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Wir sind in der Lage, im folgenden den wörtlichen Text des Vortrages zu veröffentlichen, den der als Präsident der Reichsrücklieferungs- kommission a. D. und Mitglied des Vorstandes der Maschinenfabrik Augsburg Nürnberg A.-G. bekannte Verfasser am 16. Mai vor der Weltwirtschaftlichen Gesellschaft in Berlin über das dringlichste Problem der deutschen Wirtschaftspolitik dieser Monate gehalten hat. Die Schriftleitung.


An sich sind Wiederholungen gewiß zu vermeiden und ich hätte der freundlichen Aufforderung der Weltwirtschaftlichen Gesellschaft, auch dieses Jahr wiederum hier zu sprechen sicher mit dem Vorschlage eines anderen Themas geantwortet und eine Wiederholung vermieden, hätte ich nicht die Überzeugung gewonnen, daß es eben doch Wiederholungen gibt, die wohl formell als solche sich darstellen, es sachlich aber nicht sind.


Ich kann mich auf „Carthaginem esse delendam“ beziehen, um eine geschichtliche Rechtfertigung für mich zu haben und darf wohl hervorheben, daß dann die immer wieder erfolgende Behandlung eines Themas nicht mit dem Tadel der Wiederholung belastet werden darf, wenn der Erfolg des einmaligen oder sogar des nachdrücklich wiederholten Vorbringens sich nicht zeigte. Auch dann darf der Vorwurf nicht gemacht werden, wenn zwar dieselbe Frage wieder erörtert wird, aber unter veränderter Gestaltung der Verhältnisse; auch dann nicht, wenn, sei es in Theorie, sei es in Praxis, immer wieder gegen den gepredigten Grundsatz aufs schärfste verstoßen wird, und endlich erst recht dann nicht, wenn der Gegenstand des erneuten Vorbringens eine Lebensfrage, vielleicht sogar d i e Lebensfrage des deutschen Volkes betrifft.


Und tatsächlich handelt es sich hier um die Lebensfrage. Es handelt sich um Fortbestehen oder um Untergang der wirtschaftlichen und – darüber zweifelt heute niemand – damit auch der politischen Selbständigkeit des deutschen Volkes, wenn die Möglichkeit und Notwendigkeit der Ausfuhr deutscher Ware erörtert wird.

Des Nachweises, daß die Ausfuhr deutscher Waren allein in der Lage ist, wirtschaftlich das Deutsche Reich trotz der ihm von seinen früheren Feinden auferlegten Leistungen vom Untergang zu retten, des Nachweises bedarf es heute wohl nicht mehr, weil eine Instanz diesen Satz anerkannt hat, deren Autorität zum mindesten auf diesem Gebiete kaum bestritten werden kann. Ich darf nämlich die wohl allgemein jetzt bekannt gewordenen Ausführungen des Gutachtens der Sachverständigen als Beleg für die Richtigkeit in Anspruch nehmen.
Alle Leistungen, die von Seiten Deutschlands an die Entente zu machen sind, werden ihrem Umfange nach – soll nicht erneut Budget und Währung des Deutschen Reiches in vollste Zerrüttung kommen – nur geleistet werden können aus dem Überschuß der Warenausfuhr. Ganz gleichgültig ist hiernach für die Tragbarkeit der Leistungen nach dem Auslande, welche Mittel Deutschland selbst intern aufzubringen vermag, und entscheidend allein ist die Summe dessen, was an Waren über die Einfuhr hinaus ausgeführt werden kann.

Wenn der berühmte Volkswirtschaftler Professor Cassel diese Ziffer noch nicht einmal als ausschlaggebend anerkennt und insbesondere die weitgehende Berücksichtigung der Veränderung des Wechselkurses für die Höchstleistung als unberechtigt erklärt, so bestreitet er doch nicht, daß diese Höchstleistung jedenfalls durch den Ausfuhrüberschuß begrenzt wird, wenn es auch vielleicht hierin noch einer Einschränkung bedarf. Hinzugefügt werden muß allerdings, daß dann die Ausfuhr nicht die Begrenzung bestimmen würde, wenn andere Momente als sie für die Besserung der Zahlungsbilanz noch in Frage kämen wie früher. Daß diese Momente aber heute leider weggefallen sind, daß insbesondere die deutsche Handelsflotte, mit ihr die Frachtgewinne vernichtet wurden, die Auslandsguthaben – von der Sachverständigenkommission weitaus überschätzt – jedenfalls gegenüber der Vorkriegszeit eine ganz erhebliche und einschneidende Verminderung erfahren haben, deutsche nach Deutschland selbst den Gewinn abführende Auslandsunternehmungen so gut wie nicht mehr bestehen, ist weiter nicht darzulegen; ebensowenig zu betonen, daß der nicht mit Gegenleistung bezahlte, auf Reparationsleistungen fallende Teil der Ausfuhr eine Besserung der Zahlungsbilanz nicht bedeutet.

