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Die Entwicklung der Arbeitslöhne seit Jahres­beginn wird durch das Statistische Reichsamt monatlich in der Zeitschrift „Wirtschaft und Statistik“ dargestellt. Für die wichtigsten Industriezweige werden dort Reichs­durchschnitts­zahlen derart ermittelt, daß die in einem Monat geltenden Lohnsätze in einem „gewichteten“ Index zusammen­gefaßt werden – dergestalt „gewogen“, daß während eines Monats etwa eingetretene Lohnänderungen in ihrer Geltungs­dauer genau berücksichtigt werden, und weiterhin so, daß die Zahl der Arbeiter­gruppen, für welche gleichzeitig verschieden hohe Sätze gelten, bei der Durchschnitts­berechnung mit berücksichtigt wird. Die sich so ergebenden Werte bieten dann eine Möglichkeit, sowohl die gesamten Lohn­unkosten der betreffenden Industrien im Durchschnitt des Reichs zu beurteilen, wie auch die Höhe des Real­lohns im Reichs­durchschnitt. (Bei letzterem ist natürlich noch der Umfang von Arbeits­losigkeit und Kurzarbeit, bzw. Überstundenleistung, mit zu berücksichtigen.)

Daß sich im einzelnen, sowohl bei den Lohn­kosten wie auch bei den Real­löhnen, bedeutsame Abweichungen vom Durchschnitt ergeben, dürfte klar sein. Wir verweisen nur – hinsichtlich der Reallöhne – auf die beträchtlichen Differenzen im Preis­niveau innerhalb des Reichs:

Figure 1

Die Differenz zwischen dem höchsten Stand (um 123: in Stuttgart – um 113: Frankfurt a. M., Mannheim, Chemnitz, Königsberg, Hagen i. W.) und dem niedrigsten (um 90: Oldenburg, Pommern, Waldenburg i. Schl., Marienwerder, Reichenbach i. Schl., Lüneburg) ist also immer noch ganz bedeutend – wenn auch die Überteuerung des besetzten Gebiets, die zum Jahresbeginn zu beobachten war, beinahe verschwunden ist.

Eine Zusammenstellung der Lohnsätze ergibt folgendes Bild:

Figure 2

Danach ist festzustellen, daß zum Jahresbeginn die Lohnsätze allgemein unter Vorkriegs­stand lagen – abgesehen von einigen früher besonders gering bezahlten, ungelernten Arbeiter­kategorien. Sehr tief unter Vorkriegs­stand lagen die Löhne der hochqualifizierten Berufe (Buchdrucker, Handwerker in der chemischen Industrie, Metallarbeiter). Diese Erscheinung der geringeren Lohn­differenzierung ist seit Krieg und Kriegsende allgemein bekannt. Eine Erklärung kann natürlich ebenso darin gesehen werden, daß die ungelernte Arbeit jetzt günstigere Lohnbedingungen durchzusetzen vermochte – auf dem Weg der besseren und stärkeren Organisation der Arbeitnehmer – wie auch darin, daß der Lohn allgemein, also auch für qualifizierte Arbeitskräfte, dicht ans Existenz­minimum herunter­gedrückt worden ist, so daß kein allzu großer Spielraum für die Differenzierung mehr bleibt. Interessant ist, daß die Arbeiter­kategorien mit Soziallohn (Familienzuschlägen) nicht einen besseren Lohn durchzusetzen vermochten; in diesen Arbeiter­kategorien steht also der Lohn lediger Arbeiter noch verhältnismäßig unter dem Durchschnittsstand.

Im Verlauf des ersten Halbjahrs steigen die Löhne, entsprechend der Bewegung des Lebens­haltungs­index, langsam an. Der Reichs­teuerungsindex für Lebens­haltungs­kosten zeigt folgende Bewegung (in Monatsdurchschnitten, 1913/14 = 100):

Figure 3

(Gleichzeitig ist der Großhandelsindex von 117,3 auf 115,1 gefallen. Die entgegen­gesetzte Bewegung der Lebens­haltungs­kosten erklärt sich besonders aus den Mietsteigerungen.)
Das Ergebnis ist, für die Nominallöhne, daß der Friedens­stand allgemein erreicht und, bei vordem sehr schlecht gestellten Arbeiter­kategorien (insbesondere Hilfsarbeiter der Holzindustrie, Übertagearbeiter im Bergbau), um ein Viertel bis ein Drittel überschritten wird. – Das gilt für die Stundenlöhne. Etwas anders wird das Bild, sobald man die Wochenlöhne – unter Berücksichtigung der jeweils üblichen Arbeitszeit – zugrunde legt. Diese Wochen­löhne bilden den Ausgangs­punkt für die Berechnungen des Reallohn­standes in der folgenden Übersicht, wo eine Umrechnung über den Lebenshaltungs­index derart stattgefunden hat, daß die wiedergegebenen Zahlen die „Kaufkraft in Friedensgoldmark“ wiedergeben.

