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Die Erwerbsbeteiligungsquote der Über-65-Jährigen in Deutschland liegt merklich unter dem Durchschnitt der OECD-Staaten. Um die Erwerbsbeteiligung älterer Menschen zu steigern, wären folgende Maßnahmen denkbar: eine Erhöhung der Abschläge und Zuschläge bei Renteneintritt vor oder nach dem Regelrenteneintrittsalter, die Abschaffung der abschlagsfreien Rente nach 45 Beitragsjahren, die Abschaffung der Ungleichbehandlung erwerbstätiger Rentner in der Sozialversicherung und die Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters. Diese Maßnahmen würden das Arbeitsangebot Älterer wohl merklich steigern und erscheinen auch unter Verteilungsgesichtspunkten geboten. Gleichwohl würden einige Bevölkerungsgruppen verlieren. Eine Maßnahme, die die Zahl der erwerbstätigen Älteren merklich steigern dürfte, ohne Verlierer zu produzieren, ist der Abbau rechtlicher Beschäftigungshürden nach Erreichen des Renteneintrittsalters. Sie ist der nächsten Bundesregierung eindringlich ans Herz gelegt.

Die deutsche Wirtschaftsleistung ist in den Jahren 2023 und 2024 jeweils geschrumpft. Die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter wird 2025 wohl abnehmen und der Einfluss des demografischen Wandels auf das Produktionspotenzial in den kommenden Jahren höchstwahrscheinlich negativ sein (Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose, 2024). Zudem dürfte ein kleinerer Teil des nur noch kümmerlich wachsenden Kuchens für Konsum zur Verfügung stehen, denn die Umstellung auf eine CO2-neutrale Produktionsweise erfordert erhebliche Investi­tionen und der Angriff Russlands auf die Ukraine im Jahr 2022 hat die Illusion zerstört, dass sich Deutschland in Sachen Verteidigungsausgaben einen schlanken Fuß machen könne. Um keinen Wohlstandsverlust und damit einhergehende Verteilungskonflikte zu riskieren, muss die Politik nun die Weichen auf Wachstum stellen. Ein Hebel dafür ist die Stärkung der Arbeitsanreize. Eine Steigerung der gesamtwirtschaftlich geleisteten Arbeitsstunden würde für sich genommen staatliche Mehreinnahmen generieren. Dies würde Steuer- und Abgabensenkungen – bzw. geringere Erhöhungen – erlauben, die der arbeitenden Bevölkerung ein höheres Konsumniveau ermöglichen würden.

Die Arbeitsanreize älterer Menschen verdienen aus mindestens zwei Gründen besondere Aufmerksamkeit. Erstens nimmt ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung aufgrund steigender Lebenserwartung sowie im historischen Vergleich niedriger Geburtenraten zu. Dies führt zu einem steigenden Finanzierungsbedarf des Rentensystems (SVR, 2023). Nach dem Beschluss der scheidenden Bundesregierung, das Rentenniveau bis 2039 bei 48 % des Lohnniveaus zu halten, dürfte der Beitragssatz zur allgemeinen Rentenversicherung von 18,6 % im Jahr 2025 auf über 25 % bis zum Jahr 2039 steigen – bei gleichzeitigem Wachsen des Steuerzuschusses zur Rentenversicherung (Deutsche Bundesbank, 2022). Zweitens spielen für die Arbeitsanreize älterer Menschen andere institutionelle Rahmenbedingungen eine Rolle als für jüngere Arbeitnehmer. Dies liegt vor allem am Rentensystem.

Abbildung 1 und Abbildung 2 zeigen die Erwerbstätigenquoten 55- bis 64-jähriger Frauen und Männer im internationalen Vergleich. Bei beiden Gruppen liegt Deutschland im oberen Bereich ausgewählter OECD-Staaten. Die Erwerbstätigenquote der Frauen liegt hier mit 71 % deutlich über dem Durchschnitt der 27 EU-Staaten von nur 58 %. Das Beispiel Schwedens (75 %) zeigt jedoch, dass wohl auch eine höhere Erwerbstätigenquote möglich wäre. Die Erwerbstätigenquote der 55- bis 64-jährigen Männer beträgt in Deutschland gut 78 % und liegt damit ebenfalls im oberen Bereich, aber deutlich unter dem Wert Japans von 88 %.

