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In einem Aufsatz, der vor kurzem an dieser Stelle erschien, hat Professor Skalweit (Kiel) die Ursachen der gegenwärtigen deutschen Agrarkrisis — Fehlen von Kredit und Kreditapparat, Absatzstockung, niedrige Getreide-, hohe Produktionsmittelpreise — einleuchtend dargelegt und darauf hingewiesen, daß diese Krise durch die besonderen inländischen Verhältnisse hervorgerufen, also nicht unmittelbar aus der Depression des Getreideweltmarktes und aus der allgemeinen weltwirtschaftlichen Lage der Agrarwirtschaft herzuleiten ist.

Allerdings konnte die Situation in Deutschland sich nur deshalb so kritisch zuspitzen, weil die dauernde Gefahr einer Überproduktion an Agrarprodukten im Vergleich mit der Größe des kaufkräftigen Bedarfs jetzt und noch für Jahre hinaus bedrohlich auf dem Weltmarkt lastet. Aber bei einer Diskussion über die augenblickliche innerdeutsche Krise wird man gut tun, zwischen den akuten und den latent-chronischen Schwierigkeiten, die unsere Landwirtschaft auszustehen hat, zu unterscheiden.

Das ist in der so regen öffentlichen Diskussion über die Probleme der Landwirtschaft nicht immer geschehen. Die deutschen landwirtschaftlichen Organisationen und ihre Führer haben einen außerordentlich geschickten und erfolgreichen Aufklärungsfeldzug über die Lage der Landwirtschaft in der Öffentlichkeit unternommen, der sein Echo in einer Reihe offizieller Erklärungen der Reichsregierung (und auch der Reichsbankleitung) gefunden hat. Die Aufgabe dieser landwirtschaftlichen Werbearbeit ist nur zum Teil wirtschaftlicher Natur. Daneben soll sie die Daseinsberechtigung und die Bedeutung der Organisationen beweisen, soll für die künftigen politischen Entscheidungen über Freihandel oder Schutzzoll, die der kommende Reichstag zu treffen haben wird, schon jetzt die Massen sammeln und soll vielleicht auch auf schwebende Entscheidungen — wie die Hypothekenaufwertung und manche Steuerfragen — einwirken. Endlich sollen unerwünschte Diskussionen über die Vergangenheit, die „Gesundung“ der Landwirtschaft während der Inflationsperiode, gründlich unterdrückt werden. Dadurch nun, daß die agrarischen Organisationen ihre „historische Aufgabe“ darin sehen, das Problem des landwirtschaftlichen Schutzzolles immer wieder aufzurollen, ist schon jetzt, was an sich nicht gerechtfertigt ist, die Diskussion über die künftige Entscheidung in Fluß gekommen.

Es soll in diesem und einem folgenden Aufsatz versucht werden, die beiden Problemkomplexe, die sich an die Frage der augenblicklichen, inländisch verursachten Krise und an jene der im Hintergrund drohenden Weltagrarkrise knüpfen, gesondert zu behandeln.

Zunächst sei festgestellt, daß die hie und da auftauchende Sorge, die gegenwärtigen Schwierigkeiten könnten zu einem „Zusammenbruch unserer Ernährungswirtschaft“ vorzüglich durch einen katastrophal schlechten Ausfall der kommenden Ernte führen, übertrieben ist. Es liegt in der Natur der landwirtschaftlichen Produktion, daß selbst die einschneidendsten Änderungen der Produktionsbedingungen erst im Verlauf mehrerer Jahre langsam zur Auswirkung kommen, da die entsprechenden organisatorischen Änderungen sich langsam vollziehen müssen. Ein Ernteausfall wegen einer starken Verminderung der Anbaufläche kommt schon deswegen nicht in Betracht, weil etwa 92 v. H. des Brotgetreideanbaus der Fläche, 95 v. H. der Menge nach bereits im Herbst ausgesät werden. Und weiterhin ist es bei der ganzen Einstellung unserer Landwirtschaft, die schon gefühlsmäßig, in einer Art von Pflichtgefühl, an ihrem Produktionsschema festhält, undenkbar, daß im kommenden Frühjahr die Anbauflächen für Getreide, Kartoffeln, Rüben usw. stark eingeschränkt werden. Man könnte sogar im Gegenteil sagen, daß die Notlage und der Geldmangel die Landwirtschaft zwingen, die einmal vorhandenen und bereitgestellten Produktionsmittel besonders stark anzuspannen, um dadurch einen Ausgleich für die relativ niedrigen Erlöse aus ihrer Produktion zu schaffen. Diese Anspannung findet natürlich in dem Kapital- und Kreditmangel ihre Grenze. Das heißt nun insbesondere, daß der Zukauf von Produktionsmitteln, in erster Linie von künstlichen Düngemitteln, eingeschränkt bleibt. Nach einer amtlichen Mitteilung sind in der Zeit vom 1. Mai bis 31. Dezember 1923, verglichen mit jeweils denselben Zeitraum der Vorjahre, an die Landwirtschaft geliefert worden:

