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l. Begriffliche Vorbemerkungen: Unter dem Begriff Kapitalverwässerung pflegt vom Aktionär heute ein Gemisch von Gründen und Tatsachen zusammengefaßt zu werden, deren Resultat ist, daß das in Aktien angelegte Kapital nicht mehr nutzbringend ist und die Kurse der Effekten nur noch Bruchteile des Nennwertes darstellen.

Daß eine A.-G. ohne Reingewinn bleibt, also daß das investierte Kapital sich nicht verzinst, ist an sich keine abnorme Erscheinung. Zu Zeiten schlechter Konjunktur, ,,der Stockung“, ist dies, besonders wenn von der Leitung vorher keine vorsichtige Reservenpolitik betrieben wurde, sehr häufig.

Heute stehen wir vor einer Ertragslosigkeit, die unabhängig von der jetzigen Stockung auf Gründe zurückzuführen ist, die neben den unerträglichen Belastungen durch Steuern und Zinsen hauptsächlich in der falschen Finanzierungspolitik während der Inflationsjahre 1919 bis 1923 zu suchen sind.

Man nennt eine A.-G., die unabhängig von der Konjunktur keinen Ertrag bringt, weil das hohe Aktienkapital nicht dem erzielbaren Gewinn entspricht, überkapitalisiert. Neben ursprünglicher Überschätzung der Rentabilität bei der Gründung kann man von Überkapitalisierung einer A.-G. sprechen:

a) bei erhöhtem Aktienkapital und nicht proportional gestiegenem Gewinn,

b) bei Aktienkapital in gleicher Höhe, aber dauernd kleinerem Gewinn.

Der Aktionär, der heute vor der Überkapitalisierung der A.-G. steht, an denen er beteiligt ist, wie sie ohne Beispiel in der freilich kurzen Vergangenheit ist, nennt dies Kapitalverwässerung, weil ihm das Bildhafte dieses Begriffes zusagt.

Den Begriff „Kapitalverwässerung“ gab es nun aber schon vor dem Kriege im Börsensprachgebrauch: „Ein Verwässerungsvorgang ist jede Vergrößerung des Aktienkapitals, bei dem keine entsprechenden Aktivwerte hereinkommen“. Da nun nach HGB. § 184 eine Ausgabe von Aktien unter pari verboten war, so konnte dieser Vorgang nur bedeuten, daß eine A.-G., welche infolge guter Gewinne in der Lage war, abnormale hohe Dividenden auszuschütten, ihr Aktienkapital erhöhte, indem sie den alten Aktionären Gratisaktien anbot, die aus dem Reingewinn bezahlt wurden. Die Gründe waren folgende: man wollte nicht zeigen, wie gut man verdiente, vielleicht um der Arbeitslöhne, vielleicht um der Verkaufspreise oder der Steuern willen, endlich der Konkurrenz wegen, die entstehen würde, wenn andere Unternehmen sich diesem lukrativen Geschäftszweige zuwenden würden.

(Es war sozusagen eine Umkehrung des Satzes von Marx über die Durchschnittsprofitrate.)

Es handelt sich also in Wirklichkeit gar nicht um eine Ertragsminderung investierten Kapitals, die Verwässerung war in ihrer Wirkung auf den Aktionär nur scheinbar.

Es ergibt sich nun die Schwierigkeit, daß der Börsensprachgebrauch den Begriff „Kapitalverwässerung“ auch heute noch für den Vorgang gebraucht, von dem die A.-G. zwar eine Änderung ihres Dividendensatzes und ihrer Kurse, die Aktionäre aber keinen Schaden zu erwarten haben. Für das, was der Aktionär heute unter Kapitalverwässerung versteht, fehlt den Finanzleuten, die unter der festen Ordnung des § 184 groß geworden sind, ein Begriff – oder wenn sie ihren alten Kapitalverwässerungsbegriff darauf anwenden, so entsteht leicht eine Verwirrung der Vorstellungen.

Da es nun darauf ankommt, Vergangenes zu verstehen, um für die Zukunft daraus zu lernen, so wäre es falsch, aus Rücksicht vor den Ansichten und Begriffen der einen oder anderen Partei nicht zu einer Klärung zu kommen.

