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Es ist in mehr als einer Beziehung lediglich Provisorisches, was man heute über den deutsch-englischen Handelsvertrag sagen kann. Schon aus einem rein äußerlichen Grunde: Es ist noch kein amtlicher Text zugänglich, und es ist zweifelhaft, ob der in der Presse bekannt gewordene Teil sämtliche schriftlichen Vereinbarungen umfaßt. Über die sehr wichtigen mündlichen Vereinbarungen sind bisher nur vage Andeutungen veröffentlicht worden, so über die Abmachungen betr. die 26%ige Reparationsabgabe. Das Schlußprotokoll des Vertrages eröffnet die Aussicht auf weitere mündliche Verhandlungen, wenn der neue deutsche Zolltarif fertiggestellt ist. Beide Parteien verpflichten sich darin, bei Abänderung ihres bestehenden Zolltarifs und bei Festsetzung künftiger Zollsätze gebührende Rücksicht zu nehmen auf die Gegenseitigkeit ..., wobei die deutsche Regierung die günstige Behandlung voll in Betracht ziehen wird, die deutschen Erzeugnissen oder Fabrikaten bei der Einfuhr nach dem Vereinigten Königreich zurzeit gewährt wird. Sollte bei einem der beiden vertraglichen Parteien die Auffassung entstehen, daß einzelne der von dem anderen Teil festgesetzten Zollsätze mit obigen Zusagen nicht in Einklang stehen, so erklären sich beide Teile bereit, darüber sofort in mündliche Verhandlungen einzutreten. Außerdem enthält der Vertrag eine ganze Reihe gegenseitiger und einseitiger Versprechungen zur Abänderung bestehender Gesetze und Verordnungen und zur Erlassung neuer, deren konkrete Fassung man erst abwarten muß, um die Wirkungen des Vertrages beurteilen zu können. In diesem Aufsatz kann also nicht viel mehr als eine Inhaltsangabe der bis jetzt veröffentlichten Bestimmungen gegeben werden, und die weltwirtschaftliche Würdigung des Vertrages muß einem späteren Aufsatz vorbehalten bleiben.

Der Handelsvertrag zwischen Deutschland und Großbritannien ist ein langfristiger, gegenseitiger Meistbegünstigungsvertrag. Er tritt in Kraft sofort nach der beiderseitigen Ratifizierung durch die Gesetzgebungsorgane. Nach der Ratifizierung bleibt er fünf Jahre in Kraft und kann zum erstenmal 12 Monate vor Ablauf dieser Frist gekündigt werden und nach Ablauf der fünf Jahre oder nach dem Beitreten einer britischen Kolonie oder eines Dominions jederzeit mit einjähriger Kündigungsfrist. Der Vertrag erstreckt sich nur auf Deutschland und Großbritannien, dagegen nicht auf den irischen Freistaat, die britischen Kolonien, Indien, die Dominions und die britischen Protektorate. Diese können aber durch eine einfache Erklärung des englischen Gesandten in Berlin dem Vertrage jederzeit beitreten.

Wer bei dem Durchlesen der 33 Artikel des Vertrages und der 8 Paragraphen des Schlußprotokolls lediglich auf die Form achtet, wird die angenehmsten Eindrücke haben. Der Ton des Vertrages bedeutet einen großen politischen Fortschritt. Es findet sich keine Spur von feindseliger Stimmung mehr darin. Eher könnte man schon eine gewisse freundschaftliche Gesinnung herauslesen. Man hat die Empfindung völliger Gleichberechtigung der beiden Partner, einer unbedingten Aufrichtigkeit im gegenseitigen weitesten Entgegenkommen. Man bemerkt eine Radikalität in der Niederreißung aller Schranken des Handelsverkehrs, die über alles bisher Gewohnte hinauszugehen scheint und auch auf die Stellung zu dritten Nationen sich bezieht. Wo irgend möglich, scheint „gegenseitige Gleichstellung mit den eigenen Staatsangehörigen“ angebahnt zu sein, immer aber „Gleichstellung mit denjenigen der meistbegünstigten Nation“. Man lese nur Artikel 1 und 3. Es heißt da: „Die Staatsangehörigen eines jeden der beiden vertragschließenden Teile sollen ... in Hinsicht auf Handel und Schiffahrt, dieselben Rechte, Vorrechte, Freiheiten, Vergünstigungen, Befreiungen und Ausnahmen genießen, die die Staatsangehörigen dieses Teiles genießen oder noch genießen werden.“ „Die beiden vertragschließenden Teile kommen überein, daß in allen Handel, Schiffahrt und Gewerbe betreffenden Angelegenheiten alle Vorrechte, Begünstigungen oder Befreiungen, die der eine der beiden vertragschließenden Teile den Schiffen und Staatsangehörigen irgendeines anderen fremden Landes gegenwärtig zugesteht oder in Zukunft zugestehen wird, gleichzeitig und bedingungslos, ohne Ansuchen und ohne Gegenleistung, auf die Schiffe und Staatsangehörigen des andern Teiles ausgedehnt werden sollen ...“

