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Bei ihrer Gründung 1889 dominierte in der Gesetzlichen Rentenversicherung das Ziel, Armut bei Invalidität und im Alter zu lindern. Dies wurde erst 1957 mit der großen Rentenreform anders. Seitdem dienen Renten nicht mehr nur als Zuschuss zur Finanzierung des Lebensunterhalts, sondern als Lohnersatz. Seit der Jahrtausendwende haben verschiedene Reformen den Weg zurück zur Rente als Zuschuss vorgezeichnet.

Ende März 2012 legte das Bundesarbeitsministerium den Referentenentwurf für ein Gesetz vor,1 mit dem der Umbau der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV), der insbesondere nach der Jahrtausendwende durch einen grundlegenden „Paradigmenwechsel“ eingeleitet worden war, weiter vorangetrieben wird. In der nun mehr als 120 Jahre umschließenden Geschichte der GRV ist dies allerdings nicht das erste Mal, dass wichtige Richtungsentscheidungen erfolgten. Politische, ökonomische, demographische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen änderten sich im Zeitablauf immer wieder und führten auch zu Änderungen in der GRV. Manche davon können geradezu als Weichenstellungen bezeichnet werden. Auf einige wird nachfolgend hingewiesen, auch um die jetzt in Deutschland verfolgte Alterssicherungspolitik einzuordnen – primär gemessen an ihren Wirkungen und nicht so sehr an ihrer offiziellen Darstellung.

Von zentraler Bedeutung ist, welche Ziele durch das Alterssicherungssystem, vor allem durch staatliche Einrichtungen und Maßnahmen zur Altersvorsorge und Absicherung im Alter, angestrebt und realisiert werden. Hier steht in Deutschland seit rund 120 Jahren die GRV im Zentrum, weshalb auch der Blick in diesem Beitrag vor allem auf sie gerichtet ist.2 Geht es in der GRV primär um die Vermeidung von (Einkommens-)Armut im Alter oder um eine Absicherung im Alter, die am früheren Einkommen orientiert ist und eine Verstetigung der Einkommens- (bzw. Konsum-)entwicklung im Lebensablauf anstrebt?

Wie es begann

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde immer deutlicher, dass die bislang vorhandenen Institutionen zur Absicherung im Falle von Invalidität und Alter – also vor allem Kirchen, Kommunen, Zünfte, Betriebe und der Familienverband – Armut nur unzureichend lindern konnten und hier eine wichtige (gesamt-)staatliche soziale Aufgabe zu bewältigen war, die dann im 1871 neugegründeten Kaiserreich zur Einführung der Sozialversicherung führte, was auch international gesehen eine Pionierleistung war. Angekündigt am 17. November 1881 in der von Reichskanzler Bismarck verlesenen sogenannten „Kaiserlichen Botschaft“ trat 1891 das Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetz als dritter Zweig der Sozialversicherung in Kraft. Es war 1889 im Reichstag (mit relativ knapper Mehrheit) beschlossen worden und bildet den Grundstein für die heute noch existierende GRV.

Mit dem Gesetz von 1889 wurden Weichenstellungen vorgenommen, die bis in die Gegenwart fortwirken: Das Versicherungskonzept (mit Beiträgen als Vorbedingung für Leistungen) war bereits 1883 für die gesetzliche Kranken- und 1884 für die gesetzliche Unfallversicherung umgesetzt worden und für die Rentenversicherung kaum mehr umstritten. Allerdings präferierte Bismarck hier lange Zeit eine einheitlich hohe steuerfinanzierte Staatsbürgerversorgung, setzte sich aber schließlich dennoch nachdrücklich für die Einführung der sozialen Rentenversicherung ein.3 Mit dem Gesetz wurde eine Pflichtvorsorge im Rahmen der Sozial- und nicht der Privatversicherung eingeführt. Pflichtversichert wurden nicht nur Arbeiter im gewerblichen und landwirtschaftlichen Bereich (und zwar unabhängig von der Höhe ihres Lohnes), sondern unter anderem auch „kleinere Betriebsbeamte“, d.h. Angestellte. „Kleine Selbständige“ waren zur Versicherung berechtigt, aber nicht einbezogen.

Die Leistungen waren zunächst primär auf den Fall der Erwerbsunfähigkeit (Invalidität) zugeschnitten. Ab dem 70. Lebensjahr wurde Erwerbsunfähigkeit unterstellt; zur „Regelaltersgrenze“ von 65 Jahren kam es erst 20 Jahre später (1911), zuerst in der inzwischen neu geschaffenen gesonderten Angestelltenversicherung und 1916 auch für Arbeiter. Hinterbliebenenrenten, die 1889 aus fiskalischen Gründen ausgeklammert blieben, wurden 1911 sowohl Teil der Angestelltenversicherung als auch der Arbeiterrentenversicherung. In der Gründungsphase der GRV dominierte eindeutig das Ziel, Armut im Alter zumindest zu lindern, übrigens vor allem auch, um Kommunen bei der Armenhilfe zu entlasten. Renten waren angesichts ihrer geringen Höhe zumeist nur ein Zuschuss zum Lebensunterhalt, der vielfach durch Erwerbstätigkeit oder Familienunterstützung und zu einem beträchtlichen Anteil weiterhin durch Armenfürsorge ergänzt werden musste. Auch wenn die Leistungshöhe unzureichend war, so werde diese Form der Armenunterstützung „wenigstens ohne entehrende Bedingungen“ gezahlt (so seinerzeit der Nationalökonom Lujo Brentano).

Die Rente basierte auf einem einheitlichen, also einkommensunabhängigen Grundbetrag, ergänzt durch einen Steigerungsbetrag. Dieser war abhängig von der Versicherungsdauer und dem absoluten Betrag des Nominallohnes in den einzelnen Versicherungsjahren. Allerdings war der Bezug zum Lohn in dieser Rentenformel nur schwach ausgeprägt, zumal die Berechnung des Steigerungsbetrags zunächst nicht auf dem individuellen Lohn basierte, sondern auf der absoluten Höhe eines Durchschnittslohns innerhalb von (zuerst nur vier) Lohnklassen, in denen sich der Versicherten in den einzelnen Jahren seiner Beschäftigung befand. Das Rentenversicherungssystem war von seiner Konzeption her statisch: So spielte bei der Erstberechnung der Rente das aktuelle Lohnniveau keine Rolle, und von einer Anpassung der individuellen Renten an Löhne oder Preise („Dynamisierung“) während der Rentenlaufzeit war damals noch keine Rede.4 Die Struktur dieser Rentenformel blieb in der Bundesrepublik bis zur Rentenreform von 1957 (also fast 70 Jahre) erhalten, in der DDR sogar rund 100 Jahre. Dort wurde sie erst im Sommer 1990 durch das westdeutsche Rentenrecht abgelöst, zeitgleich mit der Einführung der D-Mark in der DDR.

Die Finanzierung der GRV erfolgte seit Anbeginn zum einen aus dem Sozialversicherungsbeitrag, mit gleich hohem Beitragssatz für Männer und Frauen, von Arbeitnehmer und Arbeitgeber je zur Hälfte gezahlt. Die zweite wichtige Einnahmequelle der Sozialversicherung war ein (steuerfinanzierter) Reichszuschuss. Er konnte erstmals in der GRV durchgesetzt werden, im Unterschied zur Kranken- und Unfallversicherung. Der Reichszuschuss wurde als einheitlicher Betrag pro Rentenfall festgesetzt, nicht aber – wie zunächst vorgesehen – als ein Prozentsatz der Rentenausgaben (womit ursprünglich eine Drittelparität in der Finanzierung zwischen Reich, Arbeitnehmern und Arbeitgebern angestrebt war). Der einheitliche Grundbetrag und der pro Rente einheitliche Reichszuschuss bewirkten ein hohes Maß an interpersoneller Einkommensumverteilung bei zugleich niedrigem Leistungsniveau.