Abbildung 1
Erwerbstätigenquote der 55- bis 64-jährigen Frauen, 2023
Erwerbstätigenquote der 55- bis 64-jährigen Frauen, 2023

Quelle: OECD (2024).

Abbildung 2
Erwerbstätigenquote der 55- bis 64-jährigen Männer, 2023
Erwerbstätigenquote der 55- bis 64-jährigen Männer, 2023

Quelle: OECD (2024).

Betrachtet man hingegen die Partizipationsraten der Über-65-Jährigen (Abbildung 3 und Abbildung 4), liegt Deutschland unter den Werten der OECD. Spitzenreiter ist hier Südkorea mit Werten von 30 % bzw. 47 % bei Frauen und Männern, verglichen mit 7 % bzw. 12 % in Deutschland. Unter europäischen Staaten sind die Erwerbsquoten in Schweden am höchsten, mit 16 % bzw. 25 %.

Abbildung 3
Erwerbstätigenquote der über-65-jährigen Frauen 2023
Erwerbstätigenquote der Über-65-jährigen Frauen 2023

Quelle: OECD (2024).

Abbildung 4
Erwerbstätigenquote der über-65-jährigen Männer, 2023
Erwerbstätigenquote der Über-65-jährigen Männer, 2023

Quelle: OECD (2024).

Die starken Unterschiede in den Erwerbsquoten dürften – neben kulturellen Unterschieden – auch die Folge unterschiedlicher Institutionen sein (Rogerson, 2024). Für die Entscheidung, am Arbeitsmarkt teilzunehmen, ist der Unterschied im erwarteten Lebenseinkommen im Fall der Erwerbstätigkeit gegenüber dem Fall der Nichttätigkeit relevant. Dabei ist es hilfreich, zwischen zwei Phasen zu unterscheiden. In der ersten Phase, der möglichen Erwerbstätigkeit, hängt das Einkommen von den Abgaben einerseits und den Transfers im Fall der Nichttätigkeit andererseits ab. Zudem beeinflusst eine Erwerbsentscheidung potenziell das verfügbare Einkommen in der zweiten Phase, in der Rente bezogen wird. Die Arbeitsanreize sind dann am stärksten, wenn erstens das Nettoeinkommen während der Erwerbstätigkeit deutlich höher ist, als wenn nicht gearbeitet wird, und wenn zweitens – sofern Rentenbeiträge gezahlt werden – Mehrarbeit zu höheren Rentenansprüchen führt. Gesetze, die Abschläge und Zuschläge für Renteneintritte zu verschiedenen Altern regeln, betreffen diesen zweiten Punkt.

Steuern und Abgaben treiben einen Keil zwischen den Brutto- und den Nettolohn und mindern prinzipiell den Anreiz zur Erwerbstätigkeit. Bei Beiträgen zur Sozialversicherung gilt dies nur in dem Maße, in dem durch zusätzliche Beitragszahlung keine gleichwertigen zusätzlichen Ansprüche an die Sozialversicherung erworben werden. Eine versicherungsmathematisch faire Versicherung, in die der Versicherungsnehmer also im Erwartungswert diskontiert gleich viel einzahlt, wie er ausgezahlt bekommt, mindert den Erwerbsanreiz nicht.1 Bei der Rentenversicherung wird dieser Betrag durch die Höhe der monatlichen Rente, die erwartete Dauer des Bezugs und die unterstellte Diskontrate determiniert.

Funktionsweise und Anreizwirkung der allgemeinen Rentenversicherung in Deutschland

