Zeiten zunehmender Depression und wachsender Arbeitslosigkeit sind von jeher ein Prüfstein für den Bestand der Kartelle gewesen, und vielfach sind namentlich losere Kartelle in solchen Zeiten zur Auflösung gelangt. Das ist auch jetzt wieder der Fall, wo Preisabbau und verminderte Beschäftigung es manchen Unternehmern nahe legen, sich den Bindungen der Kartelle zu entziehen. Durch das neue Kartellgesetz vom 2. November 1923 ist das wesentlich erleichtert worden. Denn nach § 8 kann jeder Beteiligte solche Vereinbarungen fristlos kündigen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Und als wichtiger Grund gilt es, wenn die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit unbillig beschränkt wird. Hier werden die Kartelle mit dem Nachweis des Gegenteils einen schweren Stand haben und es nicht leicht auf die Entscheidung des Kartellgerichts ankommen lassen können.
Das Kartellgericht hat kürzlich zum erstenmale getagt in der Angelegenheit der Wohlschen Patente für ein neues Verfahren der Hefegewinnung, das der Hefeverband angekauft hatte. Es hat einem Mitgliede des Verbandes ohne weiteres den Austritt gestattet. Auch sonst werden die Kartelleinigungsstelle und das Kartellgericht beim Reichswirtschaftsministerium wohl bald erheblich zu tun erhalten, namentlich auch in Fragen der Exklusivverträge, der Verpflichtungen zu ausschließlichem Verkehr, Bezugs- und Lieferungssperren, die schon bisher den Hauptgegenstand der Rechtsprechung auf diesem Gebiete ausmachten und deren Durchführung das neue Kartellgesetz ohne Zweifel erschwert. Daneben bieten dann die Konditionenvereinbarungen den größten Anlaß zu Streitigkeiten und zwar vielfach über die einzelnen Kartelle hinaus, führen sie zu einem Kampf zwischen den Spitzenverbänden der Produktion und des Handels. So schwebt zwischen den Verbänden des Einzelhandels, vertreten vom Reichsbund des Textil-Einzelhandels, und den Wollwebereien einer der typischen Konditionenkämpfe. Hier handelt es sich um die Sicherung der Fabrikanten seitens der Händler durch Depot von Devisen in dem Umfang, in dem die Fabrikanten auch mit solchen zahlen müssen. Nachdem die Verhandlungen vor der Kartelleinigungsstelle gescheitert sind, soll jetzt das Kartellgericht angerufen werden.
Übrigens sei noch erwähnt, daß die Meinung der Einzelhandelsverbände, als ob für sie die Verordnung vom 2. November nicht gelte, in dieser Allgemeinheit sicherlich nicht zutrifft. Man kann nur sagen, daß Einkaufsvereinigungen und Abnehmerverbände an sich nicht unter die Verordnung fallen, wohl aber als „Geschäftsbedingungen“ nach §§ 1 und 10 alle Arten von Konditionenvereinbarungen mit Lieferanten und alle Verträge zu ausschließlichem Verkehr.
Andere Gründe als die ungünstige wirtschaftliche Lage sind es, die im Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndikat zu einer Krisis und einer Umbildung geführt haben. Fast genau ein Jahr nachdem sich das Syndikat vor der bekannten friedlichen „Ingenieurkommission“ nach Hamburg geflüchtet hatte, ist es wieder nach Essen zurückgekehrt, aber — bezeichnend für die Willkür der Besatzungsbehörden — nicht etwa in seine eigenen Räume, sondern es mußte in einer Schule untergebracht werden. Die durch die Besetzung des Ruhrgebiets geschaffene außerordentlich schwierige Lage verschärfte noch die inneren Gegensätze zwischen den verschiedenen Zechengruppen und bewirkte, daß die Erneuerung des Ende 1923 ablaufenden Syndikats sehr zweifelhaft geworden war. Nachdem die Regierung eine zwangsweise Verlängerung bis zum 15. Januar hatte eintreten lassen, kam am 6. Januar ein neuer Vertrag zustande, an dem alle Zechen außer den in französischen bzw. belgischen Besitz befindlichen Friedrich Heinrich, de Wendel und Dalbusch beteiligt sind. Es ist eine neue Vereinigung mit dem Namen „Verteilungs- und Verkaufsvereinigung für Ruhrkohle A.-G. Essen“ gebildet worden, mit Geltung bis Ende 1924. Am bedeutsamsten ist, daß der Verkauf nach Übersee und Holland den einzelnen Zechen freigegeben worden ist; doch sind alle verkauften Mengen umlagepflichtig. Auch müssen alle diese Verkäufe dem Syndikat angemeldet werden und dieses darf auch selbst dorthin verkaufen. Eine Anzahl von Neuerungen sind auch für den Selbstverbrauch der Werke und die Beziehungen zu den Kohlenhandelsgesellschaften getroffen worden. In die Sonderabmachungen der einzelnen Konzerne mit der „Micum“ ist nicht eingegriffen worden. Wie die dadurch bewirkten sehr schweren Belastungen auf das Wirtschaftsleben wirken werden, steht dahin.
