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Aus dem Referat über „Deutsche und internationale Finanzprobleme in ihrer Bedeutung für die Industrie“, das der Hamburger Bankier Max M. Warburg auf der diesjährigen Tagung des Reichsverbandes der Deutschen Industrie am 22. Mai gehalten hat, geben wir mit der freundlichen Erlaubnis des Verfassers die folgenden Darlegungen im Wortlaut wieder. Die Schriftleitung

Die Formen der Interessennahme des deutschen Inlandes und des Auslandes an deutschen Industrieunternehmungen sind in den meisten Fällen gleich. In der Zeit, in der wir jetzt leben, sollten wir, umgekehrt wie sonst, möglichst viel nicht in feste Form bringen, sondern möglichst viel in vorübergehende Form, weil wir nicht wissen, wie die Zukunft aussieht, so daß wir für alle Verhältnisse elastisch genug bleiben. In erster Reihe kommt also eine Finanzierung durch vorübergehende Kredite in Betracht, zunächst durch Barkredite oder Akzeptkredite von einer in- oder ausländischen Bankfirma, die entweder in blanko, d. h. ohne Unterlagen, den Kredit gewährt, oder, falls das Ausland in Frage kommt, unter Garantie von deutschen Banken und Bankiers. Kredit ist vom Inland und vom Ausland als Veredelungskredit in letzter Zeit insbesondere von Holland, Amerika und auch von England zur Verfügung gestellt worden. In erster Reihe sind es die Baumwollveredelungskredite, die von Amerika gegeben werden, wenngleich auch hier vielfach Kredite ohne besondere Verschreibung erfolgen. Einer der größten Auslandskredite, der der deutschen Industrie und dem deutschen Handel in geradezu vorbildlicher Weise zur Verfügung gestellt wurde, ist bekanntlich der holländische Kredit von 140 Mill. fl, den man auch als Veredelungskredit bezeichnen muß.

Aber diese Kredite vorübergehender Art dürfen nicht kompliziert sein. Der Vorschlag von ter Meulen stellt Forderungen, die nicht zu erfüllen sind, wenn wir die notwendige Schnelligkeit anwenden wollen, die für jedes Geschäft notwendig ist, und die nötige Diskretion, die auch bei jedem Geschäft vorliegen muß.

Für Deutschland wird es gut sein, wenn wir ein Pfandrecht an beweglichen Sachen einführen, und es ist bedauerlich, daß ein solches Gesetz noch nicht erlassen worden ist.

Häufiger wird auch Solidarhaft verlangt, die wir aber grundsätzlich vermeiden sollten, weil man sonst die Übersicht über die eigenen Engagements verliert.

Für die Geldbeschaffung im Inland gilt ferner insbesondere folgendes:

In den Zeiten der Geldknappheit sollte die Industrie und der Handel für alle die Geschäfte, bei denen feste Ablieferungs- und Verkaufstage verabredet sind, nicht mit sogenanntem offenen Ziel arbeiten, sondern Wechsel ausschreiben und akzeptieren. Es ist für die ganze Finanzierung in Deutschland, wenn diese Methode der Wechselausschreibung mehr benutzt wird, die Mitarbeit der Banken und Bankiers eine viel natürlichere; die Finanzierung wird den Banken und Bankiers erleichtert, wenn sie dann auch in ernster Zeit sich mit solchen Wechseln Geld verschaffen können. Barvorschüsse sind letzten Endes abhängig von Geldeinlagen bei den Banken, diese variieren, während die Begebung der Wechsel notfalls bei der Reichsbank jeder Zeit möglich ist.

Handelt es sich nicht um vorübergehende Inanspruchnahme des Geldmarktes, sondern um dauernde Bedürfnisse, so muß man auch dauerndes Kapital beschaffen durch Aufnahme von Teilhabern, Kommanditeinlagen, Bildung von G. m. b. Hs. und Aktiengesellschaften. Haben die Aktien einen hohen Kurs, so kann man das Geld am leichtesten durch neue Emission beschaffen. Durch die Geldentwertung haben viele Gesellschaften stark an Kaufkraft ihrer Betriebsmittel eingebüßt. Unter dem Namen und der Form einer Kapitalserhöhung wird tatsächlich nur mehr oder weniger das Defizit gedeckt. Eine ernsthafte Goldbilanz zeigt das ohne weiteres. Im allgemeinen sollten die Aktien zu einem möglichst hohen Kurse emittiert werden, um dem Reservefonds der Gesellschaften große Summen zuzuführen. Dann aber muß auch die Steuergesetzgebung derartig sein, daß eine solche Zuführung steuerlich begünstigt wird, sonst werden die Leiter der Gesellschaften vorziehen, ihren Aktionären billige neue Aktien zu geben. Jetzt richtet sich der Börsenkurs der Aktien vielfach nicht nach der Dividende, sondern nach erhofften Bezugsrechten.