Das Rentensystem ist in Deutschland weitgehend umlagefinanziert. Derzeitige Beitragszahler kommen für die Renten der Rentenbezieher auf. Die „Rendite“ des Umlagesystems hängt vom Lohnwachstum und der demografischen Entwicklung ab. Eine alternative Gestaltung ist die Kapitaldeckung, bei der die Rendite durch den Zinssatz am Kapitalmarkt determiniert ist. Die Rentenversicherung in Deutschland orientiert sich am Äquivalenzprinzip. Das bedeutet, dass Versicherungsnehmer, die im Laufe ihres Lebens höhere Beiträge eingezahlt haben, eine höhere monatliche Rente erhalten. Das Rentenniveau ist dabei grundsätzlich proportional zu den im Laufe des Lebens gezahlten Beiträgen. Trotzdem dürften Rentenbeiträge teils als implizite Steuern wahrgenommen werden. Je ungünstiger das Verhältnis von Beitragszahlern zu Rentenbeziehern, desto niedriger ist nämlich die implizite Verzinsung des Umlageverfahrens. Bei der derzeitigen Höhe des Altenquotienten, also dem Verhältnis der Personen im Rentenalter zu denen im erwerbsfähigen Alter, ist die Rentenversicherung nicht versicherungsmathematisch fair, da Versicherungsnehmer im Erwartungswert weniger ausgezahlt bekommen als bei einer kapitalgedeckten privaten Altersvorsorge. Damit schafft das Umlagesystem im Vergleich zu einer Situation mit kapitalgedeckter (staatlicher oder privater) Rentenversicherung bereits einen Anreiz zur Frühverrentung, da man sich damit der Einzahlung in die umlagefinanzierte Rentenversicherung entzieht (Clemens, 2004). Dieser Anreiz wird aufgrund der Alterung der Gesellschaft noch zunehmen.

Anpassung der Abschläge und Zuschläge der Rentenversicherung

Für die Anreizwirkung des Rentensystems auf das Eintrittsalter in den Ruhestand ist zudem entscheidend, wie sich das Alter eines Versicherungsnehmers bei Renteneintritt auf dessen Rentenzahlungen auswirkt. Eine Verrentung vor dem regulären Renteneintrittsalter führt allgemein zu einer Minderung der Rente. Ein früherer Renteneintritt führt bereits deshalb zu einer geringeren monat­lichen Rente, weil weniger Beiträge gezahlt werden. Dazu kommt ein Abschlag. Damit wird berücksichtigt, dass ein früherer Renteneintritt Kosten für die Rentenversicherung verursacht, weil er im Durchschnitt zur Folge hat, dass länger Renten bezogen werden. Der Abschlag soll bewirken, dass ein vorzeitiger Renteneintritt aus Sicht der Rentenversicherung neutral ist. Somit soll verhindert werden, dass Frühverrentung subventioniert wird – durch andere Beitragszahler in Form höherer Beiträge sowie durch Steuerzahler mittels höherer Steuern.

Damit er aus Sicht der Rentenversicherung neutral ist, muss der Abschlag so gestaltet sein, dass er bei früherem Renteneintritt die erhöhte Lebenserwartung in Rente ausgleicht. Zur Veranschaulichung vernachlässigen wir Lohnwachstum und Zinsen und nehmen an, dass beim Renteneintrittsalter von 65 die Lebenserwartung noch 20 Jahre beträgt. Dies entspricht laut den Sterbetafeln des Statistischen Bundesamts ungefähr der Lebenserwartung von Frauen mit 65 Jahren (Destatis, 2025). Ein Vorziehen des Renteneintritts um ein Jahr erhöht die erwartete Lebensdauer in Rente um ein Jahr (wenn die Sterbewahrscheinlichkeit zwischen 64 und 65 vernachlässigbar ist), also um 1/20. Damit die Rentenversicherung im Erwartungswert Renten in derselben Höhe zahlt wie bei Renteneintritt mit 65 Jahren, muss die monatliche Rente um 1/21 gemindert werden, also um 4,76 %. Das Beispiel verdeutlicht, dass der neutrale Abschlag pro zusätzlichen Monat umso höher ausfällt, je kürzer die verbleibende Lebensdauer ist. Ein Vorziehen des Ruhestands um zwei Jahre ist hier nämlich dann aus Sicht der Rentenversicherung neutral, wenn der Abschlag 2/22, also 9,09 % und damit weniger als das Doppelte des Abschlags für das Vorziehen um ein Jahr beträgt. Dieselbe Logik gilt für Zuschläge bei späterem Renteneintritt.

In Deutschland beträgt der Abschlag 0,3 % pro Monat vorzeitigen Rentenbezugs, bzw. 3,6 % pro Jahr. Der Zuschlag pro Monat späterem Renteneintritt relativ zum Regeleintrittsalter beträgt 0,5 %. Der Abschlag ist somit etwas geringer, als es ein neutraler Abschlag gemäß der einfachen Überschlagsrechnung wäre – und bietet einen stärkeren Anreiz zur Frühverrentung.2 Gleichwohl belaufen sich die Ab- und Zuschläge zumindest ungefähr auf ihrer aus Sicht der Rentenversicherung neutralen Höhe. Frühere Renteneintritte sorgen – bei gegebenem Renteneintrittsalter, das ist ein wichtiger Zusatz – damit in nur geringem Maße für höhere Beiträge. Gleichwohl ist es im Interesse der Steuerzahler, dass der Renteneintritt möglichst spät stattfindet. Der Grund ist eine weitere „fiskalische Externalität“: Neben Beiträgen zur Rentenversicherung zahlen Menschen, die am Arbeitsmarkt teilnehmen, im Durchschnitt auch mehr Steuern und Beiträge in die anderen Sozialversicherungen ein als Rentner. Aus gesamtstaatlicher Perspektive liegen die Abschläge und Zuschläge somit deutlich unter ihrem fiskalisch neutralen Wert.3

