022). Zweitens kann die simultane Verfolgung mehrerer Sekundärziele zu „Sekundärkonflikten“ führen. So kann der gezielte Kauf grüner Anleihen die Förderung einer regionalen Konvergenz stören, wenn von den Anleihekäufen primär „Hotspot-Regionen“ profitieren, weniger dagegen die regionale Peripherie.
Nachfolgend wird argumentiert, dass solche Konflikte ohne Gefährdung der Unabhängigkeit der EZB lösbar sind und somit das ESZB-Mandat grundsätzlich erfüllbar ist (Kriwolutzky & Volz, 2023).
Überwindung von Zielkonflikten
Wie kann eine mehrdimensional nicht-neutrale Geldpolitik konfliktarm gestaltet werden? Im Einzelnen: Wie kann die EZB, erstens, die allgemeine Wirtschaftspolitik (z. B. bezüglich einer grünen Transformation) ohne Kompromisse bei der Preisstabilität unterstützen und, zweitens, Konflikte vermeiden, wenn ihre Geldpolitik gleichzeitig verschiedene Ziele des Art. 3 EUV verfolgt?
Die Grundidee ist, geldpolitische Entscheidungen zu splitten bzw. mehrere geldpolitische Programme simultan zum Einsatz zu bringen. Der Tinbergen-Regel zufolge (Tinbergen, 1952) erfordert jedes wirtschaftspolitische Ziel eine unabhängige Maßnahme, und zwei Ziele können nicht gleichzeitig mit einer Maßnahme erreicht werden. Somit braucht es insgesamt so viele geldpolitische Programme wie es Ziele gibt, die verfolgt werden sollen. So kann z. B. der Umfang geldpolitischer Aktivitäten im Einklang mit der Preisstabilität gewählt werden, während sich davon getrennte Entscheidungen auf die Struktur dieser Aktivitäten (etwa im Rahmen von Anleihekäufen) mit Blick auf die Ziele des Art. 3 EUV beziehen.
Bei zwei Hauptzielen (Preisstabilität und Unterstützung der Wirtschaftspolitik) sind somit mindestens zwei unabhängige Maßnahmen erforderlich. Die EZB kann etwa das Volumen von Anleihekäufen mit Blick auf die Preisstabilität festlegen, aber im Einzelnen grüne Anleihen bevorzugen. Sie kann ferner das Basisniveau der Refinanzierungssätze mit Blick auf die Preisstabilität festlegen, aber die Sätze im Detail beispielsweise zugunsten von Banken differenzieren, die grüne Projekte finanzieren. Die instrumentellen Optionen einer nicht-neutralen Geldpolitik sind nachfolgend näher dargestellt, zunächst für grüne, dann für mehrdimensional nicht-neutrale Geldpolitik.
Optionen einer grünen Geldpolitik
Auf Basis der ESZB-Satzung Art. 18 bis 20 hat die EZB viele instrumentelle Möglichkeiten, eine grüne Geldpolitik zu gestalten. Nach Art. 18 Abs. 1 Satz 1 kann die EZB börsengängige Wertpapiere (z. B. Anleihen) auf den Finanzmärkten kaufen und dabei „grüne“ gegenüber „braunen“ Anleihen präferieren, soweit die entsprechende Qualität der Anleihen feststellbar ist. Die EZB kann Anleihen auch in bilateralen Geschäften gezielt von Banken kaufen (dies wäre über Art. 20 zu ermöglichen, wonach der EZB-Rat mit der Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen über die Anwendung anderer Instrumente der Geldpolitik entscheiden kann, die er zur Erfüllung der Ziele für zweckmäßig hält) und auch in diesem Fall „grüne“ gegenüber „braunen“ Anleihen vorziehen. Darüber hinaus kann sie aber auch Banken bevorzugen, die primär grüne Anleihen in ihrem Anleiheportfolio halten; deren Kreditportfolio vorwiegend grün ist (weil sie grüne Projekte kreditieren bzw. von Kreditnehmern die Einhaltung grüner Standards verlangen); deren Offenlegung von klimabezogenen Informationen über ihre Kreditnehmer mit der EU-Taxonomieverordnung im Einklang steht; deren Aktivitäten anderweitig als grün zu bezeichnen sind. Alternativ könnten Banken und/oder Anlageklassen, die bestimmte grüne Kriterien nicht erfüllen, von bestimmten Transaktionen ausgeschlossen werden.
