Ob das Werk von 1919/20 unter keinen Umständen aufrechtzuerhalten war und weshalb es tatsächlich nicht aufrechterhalten wurde, soll hier im einzelnen nicht untersucht werden. Es ist unbillig und enge gedacht, den Reichstag oder die Regierung, in erster Linie den Reichsminister der Finanzen hier allein schuldig zu erklären. Beide trifft die Verantwortung, und gewiß bestehen zwischen beider Schuld wechselseitige kausale Verknüpfungen — ebenso wie dies bei der Inflation und dem Budgetdefizit, bei diesen Erscheinungen wiederum und dem Wachsen des Einflusses von Interessengruppen und -grüppchen der Fall ist.
Tatsache ist, daß die Einnahmen des Reichs sowie die der andern öffentlichen Körperschaften in immer geringerem Maße zur Deckung der Ausgaben beitrugen. Alle Reformen: Steuerkompromiß (April 1922) und Geldentwertungsgesetz (März 1923), Zwangsanleihe (Juli 1922), Brotversorgungsabgabe (Juni 1923) und die — ganz unwirksamen, weil viel zu spät erlassenen — außerordentlichen Steuern zur Finanzierung des Ruhrkampfes (August 1923) vermochten daran nichts zu ändern. Erst als die Repudiation der Mark infolge der aus der Finanzgebarung des Reichs resultierenden Inflation immer weitere Fortschritte machte und die politischen Spannungen aufs höchste gestiegen waren, entschloß sich die Regierung, gestützt auf das „Ermächtigungsgesetz“, zu radikalen Maßnahmen. Die Steuern wurden, durchgehends auf „Gold“ umgestellt, einer Neuregelung unterzogen — wobei einige Abgaben völlig verschwanden, andere wieder auferstanden —, und gleichzeitig ist die Frage des Finanzausgleichs einer („vorläufig endgültigen“) Lösung entgegengeführt worden. Bevor jedoch auf diesen letzterwähnten Punkt noch etwas näher eingegangen und die Entwicklung der Verhältnisse seit Kriegsende skizziert wird, sei eine Darstellung des Systems der Reichssteuern gegeben, wie es sich unter Berücksichtigung der sogenannten „Steuernotverordnungen“ vom Dezember 1923 und Februar 1924 ergibt.
I. Belastung des Einkommens und Vermögens.
1. Einkommensteuer: a) Besteuerung des Einkommens aus Löhnen und Gehältern durch den 10%igen Steuerabzug. 50 M monatlich steuerfrei. Der Steuersatz ermäßigt sich um je 1 % für die Ehefrau und jedes minderjährige Kind. b) Besteuerung aller sonstigen Einkünfte physischer Personen auf Grund von Veranlagung. Tarif, Veranlagung und Erhebung bisher noch nicht näher geregelt. Vorläufig: Vorauszahlungen, und zwar: vierteljährlich 1 M je 1000 M Vermögen bei Einkommen aus Land- und Forstwirtschaft; 2 % des Umsatzes (nach Abzug von Löhnen und Gehältern) bei Einkommen aus Gewerbebetrieb und Bergbau; 10 % Kapitalertragssteuer; bei sonstigen Einkommen (aus Grundbesitz, freien Berufen usw.) für die ersten 2000 M des Überschusses über die Werbungskosten 10 %, für die weiteren Beträge 20 %; für lohnsteuerpflichtiges Einkommen 20 % der vierteljährlich 2000 M übersteigenden Beträge, unter Anrechnung des Steuerabzugs. — Eine Besteuerung des übermäßigen Aufwands tritt bei ungenügenden Vorauszahlungen ein: 10 % für die ersten 2000 M des Verbrauchs, 20 % für die weiteren Beträge. — Ermäßigung bei den ersten 2000 M Einkommen: 1 % des Steuersatzes für die Ehefrau und jedes minderjährige Kind. 2. Körperschaftssteuer: Bisher nur Provisorium: Juristische Personen leisten 2 % des Umsatzes abzüglich Löhne und Gehälter als Vorauszahlung; Minimum für Erwerbsgesellschaften: ½ ‰ des Vermögens monatlich. 3. Vermögenssteuer: Steuersatz grundsätzlich 5 ‰ des Vermögens nach dem Stande vom 31. Dezbr. 1923; Ermäßigungen bei Vermögen bis 25 000 bzw. 50 000 M auf 3 bzw. 4 ‰, Erhöhungen bei mehr als 100 000, 500 000, 2 Millionen bzw. 5 Millionen M auf 6,6½, 7 bzw. 7½ ‰. 4. Erbschaftssteuer: entsprechend dem Verwandtschaftsgrad 2-14 % des Erbanfalls bzw. der Schenkung. Nach der Höhe des Erwerbs Steigerung bis auf das Fünffache möglich. 5. Obligationensteuer (Steuer zum Ausgleich der Geldentwertung bei Schuldverschreibungen): 2 % des Goldbetrags der Schuldverschreibungen abzüglich 15 % (Aufwertungsbetrag). Ist Tilgung bereits erfolgt, Erhöhung um die Differenz zwischen Aufwertungsbetrag und Goldwert des Tilgungsbetrags.