Eine alternative Perspektive auf die Abschlagshöhe anstelle der Neutralität aus Sicht der Rentenversicherung ist die der Anreizneutralität. Da die Rentenversicherung mit Umlageverfahren eine geringere Rendite als eine private Altersvorsorge verspricht, verursacht die gesetzliche Rentenversicherung auch mit Abschlägen einen Anreiz zur Frühverrentung. Der anreizneutrale Abschlag fällt entsprechend höher aus und berücksichtigt den Unterschied in der Rendite der beiden Systeme (Clemens, 2004). Dieser anreizneutrale Abschlag ist merklich höher als der aktuell geltende. In Summe spricht viel für eine Erhöhung der Zu- und Abschläge im Rentensystem.

Abschaffung der „Rente mit 63“

Die zum Juli 2014 eingeführte „Rente mit 63“ ermöglicht es Personen mit mindestens 45 Beitragsjahren, zwei Jahre vor dem Erreichen des regulären Eintrittsalters in Rente zu gehen. Das Regelrenteneintrittsalter war zum Zeitpunkt der Einführung der Regelung 65. Politikmaßnahmen sind anhand ihrer Verteilungswirkung sowie der verursachten Verhaltensanpassung zu bewerten. Mindert eine Politikmaßnahme beispielsweise das Arbeitsangebot, führt dies zu geringeren Steuereinnahmen, sodass pro umverteilten Euro zusätzliche Kosten entstehen. Die „Rente mit 63“ wurde mit dem Slogan „verdient, nicht geschenkt“ beworben. Mitglieder der damaligen Bundesregierung begrüßten somit die Verteilungswirkung dieser Maßnahme. Inwieweit man dieser Bewertung folgen kann, wird weiter unten diskutiert. Unstrittig ist der negative Arbeitsanreiz. Personen mit der Möglichkeit der abschlagsfreien Frühverrentung gehen im Durchschnitt sieben bis acht Monate früher in Rente als eine Vergleichsgruppe (Dolls & Krolage, 2023). Dieser Effekt ist größer als allein aufgrund des finanziellen Anreizes erwartet würde. Wichtig dürfte sein, dass das Renteneintrittsalter 63 als neuer Referenzpunkt wahrgenommen wurde. Die fiskalischen Kosten unter Berücksichtigung sowohl der Kosten für die Rentenversicherung als auch durch entgangene Sozialbeiträge und Einkommensteuern dürften allein im Jahr 2017 gut 7 Mrd. Euro betragen haben, wovon nur die Hälfte die Rentenversicherung betrifft (Dolls & Krolage, 2023). Bezöge man auch indirekte Steuern mit ein, wäre der Betrag noch höher. Der längerfristige Effekt dürfte wiederum höher ausfallen, denn dann spielen auch Verhaltensanpassungen früher im Erwerbsleben eine Rolle, wenn Arbeitnehmer die Zahl der Beitragsjahre etwa auf Kosten zusätzlicher Bildung erhöhen.

Möchte der Gesetzgeber Rentenzahlungen für eine bestimmte Gruppe – hier jene mit mindestens 45 Beitragsjahren – erhöhen, kann er dies durch eine Erhöhung der monatlichen Rentenzahlungen oder durch eine Minderung der Abschläge (bzw. eine Erhöhung der Zuschläge) tun – im Fall der „Rente mit 63“ durch Abschaffung der Abschläge. Die Minderung der Abschläge hat den großen Nachteil, dass sie die Arbeitsanreize unmittelbar verschlechtert. Die Anpassung der monatlichen Rentenzahlungen bei Beibehaltung der Abschläge wäre eine Alternative, die – das wäre empirisch zu klären – möglicherweise eine ähnliche Verteilungswirkung bei geringeren Kosten erreichte.

