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Der Bürger ist aufgeschreckt. Nicht nur die Industrie und die privaten Heizungen sind bedroht – auch sein liebstes Spielzeug scheint gefährdet. In den Niederlanden gab es zum ersten Mal ein Fahrverbot für Kraftfahrzeuge am Sonntag. Belgien und Dänemark stellen sich auf ähnliche Maßnahmen ein. Die Europäischen Gemeinschaften traten eiligst zusammen, um die Situation zu beraten. Und auch die Bundesrepublik bereitet sich auf den Ernstfall vor. Durch ein Energiesicherungsgesetz soll die Krise im Rahmen gehalten werden. Zunächst ist nur an ein allgemeines Fahrverbot an Sonn- und Feiertagen sowie an eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen und Straßen gedacht. Außerdem soll der Verkauf von Benzin in Kanistern verboten werden, und die allerletzte Maßnahme wird die Ausgabe von Benzingutscheinen sein. Auch die Zuteilung oder Rationierung von Heizöl ist dann zu erwarten.

Noch weiß man nicht genau, wie derartige Notmaßnahmen praktiziert werden sollen. Denn die arabischen Staaten haben zu plötzlich Ernst gemacht. Durch die Drosselung der Ölversorgung wollen sie die Mitgliedsländer der Europäischen Gemeinschaften, die Vereinigten Staaten und Japan zu „politischem Wohlverhalten“ zwingen und die militärische Niederlage doch noch in einen politischen Sieg ummünzen.

Solche wirtschaftlichen Repressalien zur Verwirklichung politischer Zielsetzungen sind keineswegs neu. Jeder kennt die US-amerikanischen Embargomaßnahmen gegenüber den Ostblockstaaten oder Kuba, und der Sturz Allendes wäre ohne wirtschaftlichen Druck von außen kaum so schnell erfolgt, und auch in der Entwicklungshilfe ist die Kopplung von Krediten und politischen Auflagen keineswegs eine Seltenheit gewesen.

Das Neue an der gegenwärtigen Situation besteht darin, daß ein Embargo gerade die Staaten trifft, die es bisher als ihr Vorrecht ansahen, Politik und Wirtschaft zu verquicken. Trotz vieler deutlicher Anzeichen, trotz offener und verdeckter Drohungen der arabischen Ölförderländer kam ihre solidarische Aktion doch überraschend. Denn bisher waren die westlichen Verbraucherländer in ihrer Mehrzahl davon ausgegangen, daß die Araber ihr Öl aufgrund ökonomischer Überlegungen verkaufen müßten, wenn sie es nicht selbst trinken wollten. Im Zusammenhang mit dem Israelkonflikt wurde nun allen Anhängern dieser These deutlich demonstriert, daß sie es eher trinken werden, als es denen zu verkaufen, die ihre politischen Gegner unterstützen.

Bei der Kürzung der Lieferungen um 25 % im November und um weitere 5 % im Dezember besteht kein Zweifel daran, daß die Araber eine derartige Politik über Jahre durchhalten können. Aufgrund ihrer hohen offiziellen und inoffiziellen Devisenreserven könnten sie sogar einen totalen Lieferstopp über mindestens drei Jahre verhängen – ohne dabei auch nur im geringsten Abstriche von ihren eigenen Wirtschaftsprogrammen machen zu müssen. Derartige Überlegungen sind für die Lieferländer jedoch zur Zeit völlig unnötig. Denn durch die mit der Angebotsverminderung gekoppelte Anhebung der Abgabepreise dürften sie tatsächlich kaum fühlbare Einnahmeausfälle haben – zumal auch die anderen ölproduzierenden Staaten die Preiserhöhungen mitmachen.

So steht die Welt heute überrascht und fassungslos vor dem Phänomen der rücksichtslosen Ausnutzung einer naturbedingten Machtposition. Eine Gruppe von Ländern, die den Industriestaaten bisher oft und gern kolonialistisches und imperialistisches Verhalten vorgeworfen hat, verhält sich nun in keiner Weise vorbildlicher.

In dieser Situation ist es ziemlich müßig, in den Industrieländern nach Schuldigen zu suchen und ihnen immer neue Vorwürfe zu machen. Denn Fehler wurden in der Vergangenheit auf allen Seiten gemacht – bei den Mineralöl-Konzernen ebenso wie bei den Händlern und Verbrauchern oder bei der Steuerbelastung durch den Staat.