Vielleicht noch schwieriger als beim Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndikat liegen die Verhältnisse beim Kalisyndikat. Hier hat das alte Übel der Überkapitalisation, der völlig unzureichenden Beschäftigung der 218 Beteiligungsziffern im Syndikat besitzenden Kaliwerke, geradezu katastrophale Formen angenommen, seit der Absatz 1923 gegenüber 1922 um ca. 40 % zurückgegangen ist. Dies vor allem durch Abnahme des deutschen Verbrauchs und trotz Herabsetzung der Kalipreise. Infolgedessen sind die alten Bestrebungen der leistungsfähigsten Werke wieder viel intensiver geworden, die dahin gehen, durch die billigst produzierenden Unternehmungen den ganzen Bedarf zu decken und die übrigen stillzulegen. Hatte man bis zum Erlaß des Kaligesetzes von 1910 zu diesem Zwecke immer die Auflösung des Syndikats und den Eintritt einer Periode freier Konkurrenz empfohlen, durch die die schwächeren Werke ausgeschaltet und fortgesetzte Neugründungen verhindert werden sollte, so denkt man jetzt mehr an eine finanzielle Konzentration, Aufkaufen der schwächeren Werke und deren Stillegung durch die leistungsfähigsten. Die Preise sollen dann ohne Rücksicht auf die Produktionskosten der teurer arbeitenden Werke so herabgesetzt werden, daß die leistungsfähigeren voll beschäftigt sind und den normalen Gewinn erzielen. Hauptvertreter dieses Gedankens war früher die Aschersleben-Westeregeln-Gruppe und ist jetzt der Wintershall-Alexandershall - Ronnenberg - Konzern, der unter Führung des Generaldirektors Rosterg die größte finanzielle Zusammenfassung der Industrie wurde und mehr als 40 % der deutschen Kaliproduktion kontrolliert. Daher ist ein Hauptargument der Gegner dieses Gedankens auch der Hinweis darauf, daß diese eine Gruppe allein die Mehrheit im Syndikat haben könnte. Allein den „Gefahren der kapitalistischen Konzentration“ könnte der Staat, der ja immer den größten Einfluß in dieser Industrie gehabt hat, sehr wohl entgegentreten. Sehr viel schwerer wiegen die mit dem Plane verbundenen Entlassungen großer Arbeitermassen und die Schädigung ganzer Gegenden, in denen die Industrie jetzt betrieben wird. Es ist auch klar, daß die Schädigungen heute viel stärker wirken, als wenn man das Heilmittel früher angewandt hätte. Unzweifelhaft ist der Gedanke, die Produktion nur durch die leistungsfähigeren Werke vornehmen zu lassen und die Preise nicht etwa nach den Produktionskosten der teuersten, einmal vorhandenen Werke festzusetzen, der einzig richtige; wie ich schon seinerzeit bei Erlaß des Kaligesetzes betont habe, das jetzt auch von den schwächeren Werken als verfehlt erkannt wird, zu deren Schutz es dienen sollte. Das verarmte Deutschland kann sich die Erhaltung einer so künstlich aufgeblähten Industrie, die zudem ihre Monopolstellung auf dem Weltmarkt verloren hat, nicht leisten, selbst wenn man die Absatzsteigerung und die Ausdehnung der landwirtschaftlichen Produktion durch Herabsetzung der Kalipreise nicht so hoch einschätzt, wie das von den Vertretern des Planes geschieht.
Fraglich erscheint nur, in welchen Formen und in welchem Tempo der Abbau vorgenommen werden soll, ob man ihn mehr dem freien Spiel der Kräfte überlassen oder, den heute herrschenden Tendenzen entsprechend, dem Staate in die Hand geben will. Was das letztere betrifft, so waren früher die verschiedenen Fisci als Besitzer meist schwächerer Werke stark gegen den Ausleseprozeß durch die Konkurrenz interessiert. Daher ist kaum zu fürchten, daß diese Interessen zu sehr in den Hintergrund gedrängt werden. Andrerseits aber dürfen „erworbene Berechtigungen“ auf Grund des Kaligesetzes das notwendige Werk nicht zu sehr erschweren. Das Allgemeininteresse an möglichst billigem Kali muß an der Spitze stehen. Die Arbeiter dieser ganz auf dem Lande befindlichen Industrie können leichter wieder in der Landwirtschaft untergebracht werden als die der meisten städtischen Industrien, wo auch vielfach ein starker Abbau nötig ist. Kompliziert wird die Aufgabe dadurch, daß auch die Transportkosten und die günstige Lage mancher Werke zu bestimmten Absatzgebieten berücksichtigt werden müssen.
Die Neuregelung der Kaliindustrie wird wohl nur sehr langsam in Gang kommen. Zunächst wird es nötig sein, einmal genaue Angaben über die verschiedenen Produktionskosten der Werke zu erhalten.