Wir wollen also nennen: Kapitalverwässerung = Scheinverwässerung, d. h. ohne Schaden für den Aktionär (es seien denn die Kosten der Emission und des Drucks der Aktien, die jedoch normalerweise in keinem Verhältnis zu den Vorteilen stehen).

Weiter wäre der analoge Begriff der „Watered Stocks“ zu untersuchen, der in der amerikanischen Literatur über Aktienwesen stets eine große Rolle gespielt hat. Man unterscheidet generell zwei Formen von Watered Stock:

1. Capitalisation of earnings1 = Kapitalisierung der Gewinne.

Dies entspricht genau unserer Scheinverwässerung.

2. Watered Stock die wirkliche, echte Kapitalverwässerung.

Diese bedeutet, daß bei der Finanzierung einer A.-G. Aktien ausgegeben wurden, gegen die nicht volle Gegenwerte hereinkamen, d. h. daß ein Teil unter pari ausgegeben wurde, was natürlich eine Anteilschmälerung für diejenigen Aktionäre bedeutet, die voll einbezahlt haben. Die „billigen“ Aktien nehmen die Gründer für sich und statten diese dafür mit den Rechten aus, die bei uns Vorzugsaktien zukommen. Diese haben „nur“ begrenzte Verzinsung, müssen dafür aber vor den Stammaktien bedacht werden.

War eine A.-G. überkapitalisiert, d. h. die eingebrachten Sachwerte der Gründer überschätzt, so blieb das Stammkapital ohne entsprechende Verzinsung, ja war oft wertlos, also = Wasser.

In der Geldentwertungszeit wurde dem § 184, dem Verbot der Emission unter pari, also unter 1000 Mark, der Boden entzogen. Deshalb konnte nun auch bei uns echtes Watered Stock, wirkliche Kapitalverwässerung, eintreten.

Es wäre deshalb die Ausgabe von Aktien, durch die Werte hereinkommen, die nur Bruchteile des Wertes des auf die alten Aktien eingebrachten betragen, in ihrer die alten Aktionäre schädigenden Wirkung: Kapitalpanschererei (= wirkliche Verwässerung) zu nennen.

(Wir wollen den Ausdruck deshalb wählen, weil durch Zusatz von Wasser, „Verwässerung“, sogar ein Vorteil erreicht werden kann; eine Schädigung liegt nicht vor, wenn der Empfänger orientiert ist. Milchpanscherei trägt dagegen den Begriff der Schädigung schon in sich. Doch soll schon hier gesagt sein, daß die falsche Finanzierungspolitik der deutschen A.-G. während der Inflationszeit, die oft eine Kapitalpanscherei bedeutet, meist nicht einer böswilligen Absicht, sondern der Kurzsichtigkeit und der Verkennung der Geldwertverschiebungen zuzuschreiben ist.)

Meistens wird Kapitalpanscherei für den alten Aktionär eine Dividion seiner ursprünglichen Anteilsquote an der A.-G. bedeuten, sei es, daß er sein Bezugsrecht verkauft, sei es, daß sein Bezugsrecht durch Schaffung von Vorratsaktien nach § 282/1 HGB gemäß Generalversammlungsbeschluß überhaupt ausgeschlossen ist.

Diese Folge der Kapitalpanscherei wollen wir Anteilschmälerung nennen.

II. Der Verwässerungsvorgang: Indem wir uns des Begriffes der Überkapitalisierung einer A.-G. erinnern, und zwar des zweiten Falles: bei Aktienkapital in alter Höhe, aber dauernd kleinerem Gewinn, wollen wir zunächst die Aktivseite der Bilanzen der deutschen Aktiengesellschaften in der Nachkriegszeit betrachten.

Kann man von einer Minderung der Anlage oder der Substanz sprechen? Ganz allgemein kann gesagt werden, daß infolge des Raubbaus während des Krieges und den anscheinend gestiegenen Reparatur- und Ersatztkosten in der Geldentwertungszeit, die Anlagen bis 1922 als vernachlässigt gelten können.

Wenn der Dawes-Bericht im Gegensatz hierzu von den gegen 1913 verbesserten und erweiterten Anlagen der deutschen Industrie spricht, so ist dies teilweise nicht unberechtigt, weil man in der Spätzeit der Geldentwertung, 1922/23, alle liquiden Mittel in seine Werksanlagen steckte, um sie wertbeständig anzulegen: Dies bedeutete aber die völlige Aufzehrung aller flüssigen Mittel, in der die heutige Kapital- und Kreditnot z. T. ihre Ursache findet.

