Wohnungsnot verspüren fast alle Gebiete des Abendlandes; woferne sie sich ihrer zu erwehren versuchen, bedienen sie sich im Grunde fast alle desselben Mittels, nämlich der künstlichen Förderung von Neubauten. In einem Lande werden dazu öffentliche Zuschüsse gegeben, in anderen Steuernachlässe gewährt, aber in allen läuft es darauf hinaus, daß Erbauer und Eigentümer der neuen Wohnungen irgendwelche Vorteile bekommen, die nicht in natürlicher Weise aus Bau oder Besitz der Wohnung erwachsen. Die anderen Mittel im Kampf gegen die Wohnungsnot, wie Luxussteuer, Beschlagnahme und Zwangseinquartierung verschwinden ihrer geringen Bedeutung wegen gegenüber den Versuchen, die Bautätigkeit zu beleben. So gleichartig im Grunde die Mittel sind, mit denen man der Wohnungsnot zu Leibe geht, so verschieden sind die Ansichten über ihre Ursachen. In Deutschland, dessen öffentlicher Meinungsstreit uns naturgemäß am nächsten liegt, wird von sehr sachkundigen Stellen, deren Urteil auch nicht durch die Erwägungen eigenen Vorteils und Nachteils geprüft ist, ernsthaft die Behauptung verfochten, die Wohnungsnot sei eine unmittelbare Folge der Wohnungszwangswirtschaft. Wie weit das richtig ist und wie weit nicht, mag hier ununtersucht bleiben; Erscheinungen so allgemeiner Art wie die Wohnungsnot pflegen mehr als eine Ursache zu haben, und ob die Zwangswirtschaft (bei der allerdings die Meinungen über Art und Wirkung auch sehr geteilt sind) eine dieser Ursachen ist, kann ruhig dahingestellt bleiben. Vermutungen, welche die Ursachen wirtschaftlicher Erschütterungen von solcher Schwere, wie sie unsere Wohnungsnot nachgerade geworden ist, in letzten Endes freien und willkürlichen Entschlüssen der verantwortlichen Führer der Verwaltung oder der Volkswirtschaft suchen, gehen sehr häufig in die Irre. Die Erschütterungen wachsen vielmehr heraus aus dem ganzen Gewebe wirtschaftlicher Vorgänge und Handlungen, in welchem der Wille und Entschluß auch des mächtigsten Führers solange nur Einzelheiten verändern kann, wie er nicht die tiefste Wurzel dieser wirtschaftlichen Vorgänge anpackt. Das gilt in vollem Maße von der Wohnungsnot, die solange bestehen bleiben wird, wie das Geld nicht wieder einen festen Wert bekommen hat.
Der Name Geldentwertung, mit dem man sich gewöhnt hat, die Verschiebungen in dem Verhältnis zwischen Geld und Ware zu bezeichnen, erweist sich bei genauerer Betrachtung in einem viel tieferen und ernsteren Sinne als richtig, als man ihn gemeinhin hineinnimmt. Die Geldentwertung bedeutet heute leider nicht mehr, nur daß das Geld seinen verhältnismäßigen Wert gegenüber der Ware verändert hat, sondern sie bedeutet im Grunde, daß das Geld seinen Wert als Geld überhaupt zu verlieren beginnt. Geld heißt es, weil es gilt, aber heute gilt es nur noch, soweit wie wir uns von alten Vorstellungen nicht losmachen können und soweit, wie es der Richter schützt. Geschäfte werden abgeschlossen, um des wirklichen Wertes einer Sache willen. Dieser Wert läßt sich indessen in Geld zurzeit nur noch sehr bedingt ausdrücken, umsoweniger, je länger die Frist sein soll, für die die Wertbestimmung gilt. Die Rechnung des Kaufmanns geht dahin, ob der Besitz einer Ware den Aufwand für ihren Erwerb lohnt. Wie lange er ihn lohnen wird, vermag er heute nicht zu übersehen, und die Gefahren, welche der Warenerwerb in sich birgt, werden umso größer, je länger der Besitz den Aufwand für den Erwerb lohnen muß. Wer heute ein Geschäftshaus baut, mag gern damit rechnen können, daß ihm für einige wenige Jahre die Mieten die Baukosten reichlich lohnen, aber die Baukosten wollen jahrzehntelang verzinst werden und wie es schon nach zehn Jahren darum aussieht, das kann heute auch der klügste Prophet nicht sagen.