Die Aufgabe der Gegenwart und der Zukunft besteht in allererster Linie darin, die Versorgung der gesamten Volkswirtschaft sicherzustellen und Krisen der Art, wie sie sich jetzt abzeichnen, zu vermeiden. Dabei wäre es sicherlich falsch, den leichten Weg der politischen Anbiederung zu wählen, den die Europäische Gemeinschaft offensichtlich einzuschlagen scheint. Denn haben die ölproduzierenden Länder auf diese Weise Erfolg, so werden sie bei nächster Gelegenheit andere politische oder wirtschaftliche Zielvorstellungen auf gleiche Weise zu verwirklichen suchen.

Europa und die USA sollten sich eher auf einen kühlen Winter einrichten. Dabei bleibt ihnen die vage Hoffnung, daß der Boykott nur kurzfristig ist und daß ihre gemeinsamen Vorräte noch ausreichen. Aber die Verbrauchsbegrenzungen und Notprogramme werden sich nicht allein auf die im Augenblick am härtesten betroffenen Niederlande beschränken.

Heizölpreise von 40 Pfennig und Benzinpreise von einer Mark pro Liter sind alles andere als utopisch. Doch gerade diese immensen Preissteigerungen werden die Bemühungen um die Erschließung alternativer Energiequellen erheblich vorantreiben. Je länger die Ölverknappung anhält und je höher die Preise steigen, um so günstiger wird es nämlich, bisher weniger wirtschaftlich erscheinende Verfahren anzuwenden. Kurzfristig dürfte damit der teilweise schon fast vergessene Steinkohlenbergbau noch einmal intensiviert werden. Auf lange Sicht werden sich die Bemühungen aber in erster Linie auf die Gewinnung von Kernenergie und den Bau von entsprechenden Kraftwerken konzentrieren. Sobald man dabei Massenproduktionsvorteile ausnutzen kann, wird die Wettbewerbsfähigkeit des Öls zurückgehen. Die Chancen, Erfolge zu erzielen und Öl nahezu überflüssig zu machen, sind um so größer, je enger die USA und Europa die notwendigen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten gemeinsam betreiben. Mit ihrer Politik der Ölverknappung sägen sich die arabischen Länder – zumindest auf lange Sicht – dann doch den Ast, auf dem sie heute noch geruhsam sitzen können, ab.

Eine gemeinsame feste Haltung der Verbraucherländer erscheint auch deshalb notwendig, weil ein Erfolg der Ölstaaten andere rohstofferzeugende Länder zu einer ähnlichen Politik ermuntern könnte. Was heute bei Öl möglich ist, ließe sich bei hinreichenden Erfolgsaussichten in gemeinsamer Aktion für Kupfer oder Uran versuchen. Für Naturkautschukproduzenten wäre eine Verknappungspolitik angesichts der – gerade wegen der geringeren Öllieferungen – verschlechterten Möglichkeiten, auf Syntheseprodukte auszuweichen, durchaus erfolgversprechend, um den Preis erheblich in die Höhe zu treiben. Und wer vermag heute zu sagen, ob nicht Erfolge bei derartigen Rohstoffen auch die Kaffee-, Kakao- oder Teeproduzenten zu befristeten Marktsperrungen verführen würden.

Bisher fehlt von seiten der Entwicklungsländer eine eindeutige Stellungnahme zur Politik der OAPEG, von der auch sie zum Teil hart betroffen sind – ganz zu schweigen von einer eindeutigen Verurteilung. Aber frühere Forderungen zeigen deutlich, daß einige Rohstoffländer mit Rückenstärkung durch die Ostblockstaaten durchaus Erwägungen in dieser Richtung anstellen.

Daß damit an den Grundfesten des freien Welthandels gerüttelt wird, steht ebenso außer Zweifel wie die Feststellung, daß eine derartige Politik auch die Periode der Zusammenarbeit zwischen Industrie- und Entwicklungsländern beenden würde. Gerade die Länder der Dritten Welt, die immer wieder die Notwendigkeit einer verstärkten Kooperation mit den fortgeschrittenen Staaten betonen und entsprechende Zugeständnisse fordern, werden mehr als unglaubwürdig, wenn sie – einmal am längeren Hebel sitzend – nicht ebenfalls konzessionsbereit sind. Nutzen sie ihre gegenwärtig günstige Position wie die Ölländer aus, so werden sie nur Pyrrhussiege erringen können.

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