Versucht man nun, durchdrungen von der starken Betonung vollendeter Gleichberechtigung, festzustellen, worin die hauptsächlichsten wirtschaftlichen Änderungen gegenüber dem vorhergehenden Zustand bestehen, so kommt man einigermaßen in Verlegenheit, soweit man die deutsche Seite in Betracht zieht. Die Erklärung der Meistbegünstigung hat wenig zu sagen. Für deutsche Waren bestand sie theoretisch, da England ein Freihandelsland ist, bereits vorher. Praktisch dagegen war sie durch die 26%ige Reparationsabgabe in ihr Gegenteil verwandelt worden. An diesem Zustand ändert sich nichts. Die Meistbegünstigung der deutschen Staatsangehörigen in England bestand vorher nicht und ist jetzt erreicht. Was die Einreise von Deutschen nach England und ihre Bewegungsfreiheit dortselbst betrifft, so ist sie nach wie vor, wie bei allen Ausländern, von der Erteilung eines Visums abhängig, das aber auch bisher ohne besondere Schwierigkeiten erteilt worden ist. Was aber die Einreise nach Ägypten und Indien betrifft, so ändert sich hier gar nichts. Die bestehenden Einreiseverbote für Deutsche werden nicht aufgehoben. Ausdrücklich ist vereinbart, daß sich der Vertrag weder auf Indien, noch auf die britischen Dominions mit Selbstverwaltung, noch auf die britischen Kolonien, noch auf die ehemals deutschen Kolonien bezieht, für die Großbritannien ein Mandat vom Völkerbund erhalten hat. Es bleibt lediglich die Hoffnung, daß gemäß Artikel 31 Seiner britischen Majestät Vertreter in Berlin den Wunsch ausdrückt, den Vertrag auf irgendeines dieser Gebiete auszudehnen. Inwieweit dies geschehen wird, läßt sich erst nach Abschluß der besonderen Verhandlungen mit den englischen Kolonien beurteilen. Trotz dieser Regelung hat man aber über den Warenverkehr bereits vereinbart, daß in englischen Kolonien und Dominions hergestellte Waren in Deutschland völlige und bedingungslose Meistbegünstigung genießen sollen, vorausgesetzt, daß deutsche Waren dortselbst ebenso günstig behandelt werden. Dieser unmögliche Zustand des Nebeneinanderherlaufens von Bewegungs- und Niederlassungsverboten auf der einen Seite und völliger bedingungsloser Meistbegünstigung auf der anderen Seite ist jedoch zeitlich begrenzt bis zum 1. September 1926. Von da an kann der deutsche Reichspräsident unter Innehaltung einer dreimonatigen Kündigungsfrist die Meistbegünstigung der Waren britischer Kolonien und Dominions in Deutschland aufheben, es sei denn, daß der Vertrag inzwischen auf die Dominions und Kolonien ausgedehnt ist.

Eine für die deutsche Seite fühlbare Änderung besteht darin, daß alle Niederlassungs-, Eigentumserwerbs- und Verfügungsbeschränkungen für Deutsche in Großbritannien, aber auch nur hier, wegfallen. Insbesondere ist vereinbart, daß folgende Gesetze mit Rechtsnachteilen für deutsche Staatsangehörige aufgehoben werden: Non-Ferrous Metal Industries Act 1918, Aliens Restriction (Amendment) Act, 1919 (Section 12), Trading with the Enemy (Amendment) Act 1918 (Section 2). Was die konsularische Vertretung, die Patentangelegenheiten und die umfangreichen Bestimmungen über den Schiffsverkehr und den Durchgangsverkehr angeht, so scheint im wesentlichen der Vorkriegszustand wiederhergestellt zu sein mit seinen weitgehenden, nur durch Ordnungsvorschriften eingeschränkten Verkehrsfreiheiten. In allen wichtigen Punkten ist hier gegenseitige Gleichstellung mit den eigenen Staatsangehörigen vereinbart. Eine Änderung von weittragender Bedeutung liegt aber darin weder für die deutsche Schifffahrt noch für den deutschen Überseehandel.