Nun haben wir zwar in der letzten Zeit vielfach Lobeshymnen auf das Wiedererstarken der deutschen Wirtschaft gehört und jede günstigere Gestaltung einzelner industrieller Branchen und jedes Abnehmen der Arbeitslosigkeit ist triumphierend ins Feld geführt worden von jenen, die nachweisen zu müssen glaubten, daß wirtschaftliche, neue, insbesondere staatliche Maßnahmen Abhilfe gegenüber der wirtschaftlichen Deroute gebracht hätten. Niemand aber konnte den Nachweis erbringen für das Wichtigste, das allein Ausschlaggebende, daß die Ausfuhr und der Ausfuhrüberschuß in den letzten Zeiten zugenommen hatte. Im Gegenteil: die Ausfuhr hat ständig abgenommen. In der Maschinenindustrie sind die Zahlen kürzlich angegeben worden; sie lauten geradezu in ihrer steten Abnahme erschreckend („D. A. Z.“ vom 9. Mai, wirtschaftlicher Teil). Nachstehend die kürzlich vom Statistischen Amt veröffentlichten Zahlen in Mill.:

Ausfuhr   1924 Jan. Febr. März 1923 Monats-
durchschnitt
Gesamt a 363,48 389,85 380,02 445,89
b 431,02 466,34 456,34 506,60
Davon:
Lebensmittel u. Getränke a 9,36 17,12 18,81 10,45
b 11,64 22,00 23,64 10,95
Rohstoffe u. halbf. Waren a 46,00 51,51 55,74 57,30
b 50,57 58,57 55,96 60,85
Fertigwaren a 307,04 313,35 304,53 376,59
b 367,45 383,87 375,89 499,31

Über die Tatsache an sich ist nicht hinwegzukommen. Nun sind es aber zwei vollkommen getrennt zu behandelnde Fragen, wenn erörtert werden soll, warum überhaupt die Ausfuhr und der Warenaustausch von Land zu Land nachgelassen hat, oder wenn besprochen werden soll, ob die deutsche Ausfuhr auf Grund der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit für ihre Erzeugnisse abgenommen hat. Für die Abnahme des Warenaustausches im allgemeinen, ja auch für die Abnahme der deutschen Ausfuhr können eine ganze Reihe von Gründen geltend gemacht werden, die nichts gemein haben mit einer etwaigen Wettbewerbsunfähigkeit des deutschen Produktes. Es können generelle Gründe hierfür ins Feld geführt werden und sie müssen sogar genannt werden, um nicht etwa die Wettbewerbsunfähigkeit in ihrem Einflusse zu stark für die Minderung der Ausfuhr zu belasten.

Hier einschlägig ist die ganz allgemein sich mindernde Kaufkraft fast aller, insbesondere auch der Siegerländer, die Notwendigkeit, die eigene während der Kriegszeit vergrößerte Industrie eines Landes vor dem Zusammenbruch zu retten, dieselbe insbesondere dann, wenn sie nicht der natürlichen Eignung des Landes entsprach und Ergebnis von Kriegsnotwendigkeiten war, durch Zölle und andere Schutzmaßregeln gegenüber der Konkurrenz des Auslandes zu schützen. In dasselbe Gebiet gehört das Bestreben der einzelnen Länder zur Stärkung ihres Volksvermögens nur mehr das über die Grenzen hereingehen zu lassen, was unbedingt durch Lebensnotwendigkeiten des Volkes gefordert wird. Ich verweise in dieser Richtung nur auf die außerordentlich strengen Grundsätze der russischen Einfuhrpolitik.