Bereits seinerzeit wurde intensiv über das Finanzierungsverfahren diskutiert, also Umlageverfahren oder vorherige Kapitalansammlung5 und parallel dazu über die Träger der Versicherung – Staat oder Privatwirtschaft. Bismarck wandte sich entschieden gegen eine privatwirtschaftlich organisierte und kapitalbasierte Finanzierung bei der Absicherung von sozialen Risiken. Man könne, so Bismarck, doch „den Sparpfennig der Armen“ nicht „dem Konkurse aussetzen“ oder gestatten, „daß ein Abzug von den Beiträgen als Dividende und zur Verzinsung von Aktien gezahlt würde…“.6 Gegen die Umlagefinanzierung wurde bereits seinerzeit eingewandt, hierdurch werde die Zukunft zugunsten der Gegenwart belastet – also zulasten junger bzw. künftiger „Generationen“, wie dies auch heute immer wieder unter dem Stichwort der „Generationengerechtigkeit“ betont wird. Bismarcks Gegenargument lautete, dass man sich bei einer vorherigen Kapitalansammlung der Möglichkeit beraube (oder sie zumindest stark einschränke), Leistungen bereits in der Gegenwart einzuführen oder sie zu verbessern.7 Dieses Argument sollte in Deutschland – nach zwei Weltkriegen und Inflationen sowie im Zusammenhang mit der deutschen Vereinigung – immer wieder politische Entscheidungen mitprägen.

Die Rentenreform von 1957 in der Bundesrepublik

Nach Kaiserreich, Erstem Weltkrieg, Weimarer Republik, NS-Diktatur, Zweitem Weltkrieg und der Teilung Deutschlands erfolgte in der Bundesrepublik ein fundamentaler Paradigmenwechsel in der Alterssicherungspolitik. Zwar gab es wie unter anderem schon in der Zeit des Nationalsozialismus auch nach dem Zweiten Weltkrieg intensive Bestrebungen, statt der Sozialversicherung eine Staatsbürgerrente zu schaffen. Doch setzten sich schließlich die Anhänger der Sozialversicherungslösung durch.8 Als der Deutsche Bundestag im Januar 1957 mit überwältigender Mehrheit eine tief greifende Reform der GRV beschloss, wurde ein neues Kapitel der deutschen Alterssicherungspolitik aufgeschlagen, da es zu einem grundlegenden Wechsel in Zielsetzung und Konzeption der GRV kam. Grund dafür waren die als unzulänglich angesehenen Leistungen der GRV und zugleich ein weitverbreiteter Wandel in den Vorstellungen über die Aufgaben staatlicher Alterssicherungspolitik.

Das konzeptionell Neue des Gesetzes bestand darin, dass die Renten nicht mehr ein „Zuschuss“ zur Finanzierung des Lebensunterhalts im Alter sein sollten, sondern „Lohnersatz“. Dies erforderte sowohl eine Anhebung des Leistungsniveaus als auch eine Berücksichtigung der Lohnentwicklung, und zwar sowohl im Zeitraum bis zur erstmaligen Berechnung der Rente als auch während der Rentenlaufzeit. Die Grundvorstellung war, Rentner sollen in Zukunft regelmäßig mit ihrer gesetzlichen Rente an der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung teilhaben. Realisiert wurde dies durch eine neue Rentenformel. Danach sollte die Rente ausschließlich auf einem Steigerungsbetrag beruhen, der einheitliche Grundbetrag entfiel. Bei der Erstberechnung war die Höhe der Rente auch nicht mehr von den absoluten Beträgen der früher bezogenen Nominallöhne abhängig, sondern insbesondere von

  • der relativen Lohnposition der Versicherten (d.h. der Relation zwischen dem individuellen Bruttoentgelt und dem durchschnittlichen Bruttoentgelt aller Versicherten), die während aller Jahre der Erwerbstätigkeit im Durchschnitt des Erwerbslebens erreicht wurde (so auch heute noch9),
  • der Versicherungsdauer (wie auch heute noch) sowie
  • einem gegenwartsnahen Niveau des durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgelts aller Versicherten, der sogenannten „allgemeinen Bemessungsgrundlage“, die – wenn auch nur zeitverzögert – der aktuellen Lohnentwicklung folgte.

Im Regierungsentwurf des Reformgesetzes wurde seinerzeit als eine Zielvorstellung formuliert, „daß der Versicherte als Rentner unter Berücksichtigung verminderter Bedürfnisse den Lebensstandard aufrechterhalten kann, den er im Durchschnitt seines Arbeitslebens“ hatte. Dies war – bei den in der Rentenformel vorgesehenen Parameterwerten – jedoch durch die GRV allein nicht erreichbar, da für die Rentenhöhe schließlich nicht der aktuelle Durchschnittslohn, sondern die (niedrigere) „allgemeine Bemessungsgrundlage“ maßgebend wurde.10 Dass somit das Ziel einer „Lebensstandardsicherung“ allein durch die GRV nicht erreicht werden konnte, wurde seinerzeit klar gesehen.11 Dennoch wurde in der politischen Diskussion im weiteren Verlauf die „Lebensstandardsicherung“ als Grundprinzip der GRV hervorgehoben.

Durch die Reform von 1957 stiegen Arbeiterrenten im Durchschnitt um rund 65%, Angestelltenrenten um rund 72%. Der höhere Finanzbedarf wurde durch eine Anhebung des Beitragssatzes von 11% auf 14% und einen Bundeszuschuss gedeckt, der nun als Pauschalbetrag festgesetzt wurde. Dieser lag zu Beginn bei etwa einem Drittel der Ausgaben der GRV. Da der Bundeszuschuss aber nicht an die Ausgabenentwicklung der GRV gekoppelt wurde, sondern (über die „allgemeine Bemessungsgrundlage“) an die Lohnentwicklung, wirkten sich z.B. demographisch bedingte Erhöhungen der Rentenausgaben nicht auf die Entwicklung der Bundeszahlungen aus, so dass deren Anteil an den Rentenausgaben nahezu kontinuierlich sank. Dass der Beitragssatz von 14% – angesichts der Alterung der Bevölkerung (Stichwort: „Rentenberg“) – später nicht mehr ausreichen würde, war seinerzeit im Prinzip unumstritten.
Durch die Erhöhung des Leistungsniveaus wie auch die Anpassung an die Lohnentwicklung hat die GRV im Zeitablauf maßgeblich dazu beigetragen, dass Altersarmut in der Bundesrepublik zunehmend an Bedeutung verlor.

Die Rentenreform des Jahres 1957 realisierte den Grundgedanken, dass die Älteren nach Ausscheiden aus dem Erwerbsleben an der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung – genauer: der Lohnentwicklung – teilhaben sollen. Zugleich wurde ein relativ enger Bezug zwischen der Höhe der Vorleistung, also dem Beitrag, und der Höhe der späteren Gegenleistung, der Rente, realisiert. Damit stellt für den Einzelnen die Beitragszahlung zur GRV – unbeschadet der Frage, ob diese in einem umlagefinanzierten oder kapitalfundierten System erfolgt – ein Element der Eigenvorsorge dar, was bis heute viele Ökonomen, die sich für mehr private Vorsorge einsetzen, nicht wahrhaben wollen. Eigenvorsorge erfolgt also nicht nur durch private Versicherung oder durch privates Sparen, sondern auch durch Beiträge zu einem (umlagefinanzierten) Sozialversicherungssystem mit enger Verknüpfung zwischen Beitrag und Rente.

1989 – auch für die GRV ein wichtiges Jahr

Immer wieder – insbesondere mit Blick auf Folgen der demographischen Entwicklung – wurde in Wissenschaft und Politik intensiv über die längerfristige Entwicklung der Alterssicherung diskutiert. Noch in den 1980er Jahren dominierte politisch die Vorstellung, dass es um eine „Reform im System“ gehen soll und nicht um eine „Reform des Systems“.12

Für Arbeitnehmer war im Zeitablauf die direkte Abgabenbelastung erheblich stärker gestiegen als für Rentner. Insbesondere wurden die Renten zumeist nicht durch die Einkommensteuer belastet. Folge: die Nettorenten näherten sich im Zeitablauf den Nettolöhnen immer mehr an, was ja auch politisch gewollt war. Doch inzwischen wurde der Grundsatz einer „gleichgewichtigen Entwicklung“ von Nettorenten und Nettoarbeitsentgelten weitgehend akzeptiert. Er wurde systematisch umgesetzt in einem Reformgesetz, das am wahrlich historischen 9. November 1989 im Bundestag beschlossen wurde – nur knapp eine Stunde vor Bekanntwerden der Öffnung der Berliner Mauer. Das Gesetz sollte 1992 in Kraft treten.13 Die in dem Gesetz verankerte Konzeption wurde wenige Monate später zur Blaupause für die Umgestaltung des Rentensystems in der DDR und die Integration Ostdeutschlands in das für den Westen geschaffene System – ein wichtiger Einschnitt in der nun wieder gesamt-deutschen Alterssicherungspolitik.14

