Zu den interessantesten Kapiteln der deutschen Volkswirtschaft seit 1914 gehört die Preisgestaltung im Handel und in der Industrie, sowie die Wechselbeziehung zwischen der schwankenden Wertbemessung der deutschen Mark und der Preisbildung auf dem deutschen Markt.
Das Tatsächliche des Themas ist in der Presse, in rein wissenschaftlichen und Fachzeitschriften genugsam behandelt worden, so dass ich meine hier folgenden Ausführungen, die ich als Mahnruf und als Anregung zum eigenen Nachdenken aufgefasst wissen möchte, darauf beschränken kann, aus der Geschichte der Preisbildungsmethoden seit 1914 nur so viel kurz zu erwähnen, wie zum Verständnis meiner Schlussüberlegungen für diejenigen notwendig ist, die das Glück haben, sich mit derartigen Fragen nicht unausgesetzt beruflich beschäftigen zu müssen.
In der Vorkriegszeit verstand man in Deutschland – wie in allen Kulturländern mit fester Währung auch heute noch – unter einem angemessenen Verkaufspreis einer Ware oder eines Produktes die Summe der dafür aufgewendeten Kosten (Selbstkosten) plus angemessenen Gewinn. Die Grundlage der Preisgestaltung war also eine feste, und einen gewissen Spielraum gewährte nur der Gewinnzuschlag, über dessen „Angemessenheit“ im Streitfalle die ordentlichen Gerichte verhältnismäßig leicht Entscheidungen treffen konnten. Hersteller und Konsument befanden sich in gesicherten Verhältnissen und der freie Wettbewerb sorgte ganz selbsttätig für Beschränkung der Gewinne in allen Wirtschaftszweigen.
Dieser durch seine Einfachheit und Natürlichkeit paradiesisch schöne Zustand ist der deutschen Wirtschaft nicht, wie das biblische Paradies, durch einen einzigen Sündenfall, sondern in erster Linie durch die jahrelange Kriegskatastrophe, dann aber auch infolge einer Kette von behördlichen und privatwirtschaftlichen Sünden und Fehlern verloren gegangen.
Ob und inwieweit der Verfall der deutschen Währung, das ist die Quelle allen Übels, hätte vermieden werden können, ist nicht Gegenstand dieser Betrachtung, als interessante Tatsache verdient aber festgestellt zu werden, dass das altbewährte Dogma: Verkaufspreis = Gestehungspreis + angemessener Gewinn, all die langen schweren Kriegsjahre hindurch auch in Deutschland ganz allgemein anerkannt blieb, trotzdem der Tauschwert unserer Währung – das heißt die Kaufkraft der Mark – allmählich auf die Hälfte des ursprünglichen Goldwertes und noch tiefer gesunken war.
Die Preise stiegen zwar stetig, weil die Arbeitsvergütung als Urgrund aller Produktion entsprechend der Kaufkraftverminderung der Mark erhöht werden musste, aber die alte ehrliche Preisermittlungsmethode auf der Grundlage der Gestehungskosten blieb, und kein anständiger Kaufmann oder Fabrikant konnte es, ohne sich einer Anklage wegen Wuchers und Beschlagnahme seiner Waren auszusetzen, riskieren, höhere Verkaufspreise zu fordern als: Selbstkosten + angemessener Gewinn.
Die Erkenntnis, dass die gute alte Formel ihre Daseinsberechtigung verloren hatte, als die deutsche Mark aufhörte, Wertmesser zu sein und lediglich Zahlungsmittel von schwankendem Wert blieb, brach zwar in den einsichtigen Handels- und Produzentenkreisen erst in den Zeiten nach der Revolution, da die Markentwertung ein schnell und schneller werdendes Tempo einschlug, ziemlich rasch Bahn, bei Behörden aber und insbesondere bei den Gerichten erstaunlich langsam, denn die Fiktion: 1 Mark = 1 Mark musste vom Reich künstlich und mit aller Gewalt aufrechterhalten werden, wenn das Reich sich nicht der Gefahr aussetzen wollte, dass auch seine Markgläubiger von ihm eine andere Papiermarksumme zurückfordern könnten, die sie seinerzeit dem Staat in guter Goldmark hingegeben hatten.