In einem vorzüglichen Vortrage im Verein Deutscher Maschinenbauanstalten wurde vor kurzem von Herrn Lange auf diese allgemeinen Gründe hingewiesen. Es wurde die geminderte Kaufkraft Rußlands, Chiles, Argentiniens betont, die Erschwerung der Handelsbeziehungen zu Mexiko, China und Indien und die zunehmende Industrialisierung nicht nur der vom Kriege betroffenen Staaten, sondern auch der durch den Krieg vom Verkehr mit ihren Versorgungsländern abgeschlossenen Abnahmeländer. Das sind aber alles nur Gründe, die den gesamten Wirtschaftsverkehr aller Länder schädigen und wie die deutsche Ausfuhr so auch die aller anderen Länder treffen.

Ganz anders zu werten ist aber eine Feststellung in dem vorerwähnten Vortrage, übrigens auch schon länderweit bekannt, daß in der Einfuhrzahl einer Reihe von Ländern die deutsche Einfuhr viel härter betroffen wurde als die anderer Staaten. Es ist z. B. für das Jahr 1922 festgestellt worden, daß die deutsche Einfuhr nach Italien gegenüber 17 % im Jahre 1913 nur 6 % betrug, nach England statt 10 % 2 %, nach Frankreich statt 13 % 5 %, nach Amerika statt 10 % 4 %.
Weiterhin aber werden stets steigende Zahlen der Ausfuhr nach Amerika gemeldet ein Zeichen, daß doch jedenfalls die gesunkene Kaufkraft nicht allgemein niedergedrückt wurde; auch die Ausfuhr Frankreichs hat naturgemäß, gefordert durch den sinkenden Franken, aber auch schon vor dessen starkem Zurückgehen, eine ganz außerordentliche Zunahme erfahren. Für die Ausfuhr Frankreichs gelten für das erste Vierteljahr 1924 folgende Ziffern (in 1000 dz):

  Gesamt Lebensmittel Rohstoffe Fabrikate
Januar 1769,9 109,8 1412,9 244,9
Februar 2325,4 137,7 1876,0 308,5
März 2484,1 136,1 1941,1 403,4
Zusammen 6579,5 363,6 5280,5 956,8

Die Steigerung der Ausfuhr seit 1913, auch ein Zeichen, dass nicht nur das Sinken des Franken maßgebend war, ist zu ersehen aus folgenden Zahlen:

Jahr Ausfuhr in Mill. fr
1918 6880
1919 11879
1920 26804
1921 19772
1922 21378
1923 30431

Aus solchen Zahlen – und naturgemäß sind die Vergleiche für das Ruhreinbruchsjahr 1923 noch viel ungünstiger – ergibt sich, dass doch ganz sicher auch noch andere Gründe als die allgemein die Weltlage kennzeichnenden der Aufnahme deutscher Fabrikate und der deutschen Ausfuhr im Wege stehen. Die außerordentlich günstige Beurteilung der wirtschaftlichen Zukunft Deutschlands, zu der die Sachverständigenkommission gelangte, wird deshalb nur mit Kopfschütteln von Kennern der deutschen Wirtschaft gelesen worden sein, und wenn die günstigen Auspizien des Gutachtens unter die Lupe genommen werden, wird, so fürchte ich, doch der Gedanke nicht zu unterdrücken sein, als wäre hier das Bestreben mitbestimmend gewesen, die Deutschland aufzuerlegenden Lasten im Hinblick auf die wirtschaftlichen Zukunftsverhältnisse möglichst tragbar erscheinen zu lassen.

Mir obliegt nun heute, wie im Vorjahre, der Nachweis, dass tatsächlich im Wettbewerb mit den Fabrikaten anderer Länder Deutschland nicht in der Lage ist, gleichen Schritt zu halten und dass hierin die Gründe für die Minderung der Ausfuhr liegen, um dann wiederum wie im Vorjahre nach den Ursachen der Wettbewerbsunfähigkeit zu suchen und um mich dann der Frage zuzuwenden, ob und mit welchen Mitteln die unerlässliche Abhilfe geschaffen werden kann.