Es leuchtet nicht ein, dass das Rentensystem genutzt werden sollte, um zu Menschen mit mindestens 45 Beitragsjahren umzuverteilen. In der politischen Debatte heißt es, damit erkenne man eine besondere Lebensleistung an. Ein Arbeitnehmer, der ein Jahr in Vollzeit arbeitet und ein Jahr nicht, zahlt den gleichen Betrag in das Rentensystem ein wie einer, der zwei Jahre 50 % arbeitet. Das progressive Steuersystem begünstigt bereits den zweiten Fall, das Transfersystem hingegen den ersten. Welches Gerechtigkeitsprinzip besagt, dass die Leistung des zweiten Arbeitnehmers höher zu bewerten ist als die des ersten und dem zweiten folglich über das Rentensystem besondere finanzielle Anerkennung zusteht? Keines, das mir geläufig ist.

Die abschlagsfreie Rente schafft den Anreiz, bei gleichbleibendem Verdienst die Zahl der Beitragsjahre – dazu zählt auch der Bezug von Arbeitslosengeld – zu erhöhen. Sie „belohnt“ Zeit in Erwerbsarbeit – und sogar die in Arbeitslosigkeit – gegenüber dem Erwerb von Bildung, der später zu höheren Löhnen führt. Das Konzept der „Lebensleistung“ ist offensichtlich nicht wohldefiniert. Werden mit der „Rente mit 63“ andere plausible Verteilungsziele erreicht? Auch diese Frage muss man leider verneinen. Diejenigen, die von der „Rente mit 63“ profitieren, sind eher besserverdienend, haben höhere Rentenansprüche und sind auch nicht am Ende des Erwerbslebens häufiger krank als Individuen mit weniger als 45 Beitragsjahren (Börsch-Supan et al., 2015). Möchte der Gesetzgeber zu Menschen umverteilen, die gesundheitsbedingt nicht mehr erwerbsfähig sind, gibt es dafür ein zielgenaues Instrument: die Erwerbsminderungsrente.4 Die sozialversicherungspflichtigen Erwerbszeiten dieser Gruppe liegen im Durchschnitt deutlich unter 45 Jahren (Börsch-Supan et al., 2015). Die „Rente mit 63“ ist teuer und nicht zielgenau. Sie sollte abgeschafft werden.

Abschaffung der Benachteiligung von arbeitenden Rentnern in der Sozialversicherung

Arbeitgeber von Rentnern in sozialversicherungspflichtigen Berufen zahlen Beiträge an die Arbeitslosen- und Rentenversicherung, ohne dass sich dies auf die Anwartschaft der Beschäftigten auswirkt. Diese Beiträge wirken damit, anders als bei Arbeitnehmern vor Erreichen des Rentenalters, als reine Steuern. Ein ökonomischer Grund für diese höhere Belastung der Arbeit von Rentnern liegt nicht auf der Hand. Zudem verstößt sie gegen das Äquivalenzprinzip. Die Anreize für die Erwerbstätigkeit jenseits der Regelaltersgrenze könnten dadurch erhöht werden, dass die Arbeitgeberbeiträge zur Arbeitslosen- und Rentenversicherung diesen Arbeitnehmern direkt ausgezahlt werden.

Auch für die Krankenversicherung gibt es Argumente dafür, arbeitende Rentner gegenüber dem Status quo besserzustellen. So haben sie unter bestimmten Umständen keinen Anspruch auf Krankengeld, zahlen aber den vollen Beitragssatz. Schließlich zahlen sozialversicherungspflichtig beschäftigte Rentner sowohl auf ihr Gehalt als auch auf ihre Rente Krankenversicherungsbeiträge. Dies entspricht der Systematik der gesetzlichen Krankenversicherung, verdeutlicht aber nochmals, dass sie häufig wie eine Steuer wirkt.

Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters

Aufgrund geltender Abschläge und Zuschläge bei Renteneintritt vor oder nach dem gesetzlichen Regelrenteneintrittsalter ist der rein finanzielle Anreizeffekt einer Verschiebung des Renteneintrittsalters kleiner als man zunächst annehmen könnte. Verschiebungen des Regeleintrittsalters dürften dennoch aus zwei Gründen einen starken Effekt auf das Arbeitsangebot haben. Erstens laufen unbefristete Verträge üblicherweise mit dem Erreichen des Regeleintrittsalters aus und der Fortbeschäftigung sind erhebliche rechtliche und bürokratische Hürden gesetzt. Zweitens dürfte das gesetzliche Renteneintrittsalter von vielen als mentaler „Anker“ wahrgenommen werden (Seibold, 2021) – ein Standard, von dem abzuweichen besondere Begründung erfordert. Ein sich auch aufgrund der steigenden Lebenserwartung verschlechternder Altersquotient erfordert in einem Umlagesystem zwingend mindestens eine der folgenden drei Maßnahmen: eine Senkung des Rentenniveaus, eine Erhöhung des Renteneintrittsalters oder eine Erhöhung der Beitrags- und Steuerlast Erwerbstätiger. Die Pläne der scheidenden Bundesregierung, die das Rentenniveau dauerhaft stabilisieren und das Renteneintrittsalter nicht über 67 Jahre hinaus erhöhen, implizieren, dass insbesondere die Belastung Erwerbstätiger zunehmen wird. Da Einzahlungen in das Umlagesystem teilweise wie eine Steuer wirken, verschlechtern sich damit die Arbeitsanreize, und Deutschland wird als Einwanderungsland für qualifizierte Erwerbstätige weniger attraktiv. Eine weitere Erhöhung des Regelrenteneintrittsalters ist damit naheliegend. Eine Option wäre etwa eine Koppelung des Regeleintrittsalters an die Lebenserwartung (SVR, 2023).

Für einen Arbeitnehmer, der zum vorher geltenden Regelrenteneintrittsalter in Rente geht, entspricht die Erhöhung des Regelrenteneintrittsalters zwar einer Rentenkürzung, solange das Rentenniveau unverändert bleibt. Im Gegensatz zu einer Reduktion des Rentenniveaus bei konstantem Renteneintrittsalter ist der große Vorteil der Erhöhung des Renteneintrittsalters aber, dass der Arbeitsangebotseffekt eindeutig positiv und groß ist, weil der Referenzpunkt verschoben wird und weil rechtliche Hürden für die Beschäftigung von Arbeitnehmern über dem Regelrentenalter beträchtlich sind. Eine empirische Untersuchung der Effekte der Renteneintrittsalter für verschiedene Gruppen zu verschiedenen Zeitpunkten in Deutschland legt nahe, dass der Effekt des Regelrenteneintrittsalters auf das Arbeitsangebot sieben Mal so groß ist wie der Effekt der rein finanziellen Anreize – ausschlaggebend dürfte die Wahrnehmung des Regeleintrittsalters als Referenzpunkt sein (Seibold, 2021).

Abbau rechtlicher Beschäftigungshürden nach Erreichen des Renteneintrittsalters

In Deutschland erlaubt die Gesetzeslage, schon vor Erreichen des Regelrentenalters in Rente zu gehen. Genauso ist es erlaubt, über dieses Alter hinaus zu arbeiten. Abschläge und Zuschläge sind so beschaffen, dass sie aus Sicht der Rentenversicherung annähernd finanzierungsneutral sind. Der Hinzuverdienst zur regulären Altersrente ist unbegrenzt möglich, ohne dass dieser auf die Rente angerechnet wird. Auf verschiedene Weise kann ein gleitender Übergang in die Rentenphase gestaltet werden. Seit 2023 gilt bei vorgezogener Rente keine Hinzuverdienstgrenze mehr. Dadurch kann etwa eine vorgezogene Rente ohne Anrechnung mit einer Teilzeitarbeit kombiniert werden. Auf den ersten Blick stellt das Regulatorium damit keine großen Hindernisse für den Erwerb von Menschen im Rentenalter auf. Dennoch ist die Erwerbsbeteiligung der Über-65-Jährigen in Deutschland im internationalen Vergleich niedrig. Entscheidend hierfür dürften Kündigungsschutz und die Schwierigkeit der Befristung von Arbeitsverhältnissen sein.