Bei Kreditgeschäften mit Banken (Art. 18 Abs. 1 Satz 2) kann die EZB die Refinanzierungssätze, den Sicherheitenrahmen (der angibt, welche Aktiva die EZB als Sicherheiten akzeptiert), die Kreditlaufzeiten und/oder eventuelle Zuteilungsquoten differenzieren – und zwar auf Basis der Qualität der Anleihen, die die Banken der EZB als Sicherheiten anbieten, auf Basis der Qualität der jeweiligen Anleihe- oder Kreditportfolios der Banken und/oder mit Blick auf die Banken-Performance bei der klimabezogenen Offenlegung. Die EZB könnte z. B. Banken mit grünen Geschäftsmodellen durch günstigere Kreditkonditionen bevorzugen (etwa durch niedrigere Refinanzierungssätze), „nicht-grüne“ Banken von speziellen, z. B. längerfristigen Kreditgeschäften und/oder zinsgünstigen Kreditfazilitäten ausschließen, braune Anlageklassen nicht als Sicherheiten akzeptieren und/oder Kreditlaufzeiten und Zuteilungsquoten zugunsten grüner Banken differenzieren. Sofern dadurch der Ausstieg aus fossilen Energien schneller gelingt, sinken auch die Risiken einer „Fossilflation“ (Kriwolutzky & Volz, 2023). Die Bank of Japan hat in den 1980er Jahren die Zuteilungsquoten differenziert, allerdings waren die Kriterien primär wachstumsbezogen (Werner, 2005). Die EZB hat mehrfach im Rahmen von targeted longer-term refinancing operations (TLTROs) gezielt bestimmte Banken durch günstige Refinanzierungszinsen privilegiert, freilich nicht mit Blick auf grüne Kriterien (Neyer, 2020).
Im Rahmen der Mindestreservepolitik (Art. 19) legt die EZB bisher für alle Banken einheitliche Bedingungen fest, d. h. einen einheitlichen Mindestreservesatz und einen einheitlichen Zinssatz auf Mindestreserven. Demgegenüber könnte die EZB die Bedingungen differenzieren und z. B. für Banken, die primär braune Aktiva halten, verschärfen bzw. für Banken, die primär grüne Aktiva halten, erleichtern – und/oder Banken begünstigen, die ihre Kreditvergabe auf grüne Projekte konzentrieren (Kriwolutzky & Volz, 2023; van‘t Klooster, 2023) oder eine gute Performance bei der klimabezogenen Offenlegung aufweisen.
Optionen einer mehrdimensionalen Geldpolitik
Nach der erläuterten Logik können mehrere Ziele des Art. 3 EUV gleichzeitig konfliktfrei verfolgt werden, wenn die EZB so viele separate geldpolitische Programme realisiert, wie sie Ziele des Art. 3 EUV beachten möchte. Da die EZB zahlreiche Optionen zur Differenzierung ihrer geldpolitischen Instrumente hat (Tabelle 1), kann sie mehrere Ziele gleichzeitig verfolgen, ohne dabei die Preisstabilität zu gefährden. Sie könnte z. B. grüne Anleiheankäufe in einem inflationsneutralen Volumen realisieren, während sie gleichzeitig regionale Ziele durch spezifische Kreditgeschäfte verfolgt, ohne das „inflationsneutral“ gewählte Niveau der Refinanzierungszinsen grundsätzlich zu ändern. Zugleich könnten einige in Art. 3 EUV genannten Ziele mit einer – noch zu erläuternden – Politik zugunsten kleiner Banken unterstützt werden.
Tabelle 1
Optionen zur Differenzierung geldpolitischer Instrumente
Instrument gemäß ESZB-Satzung | Basis für die Differenzierung | Mögliche Kriterien für die Differenzierung | Mögliche Art der Sanktion |
---|---|---|---|
Anleihekäufe auf den Finanzmärkten (Art. 18 Abs. 1 Satz 1 ) | Struktur der Anleihekäufe | Qualität der angebotenen Anleihen mit Blick auf Ziele des Art. 3 EUV | Nicht-Kauf von „schlechten“ Anleihen |
Anleihekäufe direkt von Banken (Art. 20) | Struktur der Anleihekäufe | 1. Qualität der bankenseitig angebotenen Anleihen 2. Anleiheportfolio der Banken 3. Kreditportfolio der Banken 4. Bankenseitige Transparenz (z. B. bezüglich klimabezogener Offenlegung) 5. Größe der Banken |
Differenzierte Behandlung von Banken |
Befristete Kreditgeschäfte (Art. 18 Abs. 1 Satz 2) | Leitzins | ||
Sicherheitenrahmen | |||
Fristigkeit der Geschäfte | |||
Zuteilungsquoten | |||
Mindestreserve-politik (Art. 19) | Mindestreservesatz | 1. Anleiheportfolio der Banken 2. Kreditportfolio der Banken 3. Bankenseitige Transparenz 4. Größe der Banken |
Differenzierte Behandlung von Banken |
Zinssatz für die Mindestreserven |
Quelle: eigene Darstellung.