Zur Feststellung der Tatsache war es nun zunächst mein Bemühen, aus verschiedenen Ländern Berichte über das Verhältnis der deutschen Preise zu den Preisen des Absatzlandes und zu den Preisen der in diesem Absatzlande im Wettbewerb stehenden Konkurrenz dritter Länder zusammenzutragen. Diese Berichte lauten namentlich für die Metallindustrie fast übereinstimmend dahin, dass weder mit den Preisen, die die Industrie des Landes selbst stellt, wie mit jenen, die das Ausland dort macht, die deutschen Preise zu konkurrieren vermögen.

Die Nachrichten aus Österreich besagen noch im Februar 1924, dass die deutschen Preise um 100–150 % höher stehen als die Konkurrenzpreise. Ähnliches teilt die Schweiz mit; in Portugal werden die deutschen Preise als um 50 % höher als die des Auslandes bezeichnet; in Rumänien werden die deutschen Angebote durch französische, nicht nur etwa während der Zeit des Frankensturzes, weitestgehend unterboten. Für England, Frankreich, Belgien, Italien, Rumänien, Schweiz, Spanien, Österreich und Tschechoslowakei wird mit Rücksicht auf die dort konkurrierenden Preise fast allgemein der Ausschluss von deutschen Schienen, Blechen, Radsätzen, Walzdraht, Schmiedestücken, Brückenteilen, Drahterzeugnissen, Nieten- und Werkzeugmaschinen gemeldet. Nicht eine Mitteilung aus diesen Staaten spricht von der Erhaltung des deutschen Absatzgebietes dortselbst.

Einzelne Beispiele ergänzen die allgemeinen Mitteilungen. In Submission für Oberbaumaterial in Chile unterbietet weitestgehend ein belgisch-französisches Angebot, das nur auf starke Subvention bei Preisstellung zurückgeführt werden kann. Die dort erzielten Preise würden nicht annähernd die deutschen Produktionskosten, von Frachten, Gewinn usw. ganz abgesehen, gedeckt haben. In Finnland fällt ein großes Schienengeschäft von 16 000 t bei Unterbietung der deutschen Preise um 50 % an französische Werke; desgleichen ein Auftrag von 2000 t Radsätzen. In Argentinien unterbietet das französische Werk Sennelle beim Auftrag von 6000 t Schienen das deutsche Angebot, in Südchina fallen auf dem Wege der Submission Aufträge für gleiche Fabrikate an die amerikanische und belgisch-französische Konkurrenz; wobei Belgien und Frankreich das schon weit unter dem deutschen Angebot stehende amerikanische noch um 10 % unterboten haben. Ausländische Reedereien legen ihre Aufträge nach Frankreich, so z. B. holländische Schifffahrtsgesellschaften die Vergabe von großen Dampfern.

Der deutsche Preis für einen 10-t-Kran in Italien beträgt gegenüber dem italienischen Preise von 34 000 Lire 41 000 Lire. Die Kesselpreise betragen 60–70 % über dem Friedenspreis, die des Auslandes nur 25 bis 30 %.

Die Textilindustrie erklärt, dass ihre Preise im Ausland in Seide und Wolle bei gleichen Qualitäten um 15–20 % über jenen der Konkurrenz stehen und in Baumwolle um 3–7 % über dem Weltmarktpreis.

Charakteristisch mag noch folgendes sein: Die Festsetzung der Preise für eine Reihe von Fabrikaten erfolgt in gewissenhaftester Berechnung heute im Verhältnis zu den Friedenspreisen. So wird z. B. für eine bestimmte Art von Motoren bei weitaus geringerem Gewinn als im Frieden der Preis nach Maßgabe der Selbstkosten auf 1,35 gegenüber dem Friedenspreise (1) eingesetzt. Der Verkauf ins Ausland ist unmöglich, wenn nicht auf 1,2 herabgegangen wird, in Ländern wie in Rumänien sogar bis auf 1,1 nach Verschlechterung des Schweizer Franken. Nach Spanien müsste mit Rücksicht auf die Entwertung des Peseten der Preis mit 1,7 festgesetzt werden, während, um abzusetzen, verkauft werden muss mit 0,91 %, das ist mit 20 % unter den Selbstkosten. Der gleiche Motor wird von einer italienischen Firma mit cif Tejo (Portugal) mit 1700 engl. £ angeboten, während er in Deutschland ab Werk mit 1870 engl. £ bei ganz mäßigem Verdienst berechnet werden musste. Der gleiche Motor, in Deutschland berechnet mit 346 000 belg. fr., beziffert sich im belgischen Angebot auf 310 000 fr. Ein Motor mit 150 PS in Deutschland mit 232 300 fr. ist im belgischen Angebot mit 193 000 fr. berechnet. Der deutsche Preis für einen 250-PS-Motor mit 61 200 Schweizer fr. wird von einer österreichischen Firma mit 55 440 fr. unterboten. Eine Brücke mit 250 t wird von Deutschland angeboten mit 47 100 mex. $. Der Preis wird sogar von der holländischen, französischen und amerikanischen Konkurrenz überboten, aber Belgien bietet mit 35 000 mex. $ an.

