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Es besteht in England die bewundernswerte Sitte, daß einmal im Jahre die Oberlehnsherren der Fünf Großen für die Dauer eines Tages von der undankbaren Arbeit Abstand nehmen, ihre Kunden zur Entgegennahme von Krediten zu überreden, und das Scholaren gewand anlegen, das Rostrum des Dozenten besteigen, um die Theorie ihrer Praxis auszulegen: eine Art von Saturnalien, während deren wir alle für einen Tag gleich sind, mit Worten statt Waffen. Diese Gelegenheiten sind von großem allgemeinen Interesse. Aber sie sind mehr als dies. Sie haben eine repräsentative Bedeutung: sie stellen gleichsam die finanziellen Modebilder aus. Was haben sie dieses Jahr über Geldpolitik zu sagen?

Nur einer, Herr Walter Leaf, von der Westminster Bank, hat sich gänzlich Entsagung auferlegt. Jeder der anderen vier hat etwas zu sagen gehabt. Sie teilen sich in zwei Paare: Eines davon, Herr Beaumont Pease, von der Lloyd's Bank, und Sir Harry Goschen, von der National Provincial Bank, hat das Gefühl, daß es etwas unpassend oder wenigstens unerwünscht sei, über diese Dinge überhaupt zu denken oder zu sprechen; während das andere, Herr Goodenough von Barclay's Bank, und Herr Mc Kenna, von der Midland Bank, weit davon entfernt, Erörterung zu mißbilligen, sich kühn in sie mischen.

Herr Pease mißbilligt, wie ich schon gesagt habe, das Denken oder wie er es lieber nennt — „den Aufwand geistiger Agilität“. Er wünscht „den Tatsachen gerade ins Auge zu sehen, statt einen schlauen Weg zu ihrer Umgehung zu finden“, und behauptet, daß in Angelegenheiten, die aus der Quantitätstheorie des Geldes entstehen, was Gehirn und Charakter betrifft, „der letzte sicherlich nicht an Verdienst dem ersten nachsteht“. Kurz, die Goldwährung fällt innerhalb der Sphäre der Moral oder der Religion, wo Freidenkerei nicht am Platze ist. Er fährt dann fort: „Soweit irgendeine gewöhnliche Aktienbank im Spiel ist, so glaube ich nicht, daß sie ihre Politik bewußt nach reinen Währungsgrundsätzen bestimmt. Das will sagen, ihre Hauptsorge ist, den jeweiligen Erfordernissen des Wirtschaftslebens zu genügen, unbekümmert um die Anhängerschaft zu irgendeiner besonderen Theorie. Ihre Handlungen sind nicht die Ursache der Wirtschaftsbewegungen; sie folgen ihnen und gehen ihnen nicht vorher.“ Ich glaube, daß dies im großen und ganzen eine korrekte Darstellung der Sache selbst ist, und der Nachdruck, den Herr Pease darauf legt, ist der wertvollste Teil seiner Rede. Es ist gerade dieses automatische Element in den Reaktionen der Aktienbanken, das die Politik der Bank von England hinsichtlich der Banksalden und des Diskontsatzes so überaus wichtig macht. Abschließend macht Herr Pease keinen Vorschlag, im gegenwärtigen Augenblick irgend welche besonderen Schritte zur Aufrichtung irgendeines besonderen Währungsmaßstabs zu tun. Nichtsdestoweniger ist er voll „Hoffnung, daß wir allmählich zurück zu unserer Goldwährung gelangen werden, die trotz einiger Schäden und Schwierigkeiten in der Vergangenheit tatsächlich gut funktioniert hat“.

Sir Harry Goschen geht einen Schritt weiter als Herr Pease in einer prachtvollen Stelle, die vollständig zitiert zu werden verdient:

„Ich kann nicht umhin zu denken, daß in letzter Zeit viel zu viel unverantwortliche Erörterungen über die relativen Vorzüge von Inflation und Deflation stattgefunden haben. Erörterungen dieser Art können nur in den Köpfen unserer Nachbarn Verdacht erregen, daß wir diesen oder jenen Weg gehen wollen, und wenn so, welchen. Ich glaube, wir sollten die Dinge lieber ihren natürlichen Lauf gehen lassen.“

Ist es ziemender, über die kunstlosen Gefühle zu lächeln oder wütend zu werden? Das beste ist vielleicht, Sir Harry seinen natürlichen Lauf nehmen zu lassen.