Für die GRV sollte mit dem Gesetz ein Regelmechanismus geschaffen werden, bei dem die Finanzierung die abhängige Variable einer „ausgabenorientierten Einnahmepolitik“ ist. Das Gesetz enthielt eine explizite verteilungspolitische Zielvorstellung, indem Rentner in Zukunft – je nach Höhe ihrer Rentenansprüche – stets einen bestimmten Prozentsatz des jeweiligen aktuellen durchschnittlichen Nettoarbeitsentgelts erhalten sollten. Beispielsweise sollte eine sogenannte „Eckrente“ – der 45 Entgeltpunkte15 zugrunde liegen – 70% des jeweiligen aktuellen durchschnittlichen Nettoarbeitsentgelts erreichen. Mit der neuen (Netto-)Anpassungsformel sollte erreicht werden, dass die Relation von Rente zum durchschnittlichen Nettolohn (also das Nettorentenniveau) im Zeitablauf konstant bleibt, da der Anpassungssatz der Renten der Veränderung des durchschnittlichen Nettoarbeitsentgelts entspricht.16 Dies charakterisierte die GRV eindeutig als ein leistungsdefiniertes Rentensystem, das zudem stark dem Vorsorgegedanken verpflichtet war und – wie bisher – durch (überwiegend freiwillige) betriebliche und private Alterssicherung ergänzt werden sollte. Bei den Entscheidungen im Jahre 1989 wurde weitgehend an dem Grundkonzept der „großen“ Rentenreform von 1957 festgehalten. Dies änderte sich jedoch grundlegend um die Jahrtausendwende.

Ein neuerlicher „Paradigmenwechsel“

Ab Mitte der 1990er Jahre intensivierte sich die Kritik an der umlagefinanzierten Rentenversicherung. Sie wurde angesichts der künftigen demographischen Entwicklung als „tickende Zeitbombe“ charakterisiert, steigende Beiträge würden die Lohnnebenkosten nach oben treiben, was angesichts der Globalisierung negativ für die Wettbewerbssituation der heimischen Wirtschaft und damit die Beschäftigung sei. Außerdem sollte der Finanzplatz Deutschland durch Deregulierung gefördert, mehr Mittel der Altersvorsorge sollten über den Kapitalmarkt gelenkt werden. Angst vor einer künftigen Krise wurde geschürt, das Vertrauen in die GRV systematisch untergraben, die kapitalmarktabhängige Altersvorsorge als Ausweg gepriesen. Der Boden wurde bereitet für eine Demontage der umlagefinanzierten GRV, zumal sie „nach dem Vorsorgeprinzip primitiver Gesellschaften“ funktioniere17 und die Umlagefinanzierung jenseits der Finanzierung von „Klassenausflügen und Kegelabenden“ so gut wie nie eine intelligente Lösung sei.18 Da all das in den Medien weitgehend unwidersprochen blieb, wurde es zunehmend von der Bevölkerung als wahr hingenommen. Zunehmender Vertrauensverlust in die GRV war die Folge sowohl im Hinblick auf die ökonomische Tragfähigkeit des Konzepts („es stehe vor dem Zusammenbruch“ usw.) als auch hinsichtlich der Leistungen für die Versicherten („Rente könne nur noch eine Basissicherung sein“ usw.).

Das Schüren von Zukunftsangst bereitete in der Bevölkerung den Boden für die tief greifende Änderungen, die nach dem 1998 erfolgten Regierungswechsel realisiert wurden. An diesem Untergraben des Vertrauens beteiligten sich über die Jahre hin nicht nur Interessenvertreter und viele Wissenschaftler (in erster Linie Ökonomen19 ), sondern auch Politiker, nicht allein der amtierende Arbeits- und Sozialminister Riester, sondern auch der damalige Bundeskanzler Schröder. Die weitgehend einseitige Berichterstattung in den Medien verschaffte die entsprechende Breitenwirkung.20 Dieser Vertrauensverlust in die GRV – insbesondere bei jüngeren Menschen – gehört zu den Langfristwirkungen, die sich nur mühsam werden korrigieren lassen.

Die „neue deutsche Alterssicherungspolitik“

Ein Paradigmenwechsel in der Alterssicherungspolitik wurde politisch vor allem durch parlamentarische Entscheidungen im Jahre 2001 umgesetzt und in den Folgejahren weiter vorangetrieben. Kernelemente dieser Politikstrategie waren – und sind bis heute – vor allem:

  1. Die Dominanz des Ziels der Beitragssatzstabilität für die GRV, also nun eine einnahmeorientierte Ausgabenpolitik und damit eine weitgehende Abkehr von einem Leistungsziel. Die Begrenzung und Stabilisierung des „Beitragssatzes“ bezieht sich allerdings allein auf die GRV, nicht jedoch auf die Höhe der Vorsorgebeiträge, die für private Haushalte insgesamt erforderlich wären, wenn sie das bisherige (in der GRV realisierte) Sicherungsniveau erhalten wollten. Die gesamten Vorsorgebeiträge müssen, um das Sicherungsniveau unter den neuen Bedingungen zu realisieren, unmittelbar deutlich steigen, und zwar über das Maß hinaus, das für dieses Leistungsniveau in der GRV sonst erforderlich wäre.21
  2. Das Abkoppeln der GRV-Renten von der Lohnentwicklung. Erreicht wird dies insbesondere durch verschiedene „Faktoren“, die in die Rentenformel eingebaut wurden (so zunächst der sogenannte „Riester-“, dann unter anderem der „Nachhaltigkeitsfaktor“), aber auch durch die beitragsbefreite „Entgeltumwandlung“, die gleichfalls über die Rentenformel Rückwirkungen auf das GRV-Leistungsniveau entfaltet.22 Dadurch bleiben die Renten tendenziell immer weiter hinter der allgemeinen Lohn- und Einkommensentwicklung zurück und verlieren an Realwert, wenn die Inflationsrate die sich aus der Rentenformel ergebende Erhöhung der Bruttorenten – und mehr noch die der Nettorenten – übersteigt. Dabei weist der allgemeine Verbraucherpreisindex für Altenhaushalte den Kaufkraftverlust wohl zu gering aus.
  3. Der Ersatz eines Teils der umlagefinanzierten Alterssicherung durch (aus öffentlichen Mitteln geförderte) kapitalmarktabhängige Alterssicherung. Betriebliche und private Alterssicherung dienen nicht mehr – wie zuvor – primär der Ergänzung der umlagefinanzierten Alterssicherung, sondern sollen die Leistungseinschränkungen in der GRV kompensieren. Mittel der Altersvorsorge sollen folglich zunehmend auf Kapitalmärkte strömen.

Es war zwar keine formelle große Koalition, die die 2001 beschlossene und 2002 in Kraft getretene Richtungsentscheidung unterstützte, doch nicht allein die Regierungsparteien SPD und Grüne waren fast einstimmig dafür, sondern inhaltlich stimmten auch CDU und FDP (sowie Arbeitgeberverbände) durchaus einer zentralen Grundentscheidung zu: Senkung des Leistungsniveaus der GRV, ersetzt durch geförderte private und/oder betriebliche Vorsorge. Die Haltung der Gewerkschaften war zwar nicht einheitlich, doch wurde schließlich der Umsetzung des Gesetzespakets nichts mehr in den Weg gelegt. Durch nachfolgende Gesetze im Jahre 2004 zur Neuregelung der Besteuerung von Alterseinkünften sowie zur (fiskalischen) „Nachhaltigkeit“ setzte die „rot-grüne“ Koalition in ihrer zweiten Regierungsperiode den eingeschlagenen Weg fort und verstärkte die damit verbundenen Effekte. Auch in der dann (formell) „großen Koalition“ aus CDU/CSU und SPD wie auch der anschließend regierenden Koalition aus CDU/CSU und FDP wurde und wird der Weg weiter beschritten, obgleich inzwischen klar ist, dass die 2001 von Minister Riester mit Stolz verkündete und von Bundeskanzler Schröder bestätigte Aussage: „Jede Rentnerin und jeder Rentner wird jetzt und in Zukunft mehr Renten erhalten als nach altem Recht“, mit der Realität wenig zu tun hat, denn zu den eindeutigen Gewinnern zählen nicht etwa alle Rentner, sondern die Finanzbranche. Das war ja auch gewollt: „Wenn der Bürger jedes Jahr einmal“ mit der inzwischen eingeführten regelmäßigen Renteninformation der GRV „die Bilanz bekommt, mit der Perspektive seiner Altersrente“, so Riester 2001 bei Vermögensberatern, „das wirkt mehr wie manche Werbekampagne“.