Neben einer Emission von gewöhnlichen Aktien ist eine Emission von Vorzugsaktien möglich. Früher war sie ein Zeichen der Schwäche, heute ist sie allgemein üblich, teilweise auch aus steuerlichen Gründen. Vorzugsaktien sind solider als Obligationen, weil sie nur verzinst werden, falls ein Erträgnis erzielt ist.

Die Höchstgrenze der Obligationen hängt von den Verhältnissen des Unternehmens ab, der Höhe seines Aktienkapitals, der Regelmäßigkeit seiner Einnahmen, dem Werte seiner dauernden realen Anlagen usw.

Sehr wichtig für die Unterbringung von Aktien ist, daß sie in normalen Zeiten einen großen Markt haben, daß jede Aktie einen möglichst großen Interessentenkreis besitzt. Ein Handel in nichtnotierten Werten sollte immer nur ein Notbehelf sein, denn bei rückgängiger Konjunktur sind sie für ihre Besitzer schwer zu verwerten. Nebenvorteile, die der Bankier beim Handel mit nichtnotierten Papieren und die Besitzer von nichtnotierten Werten haben, weil sie eine größere Freiheit bei der Bilanzierung ihrer Aktien bei der Vermögensabgabe besitzen, sollten nicht den Ausschlag geben.

Vom börsentechnischen Standpunkt aus ist ein möglichst großes Aktienkapital vorteilhaft, wie man auch sonst zu Konzentrationsbestrebungen stehen mag; je größer das Aktienkapital, desto besser der Markt.

Solange es irgend möglich ist, müssen wir versuchen, das Geld im Inlande uns zu verschaffen, damit nicht dem Auslande gegenüber eine dauernde Verschuldung eintritt, da sonst unsere Zahlungsbilanz rettungslos immer ungünstiger wird.

Im allgemeinen wird auch die Aufnahmefähigkeit des Auslandes überschätzt. Die Konkurrenz der übrigen Länder in der Welt, die ebenfalls Geld brauchen, um viel Versäumtes der letzten 10 Jahre einzuholen, ist eine sehr große, und das Land, das am meisten vom Kriege profitiert hat, Amerika, ist bisher nicht gewohnt gewesen, viel in ausländischen Papieren anzulegen.

Allerdings ist Amerika sehr aufnahmefähig und hat dies in den letzten Monaten für ausländische Anleihen verschiedenster Art gezeigt. Die Neuemissionen in Amerika waren im Monat April 445 000 000 $, in den ersten vier Monaten des Jahres 1922 1 141 000 000 $, hiervon ausländische Anleihen im Monat April 200 000 000 $, in den vier Monaten 550 000 000 $. Wir müssen aber bei Amerika damit rechnen, daß die Tendenz und das Interesse sehr schnell wechselt. Im Grunde genommen blicken die Amerikaner auf Europa und auf die europäischen Streitigkeiten ungefähr so, wie wir früher auf den Balkan sahen, wenn dort die Völker aufeinanderschlugen.

Amerika ist im Grunde seiner Seele noch lange kein leidenschaftlicher oder freundlicher Geldgeber für Europa, denn die Amerikaner wünschen in erster Reihe ihr eigenes Land zu entwickeln. Es ist eigentlich nur Notbehelf, weil sie nichts anderes mit dem vielen Gelde anfangen können, wenn sie dazu übergehen, europäische Anleihen zu kaufen. Man soll nicht Unsummen von Amerika erwarten. Viel eher werden die europäischen Märkte die Geldgeber von Deutschland werden, sofern die Verhältnisse sich in Europa nur annähernd wieder normal gestalten.

Ausländer als stille Teilhaber sollte man nur nehmen, wenn hierdurch nicht die Selbstbestimmung im Geschäft beeinträchtigt wird.

Früher hatten wir in Deutschland die einfache Konstruktion der Finanzierung durch Aktien und Obligationen. Wir hatten einen gesunden Magen, wie der Bayer, wenn er seine Wurst und seinen Radi ißt, und dazu Bier trinkt, und diese Operation so oft wiederholt, bis er gefüllt ist. Wir haben früher Aktien und Obligationen solange ausgegeben und diese Operation so oft wiederholt, bis wir das Geld hatten, das wir brauchten. Jetzt ist der Magenzustand empfindlicher, wir können auch auf finanziellem Gebiet nicht mehr in derartig primitiver Weise vorgehen wie bisher, sondern müssen uns fragen, was für Reizmittel müssen wir anwenden, um die Ausländer zu einer Anlage in Deutschland zu veranlassen. Mit Stammaktien, die Ausländern gegeben werden, dürften wir meistens nicht auskommen, um so weniger, wenn wir daran festhalten, was wir bis zum äußersten sollten, nicht Majoritäten, sondern höchstens Minoritäten an das Ausland zu verkaufen.