Wenn wir also diese unsträflichen alten Jungfern beiseite lassen, so kommen wir mit den Reden von Herrn Goodenough und Herrn Mc Kenna zu rationaler, selbst gewagter Konversation. Hinsichtlich der augenblicklichen Politik besteht ein hohes Maß von Übereinstimmung zwischen diesen beiden Autoritäten. Sie sind beide der Meinung, daß die Geldpolitik fähig ist, das Preisniveau zu bestimmen, daß unser Schicksal also in unseren eigenen Händen liegt und daß die Verfolgung des rechten Weges viel Nachdenken und Erörterung erfordert. Herr Goodenough legt aber größeren Nachdruck auf den Bankdiskont, Herr Mc Kenna auf den Betrag der Kassenbestände in der Hand der Banken. Sie sind beide Gegner einer Wiederbelebung der Deflationspolitik nach den Maximen des Cunliffeausschusses im gegenwärtigen Zeitpunkt. Ihr Blick ist auf die inneren Verhältnisse gerichtet, nicht auf die intervalutarischen Kurse, als Kriterium für die Ausdehnung oder Einschränkung der Kredite; mit dem Unterschied aber, daß Herr Mc Kenna hauptsächlich auf den Beschäftigungsgrad sehen möchte, während Herr Goodenough sich mehr durch die Stabilität der inländischen Preise bestimmen lassen will. „Wenn ich meine Ansichten über die Währungsfrage zusammenfassen soll,“ sagt der zweite, „so meine ich, daß es unser Ziel sein muß, das bestehende Gleichgewicht zwischen Geld und Waren so weit als möglich aufrechtzuerhalten. . . .“ Keiner von beiden wäre aber durch eine mäßige Preissteigerung verstört, vorausgesetzt (im Falle Mc Kenna), daß die Wirtschaftskräfte des Landes noch nicht voll ausgenutzt sind, und (im Falle Goodenough) daß die Steigerung weder auf spekulative Zurückhaltung von Waren zurückzuführen ist, noch eine Steigerung der englischen Preise im Vergleich zu amerikanischen Preisen bedeutet. Über unser letztes Ziel spricht Herr Mc Kenna nicht; nichts aber in seiner Rede verhindert uns anzunehmen, daß er etwas dagegen einzuwenden hätte, ständig die Politik zu verfolgen, die er für den Augenblick empfieht: „einen mittleren Kurs zwischen Inflation und Deflation zu steuern“, d. h. wie Herr Goodenough, die allgemeine Stabilität der Preise innerhalb bestimmter Grenzen anzustreben und die Geldpolitik bewußt in den Dienst der Milderung der Übel der Konjunkturschwankungen zu stellen: „Auf- und Abwärtsbewegungen des Wirtschaftslebens sind unvermeidlich, aber eine weise Geldpolitik kann immer die Konjunkturschwankungen daran verhindern, ins Extrem zu gehen. Die spekulativen Ausschreibungen eines inflationären Aufschwungs und die grausame Verarmung einer sich hinziehenden Stockung können beide vermieden werden. Sie sind keine notwendigen Übel, denen wir uns unterwerfen müssen, als Dingen ohne verständliche oder abwendbare Ursachen.“ Herr Goodenough andererseits sieht zwar von der Verfolgung der Goldwährung im gegenwärtigen Augenblick ab, setzt aber die oben zitierte Stelle seiner Rede wie folgt fort: „... obgleich wir immer unser letztes Ziel, die Rückkehr zu einer Goldwährung, im Auge behalten sollten.“ Inzwischen setzt er seine Hoffnung auf eine Inflationsbewegung in Amerika, die gerade hinreichen solle, das Pfund Sterling zu seiner früheren Parität mit dem Gold zurückzubringen, ohne Störung seiner gegenwärtigen Warenparität.