Sozial- und verteilungspolitische Folgen des „Paradigmenwechsels“

Viele jetzige und vor allem auch künftige Rentner (d.h. diejenigen, die heute noch zu den jüngere Erwerbstätigen zählen) werden zu den Verlierern des politisch eingeschlagenen Weges gehören. Wie schon erwähnt, müssen die Privathaushalte insgesamt – als GRV-Beitrag sowie als zum Erhalt des Absicherungsniveaus erforderliche private Vorsorge – sofort und für lange Zeit mehr aufwenden, als dies bei gleichem Sicherungsniveau allein durch den Beitrag zur GRV der Fall wäre. Daran ändert auch die Subventionierung der Privatvorsorge und/oder der Entgeltumwandlung nichts, zumal diese Förderung nicht allen zugutekommt und – was häufig vergessen wird – ja auch finanziert werden muss, sei es durch höhere Abgaben und/oder durch Leistungsminderungen. „Riester-Rente“ und Entgeltumwandlung dienen dazu, das Leistungsniveau der GRV zu senken, und zwar für alle, unabhängig davon, ob sie von den geförderten Formen der privaten oder betrieblich organisierten Vorsorge profitieren. Zugleich verschiebt sich – wie auch in der Krankenversicherung – die Verteilung der Zahllasten zugunsten der Arbeitgeber und zulasten der Versicherten.

Zudem wird die Einkommensverteilung im Alter immer ungleicher. Dafür gibt es viele Gründe. Zu ihnen zählt nicht nur, dass in der Beschäftigungsphase die Verteilung der Erwerbseinkommen ungleicher wird, sondern auch, dass die in der GRV angelegten Ausgleichselemente – z.B. für Phasen von Arbeitslosigkeit oder Kindererziehung – durch das reduzierte Leistungsniveau an Bedeutung verlieren. Bei privater Vorsorge können zudem die erzielbaren Netto-Renditen erheblich divergieren. Hierfür spielen auch Kenntnisse und Möglichkeiten der Haushalte je nach Einkommenslage eine Rolle. Das alles trägt – neben unterschiedlicher Vorsorgefähigkeit und Vorsorgebereitschaft und dem deutlich unterschiedlichen Deckungsgrad und Niveau privater und betrieblicher Absicherung in Abhängigkeit von Einkommenslage, Geschlecht und Branche – zu steigender Einkommensungleichheit bei.23 Auch wird darauf hingewiesen, dass insbesondere die steuerliche Förderung dazu führt, dass die Rentenreform von 2001 vor allem mittlere und höhere Einkommen begünstigt.24 Bekannt ist aus der Vergangenheit, dass höhere GRV-Renten tendenziell häufiger mit höheren Betriebsrenten zusammentreffen. Dies dürfte auch bei der geförderten Privatvorsorge der Fall sein, so dass dies ein weiteres Element steigender Einkommensungleichheit im Alter ist.

Selbst bei überaus optimistischen Annahmen (z.B. durchgängiger Erwerbsbeteiligung und voller Ausschöpfung der Förderung) werden künftig vielfach die Nettoalterseinkünfte unter denen liegen, die ohne die jetzigen Reformmaßnahmen erreicht worden wären.25 Dazu trägt zum einen die höhere Besteuerung von Alterseinkünften bei (mit einem während der Rentnerphase in seiner absoluten Höhe unverändert bleibendem Rentenfreibetrag) wie auch die Tatsache, dass Privatrenten in der Regel nicht dynamisiert sind – was bislang in der sozialpolitischen Diskussion immer noch wenig Beachtung findet.26

Angesichts dieser Weichenstellungen werden während der Rentenlaufzeit die (gesamten) Alterseinkünfte zunehmend im Vergleich zur allgemeinen Einkommenslage zurückbleiben und Kaufkraftverluste eintreten, wie bereits im ersten Jahrzehnt nach den Reformentscheidungen zu sehen war.27 Demgegenüber steigen vor allem im höheren Alter tendenziell Ausgaben und Einkommensbedarf insbesondere bei Krankheit und Pflegebedürftigkeit, während die Alterseinkünfte damit nicht Schritt halten. Im Zusammenspiel mit den Veränderungen in der Alterssicherung droht insbesondere auch Pflegebedürftigen zunehmend die Gefahr der Sozialhilfeabhängigkeit, die ja gerade durch die Einführung der Pflegeversicherung weithin abgewendet werden sollte. Diese Gefahr steigt aber nicht etwa nur für Pflegebedürftige, sondern ist ein generelles Phänomen, für das viele Faktoren von Bedeutung sind, vor allem auch das sinkende Leistungsniveau in der GRV und dass
vielfach während des Erwerbslebens nur noch geringere GRV-Ansprüche erreichbar sind.

Leistungsniveau der GRV

Während der Gesetzgeber in dem am 9. November 1989 beschlossenen „RRG 1992“ davon ausging, dass für die abschlagfreie Altersrente ein „Netto-Eckrentenniveau“ (basierend auf 45 Entgeltpunkten) von 70% des jeweiligen durchschnittlichen Nettoarbeitsentgelts erreicht werden soll, so wird dies nach den bisherigen Beschlüssen bis 2030 stufenweise um ein Viertel sinken, auf etwa 52%. Abschlagfrei ist die Rente dann aber im Regelfall nicht mit 65, sondern erst mit 67 Jahren zu beziehen.

Für die Beurteilung dieses Niveaus ist unter anderem aussagekräftig, welche Renten sich dann im Vergleich zur „Armutsschwelle“ ergeben, also dem Einkommen, das nach Bedürftigkeitsprüfung, jedoch ohne Vorleistungen maximal als Grundsicherung oder Sozialhilfe bezogen werden kann. Der Zusammenhang zwischen dem „generellen“ Leistungsniveau der GRV (wie es sich im „aktuellen Rentenwert“ niederschlägt, also dem Euro-Betrag eines Entgeltpunktes) und der Grundsicherung wird an folgenden Angaben deutlich: Bei einem (Netto-)Eckrentenniveau von 70% erreicht eine abschlagfreie Rente gerade die „Armutsschwelle“, wenn der Rente knapp 26 Entgeltpunkte zugrunde liegen, was z.B. bei 26 Versicherungsjahren für einen „Durchschnittsverdiener“28 der Fall ist. Bei einem Eckrentenniveau von 52% werden dafür jedoch bereits rund 35 Entgeltpunkte bei Rentenbeginn ab 67 erforderlich sein.29 Es müsste also selbst ein „Durchschnittsverdiener“ 35 Versicherungsjahre aufweisen für eine Rente nur auf Grundsicherungsniveau. Wer dagegen im Lebenslauf unterdurchschnittlich verdient hat oder Abschläge wegen „vorzeitigem“ Rentenbeginn hinzunehmen hat, muss noch länger für eine GRV-Rente auf Grundsicherungsniveau Beiträge entrichten.

Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass offiziell inzwischen kein Netto-Rentenniveau mehr publiziert wird, sondern ein „Rentenniveau vor Steuer“. Beim Netto-Rentenniveau werden sowohl Sozialversicherungsbeiträge der Versicherten (der Rentner bzw. der Arbeitnehmer) als auch Lohn- bzw. Einkommensteuer berücksichtigt, während beim „Rentenniveau vor Steuer“ die Effekte der Besteuerung ausgeklammert sind. Damit werden Folgen der 2004 beschlossenen Neuregelung der Besteuerung von Alterseinkünften im Hinblick auf das Rentenniveau nicht mitberücksichtigt: Doch durch die Neuregelung sinkt – vereinfacht gesagt – die Lohnsteuerbelastung der Arbeitnehmer, da die Arbeitnehmerbeiträge zur GRV stufenweise von der Lohnsteuer-Bemessungsgrundlage freigestellt werden, während dagegen die Steuerbelastung der (Eck-)Rentner30 stufenweise steigt. Folge dieser Neudefinition des Renteniveaus ist, dass das Ausmaß der durch die politischen Entscheidungen aufgerissenen Sicherungslücke zwischen Netto-Rente und Netto-Arbeitsentgelt nicht mehr in vollem Umfang sichtbar wird.