Tabelle 1
Düngemittellieferungen an die Landwirtschaft

Stickstoff
N
(in 1000 t)

Kali
K₂O

Phosphorsäure
P₂O₅

1923 Mai/Dezember........ 128 338 82
1922 » 214 558 221
1921 » 154 447 187
1913 » 115 212 336

Auch in dieser gegen die Vorjahre geringeren Belieferung, die bei Kali und Stickstoff ja noch den Friedensstand (trotz der Verkleinerung der landwirtschaftlichen Bodenfläche durch den Friedensvertrag) beträchtlich überschreitet, liegt noch keine unmittelbare Gefahr. Die Vorversorgung des deutschen Agrarbodens mit den wichtigen Grundstoffen, die im künstlichen Dünger zugeführt werden: Kali, Stickstoff, Phosphorsäure — ist derart, daß selbst das Ausbleiben einer Jahresdüngung nicht schon ein ernstliches Absinken des Produktionsergebnisses zur Folge haben kann. Und gegen eine Mißernte, die durch die Witterungsverhältnisse bedingt ist, kann selbst die beste Kunstdüngerversorgung nur einen geringfügigen Schutz geben. Es ist allerdings bedenklich, daß gerade in der letzten Zeit das Wetter für den Stand der Wintersaaten recht ungünstig war.

In einzelnen ist zu sagen, daß die Versorgung mit Kali und Stickstoff während der Kriegsjahre und später immer relativ reichlich und nach Ansicht der Fachleute ausreichend gewesen ist. Die Phosphorsäuredüngung kann nach den Hohenheimer Arbeiten (Aereboe, Dr. v. Wrangel) ohne Nachteile entbehrt werden, da die Kulturböden zumeist durch langjährige starke Phosphorsäuredüngung mit diesem Stoff angereichert sind, wenn sie nicht überhaupt schon von Natur her schwerlösliche Phosphorsäureverbindungen enthalten. Danach kann für die Zwecke der Landwirtschaft sehr wohl die Einfuhr von Thomasschlacke und anderen phosphorsäurehaltigen Stoffen entbehrt werden, wie auch insbesondere die Salpetereinfuhr, für welche die inländische Stickstoffindustrie ausreichenden Ersatz zu schaffen vermag.

Wegen der — in Vergleich zu den Getreidepreisen — relativ hohen Preise für tierische Produkte, insbesondere Milch und Milchprodukte, ist die Befürchtung, daß hier ein katastrophaler Produktionsausfall entsteht, noch geringer zu werten.

Für das Ganze der Volkswirtschaft aber ist eine Gefahr, größer als jene für die Ernährungswirtschaft, daß der innere Markt durch den Ausfall der landwirtschaftlichen Nachfrage schwere Einbußen erleidet. Vom Kalibergbau, Stickstoffindustrie und der Industrie landwirtschaftlicher Maschinen und Geräte setzt sich dieser Ausfall an Nachfrage durch die ganze Volkswirtschaft fort.

Dagegen hilft natürlich kein anderes Mittel als die Gesundung der gegenwärtigen landwirtschaftlichen Krise.

Und auch hier wird man an demselben, nur etwas anders gearteten Problem des inneren Marktes nicht vorbeigehen können. Eine Steigerung der Konsumtionsfähigkeit der „breiten Masse“ wird die Preise aller landwirtschaftlichen Marktgüter wenigstens bis zum „Weltmarktpreis“ der deutschen Häfen ansteigen lassen.

