Die Frage nach der Notwendigkeit einer Verbraucherschutzpolitik — oder, wie ich umfassender formulieren würde, einer Verbraucherpolitik — ist im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gestellt und nur von dort her zu beantworten. In der Marktwirtschaft ist den Verbraucherinteressen noch am ehesten Rechnung zu tragen. Wie ich schon an anderer Stelle zum Ausdruck gebracht habe, ist sie keine Veranstaltung zugunsten von Unternehmern, sondern zugunsten der Verbraucher. Die Wirtschaftspolitik insgesamt ist deshalb vom Verbraucher her zu konzipieren. Das macht aber eine spezielle Verbraucherpolitik nicht entbehrlich.
Bei der „Verbraucherpolitik“ geht es mir nicht vorrangig um eine Reihe mehr oder weniger zusammenhängender Einzelmaßnahmen, sondern zunächst um ihren grundsätzlichen Standort in einer auf Erhaltung und Stärkung der Marktwirtschaft ausgerichteten Wirtschaftspolitik. Erst wenn man über diesen grundsätzlichen Standpunkt Klarheit gewonnen hat, lässt sich die Frage beantworten, was die Verbraucherpolitik leisten kann und leisten muss und welche verbraucherpolitischen Maßnahmen im einzelnen zu treffen sind.
Die marktwirtschaftliche Ordnung steht und fällt mit dem Wettbewerb, der einerseits alle Entfaltungsmöglichkeiten bietet und den Leistungsvergleich zum Wohle der Allgemeinheit anregt, andererseits aber auch verhindert — und das ist mindestens ebenso wichtig —, dass der wirtschaftliche Erfolg einseitig einzelnen Marktpartnern zugute kommt. Die Erhaltung der Wettbewerbsordnung ist deshalb oberstes ordnungspolitisches Ziel unserer Wirtschaftspolitik, und ich glaube, wir sind darin durch die Verabschiedung der Kartellgesetznovelle ein ganzes Stück weitergekommen.
Man darf sich aber keiner Illusion hingeben. Auch das verbesserte Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen wird nicht zu einem modellhaften Wettbewerb führen. Viele Prämissen sind in der Praxis nur unvollkommen erfüllt. So bestehen auf der Angebotsseite vielfach oligopolistische Marktformen, und die Anpassungsfähigkeit der Produktion an eine veränderte Nachfrage ist schon aus technischen Gründen nicht immer hinreichend gegeben. Der Markt ist auch nicht so transparent, dass der Verbraucher die Vorteile des Wettbewerbs in vollem Umfange für sich nutzen kann.
Ordnungspolitische Bedeutung
Bei dieser Sachlage kommt es darauf an, durch gezielte Maßnahmen dazu beizutragen, dass der Verbraucher als aktiver Partner das Marktgeschehen mitgestaltet und damit seine Funktionen in der marktwirtschaftlichen Ordnung wahrnimmt. Dazu gehört vor allem, dass seine Rechtsstellung gegenüber den Anbietern gestärkt wird, dass er ein hinreichendes Problembewusstsein hinsichtlich seiner Bedürfnisse gewinnt und dass er die erforderlichen Informationen erhält, um seine Entscheidungen nach rationalen Gesichtspunkten treffen und am Markt durchsetzen zu können.
Ist sich der Verbraucher zum Beispiel über Qualität und Preis der Waren nicht im Klaren, so kann er durch seine Kaufentscheidung nicht den leistungsfähigsten Anbieter honorieren. Das führt nicht nur zu Nachteilen für ihn selbst, sondern löst gleichzeitig Fehlentwicklungen aus, die die Lenkungsfunktion des Marktes beeinträchtigen und damit der Gesamtwirtschaft Schaden zufügen.
So gesehen kommt der Verbraucherpolitik eine wesentliche ordnungspolitische Bedeutung zu, und die einzelnen verbraucherpolitischen Maßnahmen erhalten aus dieser Perspektive ihre Bedeutung und ihren Sinn.
Neue Impulse
Zu diesem ordnungspolitischen Erfordernis nach einer speziellen Verbraucherpolitik tritt das Bedürfnis nach einem Schutz des Verbrauchers vor gesundheitlichen Gefahren, die sich im Zusammenhang mit der Entwicklung neuer Produkte wie auch Produktionstechniken verstärkt ergeben. Darüber hinaus gewinnen Fragen des Umweltschutzes für den Verbraucher zunehmend an Gewicht.