II. Belastung des Verkehrs und Verbrauchs.
1. Umsatzsteuer: a) allgemeine: 2½ % des Lieferungs- bzw. Leistungsentgelds; b) erhöhte (Luxussteuer): 15 %. (Für Leistungen besonderer Art 5, 10 bzw. 15 %.) 2. Grunderwerbssteuer: 4 % des gemeinen Werts. 3. Kapitalverkehrssteuer: a) Gesellschaftssteuer: bei Gesellschaftserrichtung und Kapitalserhöhung 7½ % des Kapitals bei Kapital-, ¾ % bei offenen Handelsgesellschaften. b) Wertpapiersteuer: bei Emission inländischer Schuldverschreibungen ¾-4 %, beim ersten Umsatz ausländischer Schuldverschreibungen ¾-4 %, ausländischer Aktien 7½ %. c) Börsenumsatzsteuer: bei Anschaffungsgeschäften von Wertpapieren und Devisen nach der Art der steuerpflichtigen Objekte differenzierte Steuersätze (für Aktien 3 ‰, ausländische Noten und Sorten 1,2 ‰, Devisen 0,2 ‰). Ermäßigung bei „Händler-“, Erhöhung bei „Privatgeschäften“. d) Aufsichtsratssteuer: 20 % der Tantiemen. 4. (Wertpapier-) Börsensteuer: a) Börsenbesuchssteuer: vierteljährlich für Selbständige allgemein 100, in Hamburg und Frankfurt 120, Berlin 180 M; für jeden Angestellten 25, 30 bzw. 45 M; b) Börsenzulassungssteuer: allgemein 2500 M für Selbständige, 250 M für Angestellte, in Berlin das Doppelte. 5. Kraftfahrzeugsteuer: Kraftfahrräder 10 bis 35 M, Personenwagen 20-80 M gemäß Pferdestärke; Lastkraftwagen 30-200 M bzw. (elektrisch oder mit Dampf betriebene) 15-100 M entsprechend Eigengewicht. 6. Versicherungssteuer: 2-10 % des Versicherungsentgelts gemäß Versicherungsart; bei Hagelversicherung: ²/₁₀ ‰ der Versicherungssumme. 7. Rennwett- und Lotteriesteuer: a) Totalisatorsteuer: 16⅔ % der Wettbeträge; b) Buchmachersteuer: 10 % der Einsätze; c) Lotteriesteuer: 20 %, bei ausländischen Losen 25 % des Betrages. 8. Wechselsteuer: Dreimonatswechsel ½ ‰; Steigerung des Steuersatzes bei längerer Laufzeit. 9. Beförderungssteuer: a) Personenbeförderung: 10-16 %, Abstufung nach der Fahrklasse. b) Güterbeförderung: 7 %. 10. Tabaksteuer: Sätze verschieden je nach dem Erzeugnis (Zigaretten 40 %, Zigarren 20 % des Kleinverkaufspreises). 11. Biersteuer: 5-6,10 M für 1 hl; Abstufung nach dem Produktionsumfang. 12. Weinsteuer: für Stillweine 20 %, Schaumweine 30 % des Kleinverkaufspreises. 13. Branntweinmonopol: Reichseinnahme 280 M je hl Weingeist. 14. Essigsäuresteuer: allgemein 48,90 M für 100 kg. 15. Zuckersteuer: Rübenzucker 21 M, Stärkezucker 8,40 M für 100 kg. 16. Salzsteuer: 0,74 M für 100 kg. 17. Zündwarensteuer: 60 % des Herstellerpreises. 18. Leuchtmittelsteuer: 20 % des Herstellerpreises. 19. Spielkartensteuer: 0,30 M je Spiel. 20. Süßstoffmonopol: Reichseinnahme 17,72 M je kg. Hierzu treten noch die Zolleinnahmen.