Solange die Gefahr besteht, daß das Ausland sich Aktienmajoritäten kaufen kann, ist eine besondere Kategorie von Aktien mit mehrfachen Stimmrecht, um Überfremdung zu vermeiden, berechtigt, selbst auf die Gefahr hin, daß mit solchen Aktien Mißbrauch getrieben wird, um denjenigen, die augenblicklich ein Unternehmen beherrschen, dauernd die Machtstellung in der Gesellschaft, auch anderen deutschen Aktionären gegenüber, zu sichern. In den nächsten 10 bis 20 Jahren muß unsererseits alles geschehen, um zu verhüten, daß wertvolle Objekte vom Auslande kontrolliert werden.

Häufiger werden wir Vorzugsaktien anstatt gewöhnlicher Aktien geben müssen, die nicht nur eine hohe Vorzugsdividende zu bekommen haben, sondern auch bei dem Übergewinn pro rata mit den gewöhnlichen Aktien zu beteiligen sind. Soweit die feste Verzinsung in Betracht kommt, werden wir diese Aktien kumulativ ausgestalten müssen, d. h. so, daß sie, falls sie in einigen Jahren die Minimaldividende nicht erhalten, sie in den nächsten Jahren nachbezahlt wird, bevor die gewöhnlichen Aktien überhaupt auf eine Dividende Anspruch haben.

Bei Schaffung von Vorzugsaktien werden wir ein Rückzahlungsrecht immer vorsehen müssen; denn wir dürfen nicht die Hoffnung aufgeben, durch Arbeit auch diese Aktien wieder in unsern Besitz zu bringen.

Man wird namentlich bei Neugründung von Gesellschaften, sofern man ausländisches Kapital in Anspruch nimmt, für die bisherigen deutschen Besitzer Genußscheine schaffen müssen, die bei zukünftigen großen Erfolgen der Gesellschaft stark beteiligt sind. Vielleicht auch nach amerikanischem Muster sog. Manager-Shares, die jeweilig den Vorstandsmitgliedern gegeben werden, wenigstens während ihrer Amtsführung, wobei die Gesellschaft zu bestimmten Kursen ein Vorkaufsrecht auf diese Aktien hat, wenn Vorstandsmitglieder ausscheiden.

Neben Aktien und Vorzugsaktien kommen auch für das Ausland Obligationsanleihen in Frage. In diesem Falle wird die Entscheidung sehr schwierig sein, ob die Obligationen in Mark oder in auswärtiger Valuta auszustellen sind. Man wird nur dann zu einer ausländischen Valuta raten können, wenn entsprechende Einnahmen in auswärtiger Valuta, wie z. B. bei Schiffahrts- oder Kabelgesellschaften zu erwarten sind.

In Amerika hat man in Zeiten der Krisis — und in dieser Beziehung werden wir von Amerika viel lernen können — auch sogenannte Convertible Bonds geschaffen, d. h. Obligationen, die in der Wahl der Besitzer zu bestimmten Kursen in Aktien umgetauscht werden können. Unser Aktienrecht kennt das nicht. Wir werden sie durch Gesetzesänderung zulassen müssen, wenn das Ausland diesen Typus bei uns vorzieht.

Großer Beliebtheit erfreuten sich in Amerika besonders bei Reorganisationen die Equipment Bonds, so daß Obligationen dieser Art sogar höher bewertet werden als die übrigen Obligationen derselben Gesellschaft. Diesen Equipment Bonds pflegen amerikanische Bahnen ihr rollendes Material zu verpfänden.

Das Ausland kann bei Anlage fremder Gelder in Deutschland auch die Form wählen, die eine Holding-Company als Grundlage hat. In diesem Fall würden die Interessenten im Auslande eine ausländische Gesellschaft gründen und durch Begebung von Aktien und Obligationen sich die Gelder verschaffen, die in Deutschland angelegt werden. Diese Holding-Co. kann entweder einfach durch Ankäufe von Aktien Aktionär in Deutschland werden oder, nachdem sie eine große Majorität der Aktien gekauft hat, diesen Besitz dazu ausnützen, die deutsche Gesellschaft aufzulösen und eine ausländische Gesellschaft aus ihr zu machen, so daß die Holding-Co. nicht nur Aktionär einer deutschen Gesellschaft ist, sondern direkt die Anlage als share-holder einer englischen Gesellschaft besitzt.