In diesen Zusammenhang gehört die Entlastung des Konsums von „faux frais“, die preisdrückend auf den Stand der „frei Hof“ des Landwirts gezahlten Preise wirken. Darunter wären zu nennen: die gegen die Vorkriegszeit unverhältnismäßig gestiegenen Frachtsätze der Eisenbahnen, die ebenso angewachsenen Unkostensätze in der Müllerei und Bäckerei, sowie in einem Teil des Detailhandels, wie auch die Umsatzsteuer und die Höhe der Zinssätze, die dem Großhandel die Bewegungsfreiheit über längere Zeiträume hin (im Sinne von Vorratskäufen zur Lagerhaltung) beschränkt.

Das letztgenannte Problem, die Einlagerung der Ernte, um das derzeitige dringende Angebot vom Markt fernzuhalten, führt hin zu dem Kreditproblem der Landwirtschaft, das sich freilich nicht in einer „Preisstützungsaktion“ erschöpft, sondern darüber hinaus bedeutet, daß der Landwirtschaft Mittel fehlen, die selbst durch die günstigste Mobilisierung der alten Ernte nicht aufgebracht werden können.

Hier vor allem muß die Kredithilfe einsetzen. Man wird der Landwirtschaft zwar nicht daraus einen Vorwurf machen können, daß sie die Geldflüssigkeit der Nachkriegszeit und den „Substanzzuwachs“, den sie, privatkapitalistisch gesehen, aus der Zurückzahlung entwerteter Hypothekenschulden erfahren hat, nicht auszunutzen verstand, um ihre Kapitalversorgung auch für die Zukunft (bei stabilen Währungsverhältnissen) sicherzustellen, von der man schon 1921 in führenden landwirtschaftlichen Kreisen mit ernster Sorge sprach. Das ist das Schicksal der Inflationswirtschaft. Aber man wird ein gewisses Versagen der landwirtschaftlichen Organisationen feststellen müssen, denen es seit Errichtung der Rentenbank, d. h. praktisch von Ende November an, nicht gelungen ist, trotz ihres großen Einflusses auf die Rentenbank selbst, die dort verfüglichen Mittel — 600 Mill. Rentenmark — tatsächlich in Fluß und an die Landwirtschaft heranzubringen.

Nach den Mitteilungen des Reichsbankpräsidenten Schacht auf der ostpreußischen „Landwirtschaftlichen Woche“ zu Königsberg ist die Landwirtschaft an den Rentenmarkkrediten der Reichsbank, die diese bekanntlich für die Rentenbank ausgibt, in großem Umfang beteiligt. Schacht hat zugesagt, daß die Kredite an die Landwirtschaft sehr weitherzig gewährt und auf Wunsch ohne weiteres verlängert werden sollen. Die Verbilligung des Wechselkredits durch Wegfall der provisionspflichtigen dritten Wechselunterschrift ist versprochen worden. Eine weitere Verbilligung wäre nur durch eine Herabsetzung des Diskontsatzes zu erreichen, die man aber aus allgemeinen Erwägungen heraus ablehnt. — Weiterhin kommt für alle diejenigen, denen der unmittelbare Kreditverkehr mit der Reichsbank verschlossen ist, die Kreditbeschaffung durch die Wirtschaftsorganisationen der Landwirtschaft in Frage. Diese Aufgabe ist noch immer ungelöst, da der Weg von der Reichsbank (als der einzigen Stelle, die zurzeit Kredite in größerem Umfange zu gehen vermag) durch den Genossenschaftsapparat immer noch zu langwierig und kostspielig ist.