Schätzungsweise ist die Produktion insgesamt um 40 % zurückgegangen. Hierüber liegen zahlreiche Berechnungen vor, von denen nur eine erwähnt sei: der Vergleich der Tonnenzahl der Verfrachtungen der deutschen Eisenbahn für 1913 und 1922 ergibt einen klaren Beweis des Rückganges auf 60 % des Friedenssatzes.

In einer detaillierenden Untersuchung hat von Mering2 den Nachweis erbracht, daß außer der Braunkohlen-, Fischerei- und Tabakindustrie, die einen gesteigerten, nur die Papier-, Porzellan- und Kaliindustrie einen zeitweisen gleichen Umsatz wie 1913 hatten.

Neben der sinkenden Kaufkraft des Inlandes, die durch Belebung des Exportes nur teilweise wettgemacht wurde, waren es neben verkürzter Arbeitszeit und Rückgang der stündlichen Arbeitsleistung vor allem äußerer Zwang: politische Streiks, Kohlenmangel, Waggonmangel und die Reste der Zwangswirtschaft, die die Produktion schmälerten.

Aber auch von dieser eingeschränkten Produktion wurde ein im Vergleich zu 1913 meist sehr verminderter (wirklicher „Gold“-) Gewinn erzielt.

Vor allem zehrte die falsche Kalkulation, die Schein-gewinne, am Ertrag des investierten Kapitals. Statt aber die Unternehmer auf die Gefahren, die ihrem Kapital und damit der deutschen Wirtschaftsgemeinschaft durch Verschleuderung deutschen Gutes drohten, aufmerksam zu machen, bedrohte man mit hohen Strafen jeden, der in Goldmark oder in einer stabilen Währung (Dollar) kalkulieren wollte.

Nicht zu vergessen ist auch die Hartnäckigkeit, mit der die Rechtsprechung, selbst in Reichsgerichtsurteilen, sich auf den Standpunkt stellte, die Forderung des Wiedereinstandspreises verstoße gegen die Wucher- und Preistreibereiverordnungen; der Kaufmann sollte einen Teil der allgemeinen Verarmung mittragen.

Oft mußte man andererseits schon deshalb unter Reproduktionskosten verkaufen, weil man überhaupt sonst auf Absatz in dem verarmten Inland oder auf Export bei der Antidumping-Maßnahme des Auslandes nicht hoffen konnte. Oft wurde dem Umstand nicht Rechnung getragen, daß die Passiva der Bilanzen (Aktienkapital- und Obligationsschulden) Goldwerte repräsentierten, und es wurden bei der Selbstkostenberechnung nur die „speziellen“ Kosten berücksichtigt, wie Rohstoffe, Arbeitslöhne usw., eine Goldverzinsung des gesamten investierten Kapitals aber nicht mit eingerechnet.

Dazu machte sich immer mehr die Steuerbelastung bemerkbar, die heute bei stabiler Währung zusammen mit den Zinsen für die Rentenbankbelastung und für die Obligationen des Dawes-Plans den Ertrag um einen hohen Prozentsatz schmälert, ja oft an der Substanz zehrt.

Wir kommen zum Resultat, daß eine Reihe von politischen außerwirtschaftlichen Gründen den Ertrag minderten, Gründe, die der Einwirkung des einzelnen Unternehmers entzogen waren, Gründe, die Verluste brachten, obwohl der Kaufmann alle Sorgfalt, erneute „pater familias“ aufwendete. Es stand also ein dauernd kleinerer Gewinn dem Aktienkapital gegenüber.

Betrachten wir nun die Passivseite der Bilanzen der deutschen A.-G.‘s in der Nachkriegszeit:

Hier müssen wir uns zunächst der unseligen Täuschung Mark = Mark erinnern, die es mit sich brachte, daß die Bilanzen die Passiva, also Aktienkapital und Reserven in der GM-Zahl aufzeichneten, alles andere aber, Umsatz und Verdienst, in Papiermark erscheinen ließen. Richtig wäre es gewesen, zu jedem Abschluß auch das Aktienkapital mit dem jeweiligen Dollarstand, oder richtiger vielleicht: dem Preisindex zu multiplizieren. Hierdurch wären alle falschen Kalkulationen und die aus ihr resultierenden Scheingewinne vermieden worden.

