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Die Bundesrepublik droht auf dem Gebiet der Hochtechnologie den Anschluss an die führenden Nationen USA und Japan zu verlieren. Wie beeinflusst dies die Exportchancen? Wie ist die Situation bei den Schlüsseltechnologien im Einzelnen? Welche Maßnahmen könnten ergriffen werden?

Forschung und Technologie gehören zu den entscheidenden Faktoren für die internationale Wettbewerbsfähigkeit einer modernen Volkswirtschaft. Dies gilt insbesondere für ein Hochlohnland wie Deutschland, das die Grundlagen für hohe Löhne ständig im Wettbewerb auf den internationalen Märkten sichern muss. Dies ist auf Dauer nicht in den „alten“ Industrien möglich, in denen die deutsche Wirtschaft zunehmend mit Unternehmen aus Niedriglohnländern aus Osteuropa und der Dritten Welt konkurrieren muss. Spitzenlöhne können nur gezahlt werden, wenn man in der Lage ist, Spitzentechnologie anzubieten und damit Produkte trotz hoher Lohnkosten abzusetzen.

Wie sehr technologieintensive Güter mittlerweile zum Rückgrat der deutschen Wirtschaft geworden sind, zeigt der hohe Exportanteil von Gütern, bei denen der Aufwand für Forschung und Technologie mehr als 3,5% des Umsatzes ausmacht. 1991 entfielen 46% aller deutschen Exporte auf diese Güterkategorie. Der entsprechende Exportüberschuss betrug 87 Mrd. DM, bei einem Überschuss im gesamten deutschen Außenhandel von nur 22 Mrd. DM. Der Weltmarktanteil der deutschen Wirtschaft belief sich 1990 bei technologieintensiven Gütern auf 19%, bei höherwertiger Technologie (dies sind Güter mit einem Forschungs- und Technologieaufwand bis zu 8,5% des Umsatzes) auf über 21%, in der Spitzentechnologie (mehr als 8,5% Anteil Forschung und Technologie) auf gut 14%. Dagegen lag der Weltmarktanteil im gesamten Güterbereich bei nur 11,5%.

Auf mittlere Sicht steht und fällt unsere Exportwirtschaft mit dem Technologiegehalt ihrer Produkte. Das gleiche gilt für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft gegenüber importierten Waren. Hochtechnologie ist also nicht nur irgendein hochpreisiges Marktsegment, sondern eine wesentliche Basis für unseren künftigen Wohlstand. Dafür ist es aber unabdingbar, dass wir Hochtechnologien intelligent, kreativ und unvoreingenommen nutzen.

Sicherlich werden die deutschen Exportchancen nicht allein durch High-Tech gesichert. Auch in Zukunft wird es noch auf Fräsen, Stanzen und Präzisionstechnik ankommen. Die Fähigkeit, neue Technologien in traditionelle Produkte zu integrieren, und vor allem Marktkenntnis werden künftig ein Trumpf im internationalen Wettbewerb bleiben. Doch nimmt die Bedeutung der High-Tech-Komponenten immer mehr zu. Es wird deshalb darauf ankommen, dass die deutsche Wirtschaft nicht in den Technologien im internationalen Wettbewerb zurückfällt, die Grundlage für Fortschritte auf jedem anderen Gebiet von Wissenschaft und Technik in den nächsten Jahren sein werden.

Mikroelektronik

Einer der größten Wirtschaftszweige weltweit ist mittlerweile die informationstechnische Industrie, zu der die Mikroelektronik, die Telekommunikation, die Datenverarbeitung und die Automatisierungstechnik gerechnet werden. Auch in Zukunft werden diese Bereiche von einer überdurchschnittlichen Wachstumsdynamik geprägt und wichtige Triebfeder für andere Branchen sein. Eine DM Umsatz in der Informationstechnik hat 7 bis 8 DM Umsatz in anderen Wirtschaftszweigen zur Folge, wie z. B. in der Automobilindustrie und im Maschinen- und Anlagenbau. Rund ein Drittel des deutschen Sozialproduktes wird mit Produkten erwirtschaftet, die einen mikroelektronischen Kern besitzen. Hinzu kommt, dass derzeit lediglich ein Fünftel der technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten der Mikroelektronik ausgeschöpft, vier Fünftel des Marktes also noch gar nicht erschlossen bzw. genutzt werden.