Die Risiken, die die Unsicherheit des Geldwertes mit sich bringt, solange der Richter auf den Standpunkt steht, Mark ist Mark, wachsen also mit der Dauer, während welcher ein Geschäft läuft, mag dieses Geschäft nun der Erwerb einer Ware sein, die dauernd Nutzen tragen soll, mag es der Erwerb einer festen Geldforderung oder mag es der Eingang einer festen Geldverpflichtung sein. Der Richter fragt weder den Kläger noch den Beklagten: was hast du dir für einen Markwert gedacht? wenn der Vertrag auf eine bestimmte Summe Mark lautet; er hält sich an die Summe, gleichviel wie sich der Markwert entwickelt. (Daß in einzelnen Fällen unvorhergesehene Änderungen im Geldwert vom Gericht berücksichtigt werden, ändert am Prinzip nichts. Sollen nicht alle Grundlagen des Geschäftsverkehrs umgestürzt werden, so muß die rechtliche Geltung der Mark bestehen bleiben.) In ganz besonderem Maße wirken diese Risiken auf den Unternehmer und den Kapitalgeber in der Wohnungswirtschaft. Der eine erwirbt und der andere beleiht Güter, die schon heute im Wettbewerb mit anderen Gütern gleicher Art aus einer viel billigeren Zeit stehen, und die vielleicht in Zukunft auch neuen Gütern aus einer billigeren Zeit gegenüberstehen werden. Ob der Wettbewerb der alten Häuser einmal gefährlich werden wird oder nicht, und ob die Neubauten der Gegenwart den Kampf mit billigeren Neubauten einer Zeit höheren Geldwertes werden aufnehmen müssen oder nicht, läßt sich mit Sicherheit weder voraussagen, noch verneinen. Es genügt, daß die Möglichkeit besteht, um die Geschäftstätigkeit auf das schwerste zu lähmen, sowohl diejenige des Hausunternehmers (nicht Bauunternehmers, sondern dessen, der ein Haus zu eigen erwirbt, um daran zu gewinnen oder zu verlieren), wie auch die Geschäftstätigkeit des Hypothekengebers.
Daß der eigentliche Bauunternehmer ebenso wie derjenige, welcher ihm einen Auftrag gibt, heute bei der Aufstellung eines Anschlages nicht weiß, um das wievielfache er ihn überschritten haben wird, wenn der letzte Hammerschlag getan ist, mag für den Wohnungsbau in stärkerem Maße zutreffen, als für ein anderes Gewerbe, weil am einzelnen Arbeitsobjekt des Baugewerbes verhältnismäßig lange gearbeitet wird. Aber diese Schwierigkeit herrscht in mehr oder weniger großem Maße in jedem anderen Gewerbe und kann hier wie dort überwunden werden. Daß sie durch die Art, wie die Zuschüsse der alten Häuser auf die Neubauten ausgeteilt werden, welche die Behörden als Wohnungsabgabe erheben und als Baudarlehen vergeben, zu unangenehmen Nebenwirkungen geführt hat, die eine andere Verteilungsart wohl vermeiden könnte, sei nur nebenbei erwähnt.