Die deutschen Banken werden nach der Ratifizierung des Vertrages wieder ihre Filialen in London eröffnen können. Die unmittelbare Verbindung mit dem internationalen Gold- und Kapitalmarkt wird für die deutsche Wirtschaft von erheblichem Vorteil sein. Ebenso wird die Abwicklung der deutschen Rohstoffeinkäufe auf dem Weltmarkt durch die Unterhaltung eigener Geschäftsstellen in England an Stelle der bisher gebräuchlichen Vertretungen erleichtert. Als Arbeitsmarkt für deutsche Kaufleute, Schifffahrtsangestellte und dergleichen wird dagegen England nicht in Betracht kommen. Die Befürchtungen gewisser englischer Zeitungen und auch Gewerkschaften entbehren in dieser Beziehung jeder Grundlage.

Das deutsche Interesse hatte sich während der Verhandlungen auf die Änderung der 26 % -igen Reparationsabgabe konzentriert, die in ihrer gegenwärtigen Gestalt wie ein starker Schutzzoll wirkt. Die Umständlichkeit der Zollabfertigung und der Zwang, den ganzen Kaufpreis oder wenigstens 26 % vor Aushändigung der Ware zu zahlen, hält manchen englischen Importeur von der Einfuhr deutscher Waren ab, und der deutsche Exporteur wird durch die Verspätung in der Zurückerstattung der Beträge geschädigt. Über eine Beseitigung des Schutzzollcharakters der Reparationsabgabe findet sich nicht die geringste Andeutung in dem Handelsvertrag. Die in dem Handelsvertrag beschlossene Aufhebung der Einfuhrverbote hat für Deutschland nur das Interesse, daß dadurch die Dye Stuff Act, welche die Einfuhr synthetischer Farben von einer Erlaubnis abhängig macht, aufgehoben werden kann. Damit ist aber auch die Reihe der für Deutschland erheblichen Änderungen im Handelsvertrag erschöpft.

Es ist aber sicher eine falsche Betrachtung, die den Intentionen der heutigen deutschen Handelspolitik nicht gerecht wird, zu fragen, welchen unmittelbaren Wert in einem konkreten Fall der Handelsbeziehungen der Vertrag habe. Die Handelsverträge werden zum Zweck einer freieren Gestaltung des allgemeinen Handelsverkehrs geschlossen. Die Vorteile sind wesentlich mittelbarer Natur. Sie ergeben sich aus einer allgemeinen Ausdehnung des Welthandels nach Aufhebung aller Behinderungen. Zum Teil sind die Vorteile nur präventiver Natur, indem sie verhüten, daß England zu Einfuhrverboten und Schutzzöllen übergeht. Man muß aber erkennen, daß die eigenartige Stellung, die England zu seinen Kolonien und Dominions einnimmt, diesen erlauben, gewisse Schutzzölle negativer Art einzuführen und auch die Meistbegünstigung für diese wichtigsten Gebiete des Handelsverkehrs zu umgehen. Wenn z. B. die Dominions, die fast sämtlich sehr hohe Schutzzölle haben, diese Zölle für englische Waren erniedrigen, so hat das dieselbe Wirkung auf die Konkurrenzfähigkeit, wie wenn neue Schutzzölle in diesen Kolonien eingeführt worden wären. Außerdem kann England seinen Kolonien Vorzugszölle gewähren, auf die laut Art. 4, Abs. 2 die Meistbegünstigung sich nicht erstreckt. Gegen die Tendenzen zu einem engeren Zusammenschluß des britischen Imperiums bietet der Handelsvertrag keinen Schutz.

Die englische Seite hat an dem Handelsvertrag außer den mittelbaren und allgemeinen auch beträchtliche unmittelbare Interessen. Die gegenseitige Niederlassungsfreiheit erlaubt England, außer Banken auch Versicherungsunternehmungen in Deutschland zu unterhalten. Auf letztere legte England besonderen Wert. Es ist deshalb in § 5 des Schlußprotokolls ausdrücklich festgestellt, „daß Versicherungsgesellschaften, die in Übereinstimmung mit den im Vereinigten Königreich geltenden Gesetzen gegründet worden sind, zum Geschäftsbetrieb in allen Teilen Deutschlands gemäß den Bestimmungen des deutschen Versicherungsgesetzes zugelassen werden.“ Die deutsche Regierung wird darauf achten, „daß der Abschnitt des Gesetzes, durch den die Zulassung ausländischer Versicherungsgesellschaften geregelt wird, in der liberalsten Weise ausgelegt wird ...“. Sie wird gleichfalls „die Arbeit der Vertreter der Underwriters des Vereinigten Königreichs in Deutschland erleichtern.“ In bezug auf Banken ist in demselben Paragraph vereinbart, „daß neue Bestimmungen gegen die Kapitalflucht so abgefaßt werden, daß auch ausländische Banken zum Depot- und Depositenrecht zugelassen werden können.“ Es ist bemerkenswert, daß hier von ausländischen Banken im allgemeinen und nicht nur von britischen Banken die Rede ist. Besonders wichtig erschien es auch den Engländern, im Schlußprotokoll festzusetzen, daß der Grundsatz „der beiderseitigen Behandlung als Inländer in Angelegenheiten der Schiffahrt“ auch auf Auswanderungsagenturen ausgedehnt ist.