Ich gebe zu, dass diese Preisgegenüberstellung zum großen Teile Fabrikate der Maschinenindustrie betreffen. Bei der Tatsache aber, dass die mechanische Industrie im Jahre 1912 allein an Ausfuhrüberschuss 1460 Mill. Goldmark und die Maschinenindustrie hiervon 760 Mill. erzielte und vor dem Kriege ungefähr 45 % aller Maschinen im internationalen Handel von Deutschland geliefert wurden – in der deutschen Ausfuhr dem Gewichte nach ca. 24, dem Werte nach ca. 40 % –, ist doch die Bedeutung des Maschinenexportes zweifellos so stark, dass die Entnahme von Beispielen aus dieser Fabrikation nicht ohne Berechtigung sein dürfte. Im Übrigen darf aber auch bemerkt werden, dass der Vergleich von Preisen auf diesem Gebiete um dessentwillen am ehesten möglich ist, weil, wenn auch die höhere Qualität deutscher Maschinen objektiv außer Streit steht, doch im Wettbewerb diese Tatsache von den unterbietenden Teilen nie zugegeben werden will.

Im Übrigen stehen aber aus anderen Industrien ähnliche Beispiele zur Verfügung. Nur eines aus der Textilindustrie: während für 1 kg deutsches roh-weißes Merinokammgarn 11,80 hfl verlangt werden müssen, werden für die gleiche Qualität engl. Ware 10,64 hfl gefordert; für ein bestimmtes deutsches Cheviotkammgarn je kg 8,67 hfl, für das englische 7,39 hfl.

Wenn ich nun zu den Gründen für diese Tatsache übergehe, so darf ich im allgemeinen sagen, daß ich bei einem Rückblick auf die von mir im Vorjahre teils als bestehend angegebenen, teils vorhergesagten Gründe, von einem weiteren Zeitabstand aus heute gesehen, nichts von dem Gesagten als unrichtig bezeichnen kann. Die Gründe waren für die damalige Lage m. E. richtig angegeben und ich habe auch in den vielfachen Erwiderungen, die meine damaligen Ausführungen erfuhren, keine Widerlegung gefunden, die ich heute als berechtigt zu erwähnen hätte. Nun wird nicht ganz zu Unrecht geltend gemacht, daß seit damals doch eine Anzahl der genannten Gründe in Wegfall gekommen sei oder in ihrer Bedeutung abgemindert wurde. Dies muß bis zu einem gewissen Grade zugegeben werden; ich stelle ausdrücklich fest, daß eine Reihe von Erschwerungen der Ausfuhr, die eine bewusste oder unbewusste wirtschaftsfeindliche Richtung und mangelndes Verständnis, sei es für die Möglichkeit der Ausfuhr sei es für die Notwendigkeit derselben, geschaffen hatten, wegfielen oder abgeschwächt wurden. Ich nenne hierzu die Aufhebung der Ausfuhrabgaben, der Kohlensteuer und die teilweise Abminderung der Frachten – wenn auch nur bis zu einem gewissen Grade durchgeführt und noch ungenügend – und hebe insbesondere als eine zweifellose Erleichterung der Konkurrenz das Steigen des französischen Franken in allerletzter Zeit hervor.