Bedauerlicherweise hatte die deutsche informations- und kommunikationstechnische Industrie zeitweise den Anschluss an die Konkurrenten auf den Weltmärkten (insbesondere gegenüber Japan) verloren. Man hatte sich bei der Forschung und Entwicklung auf die — bislang erfolgreiche — Verteidigung bewährter Felder konzentriert und den frühen Einstieg in die Informationstechnik verpasst. In zehn Jahren ist der Weltmarktanteil japanischer Hersteller im Mikroelektronikbereich von 13% auf 95% gestiegen. Der Vorsprung Japans besteht dabei nicht in einzelnen Teilbereichen, sondern in der gesamten Breite von den Bauelementen über die Konsumelektronik bis hin zu hochwertigen EDV-Anlagen. Durch eine gezielte Forschungsförderung des Bundes konnte jedoch dazu beigetragen werden, dass Deutschland nunmehr wieder ein ernst zu nehmender Kooperationspartner ist.

Bei der Produktion leistungsfähiger Chips haben Deutschland und Europa nach wie vor einen Rückstand zu Japan und den USA. Ausschlaggebend hierfür dürfte nicht zuletzt eine gewisse „unterkritische“ Größe der meisten europäischen Mikroelektronik-Hersteller sein. Beim 4-Megabit-Chip waren 1,5 Mrd. DM für Forschung und Entwicklung sowie für Fertigungs- und Prüfungsinvestitionen aufzubringen. Beim 64-Megabit-Speicher muss mit über 3 Mrd. DM gerechnet werden. Dies übersteigt häufig die finanziellen Möglichkeiten der Unternehmen. Hinzu kommt ein drastischer Preisverfall: 1975 kostete eine Transistorfunktion noch eine DM. Jetzt sind es nur noch wenige tausendstel Pfennig.

Die Schwäche der heimischen Industriebasis in Europa erklärt sich nicht zuletzt daraus, dass der Mikroelektronik-Verbrauch in Europa trotz namhafter Anbieter wesentlich kleiner ist als in den USA oder Japan. Rechnet man den Mikroelektronik-Verbrauch der Gerätehersteller auf die jeweilige Bevölkerung um, so führte 1990 Japan mit etwa 260 DM pro Kopf vor den USA mit 85 DM und Westeuropa mit 40 DM. Während in anderen Ländern im Bereich der Mikroelektronik zügig vorangeschritten wurde, wurde in Deutschland eine ausgiebige Diskussion über die damit verbundenen Unsicherheiten geführt. „Mikroelektronik als Jobkiller“ war ein weit verbreitetes Schlagwort. Mittlerweile hat diese Technik Arbeitsplätze in anderen Ländern geschaffen, während sie bei uns verlorengingen, weil wir die Chance nicht entschlossen genutzt haben.

Um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen und europäischen informationstechnischen Industrie zu sichern, ist es erforderlich, die eigene Präsenz im wachstumsträchtigen asiatischen Raum zu erhöhen, mit ausländischen Unternehmen zu kooperieren und verstärkt die Zusammenarbeit mit japanischen Unternehmen zu suchen. Insoweit zeigt die jüngste Allianz von Siemens mit IBM und Toshiba zur Entwicklung des 256-Megabit-Chips einen gangbaren Weg auf.

Um erfolgreich in diesem Markt bestehen zu können, bedarf es weiterhin einer Förderung der Hochtechnologie durch eine adäquate und zielgerichtete Grundlagenforschung wie der angewandten Forschung mit frühzeitiger Einbindung potenzieller Anwender. Statt paralleler Forschungsarbeit in verschiedenen Institutionen und Unternehmen muss die Zusammenarbeit zwischen staatlichen Forschungseinrichtungen und der Wirtschaft verbessert werden, damit die marktmäßige Umsetzung gewonnener Erkenntnisse zügiger als bisher erfolgen kann.

Gentechnik

Eine weitere Schlüsseltechnologie der Zukunft ist die Gentechnik. Dabei richten sich die Hoffnungen in erster Linie im Bereich der Medizin auf die Entwicklung von Medikamenten für die Krebs- und die Aidsbekämpfung. In der Agrarwirtschaft erwartet man züchterische Verbesserungen landwirtschaftlicher Nutzpflanzen und ihre Anpassung an das jeweilige Klima und den Standort. Während in den USA und in Japan die Gentechnik längst zu einer Selbstverständlichkeit im öffentlichen Meinungsspektrum geworden ist, sind Forschungs- und Produktionseinrichtungen in Deutschland Gegenstand kritischer Diskussionen. Es herrschen vergleichsweise strenge gesetzliche Auflagen. Genehmigungsverfahren dauern wesentlich länger als international üblich. Dies beeinträchtigt die Chancen deutscher Unternehmen auf diesem internationalen Wachstumsmarkt erheblich.