Vereinfacht basiert eine Rente auf dem Produkt von „aktuellem Rentenwert“ und der Summe an „Entgeltpunkten.“ Neben den Folgen der soeben verdeutlichten generellen Reduktion des Leistungsniveaus in der GRV (die sich in der Entwicklung des „aktuellen Rentenwertes“ ausdrückt) kommt es für den einzelnen Versicherten darauf an, was er künftig individuell an Ansprüchen (Entgeltpunkten) überhaupt akkumulieren kann. Hier zeigen sich bereits jetzt bei einem Vergleich von neu in einem Jahr zugehenden Renten („Zugangsrenten“) deutlich negative Veränderungen, z.B. eine zunehmende relative Häufigkeit von Abschlägen von der Rente.

Das sinkende Leistungsniveau in der GRV trifft zusammen mit Konsequenzen für die Höhe der GRV-Ansprüche durch nicht kontinuierliche Erwerbsverläufe und die Zunahme gering entlohnter Tätigkeiten.31 Künftige Altersjahrgänge werden noch weitaus stärker als diejenigen, die in den letzten Jahren ihre Rente beantragten, von den lange Zeit ungünstigen Arbeitsmarktbedingungen betroffen sein. Auch wurden in jüngerer Zeit die GRV-Ansprüche in Phasen der Arbeitslosigkeit (bei Arbeitslosengeld I und II) deutlich reduziert. Arbeitslosigkeit hat aber auch Konsequenzen für andere Formen der Alterssicherung, die ja sinkende GRV-Ansprüche teilweise ersetzen sollen: So werden bei Arbeitslosigkeit keine Betriebsrentenansprüche erworben und im Zweifel ist kaum private Altersvorsorge möglich. Zudem ist die Absicherung bestimmter Gruppen Selbständiger für ihr Alter zum Teil prekär.32

Allerdings bedeutet eine Rente unterhalb der Grundsicherungs- bzw. Sozialhilfeschwelle nicht notwendigerweise, dass damit Versicherte auch zu Grundsicherungsbeziehern werden, da bei der Bedürftigkeitsprüfung weitere Einkünfte im Haushalt eine Rolle spielen. So soll ja z.B. die Absicherungslücke in der GRV durch geförderte private und betriebliche Alterssicherung geschlossen werden. Alle bislang vorliegenden Informationen zeigen aber deutlich, dass die politisch aufgerissene Sicherungslücke durch die tief greifenden Veränderungen in der GRV durch private und/oder betriebliche Leistungen für einen überwiegenden Teil der Versicherten nicht geschlossen wird, sowohl was den Deckungsgrad von Formen privater und betrieblicher Absicherung betrifft als auch die Höhe der Vorsorge.

Damit bleibt festzuhalten, dass zwar das eine zentrale Element der „neuen deutschen Alterssicherungspolitik“ – der Abbau der umlagefinanzierten GRV und deren Leistungsniveau – durchaus erfolgreich verwirklicht wird. Demgegenüber ist jedoch das vielgepriesene zweite zentrale Element (das „Herzstück“ der Reform, wie es offiziell hieß), die Lückenschließung durch Aufbau privater und betrieblicher Ansprüche, weit hinter den proklamierten Zielen zurückgeblieben, also nicht erfolgreich realisiert. Offensichtlich ist, dass vor allem diejenigen von dieser veränderten Alterssicherungspolitik relativ am stärksten negativ betroffen sein werden, deren Alterseinkünfte weitgehend aus GRV-Renten bestehen. Das sind derzeit vor allem auch Haushalte in Ostdeutschland.33 Daran wird sich auch auf absehbare Zeit nichts grundlegend ändern, da der Aufbau kapitalmarktbasierter Ansprüche erhebliche Zeit erfordert, bevor sich dies in entsprechenden Alterseinkünften niederschlägt.

Abstand zur Grundsicherung

Insgesamt besteht die inzwischen sogar offiziell nicht mehr geleugnete Gefahr wieder steigender Altersarmut. Gerade im unteren Einkommensbereich und bei längerer Arbeitslosigkeit ist nicht allein die Sparfähigkeit sehr begrenzt (zudem gibt es auch einen erheblichen Anteil überschuldeter Haushalte), sondern hier wird tendenziell auch die Vorsorgebereitschaft negativ beeinflusst angesichts der Zukunftsperspektive in der Alterssicherung, der Einschätzung der eigenen Erwerbsmöglichkeiten sowie der Existenz bedarfs- und bedürftigkeitsgeprüfter Transferzahlungen. So wird vielfach die berechtigte Frage gestellt: Lohnt sich Vorsorge für mich überhaupt? Wird im Alter Privatvorsorge wirklich mein Einkommen erhöhen oder bei Grundsicherungsbedürftigkeit nur den Aufstockungsbetrag reduzieren? Im Herbst 2011 begründete sogar das Bundesarbeitsministerium seinen Vorschlag, in die GRV eine bedürftigkeitsgeprüfte „Zuschuss-Rente“ für Personen mit langer Versicherungsdauer einzufügen, mit der Erkenntnis: „Selbst langjährige Altersvorsorge lohnt sich nicht immer“. Inzwischen wurde hierzu der Referentenentwurf vorgelegt, um unter anderem auf dieses Problem zu reagieren. Bevor auf einige damit verbundene Grundsatzfragen kurz eingegangen wird, ist ein weiterer für den Abstand zwischen GRV-Leistungsniveau und Grundsicherung relevanter Aspekt zu erwähnen: Das Bundesverfassungsgericht hatte in einem Urteil vom 9.2.2010 die bisherige Praxis der Fortschreibung der Grundsicherung (insbesondere deren Koppelung an die Entwicklung des aktuellen Rentenwerts) als einen „sachwidrigen Maßstabswechsel“ bezeichnet, der „zur realitätsgerechten Fortschreibung des Existenzminimums nicht tauglich (ist)“.34 Eine Neuregelung wurde erforderlich.

Der Gesetzgeber hat inzwischen eine Modifizierung der Fortschreibungsregel für die Grundsicherung (sowohl die für Arbeitsuchende als auch für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) beschlossen.35 Hiernach werden „Referenzhaushalte“ und für diese dann „untere Einkommensschichten“ definiert sowie „regelbedarfsrelevante“ Verbrauchsausgaben. Hierfür sollen Sonderauswertungen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) die entsprechenden Daten liefern.36 Zwischen den EVS-Erhebungsjahren (in der Regel in fünfjährigem Abstand) erfolgt die Fortschreibung der „Regelbedarfe“ der Grundsicherung nun mit einem „Mischindex“.37 Dieser basiert auf der Veränderung der Preise für die „regelbedarfsrelevanten“ Güter und Dienstleistungen sowie der durchschnittlichen Nettolöhne (gemäß Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung), wobei die Preisänderung mit einem Gewicht von 70% in die Berechnung des Fortschreibungssatzes der Grundsicherung eingeht, die Veränderung der Nettolöhne mit 30%.

Wie sich diese Neuregelung auf die Entwicklung der „Regelbedarfe“ im Vergleich zu der des „aktuellen Rentenwerts“ in der GRV auswirkt ist noch schwer einzuschätzen. So werden z.B. bei der Definition der Referenzhaushalte Bezieher von Hilfen zum Lebensunterhalt, von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie von Arbeitslosengeld II (oder Sozialgeld) aus der Grundgesamtheit herausgerechnet. Sollten jedoch die „Regelbedarfe“ (und damit die Grundsicherungsleistungen) stärker steigen als der aktuelle Rentenwert – insbesondere angesichts der in die Rentenformel eingefügten Dämpfungsfaktoren –, dann würde dies die ohnehin erkennbare Tendenz zusätzlich verstärken, dass selbst viele langjährig in der GRV Versicherte kaum mit einer Rente rechnen können, die sich deutlich von der Grundsicherung unterscheidet.