Ich kann aber diese Momente nicht als so durchschlagend in ihrer Wirkung erachten, daß die Behauptung, ja auch nur die Hoffnung darauf, daß nunmehr der Ausfuhr Tür und Tor geöffnet seien, berechtigt wäre. Ich kann auch nicht die scheinbaren Gegenbeweise, die teilweise hierauf aufgebaut, teilweise unter Hinweis auf andere Tatsachen vorgebracht werden, als stichhaltig anerkennen. Es ist ganz und gar nicht richtig, wenn in dieser Beziehung auf das Sinken der Arbeitslosigkeit hingewiesen wird, denn dieses Sinken der Arbeitslosigkeit ist zum Teil darauf zurückzuführen, daß die Saisonarbeit wieder eingesetzt hat, zum Teil darauf, daß eine ganz und gar nicht gesunde, vielfach nur unter Vernachlässigung jedes Sparsinns zunehmende Inlandskonsumtion, z. B. in Artikeln der Textilindustrie, eingesetzt hat. Vor allem kann unter keinen Umständen aus der Tatsache, daß die Löhne in Deutschland unter denen vieler anderer konkurrierenden Länder sich bewegen, der Schluß gezogen werden, daß die Konkurrenz nun ermöglicht sein müsse. Es soll nicht bestritten werden, daß an sich der Lohn in Deutschland, auf einen gemeinsamen Nenner mit dem ausländischer Betriebe gebracht, ziffernmäßig unter jenem sich bewegt.

Dies war aber stets der Fall. Ich verweise auf eine Zusammenstellung für das Jahr 1913. Angenommen den Arbeitslohn und die Arbeitszeit für England je mit 100, betrug der ungefähre Durchschnittslohn bzw. die Arbeitszeit in: Frankreich 75 bzw. 117, Belgien 63 bzw. 121, Amerika 232 bzw. 96, Deutschland 83 bzw. 111.

Diesen Ziffern gegenüber ist es bedauerlich, daß mit einer einheitlichen Gegenüberstellung auf Grund des mangelnden Materials heute noch nicht gedient werden kann. Wohl sind in den letzten Tagen in England Ziffern bekanntgegeben worden, die ich ohne Verantwortung für die Richtigkeit hier wiederhole; ich bemerke aber dazu, daß es sich um Reallohnvergleiche handelt, die vom englischen Arbeitsministerium aufgestellt wurden. Ich kann nicht sicher sagen, wie die Reallohnsätze errechnet sind, ob über dem jeweiligen amtlichen Lebensmittelindex oder auf Grund der englischen Berechnungsmethode über einen vergleichbaren Index der anderen Länder. Nur so viel sei bemerkt, daß jedenfalls seit dem Stichtage der Tabelle Anfang Februar 1924 die deutschen Löhne durchschnittlich um etwa 20 % gestiegen sind.

Vergleichende Übersicht von Arbeitslöhnen in einigen Hauptstädten.

(Indexziffer über die Reallöhne nach dem Stande vom 1. 4. 1924 – London = 100.)

Die Zahlen sind entnommen der Maandschrift van het Centraal Bureau voor de Statistiek. Diese hat sie entnommen der Ministry of Labour Gazette, No. 1 1924. Die Ziffern für die verschiedenen Berufe sind allein horizontal, aber nicht vertikal vergleichbar. Die Durchschnittsziffern sind jedoch in beiden Richtungen vergleichbar.

  London Berlin Amsterdam Ottawa Brüssel Stockholm
Baugewerbe
Maurer 100 58 98 263 83 97
Hilfsarbeiter 100 69 108 140 48 115
Metallindustrie
Mechaniker 100 57 100 203 67 81
Schmied 100   86 200 66 81
Dreher 100 57 100 203 68 81
Ungelernte Arbeiter 100 64 103 190 68 97
Holzindustrie
Facharbeiter 100 72 77 138 56 82
Buchdruckergewerbe
Handsetzer 100 47 78 181 48 78
Maschinensetzer 100   78 181 49 78
Durchschnittslöhne
1914 100   66 181 61 74
1923 1. April 100 57 102 174 70 85
1923 1. August 100   100 183 57 88
1923 1. November 100   92 188 58 86
1923 1. Dezember 100 36 91 180 61 87
1924 1. Januar 100 48 92 190 60 88
1924 1. Februar 100 58 93 196 58 89