Tabelle 1 veranschaulicht die Vielfalt der für die EZB satzungskonform verfügbaren instrumentellen Möglichkeiten. Darüber hinaus kann die EZB jedes einzelne Instrument mit unterschiedlicher Spezifikation in mehreren Einzelprogrammen einsetzen. Gleichzeitig denkbar sind z. B. ein Anleihekaufprogramm zugunsten grüner Anleihen und ein Anleihekaufprogramm zur Unterstützung besonders von hoher Staatsverschuldung betroffener Mitgliedstaaten (ECB, 2022) oder verschiedene, unterschiedlich ausgerichtete TLTRO-Programme. Angesichts dieser instrumentellen Möglichkeiten wäre grundsätzlich eine inflationsneutrale, aber anderweitig nicht-neutrale Geldpolitik mandatskonform realisierbar bzw. eine neutrale Geldpolitik, die die Ziele des Art. 3 EUV ignoriert, nicht mandatskonform.
Mandatsbezogene Evaluation der bisherigen nicht-neutralen Geldpolitik
Obwohl die EZB also zahlreiche Optionen zur Differenzierung von Offenmarkt- und Kreditgeschäften sowie bei den Mindestreservebedingungen hat, nutzt sie bisher nur einige dieser Möglichkeiten und im Wesentlichen nur im Rahmen des klimapolitischen Aktionsplans. Sie konzentriert sich dabei auf die Aspekte Offenlegung von Informationen zum Klimawandel, Sicherheitenrahmen und Ankauf von Unternehmensanleihen (ECB, 2021c).
Bisher gibt es keine Bevorzugung „grüner Banken“ bei den Refinanzierungssätzen, also keine grünen TLTROs (van`t Klooster & van Tilburg, 2020; Kriwolutzky & Volz, 2023). In einem Hintergrundpapier (ECB, 2021c) begründet die EZB dies unter anderem mit Schwierigkeiten bei der Bewertung der Kreditportfolios von Banken. Es sei schwierig zu differenzieren, was ein grüner bzw. ein nicht-grüner Kredit ist. Es gibt jedoch andere Unterscheidungskriterien, um grüne Banken zu identifizieren. Banken, die der EZB grüne statt braune Sicherheiten vorlegen, könnten z. B. durch niedrigere Refinanzierungssätze privilegiert werden. So hat die People‘s Bank of China 2016 eine subventionierte Refinanzierung für Banken eingeführt, die grüne Anleihen als Sicherheiten vorlegen (Kriwolutzki & Volz, 2023).
Bislang konfrontiert zudem die EZB alle Banken mit einheitlichen Mindestreservebedingungen. Eine grüne Mindestreservepolitik könnte jedoch die Wirkung einer grünen Offenmarkt- und Kreditpolitik verstärken, da sie sich auf alle (rund 4.000) Banken auswirken würde, die der Mindestreservepflicht unterliegen (ECB, 2024), und nicht nur auf die meist eher großen Banken, die an Kreditgeschäften teilnehmen.
Und vor allem: bisher spricht die EZB explizit nur den Klimakontext an, aber kein anderes der in Art. 3 EUV genannten Ziele. Somit ist die Geldpolitik der EZB derzeit nicht vollständig im Einklang mit dem ESZB-Mandat. Vor diesem Hintergrund wird nachfolgend eine weitere Möglichkeit dargestellt, wie die EZB ihre Geldpolitik mandatskonform differenzieren kann.
Nicht-neutrale Geldpolitik zugunsten kleiner Banken
Die EZB kann geldpolitische Operationen auch nach der Größe der jeweils beteiligten Banken (gemessen an der Bilanzsumme) differenzieren und dabei kleine gegenüber großen Banken bevorzugen. Möglich ist dies im Prinzip bei allen Geschäften der EZB mit Banken und insbesondere im Rahmen der Mindestreservepolitik.