In den wenig einsichtsvollen Kreisen des Handels sowohl wie der Verbraucher dämmerte die Erkenntnis des grundsätzlichen Unterschiedes zwischen Scheingewinn und Effektivgewinn nur sehr allmählich, und jahrelang haben unzählige, namentlich kleinere Kaufleute ihre Existenz langsam, aber gründlich untergraben und sich, wie man sagt, „bankrott verdient“, indem sie voller Begeisterung über ihr blühendes Geschäft Waren, die sie mit hochwertiger Mark eingekauft hatten, zuzüglich eines scheinbar recht hohen Aufschlages gegen minderwertigere Mark eintauschten.
Der Konsument überschüttete dabei häufig noch obendrein die armen törichten Scheingewinnler mit schweren Vorwürfen und machte den Staatsanwalt gegen sie mobil. Der Steuerfiskus nahm ihnen einen großen Teil der sog. Gewinne wieder ab.
Ebenso töricht, aber volkswirtschaftlich weit gefährlicher und schädlicher waren die Kaufleute, welche ihre Waren überhaupt nicht verkauften, sondern zurückhielten, weil sie in ihrer Klugheit glaubten, sie „verdienten“ mehr, wenn sie warten, bis die Preise noch höher gestiegen sind. Jawohl, sie bekamen dann schließlich auch meistens viel mehr Papiermark und verbuchten enorme Gewinne, aber neu kaufen konnten sie niemals mehr Ware für die schlechtere Mark, sondern meistens weniger.
Die eigentlichen Kriegs- oder Revolutionsgewinnler waren dagegen die Leute, welche, die Geldnot einer großen Bevölkerungsschicht ausnutzend, Waren und Grundstücke weit unter dem realen Wert unter Ausnutzung von Markkrediten aufkauften und sie vorzugsweise nach dem Ausland abschoben oder als wertbeständige Anlage aufbewahrten. Die größten und gemeingefährlichsten dieser Schädlinge kauften gelegentlich der Demobilisation und Abrüstung von dem in solchen Dingen geradezu sträflich harmlosen Reich gewaltige Posten von Materialien, Ausrüstungsgegenständen, Maschinen und dergl. gegen feste, und zwar niedrige, Pauschalmarkpreise, blieben die Zahlungen dem Reich schuldig oder liehen sich das Geld von ebenso harmlosen Geldgebern und entledigten sich dann viel später, als die Mark nur noch einen Bruchteil des Wertes am Abschlusstag des Geschäftes hatte, ihrer Verpflichtungen durch Zahlungen, die den Erlösen verschwindend kleiner Bruchteile der erworbenen Güter entsprachen. Der ganze überwiegend große Rest war glatter, rechtlich leider nicht anfechtbarer Gewinn der betreffenden „klugen“ Leute.
Die Schädigungen, die das deutsche Volksvermögen durch solche Geschäfte erlitten hat, sind zweifellos gewaltig, leider aber zahlenmäßig nicht feststellbar, da alle behördlichen Dienststellen, die in die Falle gegangen waren, ein begreifliches Interesse daran haben, den sie umgebenden Schleier nicht zu lüften.
Alles das spielte sich in der Epoche der Preisbildung in fester Papiermark ab, die etwa bis in die Mitte des Jahres 1919 reichte.
Man könnte diesen Abschnitt auch die Periode der „Pseudoteuerung“ nennen, denn das große Publikum klagte und stöhnte über die stündig zunehmende Teuerung, während in Wirklichkeit eine Teuerung in Deutschland gar nicht bestand, sondern im Gegenteil das Preisniveau des deutschen Marktes unter – und zwar zeitweise sehr erheblich – dem Weltmarktniveau lag, wenn man den internationalen Tauschwert der Papiermark in Rechnung stellt.
Konnte es Wunder nehmen, dass in diesem Stadium eine große Zahl von gewissenlosen Schiebern, trotz aller behördlichen Verhütungsmaßnahmen, große Mengen deutscher Waren zu Preisen, die unter dem Weltmarktwert lagen, nach dem Ausland verschoben, sich selbst dabei ansehnliche Gewinne verschafften, dem Volksvermögen aber ungeheure Schädigungen zufügten?
Geradezu katastrophal wirkte sich die verständnislose Preisberechnungspolitik in den Haushaltungen des Reiches, der Staaten und der Kommunen aus, und man darf wohl behaupten, dass das zähe Festhalten sämtlicher Behörden an der Fiktion: Mark ist gleich Mark die Hauptursache der jetzt ins Bodenlose gesunkenen Markbewertung ist. Denn alle öffentlichen Einnahmequellen, Steuern, Abgaben und Tarife für die öffentlichen Verkehrsanstalten wurden unter dem Druck der parlamentarischen Verschleppungseinrichtungen immer noch auf Grund von zeitlich weit zurückliegenden Verhältnissen in Mark ermittelt und in Geltung gelassen, wenn schon der Augenblickswert der wirklich gezahlten Mark nicht mehr entfernt ihrer Kaufkraft zur Zeit der Preisermittlung entsprach.