Sofort in Erscheinung tretende Handelsvorteile bieten England, die Bestimmungen über die Ein- und Ausfuhrverbote. Diese Bestimmungen sind von weit über den deutsch-englischen Handelsverkehr hinausgehender Bedeutung. Die beiden Länder beschränken in diesem Teil des Vertrages ihr Recht auf Einführung von Aus- und Einfuhrverboten nicht nur für den beiderseitigen Handelsverkehr, sondern überhaupt. Man hat es hier demnach mit einer grundlegenden Entscheidung über das ganze System der Handelspolitik zu tun, mit einem wichtigen Schritt Deutschlands auf dem Wege zum Freihandelsland. Ein Teil des protektionistischen Arsenals, der Teil, der das grobe Geschütz enthält, wird hier aufgegeben. Von den Interessen abgesehen, die England als Handelsstaat an einer solchen Entwicklung nimmt, bietet das Aufgeben der Einfuhrverbote protektionistischer Art der englischen Textilindustrie den langerwarteten Zugang zum deutschen Markt für Fertigprodukte. Die Vertragschließenden sind in dem Artikel 10 übereingekommen, ihre Ein-, Aus- und Durchfuhrverbote auf folgende Fälle zu beschränken: a) öffentliche Sicherheit, b) gesundheitspolizeiliche Gründe oder solche zum Schutz von Tieren und Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge, c) in Beziehung auf Waffen, Munition und Kriegsgerät und unter außerordentlichen Umständen auch in Beziehung auf anderen Kriegsbedarf, d) zum Zwecke des Verbots der Einfuhr von Gegenständen, deren Einfuhr nach der Patentgesetzgebung des betreffenden Teiles verboten ist, e) fiskalische Gründe, die mit einem Staatsmonopol oder dergleichen zusammenhängen. Die Beseitigung aller Arten von Ein- und Ausfuhrverboten, die nicht hier aufgeführt sind, soll spätestens sechs Monate nach dem Inkrafttreten des Vertrages durchgeführt sein. Jeder der beiden Teile übergibt dem anderen Teil vor der Ratifizierung des Vertrages ein Verzeichnis der bei ihm bestehenden Ein- und Ausfuhrverbote, damit der andere Teil die Durchführung dieser Vertragsbestimmungen kontrollieren kann.

Der deutsch-englische Handelsvertrag enthält keinerlei Zollbindungen. Insofern ist dem deutschen Reiche völlige Freiheit in der Ausgestaltung seines neuen Zolltarifs gelassen. Wenn der Vertrag auch durch seine Beseitigung aller Einfuhrverbote Deutschland Kompensationsobjekte für die übrigen noch schwebenden Handelsvertragsverhandlungen aus der Hand nimmt, so ist seine Wirkung auf diese Verhandlungen im Allgemeinen doch sehr günstig. Die Rücksichtnahme auf die deutsch-französischen Verhandlungen scheint im Artikel 4, Absatz 4, besonderen Ausdruck gefunden zu haben. Hier ist vereinbart, daß die Meistbegünstigung sich nicht auf Zugeständnisse erstreckt, die Deutschland in unmittelbarem oder mittelbarem Zusammenhang mit dem Versailler Vertrag usw. einem anderen Lande macht. Man kann dabei an die Elsass-Lothringischen Kontingente denken. Vor allem wird der deutsch-englische Handelsvertrag durch das Beispiel der Bereitschaft, alle Schranken des Handelsverkehrs abzubauen, ohne Rücksicht darauf, wo die größeren unmittelbaren Vorteile liegen, die günstigsten Wirkungen auf die laufenden Verhandlungen ausüben. Das Schutzzolland mit freihändlerischer Regierung, Frankreich, wird sich dem Einfluss dieses Beispiels nur schwer entziehen können.

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