Ein Beispiel: Auf der Liste der rund 4.000 mindestreservepflichtigen Banken stehen ca. 1.100 Volks- und/oder Raiffeisenbanken (ECB, 2024). Diese Banken engagieren sich besonders für den Mittelstand und für „ihre“ Regionen (BVR, o. J., b). In peripheren, z. B. ländlichen Regionen spielen sie eine besondere Rolle – als Kreditinstitut, aber auch als Förderer regionaler und sozialer Aktivitäten. Zudem sind Volks- und Raiffeisenbanken im Durchschnitt eher klein. So wiesen Ende 2023 die 697 im Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken zusammengeschlossenen Banken eine durchschnittliche Bilanzsumme von rund 1,7 Mrd. Euro auf (BVR, o. J., a), während alle von der Deutschen Bundesbank (allerdings auf einer anderen statistischen Grundlage) erfassten Banken eine durchschnittliche Bilanzsumme von rund 7,8 Mrd. Euro aufwiesen (Deutsche Bundesbank, 2024, Tabelle I. 1.).
Eine Privilegierung kleiner Banken durch die EZB könnte vor diesem Hintergrund – im Einklang mit den Zielen der europäischen Regionalpolitik und insofern mandatskonform – die regionale Peripherie begünstigen und dadurch die regionale und soziale Polarisierung, die ansonsten durch die erwähnte Dynamik auf den Kreditmärkten begünstigt würde, abmildern. Dies könnte auch den Wettbewerb im Bankensektor fördern, sofern nämlich große Banken – z. B. aufgrund eventueller Skaleneffekte – Wettbewerbsvorteile haben.
Im Rahmen von Kreditgeschäften könnten kleine Banken bei den Refinanzierungssätzen, in Bezug auf den Sicherheitenrahmen, bei den Refinanzierungsfristen und/oder bei den Zuteilungsquoten begünstigt werden (Tabelle 1) – oder durch spezielle Programme, die ausschließlich für kleine Banken aufgelegt werden. Im Rahmen der Mindestreservepolitik könnten für kleine Banken niedrigere Mindestreservesätze und/oder höhere Zinssätze auf die jeweiligen Mindestreserveguthaben festgesetzt werden.
Zur bürokratiearmen Umsetzung könnte die EZB die Größe der Banken auch durch Freibeträge berücksichtigen. Die Mindestreserveverordnung sieht derzeit einen pauschalen Freibetrag von 100.000 Euro bei der Berechnung der Mindestreservebasis vor, den jede Bank von ihrem Mindestreserve-Soll abziehen soll, um die Kosten der Verwaltung der Mindestreserven zu decken (Deutsche Bundesbank, o. J.). Dies ist besonders für kleine Banken ein Vorteil. Der Freibetrag könnte gezielt angehoben werden, um so kleine Banken im Vergleich zu großen Banken besser zu stellen. Freibetragsregelungen wären auch bei den Kreditgeschäften vorstellbar, wenn z. B. generell bei Zentralbankkrediten erst ab einem festzulegenden Freibetrag verzinst werden müsste.
Eine derart spezifische Geldpolitik zugunsten kleiner Banken ist, wie erläutert, zusätzlich zu anderen Programmen einer nicht-neutralen Geldpolitik und inflationsneutral denkbar, etwa zusätzlich zu einer grünen Geldpolitik.
Fazit
In der Eurozone hat die Geldpolitik mehr Möglichkeiten als häufig diskutiert wird. Die Berücksichtigung mehrerer der in Art. 3 EUV genannten Ziele, die für die allgemeine Wirtschaftspolitik in der EU von Bedeutung sind, würde eine Geldpolitik, die dem Mandat des ESZB entspricht, nicht zwangsläufig überfrachten. Vielmehr ist in der Eurozone eine mandatskonforme Geldpolitik möglich, die es erlaubt, gleichzeitig verschiedene Ziele des Art. 3 EUV anzustreben, und die zudem die Preisstabilität nicht gefährdet.
Im Rahmen einer nicht-neutralen Geldpolitik kann die EZB verschiedene Ziele verfolgen, indem sie gleichzeitig mehrere und unterschiedlich spezifische geldpolitische Programme durchführt. Da dies, wie erläutert, inflationsneutral umsetzbar ist, ist eine mehrdimensional nicht-neutrale Geldpolitik vom ESZB-Mandat sogar gefordert. Diesbezüglich könnte – und sollte – die EZB also mehr tun.
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Der Text ist eine gekürzte, überarbeitete und übersetzte Version des Artikels „Non-neutral Monetary Policy towards Sustainability in the Eurozone – an Analysis of Refinancing Operations and Minimum Reserve Policy“, veröffentlicht in: Credit and Capital Markets - Kredit und Kapital, Vol. 2024, Online First: p. 1-23.