So wie bei der Vorbereitung und Begründung der Reformmaßnahmen der Jahre 2001 und 2004 bewusst allein auf die Verteilung zwischen den Generationen abgestellt wurde, während die Unterschiede innerhalb der Generationen nicht zum Thema gemacht wurden (also auch nicht die Gefahr von Armut), so wird die Diskussion über Gründe für die nun nicht mehr geleugnete Gefahr künftig wachsender Altersarmut primär auf Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt und in Erwerbsverläufen verengt, während die mit den Reformmaßnahmen im Bereich der Alterssicherung verbundenen Folgen ausgeklammert bleiben.38 So heißt es in dem im März veröffentlichten Referentenentwurf des RV-Lebensleistungsanerkennungsgesetzes, dass die Bundesregierung „in den vergangenen Jahren erfolgreich die Weichen für eine demografie- und zukunftsfeste Alterssicherung gestellt“ habe. „Nun muss es darum gehen, die Veränderungsprozesse in den Erwerbsverläufen und die Wandlungsprozesse in der Arbeitswelt im System der Alterssicherung zu berücksichtigen und das Rentensystem entsprechend über die erfolgreichen Reformen der vergangenen Jahre hinaus fortzuentwickeln.“39

Folgen für das Konzept der GRV

Wenn für einen Großteil der Versicherten selbst nach langer Versicherungsdauer der durch Beiträge erworbene Rentenanspruch in der GRV kaum spürbar die Armutsgrenze übersteigt oder gar darunter bleibt, dann verliert eine durch Beiträge zu finanzierende Rentenversicherung ihre politische Legitimation und Akzeptanz in der Bevölkerung, da ja die Grundsicherung ohne jede Vorleistung bezogen werden kann.40 Erfolgt ein Umsteuern in der deutschen Alterssicherung41 jedoch nicht, so tritt ein schleichender, aber nicht offen erklärter Übergang zu einem staatlichen Alterssicherungssystem ein, bei dem es nicht mehr um eine Verstetigung der Konsum- und Einkommensentwicklung im Lebensablauf (Einkommensersatz) geht, sondern tendenziell um Armutsvermeidung im Alter.42 Dies würde aber nur für langjährig Versicherte unter bestimmten Bedingungen tatsächlich erreicht. Für alle anderen wird dann unzureichendes Alterseinkommen nach Bedürftigkeitskriterien aufstockt.43 Das wäre etwa das, was den Beginn der staatlichen Alterssicherung in Deutschland Ende des 19. Jahrhunderts charakterisierte mit einer GRV für viele als Zuschuss zum Lebensunterhalt. Was die Bundesregierung nun mit der Einführung einer Zuschussrente bewirken will, unterstreicht geradezu diese Entwicklung.

Die vorgeschlagene Leistung (die mit dem Etikett „Rente“ versehen wurde) stellt eine neue bedürftigkeitsgeprüfte Transferzahlung für solche Versichertenrentner dar, die im Lebensverlauf gering verdient haben.44 Auf diese neue Sozialleistung sollen Jahr für Jahr andere Einkünfte – auch die des Ehegatten bzw. Lebenspartners – angerechnet werden (in Anlehnung an Einkunftsarten bei der Anrechnung auf Hinterbliebenenrenten), allerdings mit Ausnahme von Einkünften aus zertifizierter privater Vorsorge oder betrieblicher Alterssicherung. Zu den Voraussetzungen der vorgesehenen Leistung gehört auch eine langjährige betriebliche und/oder private Vorsorge. Damit sollen zusätzliche Anreize für mehr kapitalmarktabhängige Vorsorge geschaffen werden (was verständlicherweise die Finanzindustrie neuerlich begrüßen dürfte). Die Privilegierung dieser Einkünfte im Rahmen der Zuschussrente stellt gewissermaßen eine doppelte Förderung dar, denn zusätzlich zu der für diese Vorsorgeformen erfolgten Zuschüsse oder die steuerliche Subventionierung erfolgt gegebenenfalls eine Aufstockung der GRV-Rente.

Die Zuschussrente soll deutlich höher sein als die bereits bestehende bedürftigkeitsgeprüfte Grundsicherung. Damit wird diese jedoch faktisch abgewertet, obgleich die seinerzeit aus der Sozialhilfe optisch herausgelöste Grundsicherung der vielfach beklagten Stigmatisierung der Sozialhilfe entgegenwirken sollte.45 Durch die in die GRV eingefügte Zuschussrente wird zugleich deutlich, dass als Folge der seit Jahren praktizierten Politik in der GRV immer stärker das Ziel der „Armutsvermeidung“ in den Vordergrund tritt, während durch die Niveaureduktion in der GRV das Ziel der Einkommensverstetigung im Lebensablauf immer weiter in den Hintergrund rückt.46

Ist die Entwicklung unumkehrbar?

Derzeit dominiert in den großen politischen Parteien die Auffassung, was bisher getan wurde, war „erfolgreich“. Die Erkenntnis, dass der Dreh- und Angelpunkt der neuen deutschen Alterssicherungspolitik – der Abbau des Leistungsniveaus der GRV und der Ersatz durch kapitalmarktabhängige Alterssicherung – nicht etwa die Lösung des Problems unzureichender Alterseinkommen, sondern selbst dessen Ursache ist, hat sich noch nicht durchgesetzt. Zwar gelingt die Demontage der GRV, nicht aber das Schließen der Sicherungslücke.47 Es wäre keine Schande, würden Politiker zugeben, dass die Wirkungen ihrer Entscheidungen anders sind, als sie erhofft und propagiert wurden. Dazu gehört aber Mut, der jedoch notwendig wäre, denn der in der deutschen Alterssicherungspolitik eingeschlagene Weg hat das Potential für eine gesellschaftspolitische Zeitbombe. Der zentrale Ansatzpunkt für ein Umsteuern in der Alterssicherungspolitik ist folglich das Leistungsniveau in der GRV.48 Dies wäre auch die Antwort auf die Gefahr sonst wieder steigender Altersarmut. Doch man darf nicht mehr lange warten, um dieses zu stabilisieren und anzuheben, denn bereits 2009 betrug das Netto-Eckrentenniveau der GRV nicht mehr 70%, sondern nur noch 63%.49

Aus meiner Sicht sollte eine wichtige Leitschnur für einen Politikwandel aus einem Besinnen auf die Grundgedanken der Rentenreform von 1957 gewonnen werden. Die konzeptionelle Ausrichtung der Alterssicherungspolitik basierte seinerzeit auf der Zielvorstellung, dass in der GRV eine Rente mit Lohnersatzfunktion finanziert werden soll, die nicht nur einen Zuschuss zum Lebensunterhalt darstellt, sondern bei längerem Vollzeiterwerb zu einem deutlich über die steuerfinanzierte bedarfs- oder bedürftigkeitsgeprüfte (armutsvermeidende) Mindestsicherung hinausreichenden Leistungsniveau führt, eine Teilhabe der Rentner an der wirtschaftlichen Entwicklung auch während der Rentenlaufzeit realisiert und auf einer engen Beziehung zwischen dem Vorsorgebeitrag und der Rentenleistung basiert.

Politische Leitschnur sollte also die Dominanz eines Leistungsziels in der GRV anstelle eines Beitragsprimats, dem sich alles unterzuordnen hat, sein. Die Gesamtbelastung für die Privathaushalte würde dadurch nicht etwa steigen, sondern für sehr viele spürbar sinken, da kostenträchtige Privatvorsorge zur Kompensation der Lücke entfällt oder reduziert wird. Und für diejenigen, die sich ausreichende zusätzliche Vorsorge nicht leisten können, sinkt die Gefahr, dass sie eine bedürftigkeitsgeprüfte Rentenaufstockung oder Grundsicherung benötigen.50 Ein Umdenken in der deutschen Alterssicherungspolitik ist, im Interesse eines Rentenversicherungssystems, das wieder die Funktion des Lohnersatzes verwirklichen kann und wirksam Altersarmut zu vermeiden hilft, dringend erforderlich.