Da aber gleichzeitig die öffentlichen Ausgaben immer a tempo oder doch wenigstens sehr rasch der Markentwertung folgten, indem nämlich die Gehälter, Löhne und Beschaffungskosten der Augenblickskaufkraft der Mark angepasst wurden, musste, auch ohne Reparationslasten, mit mathematischer Sicherheit das Defizit aller öffentlichen Haushalte ein unausgesetzt steigendes werden, also den Marknotenumlauf vermehren und damit auf die Markbewertung einen neuen Druck ausüben.
Vielleicht lag in dieser Harmlosigkeit der öffentlichen Steuer- und Preispolitik System, insofern man hoffte, durch die Defizitwirtschaft die Entente von unserer Zahlungsunfähigkeit zu überzeugen und unsere Exportfähigkeit durch Aufrechterhaltung einer Spanne zwischen Herstellungspreis in Papiermark und Weltmarktpreis, in Goldwert gerechnet, zu erhalten.
Man hatte aber wohl nicht damit gerechnet, dass der circulus vitiosus: Defizit – Inflationssteigerung – Sinken des Markwertes – Steigen aller Ausgaben – Zurückbleiben der Einnahmen – Steigerung des Defizits naturnotwendig zu einem immer schneller und schneller werdenden Tempo der Markentwertung führen und damit schließlich infolge Versagens jedes geordneten Zahlungsverkehrs die innerdeutsche Wirtschaft zu einem Chaos bringen musste.
Während also die Staatsmaschine zum Teil infolge der geschilderten Verhältnisse durch eigene Schuld der Maschinenführer, zum andern Teil durch die uns aufgebürdeten Lasten, wie Reparationen, Gebietsentreißungen, verminderte Produktion und Ruhrunterstützungen, allmählich immer mehr in Unordnung kam, hat die produktive Privatwirtschaft sich bis jetzt noch durch Anpassung an die veränderten Verhältnisse wenigstens soweit zu helfen gewusst, dass sie ihre Einnahmen in annähernd gleichem Verhältnis steigerte, wie die Ausgaben wuchsen.
Die Methoden, mit deren Hilfe dies ermöglicht wurde, geben in ihrer vielgestaltigen Entwicklung ein sprechendes Bild von der allmählich wachsenden Erkenntnis dessen, was not tut, gleichzeitig aber von der Ratlosigkeit über die einzuschlagenden Wege. Der erste Schritt nach Loslösung von dem System der festen Marktpreise war die Schaffung eines der Veränderung von Zeit zu Zeit unterworfenen Zuschlages, den man fälschlicherweise „Teuerungszuschlag“ nannte, richtiger aber Markentwertungszuschlag hätte nennen müssen. Die Grundlage der Ermittlung der jeweils gültigen Preise blieb immer noch die alte, nämlich Gestehungskosten plus angemessener Gewinn; neu war nur die Berechnung der Gestehungskosten anhand der zur Zeit der Festsetzung gültigen Materialpreise und Löhne, also unabhängig davon, ob vorhandene Vorräte zu niedrigeren Preisen hergestellt oder erworben worden waren.
Für Aufträge, die nicht unmittelbar nach Bestellung erledigt werden konnten, entstand dabei die Frage, welcher Zeitpunkt zwischen Bestellung und Lieferung für die Bemessung des Zuschlages maßgebend sein sollte. Durch Verhandlungen zwischen Käufer- und Produzentenorganisationen kamen die verschiedenartigsten Kompromisse zustande, die fast alle darauf hinausliefen, dass ein Stichtag vereinbart wurde, der zeitlich immer vor dem Liefertag lag. Die Folge war, dass die Industrie in erster Linie und der Handel in zweiter bei weiter fallendem Marktwert stets einen geringeren Effektivwert in Papiermark erhielt, als zur Wiederbeschaffung derselben Ware aufgewendet werden musste. Die so entstandenen Verluste – wohlverstanden trotz buchmäßiger Papiermarkgewinne – wurden in vielen Fällen erhöht durch die Zeitspanne zwischen Lieferung und Zahlungseingang, welche eine weitere Markentwertung brachte, und wuchsen ins Unerträgliche, als das Tempo der Kaufkraftverminderung in Galopp überging.