So jedoch stand man dem „ständig wachsenden“ Umsatz mit bald zu kleinem Betriebskapital gegenüber und hielt dann Kapitalerhöhungen für nötig.

Wir wollen uns nicht mit den mannigfaltigen Begründungen3 aufhalten, die man zur Motivierung eines Kapitalerhöhungsbeschlusses fand. Der wahre Grund war meist Mangel an Betriebskapital.

Warum aber nahm man keinen Kredit auf? Nun – die Banken verloren bei Kredithingabe (Kontokorrent mit Debetsaldo) an der „Geldentwertung“, bei Emissionen dagegen verdienten sie meist gut. Oft dienten die Emissionen daher der Abdeckung früherer Schulden bei dieser Bank. J. Köhler-Niveus4 erwähnt im „Berliner Tageblatt“ vom 21. 2. 1924, daß die Banken dieses Geschäft häufig als notwendige Bedingung zur weiteren Kreditgewährung verlangt haben.

Vergessen darf nicht werden, daß man sich einem unnormal günstigen Emissionsmarkt gegenüber sah, der „junge Aktien“ mit Jubel begrüßte. Fast stets mußte repariert werden. So groß war die Nachfrage nach wertbeständiger Anlage.

Wurde das Kapital in dieser Weise gegen Einzahlung erhöht, dann verminderte sich die Ertragsmöglichkeit der alten (in GM eingezahlten) Aktien, die sich mit ihren neuen Schwestern, den jungen Aktien, in den Gewinn teilen mußten. Vorauszusetzen wäre natürlich gewesen, daß die jungen Aktien nicht unter Goldpari ausgegeben, d. h., daß wiederum 1000 GM auf sie einbezahlt wurden.

Infolge falscher Kalkulation nahm man aber oft Scheingewinne an und schritt zur Gratisausgabe der Aktien oder setzte großzügig niedrige Bezugskurse fest, die zwar über Papiermarkpari lagen, also dem illusorisch gewordenen § 184 genügten, aber tief unter dem Börsenkurs der alten Aktien standen (die ja sämtlich außerdem unter Goldpari sich bewegten).

Beides wirkte wie eine Zuzahlung der alten Aktionäre, denn selbst Gratisausgabe bedeutet nichts anderes, als dass der Aktionär auf Ausschüttung des Reingewinnes verzichtet, aus dem die jungen Aktien bilanztechnisch bezahlt werden.

So erklärt sich die Abnormität der dauernden Kapitalerhöhungen mit günstigen Bezugskursen für die alten Aktionäre: Bei Goldmarkbilanzierung hätte sich eine Unterbilanz ergeben, der Kurs hätte unter pari gestanden und eine Emission wäre nach § 184 verboten gewesen. Man hätte also saniert, das alte Aktienkapital zusammengelegt und dann über pari neue Aktien ausgegeben, um sich wieder flüssig zu machen. So aber stand man vor der Tatsache, „gewaltig gesteigerte“ Umsätze und „gesteigerten“ Gewinns und tat das in solchen Fällen in normalen Zeiten Übliche: Man erweiterte die Kapitalbasis, erhöhte das Aktienkapital, indem man gleichzeitig dem Werk neues Sparkapital zuführte und den Aktionären ein „Geschenk“ in Form von neuen Anteilforderungen = jungen Aktien überreichte. Dies war die einfachste Lösung aus dem Dilemma: (scheinbar) große Gewinne zu haben und doch sanierungsbedürftig zu sein.

  • 1Mead: "Corporation Finance" S. 144 ff.
  • 2Otto von Mering: "Die Erträgnisse deutscher Aktiengesellschaften vor und nach dem Kriege". Berlin 1923.
  • 3Denkschrift zum 50-jährigen Bestehen der Essener Kreditanstalt in Essen. 1922. S. 299: „Gegen Ende des Jahres folgten, unterstützt durch die Börsenentwicklung, Aktienemissionen, Kapitalerhöhungen, teilweise unter Gewährung billiger Bezugsrechte mit dem Ziel, die von der Börse heraufgesetzten Kurse herunterzudrücken."
  • 4J. Köhegi-Niveus: "Kapitalverwässerung durch Kapitalserhöhungen".

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