Die erforderlichen Maßnahmen zum Verbraucherschutz und zur Verbraucherinformation sind, entsprechend der Komplexität des Marktgeschehens, notwendigerweise vielfältig. Schon im 1. Verbraucherbericht vom Oktober 1971 ist neben der allgemeinen Zielsetzung der Verbraucherpolitik ein breites Spektrum verschiedener Maßnahmen angesprochen. Mit ihren Beschlüssen zur Intensivierung der Verbraucherpolitik vom August/September 1973 hat die Bundesregierung wesentliche neue Impulse hinzugefügt. Einige dieser Maßnahmen lassen gerade von dem dargestellten grundsätzlichen ordnungspolitischen Ansatzpunkt her die Notwendigkeit einer Verbraucherpolitik besonders deutlich werden.
Allgemeine Geschäftsbedingungen
Da ist zunächst einmal die Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu nennen. Grundlage für die Rechtsbeziehungen zwischen Anbietern und Verbrauchern ist das Bürgerliche Gesetzbuch. Es beruht auf der Vertragsfreiheit und geht — durchaus dem modellhaften Bild des Wettbewerbs entsprechend — davon aus, dass die Parteien aufgrund freier Vereinbarung ihre Beziehungen untereinander gestalten. In seinem dispositiven Recht stellt es eine Ordnung auf, die insgesamt gesehen auch unter heutiger Sicht noch zu einem ausgewogenen Interessenausgleich führt.
Im Unterschied zur hier vorausgesetzten Sachlage werden im modernen Wirtschaftsleben Vertragsbedingungen nur ganz selten noch zwischen Anbietern und Verbrauchern individuell ausgehandelt. Darüber hinaus hat es sich als nützlich erwiesen, die notwendig allgemein gehaltenen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches durch ausführlichere, auf den speziellen Vertragstypus zugeschnittene Bedingungen zu ergänzen oder zu ersetzen. Dies hat zur Herausbildung der sogenannten Allgemeinen Geschäftsbedingungen geführt, die in weiten Bereichen des Wirtschaftslebens die individuell ausgehandelten Vertragsbedingungen wie auch das dispositive Recht des Bürgerlichen Gesetzbuches ersetzt haben.
Das ist, für sich genommen, ordnungspolitisch noch nicht bedenklich, weil Allgemeine Geschäftsbedingungen im Prinzip auch für den Verbraucher Vorteile haben können. In der Praxis hat sich jedoch herausgestellt, dass sie den im Bürgerlichen Gesetzbuch vorgezeichneten Interessenausgleich in aller Regel einseitig zugunsten des Anbieters verschieben und dass sich der Verbraucher ihnen praktisch nicht entziehen kann. Dadurch wird die für die Wettbewerbsordnung wesentliche Waffengleichheit der Marktpartner gestört.
Die Bundesregierung hat deshalb angekündigt, sie werde noch im Jahre 1975 den parlamentarischen Körperschaften einen Gesetzentwurf zuleiten, durch den Missbräuche mit Allgemeinen Geschäftsbedingungen ausgeschlossen werden sollen. So sehr dabei an den Schutz und das Interesse des einzelnen Verbrauchers gedacht wird: Auch hier geht es letztlich um die Wiederherstellung fairer Spielregeln für die Wettbewerbsordnung.
Novelle zum Abzahlungsgesetz
Als einen zweiten Bereich ist die Novelle zum Abzahlungsgesetz zu nennen, durch die dem Käufer ein befristetes Widerrufsrecht eingeräumt werden soll. Die Novelle hat ihren Ursprung in den Missbräuchen, die vor allem bei Verkäufen an der Haustür und auf der Straße aufgetreten sind. Die rationale Kaufentscheidung des Verbrauchers wird hier allzu häufig durch die Überredungskünste oder gar unlautere Verkaufsmethoden des Vertreters überspielt. „Markt“ findet nicht statt. Leistung wird hier zuweilen durch eine in ihren Methoden nicht wählerische Verkaufstechnik ersetzt, und die marktregulierende Funktion der Wettbewerbsordnung wird unterlaufen. Alle Erfahrungen zeigen, dass solche Fehlleistungen nur durch ein Widerrufsrecht korrigiert werden können.