Grundsätzlich unterscheidet sich die Wohnungswirtschaft von andern Gewerben dadurch, daß auf dem Markt Ware aus den verschiedensten Zeiten auftritt, d. h. für unsere Betrachtung Ware aus den Zeiten verschiedensten Geldstandes. Neben Häusern aus 1922, wo die Kleinwohnung vielleicht ½ Mill. M kostet, stehen solche aus 1921, wo dieselbe Wohnung 100 000 M kostete, und solche aus 1910, wo sie vielleicht weniger als 10 000 M gekostet hat. Was für Bauten in Zukunft noch daneben treten werden, vielleicht solche mit Baupreisen von mehr als 1 Million, vielleicht auch wieder solche mit wesentlich geringeren Baupreisen, vermag niemand zu sagen. Gefährlich können dem Neubau von heute sowohl die billigeren alten Wohnungen werden, wie möglicherweise die billigeren neuen. Einstweilen braucht allerdings der Wettbewerb der alten Wohnungen noch nicht gefürchtet zu werden. Die Praxis zeigt heute, daß jede noch so teure Wohnung einen Abnehmer findet; Abnehmer allerdings aus einem Bevölkerungskreise, der zahlenmäßig gering ist, denn für die große Masse der Bevölkerung trägt das Arbeitseinkommen heute nicht die volle Verzinsung der Kosten einer neuen Wohnung. Zum Verständnis der gegenwärtigen Lage muß man einen Blick darauf werfen, daß durch behördliche Eingriffe die Entwicklung der Mietpreise aus ihrer natürlichen Richtung gedrängt ist. Wir haben vor dem Kriege in Deutschland einen Bestand von etwa 12—15 Mill. Wohnungen gehabt, während nach dem Kriege wohl kaum mehr als 300 000 neue Wohnungen errichtet sein werden. Genaue Zahlen darüber sind nicht bekannt. Von diesen neuen Wohnungen deckt nur ein verschwindend geringer Teil seine vollen Baukosten, alle übrigen, ebenso wie die alten Wohnungen, stehen zu Preisen in Miete, welcher einer Zeit viel höheren Geldwertes entsprechen. Die Wohnungsmiete ist infolgedessen im Verhältnis zum Arbeitslohn sehr gering geworden und verhindert ihrerseits alle diejenigen, deren Arbeitseinkommen den Durchschnitt nicht wesentlich überragt, daran, Mieten zu zahlen, welche den heutigen Baukosten entsprechen würden. Insoferne wirkt allerdings gegenwärtig der niedrige Mietpreis der Wohnungen aus der billigen Zeit gefährlich für den Unternehmer, der sein Geld in neuen Wohnungen anlegen will. Diese Tatsache wird vielfach als entscheidend dafür angeführt, daß die Wohnungsnot letzten Endes nur ganz überflüssigerweise durch den Mieterschutz hervorgerufen sei. Wahrscheinlich würde allerdings sich die Geldentwertung auch auf dem Wohnungsmarkt in sehr viel größerem Maße durchsetzen, wenn wie keinen Mieterschutz hätten. Wohnung ist ein so elementares Bedürfnis, daß der notwendige Preis schließlich wohl oder übel dafür gezahlt wird, ebenso wie sich ja auch die gewaltigen Erhöhungen der Preise für die notwendigen Lebensmittel gegen jeden künstlichen Widerstand durchdrücken. Wie hoch die Wohnungspreise klettern würden, wenn wir keinen Mieterschutz hätten, mag ruhig ununtersucht bleiben. Im Vorbeigehen sei nun darauf hingewiesen, daß zum Neubau von Wohnungen außer der zu erwartenden Miete auch noch Baukapitalien, Baustoffe und Bauarbeiter nötig sind. Von den Baukapitalien wird weiter unten die Rede sein. Baustoffe sind knapp und werden knapp bleiben, solange wir monatlich 2 Mill. Tonnen Kohle über den Rhein schicken müssen. Sie sind heute schon so knapp, daß wir mit Wohnungsbauten nicht entfernt den Jahresdurchschnitt der Friedenszeit erreichen können, und daß die Industrie die notwendigen Bauten zur Fortführung ihrer Arbeit ebenfalls einschränken muß. Vermutlich würde also schon aus Mangel an Baustoffen die Wohnungsnot noch nicht so bald behoben werden, wenn nicht gleichzeitig bedeutend mehr Kohlen zur Verfügung ständen. Die Folge davon müßte die sein, daß der Kampf um die Wohnungen die Preise noch erheblich über die Grenze hinaustriebe, die ihr von Natur durch die Baukosten gesetzt ist. Wahrscheinlich wäre aber auch diese Preisentwicklung Theorie, denn Mietpreise von 25 und mehr tausend Mark für die Arbeiterwohnung würden sich friedlich kaum durchsetzen lassen. Schon nach 1870 haben bekanntlich ähnliche Verhältnisse zu Barrikadenkämpfen geführt, obgleich die damalige Notlage, verglichen mit der heutigen, nur eine leichte Unannehmlichkeit war.