Diese Gegenüberstellung an sich besagt aber so gut wie nichts. Ganz abgesehen davon, daß nachweisbar der Vorteil der niederen Löhne, die sich im streng berechneten Preis der Ware wiedergeben müßten, aufgehoben wird durch eine ganze Anzahl von Nachteilen, die die deutsche Produktion belasten – ganz abgesehen davon also – ist aus der ziffernmäßigen Gegenüberstellung gar nichts zu schließen. Sie gewinnt nur Bedeutung, wenn diese Zahlen gegenübergehalten werden den Indexzahlen der Länder, denen gegenüber die starke Lohndifferenz besteht, oder besser noch vielleicht den Preisen der einzelnen Lebensmittel und Bedarfsobjekte. Denn für den Index muß dessen Verschiedenheit in den einzelnen Ländern erwähnt werden; so betrug er im Februar 1924 – spätere Zahlen sind mir mit Sicherheit momentan nicht zugänglich – in: England 178 %, Vereinigten Staaten 145 %, Frankreich 350 %, Niederlanden 173 %, Schweiz 167 %, Deutschland 104 % der Vorkriegszeit. Im Januar 1924 betrug der Index: in England 180 %, in der Schweiz 167 %, in den Vereinigten Staaten 150 %.

Demgegenüber haben z. B. die Reallöhne in England nur 74 % des Friedens-, in Amerika 136 % noch im Januar 1924 betragen, und die heutige Steigerung der Löhne in den Vereinigten Staaten um ungefähr 100 % hängt zweifellos mit der ganz erheblichen Minderung der Kaufkraft des Dollars und auch mit der verbesserten Lebenshaltung dortselbst zusammen. Überhaupt muß auf dem Gebiete davon ausgegangen werden, daß die Kaufkraft des Geldes in dem Lande der Löhnung in Betracht gezogen wird, und daß fast immer die Münzeinheit ganz außerordentlich maßgebend war für die Preise. Es war auch früher keine Übertreibung, wenn man erklärte, daß vielfach in Rußland der Rubel die Mark vertrat und in Amerika der Dollar.

Dies kennzeichnet auch die starke Differenz der Löhne, die für den gleichen Arbeiter im gleichen Zeitraum gezahlt wurden. Z. B.: ungefähr Mitte 1923 für einen Maschinenschlosser in London (in Goldmark umgerechnet) 60,06, in Amsterdam 52,71, in Brüssel 29,80, in Christiania 55,63, in New York 126 GM. Schon diese Gegenüberstellung zeigt, wie falsch es wäre, rein ziffernmäßig zu vergleichen.

Dabei darf weiter nicht vergessen werden, daß doch in der allerletzten Zeit verschiedene Lohnerhöhungen nicht unerheblicher Art stattgefunden haben, und zwar seit Februar bis April 1924 in der Metallindustrie zwischen 10–22 %, in der Holzindustrie bis 31 %, in der Chemischen Industrie 1320 %, in der Textilindustrie 321 %, in der Papierindustrie 925 %, in der Baustoffindustrie bis 26 %, im Baugewerbe 1132 %, im Bergbau bis 15 %. Erhöhungen, die keineswegs einer gleichmäßigen Steigerung der Lebenshaltungskosten entsprechen und auch durch die Mietsteigerungen keineswegs begründet werden.

Schon hier mag erwähnt werden, daß die in den letzten Jahren zu stark abgeminderte Spanne zwischen den Löhnen der gelernten und ungelernten Arbeiter noch heute ungerechtfertigt gering ist, und daß – hierauf wird zurückzukommen sein – deshalb die unproduktiven Ausgaben ungewöhnlich hoch noch heute sind. Es darf nicht vergessen werden, daß, gemessen am Stundenlohn des Facharbeiters in der Metallindustrie, der ungelernte Arbeiter in der Vorkriegszeit 76, der Hilfsarbeiter 63 % verdiente, daß diese Verhältniszahl bis Januar 1924 93 bzw. 82 % betrug und heute immer noch mit 83 bzw. 65 % zu beziffern ist, daß aber infolge einer Reihe von Momenten bekanntlich nach dem Kriege die Zahl der ungelernten und angelernten Kräfte ganz außerordentlich zugenommen hat. Ein Mißverhältnis, das ja durch den Achtstundentag noch ganz bedeutend gefördert wurde.

(Der Rest des Vortrages wird im folgenden Heft veröffentlicht. – Die Schriftleitung.)

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