Die Bundesrepublik belegt zwar — gemessen an der Zahl der Patente — in der biotechnologischen Forschung nach den USA und Japan international die dritte Stelle. Die industrielle Verwertung von Forschungsergebnissen entwickelt sich dagegen viel zu langsam. So konnte beispielsweise die Insulin-Anlage eines großen Chemieunternehmens mehrere Jahre nicht genutzt werden, weil keine Genehmigung zum Betrieb erteilt wurde. Als die Genehmigung vorlag, war die Anlage veraltet. Dies alles findet seinen Niederschlag darin, dass die deutsche Industrie gentechnische Forschungs- und Herstellungsanlagen nur noch im Ausland baut und ausländische Firmen und Institute in Deutschland keine gentechnischen Anlagen errichten. Bei Wissenschaftlern macht sich Resignation breit. Es gehört zum Alltag des wissenschaftlichen Nachwuchses in der Bundesrepublik, gentechnische Versuche kurz hinter der französischen Grenze in irgendeinem befreundeten Labor durchzuführen, statt sich in Deutschland in vielfältigen bürokratischen Hürden zu verzetteln.

Zur Sicherung des Forschungs- und Technologiestandortes Deutschland bedarf es deshalb einer raschen Novellierung des Gentechnikrechtes. Auf Initiative der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat der Deutsche Bundestag die Bundesregierung aufgefordert, bis Ende Januar/Anfang Februar 1993 eine Gesetzesnovelle zu erarbeiten, die dann bis zum Frühsommer in den parlamentarischen Gremien beraten und verabschiedet werden soll. Ziel der Gesetzesänderung ist es u. a., das Formularwesen drastisch zu vereinfachen und bei den unteren Sicherheitsstufen Verfahrensvereinfachungen durchzuführen. Dies ist insbesondere für die niedrigste Sicherheitsstufe von Bedeutung, in der 80% aller gentechnischen Arbeiten stattfinden.

Unser Problem ist, dass wir in Deutschland zu langsam geworden sind und dass die Atmosphäre für Innovationen verlorengegangen ist. Die Novellierung des Gentechnik-Gesetzes sollte deshalb begleitet werden durch ein deutliches Bemühen von Politik und Wirtschaft um eine bessere Akzeptanz für die Gentechnik in der Bevölkerung. Es geht darum, Vertrauen in diese Technologie zurückzugewinnen. Viel wäre gewonnen, wenn es gelänge, zu einem Konsens in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft über den nötigen Vorrang von High-Tech als Voraussetzung für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu kommen. Wir müssen ein klares Bekenntnis zu Zukunftstechnologien ablegen, wie dies US-Präsident Bush für die Gentechnik getan hat: „Die Vereinigten Staaten sind in der Biotechnologie führend auf der Welt, und ich will, dass das so bleibt.“

Transrapid

Es gilt, eine in Deutschland weitverbreitete technologische „Aussteigermentalität“ zu überwinden. Wir können die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland nur erhalten, wenn deutsche Unternehmen an der Spitze der technologischen Entwicklung bleiben. So verfügt die Bundesrepublik mit dem Magnetschwebebahnsystem Transrapid über eine Technologie eines bodengebundenen Verkehrsmittels, die in der Welt (noch!) führend ist. Beim deutschen Hersteller haben sich ausländische Kunden etwa für die 370 km lange Strecke von Los Angeles nach Las Vegas gemeldet. Sie erwarten vor Auftragsvergabe eine deutsche Transrapidstrecke für den Normalverkehr. Es wird sich jetzt erweisen müssen, ob es in Deutschland möglich ist, ein solch zukunftsweisendes und umweltfreundliches Verkehrsmittel einzuführen und nicht zusätzliche administrative und rechtliche Hindernisse aufzutürmen.

Die Zukunft des Transrapids wird — neben der notwendigen Akzeptanz und dem politischen Willen — maßgeblich davon abhängen, ob es gelingt, eine tragfähige Finanzierung auf privatwirtschaftlicher Basis zu ermöglichen. Die erste deutsche Eisenbahnlinie von Nürnberg nach Fürth ist auch von einem privaten Konsortium finanziert worden und nicht vom bayerischen König. Industrie und Bundesregierung sind deshalb aufgerufen, unverzüglich konkrete Finanzierungs- und Betreibermodelle zur Realisierung der Strecke Hamburg-Berlin auf privatwirtschaftlicher Basis zu erarbeiten. Die Planungen der Anwendungsstrecke sollten dann auf der Basis des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes durchgeführt werden.