Reguläre Arbeitsverträge laufen üblicherweise mit dem Erreichen des Regelrentenalters aus. Möchten Arbeitnehmer und Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis über diesen Zeitpunkt hinaus fortführen, können Arbeitnehmer und Arbeitgeber während des Beschäftigungsverhältnisses vereinbaren, den Beendigungszeitpunkt zu verschieben (§ 841 S. 3 SGB VI). Das Beschäftigungsverhältnis ist dann bis zu diesem Zeitpunkt befristet. Diese Befristung ist bei Neueinstellung von Arbeitnehmern im Rentenalter hingegen verwehrt. Hier gelten die üblichen Anforderungen an die Befristung von Arbeitsverhältnissen. Dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber sich auf eine befristete Beschäftigung einigen, reicht also nicht aus. Zudem gelten dieselben Kündigungsschutzregeln wie vor Erreichen des Rentenalters. Für Arbeitgeber bedeutet die Neubeschäftigung einer Person jenseits des Rentenalters damit das Risiko, auch dann an den Arbeitnehmer gebunden zu sein, wenn seine Produktivität altersbedingt deutlich abnimmt. Die Frage liegt auf der Hand: Warum erschwert der Gesetzgeber eine Beschäftigung über das Renteneintrittsalter hinaus insbesondere für die, die nach einer kurzen Zeit in Rente zu ihrem Arbeitgeber zurückkehren wollen oder bei einem anderen Arbeitgeber einen Neuanfang wagen möchten?

Zwei Reformansätze bieten sich an. Erstens könnte die sachgrundlose Befristung für Arbeitnehmer über dem Regelrenteneintrittsalter ermöglicht werden. Zweitens könnte der Kündigungsschutz für Arbeitnehmer ab diesem Alter aufgehoben werden. Die zweite Regelung besteht beispielsweise in Schweden, wo die Erwerbsbeteiligung Älterer deutlich über der in Deutschland liegt. Im Gegensatz zu Deutschland laufen Arbeitsverträge dort üblicherweise nicht mit dem Erreichen des Regelrentenalters aus. Dafür erlischt ab diesem Zeitpunkt der Kündigungsschutz vollends. Ähnlich wie in Deutschland gibt es Abschläge und Zuschläge für Früh- und Spätverrentung. Sie betragen 0,5 % und 0,7 % pro Monat, sind in Schweden also etwas höher (Laun & Palme, 2023). In Schweden schieden im Jahr 2019 8 % der Arbeitnehmer, die das 67. Lebensjahr vollendeten, wegen des Auslaufens des Kündigungsschutzes aus dem Arbeitsleben aus (Saez et al., 2023). In Deutschland ist diese Rate deutlich höher und 29 % der Beendigungen von Arbeitsverhältnissen von über 55-Jährigen finden genau im Monat des Erreichens eines Alters-Schwellenwerts des Rentensystems statt (Seibold, 2021).

Ein gesetzlicher Kündigungsschutz kann für Arbeitnehmer Vorteile bedeuten – insbesondere dann, wenn die Absicherung durch die Sozialversicherungen schwach ist. Dagegen abzuwägen ist das mögliche Beschäftigungshemmnis Kündigungsschutz. Ein Vergleich älterer und jüngerer Arbeitnehmer hinsichtlich dieser beiden Aspekte zeigt in eine Richtung: Ältere Arbeitnehmer sind durch die Rente allgemein stärker abgesichert als jüngere. Gleichzeitig dürfte Kündigungsschutz bei Arbeitnehmern jenseits des Rentenalters ein stärkeres Beschäftigungshemmnis darstellen. Der Befund ist damit eindeutig: Viel spricht für eine Lockerung des Kündigungsschutzes bzw. den Abbau von Hürden für die befristete Anstellung von Arbeitnehmern jenseits des Rentenalters. Dieser weitgehend kostenlose Schritt des Bürokratieabbaus war auch in der Wachstumsinitiative der Bundesregierung vom Sommer 2024 enthalten und sollte von der nächsten Bundesregierung dringend gewagt werden.

Der Artikel basiert auf einem Gutachten, das im Auftrag der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit erarbeitet wurde.