Da – es war erst im Laufe des vorigen Jahres – wurde anfangs vereinzelt und schließlich von allen Seiten der Industrie gegen das alte Prinzip der Preisbemessung nach Herstellungskosten Sturm gelaufen, und selbst die am zähesten an den alten Anschauungen festhaltenden Beschaffungsbehörden mussten sich, nachdem auch namhafte Wissenschaftler in dieselbe Kerbe geschlagen hatten, zugeben, dass die neue Lösung: Verkaufspreis = Wiederbeschaffungspreis + angemessener Gewinn, ihre Berechtigung hatte.
Der Produzent glaubte sich gesichert zu haben, doch siehe da, die Schwierigkeiten nahmen kein Ende, denn nun forderten die Käufer vom Hersteller, dass er die zu verschiedenen Zeitpunkten vor der Lieferung eingeforderten Anzahlungen und Vorschüsse nicht einfach in gleichen Papiermarksummen vom Endpreis, das heißt dem Wiederbeschaffungspreis, abziehen dürfe, sondern die Höherwertigkeit der vorgeleisteten Zahlungen bei der Endabrechnung berücksichtigen müsse. Die Folge dieser an sich berechtigten Forderung war eine Blütenlese von verschiedenen „Abgeltungs-“ oder „Valorisierungs-“formen in den verschiedenen Geschäftszweigen, welche die Rechnungsbüros und Buchhaltereien sowohl der Käufer wie Lieferanten an die Schwelle des Irrenhauses brachten, und trotzdem konnte kein Geschäftsmann zu irgendeinem Zeitpunkt feststellen, wie groß seine Verpflichtungen einerseits und seine Guthaben andererseits insgesamt sind.
In dieser Wirrnis brach sich das Schlagwort „Goldmarkrechnung“ in den weitesten Kreisen Bahn, nachdem einige Industriezweige, die ihr Material ausschließlich im Auslande kaufen mussten, damit den Anfang gemacht hatten. Eine wirkliche Goldmarkrechnung einzuführen war leider nicht möglich, da es keine Goldmark als Zahlungsmittel gab und die gleichwertige Methode, goldwertige Zahlungsmittel, das heißt ausländische, zu fordern, durch Gesetz für Inlandsgeschäfte verboten war aus Gründen, die hier nicht zur Erörterung stehen; und so kam man zu dem letzten, heute in Großhandel und Industrie schon fast allgemein üblichen Verfahren der Preisberechnung in Goldmark, umgerechnet am Zahltage bzw. unmittelbar vor oder nachher in Papiermark nach dem Börsenkurse des amerikanischen Dollars.
So wurde die wild schwankende Dollarnotierung der Maßstab für die Berechnung der Zahlung des Goldpreises in Papiermark, und während früher unter dem Druck der Staatsanwälte und Wuchergerichte der kleine Geschäftsmann sich doch im Allgemeinen scheute, seine Preise von heute auf morgen hinaufzusetzen, weil er die Ware noch billig eingekauft hatte, richtet sich gegenwärtig schon der kleinste Flickschuster oder die Gemüsefrau nach dem Dollar und schlägt ohne Bedenken heute 50 % auf die gestrigen Preise auf, wenn der Dollar in der Zeitung mit derselben Steigerung notiert hat. Kein Amtsanwalt schreitet dagegen ein, und schließlich haben die Leute auch recht, denn nach dem Prinzip der Goldrechnung: bekommen sie heute nicht mehr Gold als gestern, verlieren im Gegenteil doch noch meistens einen Teil des Goldwertes, denn am Tage nach Eingang ist die Papiermark vielleicht noch weniger wert, und in demselben Augenblick, in welchem das Geld einkommt, kann es nicht „wertbeständig“ angelegt werden, wie das bereits von jedem Sextaner fleißig angewandte Schlagwort heißt. Das trifft für den Flickschuster wie für die Großindustrie zu, besonders nachdem die Banken in letzter Zeit zu ihrer eigenen Sicherung Bedingungen für ihre Kundschaft aufgestellt haben, die einer Rechtloserklärung dieser fast gleichkommen. Doch das ist ein Kapitel für sich.
Zur Preisermittlungsmethode zurückkehrend, wollen wir nun den Zustand etwas näher betrachten, der unter der Herrschaft der Goldrechnung entstanden ist.
M. Kubienczyk,
Generaldirektor der Aktiengesellschaft Mix & Genest
(Ein zweiter Aufsatz folgt.)