Die Rede des Herrn Mc Kenna im besonderen enthält so viel weise und durchsichtige Darlegungen der Art, in der unser Geldsystem funktioniert — es ist die allerbeste Rede, die er in einer bemerkenswerten Reihe gehalten hat —, daß sie nicht ganz an dieser Stelle analysiert werden kann, und so muß der interessierte Leser auf das Original verwiesen werden. Es muß aber noch ein anderer Gegenstand erwähnt werden, auf dem sowohl er wie Herr Goodenough mit Nachdruck verweilen, nämlich der Mangel an Elastizität, der unserer Notenausgabe durch das Schatzamtsprotokoll auf Empfehlung des Cunliffeausschusses auferlegt worden ist. Der Gegenstand dieses Protokolls war die Erzwingung eines fortgesetzten Deflationsprozesses. Die Politik ist aufgegeben, aber die Verordnung steht immer noch. Beide Redner zeigen deshalb etwas Nervosität. Herr Goodenough legt dar, daß es möglich ist, in einem gewissen Maße um die Verordnung herumzukommen, indem einfach Gold von der Reserve der Bank von England in die Currency-Noten-Reserve übergeführt wird. Trotzdem „haben wir immer noch die Schritte in Betracht zu ziehen, die es wünschenswert wäre zu unternehmen, falls das nicht unwahrscheinliche Ereignis eintritt, daß die Obergrenze der Notenausgabe erreicht wird. Ich glaube, man muß zugeben, daß es unerwünscht, in der Tat unmöglich wäre, im voraus irgendeine starre Regel festzulegen ...“ Wenn, so folgert er schließlich, die Nachfrage nach zusätzlichen Noten „der Reflex einer natürlichen Ausdehnung der Wirtschaftsaktivität ist, kann sie als gesundes Zeichen betrachtet werden, und es wäre dann also keine ungebührliche Begrenzung gerechtfertigt“.

Herr Mc Kenna sagt noch entschiedener, daß eine Änderung erfordert wird; er weist sehr klar auf den interessanten Punkt hin, daß die Menge unserer Zahlungsmittel jetzt unelastischer ist als vor dem Kriege, weil sie damals immer, wenn nötig, durch den Einstrom von Gold anwachsen konnte, während jetzt überhaupt kein Mittel zu ihrer Vermehrung zur Verfügung steht, gleichgültig, was auch die Umstände seien.

Was ist das Endergebnis dieser Reden? Sie stärken sehr die Hände der Währungsreformer, die glauben, daß die Stabilität des inländischen Preisniveaus und die Dämpfung der Konjunkturschwankungen erwünschte und erreichbare Gegenstände darstellen. Sie wirken auch beruhigend, da sie zeigen, daß zwei der einflußreichsten Männer der City alle Punkte von unmittelbarer praktischer Bedeutung im Auge haben und ihren Einfluß in der rechten Richtung auszuüben nicht verfehlen werden. Herr Mc Kenna und Herr Goodenough sympathisieren beide mit den obigen Zielen. Auch wäre es nicht richtig, zu sagen, daß die Alten Jungfern diesen Gedanken endgültig entgegengesetzt sind. (Es wäre ebenso unpassend für sie in puncto geistiger Agilität, das eine oder das andere zu denken; ihre Einfalt ist ganz unparteiisch.) Wenn sie sanft an die Hand genommen und über den Kreis ihrer Schönschreibheftmaximen von dem „fest den Tatsachen ins Auge sehen“ und „Sparsamkeit und harte Arbeit“ hinausgeführt werden könnten, so könnte es sich herausstellen, daß auch sie keine Einwendungen gegen einen wohlüberlegten Versuch zu machen hätten, die Preise beständig und die Wirtschaft auf gleichmäßigem Kiel zu halten; vielleicht daß sie zwar zunächst die gleiche Abneigung gegen irgendeinen Vorschlag, in „den natürlichen Lauf“ der Preise „hineinzupfuschen“, empfinden, wie sie sie gegenüber einem Versuch, das Geschlecht des Kindes vor der Geburt festzulegen, empfinden würden; daß sie aber in Wirklichkeit nicht auf ihrer instinktiven Bevorzugung eines Zustandes zu bestehen entschlossen sind, in dem diese Angelegenheiten durch die Methoden puren Zufalls geregelt werden.

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