  • 1 Diese Regel gilt nur eingeschränkt, wenn die Versicherungsnehmer die Funktionsweise des Sozialversicherungssystems falsch wahrnehmen oder liquiditätsbeschränkt sind.
  • 2 Ist die Lebenserwartung mit 65 Jahren geringer als für das Rechenbeispiel angenommen – das gilt etwa für Männer – fällt der neutrale Abschlag bzw. Zuschlag nochmals höher aus. Allerdings müsste auch die monatliche Rente bei Renteneintritt zum Regeleintrittsalter höher ausfallen. Ein weiterer Aspekt ist die Hinterbliebenenrente, die mittels einer höheren angenommenen „erweiterten Lebenserwartung“ für Verheiratete berücksichtigt werden kann.
  • 3 Dolls und Krolage (2023) zeigen, dass geringere Steuereinnahmen etwa die Hälfte der Kosten der „Rente mit 63“ ausmachen. Auch bei der Arbeitslosenversicherung ist der Einfluss von Arbeitsangebotsreaktionen auf die Steuereinnahmen für die Wohlfahrtswirkung von Reformen häufig wichtiger als der Effekt auf die Einnahmen und Ausgaben der Arbeitslosenversicherung selbst (Schmieder & von Wachter, 2016; Lawson, 2017; Jessen et al., 2025).
  • 4 Wenn frühe Erwerbsminderung besonders häufig bei bestimmten Berufsgruppen auftritt, subventioniert das Rentensystem damit diese Berufe, sodass sie ineffizient häufig ausgeübt werden. Dies könnte leicht verhindert werden. Ähnlich wie in der Unfallversicherung, deren Beitragshöhe von der Unfallgefahr abhängt, könnte der Beitragssatz des Arbeitgebers von der Erwerbsminderungsgefahr abhängen.

Literatur

Börsch-Supan, A., Coppola, M. & Rausch, J. (2015). Die „Rente mit 63“: Wer sind die Begünstigten? Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 16(3), 264–288.

Clemens, J. (2004). Versicherungsmathematisch „faire“ Abschläge bei vorzeitigem Renteneintritt. Wirtschaftsdienst, 84(3), 161–165.

Destatis. (2025). Lebenserwartung, Sterbetafel.

Deutsche Bundesbank. (2022). Rentenversicherung: Langfristszenarien und Reformoptionen. Deutsche Bundesbank Monatsbericht, 74(6), 49–64.

Dolls, M. & Krolage, C. (2023). ‘Earned, not given’? The effect of lowering the full retirement age on retirement decisions. Journal of Public Economics, 223, 104909.

Jessen, J., Jessen, R., Johnston, A. C. & Gałecka-Burdziak, E. (2025). Moral Hazard among the Employed: Evidence from Regression Discontinuity. National Bureau of Economic Research Working Papers, Nr. w33450.

Laun, L. & Palme, M. (2023). Pension reform, incentives to retire and retirement behavior: empirical evidence from Swedish micro-data. National Bureau of Economic Research Working Papers, Nr. w31800.

Lawson, N. (2017). Fiscal externalities and optimal unemployment insurance. American Economic Journal: Economic Policy, 9(4), 281–312.

OECD. (2024). OECD Data Explorer.

Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose. (2024). Deutsche Wirtschaft im Umbruch – Konjunktur und Wachstum schwach. Gemeinschaftsdiagnose Herbst 2024.

Rogerson, R. (2024). Why Labor Supply Matters for Macroeconomics. Journal of Economic Perspectives, 38(2), 137–158.

Saez, E., Schoefer, B. & Seim, D. G. (2023). Deadwood Labor: The Effects of Eliminating Employment Protection. National Bureau of Economic Research Working Papers, Nr. w31797.

Schmieder, J. F. & von Wachter, T. (2016). The effects of unemployment insurance benefits: New evidence and interpretation. Annual Review of Economics, 8(1), 547–581.

Seibold, A. (2021). Reference points for retirement behavior: Evidence from german pension discontinuities. American Economic Review, 111(4), 1126–1165.

SVR – Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. (2023). Wachstumsschwäche überwinden – In die Zukunft investieren. Jahresgutachten 2023/24.

Title:Increasing the Labour Force Participation of Older People

Abstract:The labour force participation rate of the population over the age of 65 in Germany is well below the average of OECD countries. The following measures would be conceivable to increase the labour force participation of older people: an increase in the deductions and supplements for retiring before or after the standard retirement age, the abolition of the deduction-free pension after 45 years of contributions, the abolition of unequal treatment of working pensioners in the social insurance system and an increase in the statutory retirement age. These measures would probably significantly increase the labour supply of older people. These measures also appear necessary from a distributional perspective. Nevertheless, some population groups would lose out. One measure that could significantly increase the number of older people in employment without producing losers is the removal of legal barriers to employment after reaching retirement age. The next federal government is urgently advised to do this.

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© Der/die Autor:in 2025

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DOI: 10.2478/wd-2025-0075