Schließlich brauchen die Ausländer sich auch nicht so fest zusammenzuschließen, daß sie eine Holding-Co. bilden, sondern sie können ein Syndikat formieren, und dieses Syndikat kann kaufend am deutschen Markte auftreten. Solange solche Syndikate keine gigantische Größe annehmen, mögen sie ihre Berechtigung haben. Die großen internationalen Syndikate aber, die nicht nur gebildet werden, um sich an einzelnen Industrie-Unternehmungen zu beteiligen, sondern um große Aufgaben länderweise durchzuführen, sind mit einem gewissen Mißtrauen zu betrachten. Meine Erfahrung geht dahin, daß die Mitglieder derartiger internationaler Syndikate immer Mittel und Wege finden, neben der Syndikatstätigkeit auch noch für eigene Rechnung sich in dem betreffenden Lande zu betätigen. Ein Monopol gibt es meistens nicht, und wenn es ein Monopol ist, bedeutet es fast stets eine Stagnation für das betreffende Land, weil die Vorverhandlungen, die Etiquettefragen, die Schwierigkeiten der Durchführung bei einem internationalen großen Syndikate auch außerordentlich große sind. Sowohl in der Türkei wie in China hat sich gezeigt, daß Länder, sobald sie in die Botmäßigkeit solcher internationaler Syndikate gelangen, nicht entwickelt, sondern eher ausgenutzt werden. Und ich verspreche mir daher von den internationalen Syndikaten, die jetzt infolge englischer Anregung für die Entwicklung in Rußland, vielleicht aber auch für andere Länder, gebildet werden sollen, sehr wenig. Mögen internationale Syndikate für Spezialaufgaben, für Verkehrszweige, ihre Berechtigung haben; werden sie aber irgendwie mit generellen Plänen beschäftigt, so sehe ich weder für das betreffende Land, noch für diejenigen, die kapitalistisch beteiligt sind, einen Vorteil, es sei denn, daß es sich um ganz unentwickelte Kolonien handelt, wo sie nach Art der Chartercompanies arbeiten können.

Geld kann auch so beschafft werden, daß gleichartige Konzerne in verschiedenen Staaten Hand in Hand arbeiten, Preise, Frachten usw. ausnutzen und sich auf diese Weise gegenseitig aushelfen, indem zum Beispiel Kohlenbergwerke in England und deutsche Kohlengesellschaften in Deutschland und im Ausland zusammenarbeiten. In der Zeit unserer Geldnot können wir uns auf diese Weise das Geld bei den ausländischen Konsorten leichter beschaffen, ohne daß wir es nötig haben, unsere Selbstbestimmung irgendwie aufzugeben.

Aber Kredit für einzelne Privatunternehmungen in Deutschland ist nur gerechtfertigt — ich wiederhole es — wenn Deutschland zur politischen und damit wirtschaftlichen Ruhe kommt.

Viele, die Deutschland wohlwollen, glauben, daß ein wirtschaftliches Leben von Deutschland und von Europa überhaupt nur möglich ist, falls eine generelle Revision des Friedensvertrages oder besser noch ein neuer Friedensvertrag sofort vereinbart wird. Das Diktat von Versailles ist unausführbar. Es ist die Fortsetzung des Krieges mit andern Mitteln, eine Ausgeburt juristischer Gehirnakrobatik, gegen die Macchiavelli ein Waisenknabe ist; daß es geändert werden muß, ist die Überzeugung eines jeden vernünftig denkenden Menschen. Für diejenigen aber, die die heutige Situation in Europa erkennen, ist es auch klar, daß eine durchgreifende Änderung nicht sofort erreichbar ist. Eine Revision erscheint mir persönlich auch nicht genug, es müßte eine neue Friedenskonferenz stattfinden, auf welcher zwischen allen Staaten Verträge abgeschlossen würden, ähnlich wie jetzt zwischen Deutschland und Rußland.

Solange das Versailler Diktat existiert, müssen wir machtlos wie wir sind, versuchen, die Welt von dieser Unmöglichkeit zu überzeugen. Hierzu brauchen wir Zeit! Um eine Atempause zu gewinnen, halte ich es allerdings für richtig, heute eine ausländische Anleihe abzuschließen, damit uns die Möglichkeit gegeben wird, nach 5 Jahren eine ehrliche Bilanz auf Grund der Zustände, in denen wir uns dann befinden, zu machen und die Unmöglichkeiten der Forderungen nachzuweisen, die an uns heute noch gestellt werden.
Max M. Warburg

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