Wie sich aus dieser Übersicht ergibt, ist für irgendwelche bedeutsamen Steuern für Länder und Gemeinden kein Platz gelassen. Wie decken diese nun ihren Bedarf?
Es wurde oben bereits erwähnt, daß die Reformen 1919/20 eine Neuregelung des Finanzausgleichs notwendig machten. Diese erfolgte in dem sogenannten Landessteuergesetz vom 30. März 1920; bei seiner Beurteilung ist vor allem zu bedenken, daß infolge der verstärkten Machtfülle des Reichs, die in der neuen RV ihren Ausdruck fand, viele Aufgaben der Länder und Gemeinden in Fortfall kamen, für die diese früher erhebliche Aufwendungen zu machen hatten. Die Neuordnung beseitigte das alte komplizierte System der Matrikularbeiträge, behielt aber die Überweisungen bei. Diese betrugen: ⅔ des Aufkommens an Einkommen- und Körperschaftssteuer, ⅕ der Erbschafts-, ½ der Grunderwerb- und 15 % der Umsatzsteuer. Als eigene Steuern verblieben Ländern und Gemeinden nur die sogenannten Ertragssteuern, einzelne Stempelsteuern sowie einige weitere kleinere Steuern und Zuschläge zu Reichssteuern. Durch eine Novelle zum LStG. vom 23. Juni 1923 wurden die Anteile an den Reichssteuern erhöht, und zwar bei der Einkommen- und Körperschaftssteuer auf ¾, bei der Grunderwerbssteuer auf ²/₃ und bei der Umsatzsteuer auf ⅕; als neue Überweisungssteuern kamen Rennwett- und Kraftfahrzeugsteuer hinzu (Überweisung des Ertrags in vollem Umfange). Daneben bürgerte sich weiterhin das höchst bedenkliche System der Besoldungszuschüsse ein, mit dem erst zu Beginn des nächsten Rechnungsjahres völlig gebrochen werden wird.
Die Schwächung der Reichsmacht und die Bestrebungen der Länder, die alte föderalistische RV wiederherzustellen, lassen für die Zukunft erwarten, daß einzelne große Steuern, deren Ertrag bisher dem Reiche zufloß, in vollem Umfange Ländern und Gemeinden überwiesen werden. Eine vorläufige Neuregelung bringt die 3. Steuernotverordnung vom 14. Februar d. J. in ihrem Art. V. Die Überweisungen finden darnach in folgendem Umfange statt: 90 % der Einkommen- und Körperschaftssteuer, 20 % der Umsatzsteuer sowie der volle Ertrag der Kraftfahrzeug-, Rennwett- und Grunderwerbsteuer (zu dieser können — ein eigenartiges Phänomen! — überdies Zuschläge erhoben werden) und der neuen Börsensteuer fließen zukünftig Ländern und Gemeinden zu.
An der Erbschaftssteuer nehmen Länder und Gemeinden zukünftig nicht mehr teil. Insgesamt werden sich die Überweisungen auf etwa 1800 Mill. M stellen, von welcher Summe rund 70 % allein auf den Anteil an der Reichseinkommensteuer entfallen dürften. Hinzu treten die eigenen Steuern der Länder und Gemeinden, d. h. — abgesehen von der Mietzinssteuer, deren Aufkommen auf 650 Mill. M geschätzt wird — die Steuern der Länder zum Geldentwertungsausgleich bei bebauten und unbebauten Grundstücken sowie bei Holzverkäufen aus Forsten öffentlicher Körperschaften und die Steuern vom Grundvermögen, Gewerbesteuern und andere kleine Ertragssteuern, Gebühren usw. Zur Kompensierung der erheblichen Verbesserung ihrer finanziellen Stellung werden die Länder künftig mit der Erfüllung gewisser kultureller und polizeilicher Aufgaben betraut, die bisher dem Reiche oblagen.
Ob diese Regelung zur Deckung des Bedarfs von Ländern und Gemeinden hinreicht und ob und unter welchen Voraussetzungen das geltende Reichssteuersystem eine Balanzierung des Reichshaushalts ermöglicht — das zu entscheiden mag einer anderen Untersuchung vorbehalten bleiben.