Schutzgesetze können nur die Rahmenbedingungen für das Verhalten des Verbrauchers verbessern. Da es letztlich auf ihn ankommt, legt die Bundesregierung auf eine bessere Schulung und Information besonderes Gewicht. Dem Verbraucher müssen seine Stellung in der Marktwirtschaft und die mit ihr verbundenen Rechte und Pflichten bewusst gemacht werden, und er muss dazu angehalten werden, seine Bedürfnisse in möglichst großer Unabhängigkeit von äußeren Einflüssen zu reflektieren. Darüber hinaus sind ihm Entscheidungshilfen für den Einzelfall an die Hand zu geben.
Begrenzter Marktüberblick
Sicherlich kann sich der Verbraucher auch ohne solche zusätzlichen Informationen selbst einen gewissen Marktüberblick und Unterlagen für seine Kaufentscheidung verschaffen. Bei den Gegebenheiten des heutigen Marktes ist diese Möglichkeit im Regelfall jedoch so begrenzt, dass ohne zusätzliche Information eine individuell wie wettbewerbspolitisch sinnvolle Entscheidung nicht zu erwarten ist.
So kann der Verbraucher z. B. bei den einzelnen Waren die Qualität der Angebote auch anhand der vom Hersteller beigefügten Prospekte usw. nicht hinreichend beurteilen und vor allem auch untereinander nicht vergleichen. Das gilt insbesondere bei technischen Gebrauchsgütern, aber z. B. auch bei Textilien oder Möbeln und selbst bei vielen Lebensmitteln.
Schließlich hat der Verbraucher auch zumeist keine Zeit, ausreichende Preisvergleiche vorzunehmen. Verbunden mit der Schwierigkeit des Qualitätsvergleichs führt das dazu, dass er eine sinnvolle Qualitäts-Preisrelation der verschiedenen Angebote untereinander, die als conditio sine qua non einer sinnvollen Kaufentscheidung zu gelten hat, nicht herstellen kann.
Verbesserung der Information
Der Gesetzgeber hat in einer Reihe von Bestimmungen — insbesondere im Bereich von Arzneimitteln und Lebensmitteln, aber z. B. auch generell für Fertigpackungen — bestimmte Kennzeichnungsvorschriften erlassen. Diese haben auf Teilgebieten die Information des Verbrauchers verbessert, reichen für sich allein aber nicht aus.
Ich sehe es als Aufgabe der Anbieter an, gerade bei der Wareninformation von sich aus einen merkbaren zusätzlichen Beitrag zu leisten. Die Werbung gibt kaum mehr als allgemeine Hinweise auf die Produkte. Bisweilen scheint sie sogar davon auszugehen, dass konkrete Informationen über die Ware nicht geeignet sind, die erwünschten Kaufimpulse auszulösen. Das mag verständlich sein, trägt jedoch zu der Informationslücke bei, die aus der Sicht einer der marktwirtschaftlichen Ordnung verpflichteten Wirtschaftspolitik nicht hingenommen werden kann. Ich meine, die Anbieter sollten einen verstärkten Beitrag zur Information des Verbrauchers leisten.
Die Bundesregierung hat deshalb in ihren Beschlüssen von August/September dieses Jahres die Notwendigkeit einer verbesserten Warenkennzeichnung besonders hervorgehoben und in diesem Zusammenhang vor allem auf die vom RAL-Ausschuss für Lieferbedingungen und Gütesicherung entwickelten RAL-Testate verwiesen. Ihre allgemeine Verwendung würde einen großen Schritt vorwärts in Richtung auf eine bessere Information des Verbrauchers bedeuten.
Sicherlich müssen auch die Verbraucherorganisationen ihre Anstrengungen zur Verbraucherinformation verbessern. Die Bundesregierung hat ihrerseits die Mittelansätze in der Finanzplanung für diesen Zweck bis 1977 deutlich heraufgesetzt.
Gemeinsam mit den Ländern und den Verbraucherorganisationen wird dabei zu prüfen sein, ob und inwieweit die bisherigen Bemühungen zur Verbraucherinformation geeignet sind, den angestrebten Zweck zu erreichen, oder ob nicht auch ganz neue Ansätze notwendig sind.
Schon dieser ausschnittweise Überblick über einzelne Maßnahmen aus dem der Verbraucherpolitik zuzurechnenden Sachbereich unterstreicht von der Praxis her die zunächst aus grundsätzlichen ordnungspolitischen Überlegungen gewonnene Antwort auf die mir gestellte Frage: Wir brauchen in der Tat eine Verbraucherpolitik, sie ist heute notwendiger denn je.