Die Kreditierung von industriellen Lieferungen an die Landwirtschaft hängt mit den Fragen der direkten Kreditbeschaffung eng zusammen. Hier ist zu erwähnen, daß das Kalisyndikat durch eine Art Staatsstreich der Wintershallgruppe zu einer Preispolitik gegenüber der inländischen Landwirtschaft gezwungen worden ist, die in langfristigen und sehr billigen Krediten (Achtmonatsfrist bei 6 % Jahreszinsen) und hohen Skontosätzen eine ganz erhebliche Verbilligung bedeutet. Die Vorgänge im Kalisyndikat verdienen übrigens die Beachtung aller wirtschaftlich Interessierten, weit über die Kreise der unmittelbaren Kaliinteressenten hinaus. In einem früheren Artikel (vgl. „Wirtschaftsdienst“ Nr. 4 vom 25. Januar 1924) war ausgesprochen worden, daß die Wucht, mit der eine straff organisierte Gruppe selbst als Minderheit in der gesetzlich festgelegten Zwangsorganisation des „Kalisyndikats“ aufzutreten vermöchte, ihr entscheidenden Einfluß in den wichtigen Fragen der Preispolitik schaffen könnte. Nun ist, wie der erste Vorsitzende des Kalisyndikats in einer Erklärung, deren schroffe Form frappierend wirkt, der Öffentlichkeit mitteilt, folgendes geschehen: Der Wintershallkonzern, der von jeher für die Niedrighaltung der Kalipreise zur Förderung des Absatzes eingetreten ist, hat dem Kalisyndikat mit dreißigstündiger Frist ein „Ultimatum“ gestellt, das die Wahl ließ zwischen der allgemeinen Einführung der Achtmonatskredite oder der Freigabe von 1 Mill. dz Reinkali aus der Syndikatsbeteiligung bis zum 15. April für den Wintershallkonzern, der dann für diese Mengen seinerseits das Kreditsystem einführen wollte. Das hätte natürlich bedeutet, daß das Syndikat oder die einzelnen Werke, wenn sie überhaupt hätten veräußern müssen. Praktisch läuft das Vorgehen der Wintershallgruppe auf eine Sprengung des Syndikats hinaus, das nur noch formell durch die Klammern der gesetzlichen Regelung zusammengehalten wird — ein Beweis für die Macht wirtschaftlicher Entwicklungen! — In ähnlicher Weise, wie bei dem Kreditsystem für Kalilieferungen soll nun auch eine Kreditierung für Stickstoff eingeleitet werden, worüber noch Verhandlungen im Gange sind.

Und endlich bleibt als Heilmittel für die Krise der Abbau der Preise der in der Landwirtschaft gebrauchten Rohstoffe und Industrieprodukte und der Frachttarife, damit letzten Endes als Wichtigstes: die Verbilligung des Kohlenpreises. Besonders die Frachttarife, die für die wichtigsten landwirtschaftlichen Massentransportgüter bei den gebräuchlichsten Entfernungen zwischen 20 und 150 v. H., im Durchschnitt etwa 60 v. H. über dem Friedenssatz stehen, sind viel zu hoch. (Das gilt übrigens nicht für die Tiertarife.) Die schlichte „Forderung“, die Spanne zwischen den Preisen für Industrie- und Agrarprodukte zu „beseitigen“, wie sie hier und da in landwirtschaftlichen Resolutionen erhoben worden ist, führt freilich noch zu nichts. Langsam erst werden sich diese Dinge einspielen können, wenn der vielmals angekündigte Preisabbau für Kohle eingetreten und die industrielle Kalkulation notgedrungen schärfer als bisher geworden ist.

Die Höhe der Belastung durch Steuern hat bei den Verlautbarungen über die schwierige Situation der Landwirtschaft stets und jetzt besonders eine recht große Rolle gespielt. Sicherlich ist die Belastung schon durch die direkt eingehobenen Steuern, zu denen ja dann noch Umsatzsteuer und die Verkehrssteuern kommen, sehr hoch. Das gilt selbst noch nach dem Wegfall der Rhein- und Ruhrabgabe und der Brotversorgungsabgabe (ab 1. Januar 1924).

Es geht aber nicht an, die derzeitige Notlage der Landwirtschaft im allgemeinen und ihre Verursachung durch die Steuerbelastung im besonderen durch den Hinweis auf die — gegen den Vorkriegsstand — gesunkenen Reinerträge beweisen zu wollen, wie es leider auch in den Berliner Verhandlungen vor dem Sachverständigenausschuß geschehen ist. Das bedeutet die unzulässige Verallgemeinerung von Einzelfällen, deren Unterlagen infolge der Berechnungsschwierigkeiten während der Inflationszeit überaus unzuverlässig und zufällig sind. Die Umrechnung der Papiermarkwerte auf „Goldmark“ ergibt mit Notwendigkeit ein verschobenes Bild. Und der Schluß aus den Inflationszeiten auf die derzeitige und kommende Gestaltung der Reinerträge ist nicht ohne weiteres zu ziehen. Der so dehnbare Begriff des landwirtschaftlichen Reinertrags, und gar in seiner Verzerrung als „durchschnittlicher Reinertrag, bietet für die Beurteilung der Situation keine genügende Unterlage.

Dr. Erwin Topf

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