Figure 4

Hieraus ist ersichtlich, daß die Friedens­kaufkraft der Löhne nur in wenigen Fällen erreicht worden ist (Übertagearbeiter im Bergbau, gelernte Textil­arbeiterinnen, verheiratete ungelernten Buchdrucker) und nur ausnahms­weise überschritten wird (ungelernte Holzarbeiter, Übertagearbeiter im Bergbau dank Soziallohn). Sehr schlecht, im Vergleich zu ihrer früheren Entlohnung, rangieren die Reichs­betriebs­arbeiter (Eisenbahnarbeiter) – trotz Soziallohn, gelernte Begleiter, gelernte Bau- und Metallarbeiter, gelernte Buchdrucker (trotz Soziallohn). Vergleicht man die absolute Höhe des Reallohns, so ergibt sich, daß die höchst­bezahlten Arbeiter­kategorien im Bergbau (insbesondere dank Soziallohn), im Baugewerbe, der chemischen Industrie, der Holz­industrie und im Staatsdienst (dank Soziallohn) zu finden sind; den geringsten Stand nehmen die Textil­arbeiter ein, danach – trotz Soziallohn – die ungelernten Buchdrucker.

Ein internationaler Vergleich der Reallöhne ist kürzlich, gestützt auf das amtliche Material des Ministry of Labour, durch den Internationalen Gewerkschafts­bund aufgestellt worden. Hier wird der Preis einer bestimmten Menge von Lebensmitteln und Gebrauchs­artikeln mit dem im betreffenden Lande tatsächlich gezahlten Lohn verglichen, und der Londoner Reallohn gleich 100 gesetzt, so daß sich auf London bezogene Indizes ergeben. Die Ergebnisse sind für den Stand vom 1. Mai 1924:

Figure 5

Die Durchschnittszahlen lauten weiter für Christiania 78 und für Stockholm 90. Für New York ist der Durchschnitt ähnlich wie für Ottawa, also mit rund 200 anzunehmen. Die Zahlen zeigen deutlich, daß die Konkurrenz­fähigkeit Deutschlands nicht durch die hohen Löhne behindert wird, da ja auch die Klein­händler­preise hier unter dem internationalen Stand bleiben. Bemerkenswert ist die geringe Entlohnung in Wien und die sehr hohe in Warschau.
Hinsichtlich der in Deutschland augenblicklich geltenden Arbeitszeit ist zu bemerken, daß die Verhältnisse hier noch nicht zum festen Stand gekommen sind. Im Allgemeinen wird an der 48-Stundenwoche festgehalten, während eine Arbeitsverlängerung mit Rücksicht auf die besonderen wirtschaftlichen Verhältnisse des Betriebes angeordnet werden kann – vielfach nur im Einvernehmen mit der Betriebsvertretung. Mehr und mehr wird für diese Überarbeit ein Sonder­zuschlag zum Tariflohn gefordert und auch gezahlt (so Buchdruckgewerbe 12,5 v. H., Holzgewerbe 10 v. H. auf die Mehrarbeitsstunden). In einigen Fällen ist Mehrarbeit ausdrücklich als vorübergehend vereinbart worden (so nordwestliche Gruppe der Metall­industrie 57 ½ Stunden, Werftindustrie 54 Stunden). Im Baugewerbe soll die Arbeitszeit auf 52 Stunden für April bis Oktober erhöht, auf 42 Stunden für Dezember bis Februar herabgesetzt werden. In der Textilindustrie (Juni) schwankt die Arbeitszeit zwischen 46 und 54 Stunden, im Durchschnitt des Reichs beträgt sie (Juni) 51,7 Stunden. Die Papier­industrie hat sich den Achtstundentag nahezu überall erhalten. In der chemischen Industrie wird zwischen 48 und 54 Stunden – gegenüber rund 56 Stunden in der Vorkriegszeit – gearbeitet. Im Buchdruckgewerbe gilt die 48- und die 53stündige Arbeitszeit nebeneinander. Die Arbeitszeit bei der Reichsbahn ist, nachdem sie bisher (seit 17. Februar) einseitig festgesetzt war, im Lohntarif­vertrag vom 11. Juli vertraglich bis mindestens zum 31. Oktober auf 54 Stunden festgesetzt worden.
Die Arbeitslosigkeit und noch stärker die Kurzarbeit ist im Zunehmen begriffen (in 1000):

Figure 6

Die Kurzarbeit ist am ausgeprägtesten in der Textilindustrie (39 und 31 % sämtlicher Arbeiter) und der Schuh­industrie (bis 50 %), sowie in der Metallindustrie (31 %) und Tabakindustrie (27 %). Die Arbeitsverkürzung hat folgenden Umfang:

Figure 7

Die Zahl der Arbeitssuchenden ist absolut allerdings noch gefallen, relativ aber – im Vergleich zu den offenen Stellen – ziemlich erheblich gestiegen. Freilich kommt die erhebliche Verschlechterung der Situation, die sich in der Zunahme der Arbeitslosigkeit dokumentiert, in diesen Zahlen noch nicht zum Ausdruck. Wie bereits erwähnt, sind diese Zahlen mit heranzuziehen, wenn die Gesamtheit des Einkommens der Arbeiterschaft festgestellt werden soll.

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DOI: 10.2478/wd-1924-1070

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