Aber selbst zugegeben, daß die Mietpreise wirklich ohne wesentliche Erschütterungen sich so hoch treiben ließen, daß der Neubau von Wohnungen unter den gegenwärtigen Verhältnissen wohl seine Zinsen verspräche, würde das ausreichen, um das Unternehmertum und das Kapital, das sich heute vom Hausbau und Hauserwerb zurückhält, soweit vor Rückschlägen zu sichern, daß es seine Zurückhaltung aufgäbe? Mir scheint, nein. Aus der Praxis läßt sich darüber nur sehr wenig sagen. Die geringe Anzahl von Villen für reiche Leute beweist nichts; auch in andern Ländern bestehen fast überall künstliche Eingriffe, und über Amerika, wo solche Eingriffe in der Art, wie sie in Europa, in Deutschland besonders, gemacht sind, nicht bestehen, liegen so wenig Nachrichten vor, daß man noch keine sicheren Schlüsse daraus ziehen kann. Bekannt ist nur, daß auch in Amerika künstliche Mittel angewandt werden, um zum Wohnungsbau anzureizen, also hält sich wahrscheinlich auch dort das Unternehmertum noch zurück. Das ist verständlich, wenn man sich überlegt, in wie großem Maße heute und auf viele Jahre hinaus noch die Zahl der billigen alten Wohnungen die Zahl der teuren Neubauten überwiegt und überwiegen wird. Daß in der Gegenwart der Mietpreis der alten Wohnungen ohne die künstliche Staatshilfe nicht den Ausschlag auf den Wohnungsmarkt geben würde, liegt begründet in unserer schweren Wohnungsnot. Wandelt sich diese einmal in ihr Gegenteil, in einen auch nur bescheidenen Wohnungsüberfluß, so wird der Wettbewerb der alten Wohnungen die Neubauten um ihre Verzinsung bringen. Auch hier handelt es sich allerdings nur um eine Vermutung, denn wann und ob unsere Wohnungsnot behoben sein wird, vor allen Dingen aber, ob wir einmal zu einen gewissen Überfluß an Wohnungen kommen werden, darüber läßt sich wie über so vieles andere nichts im voraus sagen. Nicht vergessen darf man, daß der Wohnungsmarkt zum mindesten ebenso stark von örtlichen Faktoren abhängt, wie von allgemeinen. Lage des Gewerbes, Verkehrslage, Bevölkerungsbewegung, sind die Momente, die ihn im wesentlichen bestimmen. Wie verschieden sie sind und wie verschieden sie wirken, dafür geben einmal die Hafenstädte ein Beispiel und zweitens die Zahlen über unsere Bevölkerungsbewegung; auch vor dem Kriege war das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt örtlich durchaus verschieden. Um abzuwägen, ob die Wohnungsnot sich an einem Ort in ihr Gegenteil verwandelt oder nicht, muß man also Faktoren in Rechnung ziehen, deren Entwicklung nicht bekannt ist, aber ebensogut nach der einen Seite wie nach der anderen gehen kann. Wenn die furchtbaren Erschütterungen unserer Wirtschaft andauern, die direkt aus dem sogen. Friedensvertrag von Versailles und aus den späteren Abmachungen und Diktaten folgen, dann geht es mit unserer Wirtschaft wahrscheinlich rettungslos bergab, ebenso wahrscheinlich, wie sich Deutschland wirtschaftlich schnell erholen wird, wenn jenseits des Rheins einmal wieder die Besinnung einkehrt. Möglich ist das eine, möglich ist das andere. Wer wirtschaftliche Dispositionen auf Jahre hinaus treffen will, hat mit beiden zu rechnen.