  • 1 „RV-Lebensleistungsanerkennungsgesetz“, Referentenentwurf vom 22.3.2012.
  • 2 Für jeweils kurze Überblicke über die Entwicklung der GRV von ihren Anfängen bis zum Prozess der deutschen Wiedervereinigung Anfang der 1990er Jahre sei verwiesen auf die Beiträge von U. Haerendel, G. Ritter, W. Schmähl, in: E. Eichenhofer, H. Rische, W. Schmähl (Hrsg.): Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung. SGB VI, 2. Aufl., Köln 2012.
  • 3 Ausführlich zum Prozess, der schließlich zu dem Gesetz von 1889 führte vgl. U. Haerendel: Die Anfänge der gesetzlichen Rentenversicherung in Deutschland, Speyerer Forschungsberichte 217, Speyer 2001.
  • 4 Vgl. zu diesem Thema W. Schmähl: Die wachsende Bedeutung der Dynamisierung von Alterseinkünften für die Lebenslage im Alter, in: Wirtschaftsdienst, 90. Jg. (2010), H. 4, S. 248-254.
  • 5 Vgl. hierzu (auch mit Verweisen auf früh vertretene Argumente) W. Schmähl: Vermögensansammlung für das Alter im Interesse wirtschafts- und sozialpolitischer Ziele, zuerst erschienen 1980, wiederabgedruckt in ders.: Soziale Sicherung: Ökonomische Analysen, Wiesbaden 2009, S. 251-276.
  • 6 So im Zusammenhang mit der Diskussion über die Unfallversicherung, hier zitiert nach F. Tennstedt: Nur nicht privat mit Dividende und Konkurs, in: M. Heinze, J. Schmitt (Hrsg.): Festschrift für Wolfgang Gitter, Wiesbaden 1995, S. 996.
  • 7 Vgl. dazu wiederum F. Tennstedt, a.a.O., S. 1000. Einen Überblick zur Diskussion über die Finanzierungsverfahren gibt P. Manow: Individuelle Zeit, institutionelle Zeit, soziale Zeit. Das Vertrauen in die Sicherheit der Rente und die Debatte um Kapitaldeckung und Umlage in Deutschland, in: Zeitschrift für Soziologie, 27. Jg. (1998), S. 193-211.
  • 8 Zum politischen Prozess ausführlich H. G. Hockerts: Sozialpolitische Entscheidungen im Nachkriegsdeutschland. Alliierte und deutsche Sozialversicherungspolitik 1945-1957, Stuttgart 1980. Zur Rentenreform von 1957 ders.: Die Rentenreform 1957, in: F. Ruland (Hrsg.): Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung, Neuwied u.a.O. 1980, S. 93-104; sowie W. Schmähl: Sicherung bei Alter, Invalidität und für Hinterbliebene, in: Bundesministerium für Arbeit und Soziales und Bundesarchiv (Hrsg.): Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd. 3: 1949-1957 Bundesrepublik Deutschland, Baden-Baden 2005, S. 357-437; und zur Bewertung der Reform – auch aus heutiger Perspektive –, ders.: Die Einführung der Dynamischen Rente im Jahr 1957: Gründe, Ziele und Maßnahmen – zugleich Versuch einer Bilanz nach 50 Jahren, in: Deutsche Rentenversicherung Bund (Hrsg.): Die gesetzliche Rente in Deutschland. 50 Jahre Sicherheit durch Anpassungen, Bad Homburg 2007, S. 9-28.
  • 9 Inzwischen als „Entgeltpunkt“ bezeichnet.
  • 10 Näheres hierzu in W. Schmähl: Das Rentenniveau in der Bundesrepublik, Frankfurt a.M., New York 1975.
  • 11 Vgl. hierzu unter anderem W. Schmähl: Von der statischen zur „dynamischen“ Rente, in: A. Gallus, W. Müller (Hrsg.): Sonde 1957 – Ein Jahr als symbolische Zäsur für Wandlungsprozesse im geteilten Deutschland, Berlin 2010, S. 243.
  • 12 Letzteres wurde insbesondere von Anhängern einer Staatsbürgerrente immer wieder einmal vorgeschlagen; vgl. W. Schmähl: Übergang zu einem Grundrentensystem: Vom radikalen Systemwechsel zur schleichenden Systemtransformation, in: M. Opielka (Hrsg.): Grundrente in Deutschland – Sozialpolitische Analysen, Wiesbaden 2004, S. 119-146.
  • 13 Für einen knapp gefassten Überblick vgl. W. Schmähl: Die Entwicklung der Rentenversicherung ..., a.a.O., S. 25-50. Die Entscheidung dafür erfolgte – wie schon 1957 – im Konsens von CDU/CSU und SPD.
  • 14 Zu den Unterschieden zwischen dem west- und ostdeutschen Rentensystem und zur Umgestaltung der Alterssicherung in der DDR vgl. den kurz nach der „Wende“ geschriebenen Beitrag von W. Schmähl: Alterssicherung in der DDR und ihre Umgestaltung im Zuge des deutschen Einigungsprozesses, in: G. Kleinhenz (Hrsg.): Sozialpolitik im vereinten Deutschland I, Berlin 1991, S. 49-95.
  • 15 Mit dem RRG 1992 war die Rentenformel vereinfacht und terminologisch neu gefasst worden, indem aus der Relation des individuellen zum durchschnittlichen Bruttoentgelt „Entgeltpunkte“ resultieren, deren aus dem gesamten Versicherungsverlauf resultierende Summe mit dem „aktuellen Rentenwert“ multipliziert wird. Dieser gibt den D-Mark-(jetzt Euro-)Betrag für einen Entgeltpunkt im Monat an. Bei zeitlichen Vergleichen ist zu beachten, dass die in der Diskussion vielfach herangezogene „Eckrente“ inzwischen auf der Basis von 45 und nicht mehr (wie früher) 40 „Entgeltpunkten“ definiert ist.
  • 16 Die Bruttorente (ohne Abzug) ergab sich zum Zeitpunkt des Rentenbezugs ab der „Regelaltersgrenze“ (in neu eingeführter Terminologie) als Produkt aus der Summe an Entgeltpunkten und dem „aktuellen Rentenwert“, also dem Absolutbetrag eines Entgeltpunktes im Monat. Die Änderungsrate des durchschnittlichen Nettoarbeitsentgelts bestimmte die Veränderung des aktuellen Rentenwertes und stellte zugleich für die Bestandsrenten den Anpassungssatz dar.
  • 17 So M. J. M. Neumann: Ein Einstieg in die Kapitaldeckung der gesetzlichen Renten ist das Gebot der Stunde, in: Wirtschaftsdienst, 78. Jg. (1998), H. 5, S. 264.
  • 18 H. D. Barbier: Aus der Art, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21.8.2007. Ausführlich zum Diskussions- wie auch dem politischen Entscheidungsprozess mit vielen Belegen vgl. W. Schmähl: Von der Ergänzung der gesetzlichen Rentenversicherung zu deren partiellem Ersatz: Ziele, Entscheidungen sowie sozial- und verteilungspolitische Wirkungen – Zur Entwicklung von der Mitte der 1990er Jahre bis 2009 –, in: E. Eichenhofer, H. Rische, W. Schmähl (Hrsg.), a.a.O., S. 169-249.
  • 19 Wobei manchmal die Grenzziehung zum Lobbyismus verschwamm.
  • 20 Inzwischen wird dies von vielen Akteuren dem herrschenden „Zeitgeist“ angelastet, dem man sich nicht entziehen konnte.
  • 21 Dies gilt auch unter Berücksichtigung der beschlossenen Subventionierungen von Altersvorsorge.
  • 22 Arbeitnehmer können danach Arbeitsentgelte in Höhe von 4% der Beitragsbemessungsgrenze der GRV steuer- und sozialversicherungsfrei zur betrieblichen Altersversorgung aufwenden; vgl. dazu: W. Schmähl, A. Oelschläger: Abgabenfreie Entgeltumwandlung aus sozial- und verteilungspolitischer Perspektive, Berlin 2007. Die subventionierte so genannte „Riesterrente“ erfordert nach der stufenweisen Einführung für die volle Förderung inzwischen gleichfalls einen Beitragssatz von 4%, der sich allerdings auf das individuelle Bruttoentgelt und nicht die Beitragsbemessungsgrenze (die rund das Doppelte des durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgelts beträgt) bezieht.
  • 23 Vgl. mit weiteren Verweisen F. Blank: Die Riester-Rente: Ihre Verbreitung, Förderung und Nutzung, in: Soziale Sicherheit, 12/2011, S. 414-420.
  • 24 H. Fehr, H. Jess: Gewinner und Verlierer der aktuellen Rentenreform, in: Die Angestelltenversicherung, 56. Jg. (2001), S. 81. Eine ausführliche Analyse findet sich in H. Viebrok, R. K. Himmelreicher, W. Schmähl: Private Vorsorge statt gesetzlicher Rente: Wer gewinnt, wer verliert?, Münster u.a.O. 2004.
  • 25 H. Viebrok: Künftige Einkommenslage im Alter, in: Deutsches Zentrum für Altersfragen (Hrsg.): Einkommenssituation und Einkommensverwendung älterer Menschen, Berlin 2006, S. 153-228.