Trotz enger Finanzspielräume der öffentlichen Hand sollte auch die deutsche Beteiligung an anspruchsvollen Raumfahrtprojekten grundsätzlich fortgesetzt werden. Dies ist erforderlich, um die technologische Kompetenz deutscher Unternehmen in diesem Bereich zu sichern. Das dazugehörige Know-how ist Impulsgeber und Schrittmacher für den technischen Fortschritt in vielen anderen Bereichen. Ziel europäischer Weltraumpolitik sollte es deshalb sein, sich eigene technologische Fähigkeiten zu erhalten, damit Europa international ein interessanter Kooperationspartner im Weltraumbereich bleiben kann. Nach dem Abbau der Ost-West-Spannungen wird es dabei möglich sein, sich insbesondere auf den kommerziellen und wissenschaftlichen Nutzen der Raumfahrt zu konzentrieren.

Humankapital

Die Zukunft des Forschungs- und Technologiestandortes Deutschland wird auch maßgeblich davon abhängen, wie wir künftig mit unseren Schulen und Hochschulen als dem größten „Produzenten“ von qualifiziertem Humankapital umgehen. Die Verlagerung volkswirtschaftlicher Wertschöpfung in immer höherwertigere Bereiche stellt zunehmend erhöhte Anforderungen an die Qualifikation unserer Arbeitskräfte. Das Bildungssystem in Deutschland muss deshalb stärker als bisher den technologischen und wirtschaftlichen Herausforderungen gerecht werden.

Bisher wird an unseren Schulen und Hochschulen zu lange, zu wenig und oft das Falsche gelernt. Wir können aber nicht die notwendigen Herausforderungen einer immer schneller werdenden wirtschaftlichen und technologischen Entwicklung mit 30jährigen Hochschulabsolventen bestehen, deren Wissen bei Berufsbeginn nicht selten obsolet und deren Flexibilität und Mobilität durch familiäre Verpflichtungen bereits stark eingeschränkt sind. Es ist deshalb erforderlich, dass wir die Ausbildungspläne an unseren allgemeinbildenden Schulen und unseren Universitäten straffen und stärker an den Erfordernissen der Wirtschaft ausrichten. Wir brauchen mehr Naturwissenschaftler, Ingenieure und Techniker. Wir werden auch nicht umhinkommen, unser Hochschulsystem stärker als bisher auf die Förderung von Höchstleistungen auszurichten, nicht zuletzt, um ein weiteres Abwandern des besonders qualifizierten Nachwuchses zu verhindern.

Verlässliche Rahmenbedingungen

Zur Erhaltung unseres Forschungs- und Technologiestandortes ist vor allem die Schaffung stabiler und verlässlicher Rahmenbedingungen wirtschaftlicher und rechtlicher Art von großer Bedeutung. Die deutsche Wirtschaft hat nur dann eine Chance, sich am Weltmarkt zu behaupten, wenn es gelingt, ihre Kapitalbildungskraft zu stärken. Unsere Unternehmen müssen in die Lage versetzt werden, die immer weiter steigenden Forschungs- und Entwicklungskosten vor allem aus eigenen Mitteln zu finanzieren. Deshalb ist es erforderlich, dass die Kapitalbildungskraft der Unternehmen und damit ihr Spielraum für neue Investitionen nicht durch weitere Kostenbelastungen bei Steuern, Abgaben, Löhnen und Lohnnebenkosten beschnitten wird.

Eine klare Absage ist schließlich allen defensiven Strategien zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu erteilen. Dies gilt sowohl für Versuche, die Konkurrenzfähigkeit über handelspolitische Barrieren zu sichern, als auch für eine verstärkte staatliche Subventionierung vermeintlicher Wachstumsbranchen. Protektionistische Maßnahmen würden nur Vergeltungsmaßnahmen des Auslandes provozieren. Ein verstärkter Einsatz staatlicher Subventionen würde die Gefahr in sich bergen, dass sich das Interesse der Unternehmen mehr und mehr weg vom Erzielen von Markteinkommen hin zum Erlangen von Subventionen verlagert. Auf Dauer würden dadurch alte Industriestrukturen konserviert und der internationale Wettbewerb der Unternehmen durch einen ruinösen Wettbewerb der Steuerzahler abgelöst.

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