  • 26 Vgl. W. Schmähl: Die wachsende Bedeutung der Dynamisierung von Alterseinkünften, a.a.O.
  • 27 Vgl. W. Schmähl: Der Paradigmawechsel in der Alterssicherungspolitik: Die Riester-Reform von 2001, in: Soziale Sicherheit, 60. Jg. (2011), S. 410.
  • 28 Das heißt für einen Versicherten, der im Durchschnitt seines Versicherungslebens gerade durchschnittlich verdiente.
  • 29 Genau 34,6 Entgeltpunkte.
  • 30 Und nur um diese geht es bei der Eckrenten-Definition, die ja zumeist bei Niveauangaben herangezogen wird.
  • 31 Vgl. unter anderem auch W. Schmähl: Die neue deutsche Alterssicherungspolitik und die Gefahr steigender Altersarmut, in: Soziale Sicherheit, 55. Jg. (2006), S. 397-402.
  • 32 Darauf deutet auch hin, dass viele Personen zwar Grundsicherung erhalten, aber keine GRV-Rente – was wohl vor allem Selbständige sein dürften, die keinem obligatorischen Alterssicherungssystem angehören. Zur Alterssicherung von Selbständigen vgl. unter anderen U. Fachinger, A. Oelschläger, W. Schmähl: Alterssicherung von Selbständigen – Bestandsaufnahme und Reformoptionen, Münster u.a.O. 2004.
  • 33 In der öffentlichen Diskussion wird die Tatsache, dass die Gruppe der alten Menschen und ihrer Haushalte außerordentlich heterogen ist und sich folglich viele der diskutierten Maßnahmen für sie sehr unterschiedlich auswirken, bislang immer noch zu wenig berücksichtigt.
  • 34 Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Arbeitslosengeld II (das sogar offiziell als „Hartz IV“ bezeichnet wird) und Sozialgeld für Kinder, 1 BvL 1/09, S. 62 f.
  • 35 Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011, in: Bundesgesetzblatt, Jg. 2011, Teil I, Nr. 12.
  • 36 Ebenda, Art. 1.
  • 37 Geregelt in § 28a SGB XII (gemäß der Änderung in Art. 3 des oben erwähnten Gesetzes).
  • 38 Über vielfältige Gründe für Altersarmut und an ihnen ansetzende Vorschläge zur Vermeidung oder nachträglichen Korrektur liegt (zum Teil seit langem) eine Fülle von Veröffentlichungen vor, auf die angesichts des Themenschwerpunktes dieses Beitrags nicht näher eingegangen wird. Verwiesen sei nur auf G. Bäcker: Strategien gegen Armut im Alter in Deutschland, in: L. Leisering (Hrsg.): Die Alten der Welt, Frankfurt a.M. 2011, S. 165-196. V. Meinhardt: Konzepte zur Beseitigung von Altersarmut, WISO Diskurs, Friedrich Ebert Stiftung, Bonn 2011. W. Schmähl (Hrsg.): Mindestsicherung im Alter, Frankfurt/New York 1993.
  • 39 So auf S. 1 des Referentenentwurfs.
  • 40 Vgl. W. Schmähl: Fragwürdige Schrumpfkur – ein weiteres Absenken des Rentenniveaus würde viele Ruheständler in die Nähe der Sozialhilfe bringen –, in: Die Zeit, Nr. 52 vom 20.12.1996, S. 20.
  • 41 Einige Elemente sind diskutiert in W. Schmähl: Quo vadis „Gesetzliche Rentenversicherung“? – Eine Zwischenbilanz zehn Jahre nach einem grundlegenden „Paradigmenwechsel“ in der deutschen Alterssicherungspolitik, in: Deutsche Rentenversicherung, 66. Jg. (2011) S. 216-233.
  • 42 Auch die oben erwähnten Vorstellungen für eine „Zuschuss-Rente“ verdeutlichen die politische Zielrichtung – hin zu einem System, in dem immer stärker die Armutsvermeidung über den Einkommensersatz dominiert. Die als Rentenleistung verpackte einkommensüberprüfte Transferzahlung stellt faktisch eine „Grundsicherung de luxe“ dar. Um den dort am Anfang vorgesehenen Betrag von 850 Euro netto in der GRV zu erreichen, wären übrigens über 34 Entgeltpunkte erforderlich.
  • 43 Vor einigen Jahren formulierte ich vorsichtig als Reaktion auf das, was sich nach den Reformmaßnahmen abzeichnet: „Nicht vorgeschlagen …, aber langfristig eine realistische Entwicklung könnte die Transformation oder ein Verschmelzen der GRV mit einer bedüftigkeitsgeprüften Grundsicherung sein … Dies hätte allerdings mit der GRV im bisherigen Sinne nichts mehr zu tun, selbst wenn der Begriff beibehalten würde.“ W. Schmähl: Die Gefahr steigender Altersarmut in Deutschland – Gründe und Vorschläge zur Armutsvermeidung, in: A. Richter, I. Bunzendahl, T. Altgeld (Hrsg.): Dünne Rente – Dicke Probleme, Frankfurt a.M. 2008, S. 52.
  • 44 Inwieweit die Zuschussrente als Maßnahme zur Vermeidung von Altersarmut angesehen werden kann, ist nicht Gegenstand dieses Beitrags, in dem es um die Entwicklungstendenzen der GRV geht.
  • 45 Das Leistungsniveau der Grundsicherung entspricht – abgesehen vor allem von dem weitgehenden Verzicht auf den Rückgriff auf unterhaltsverpflichtete Angehörige – faktisch dem der Sozialhilfe. Folglich hätte die vorgenommene Veränderung auch im Sozialhilferecht erfolgen können; man entschloss sich für ein Umdeklarieren der Sozialhilfe für Ältere und dauerhaft Erwerbsunfähige. Auf die Diskussion über die (weithin bezweifelte) Wirksamkeit des Vorschlags einer „Zuschuss-Rente“ zur Armutsvermeidung gehe ich hier nicht ein. Sollte es zu einer solchen Leistung, in welcher konkreten Form auch immer, kommen, so wäre diese adäquat aus Steuern zu finanzieren und sollte nicht über die GRV abgewickelt werden, um eine weitere Vermischung von Transfer- und Versicherungssystem zu vermeiden.
  • 46 Diese Entwicklung ist auch auf europäischer Ebene zu konstatieren: Neben der von Wirtschafts- und Finanzministern ins Zentrum gerückten „fiskalischen Nachhaltigkeit“ steht als sozialpolitisches Ziel die Armutsvermeidung. Vgl. hierzu auch W. Schmähl: Quo vadis „Gesetzliche Rentenversicherung“?, a.a.O.
  • 47 Allerdings wurde insbesondere im oberen Einkommensbereich eine neue Steuersparmöglichkeit und der Finanzindustrie ein zusätzliches Betätigungsfeld eröffnet.
  • 48 So fordert z.B. auch die BAGSO (eine Dachorganisation von 110 [Senioren-]Verbänden): „Das Rentenniveau muss bei längerer Versicherungsdauer die Leistungen der Sozialhilfe deutlich übersteigen.“ BAGSO-Positionspapier: Lebensleistung anerkennen, Altersarmut vermeiden, Bonn 2011, S. 4.
  • 49 Dieses Niveau lag bereits unter dem, das mit dem „demographischen Faktor“ der Kohl-Regierung als unterster Wert erst für 2030 angepeilt war, aber von der rot-grünen Regierung damals als unsozial gebrandmarkt wurde.
  • 50 Die zusätzliche Belastung der Arbeitgeber durch ein höheres Leistungsniveau in der GRV wäre – insbesondere auch verglichen mit anderen für die Lohn- oder Gesamtkosten maßgebenden Elementen – minimal, zumal auch Gewerkschaften die Belastung durch Arbeitgeberbeiträge im Rahmen der Lohnverhandlungen berücksichtigen würden, so wie dies in der Vergangenheit weithin der Fall war. Der Erhalt des gegenwärtigen Brutto-Eckrentenniveaus würde bis zum Jahr 2030 insgesamt etwa 2½ zusätzliche Beitragspunkte in der GRV erfordern, also 1¼% für Arbeitgeberbeiträge. Es ist hier nicht der Ort, weitere aus meiner Sicht erforderliche bzw. sinnvolle Maßnahmen zu erläutern, wie z.B. das Einbeziehen solcher Selbständiger in die GRV, die bislang keinem obligatorischen Sicherungssystem angehören, was auch zur Minderung der Gefahr von Altersarmut beitragen würde. Im genannten Referentenentwurf wird eine Neuregelung für bislang nicht obligatorisch abgesicherte Selbständige angekündigt, die allerdings verschiedene Wege für eine „Basissicherung mit dem Ziel der Armutsprävention (oberhalb der Grundsicherung im Alter)“, vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Das Rentenpaket, 22.3.2012, S. 15.

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DOI: 10.1007/s10273-012-1380-5

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