Auf die Finanz- und Wirtschaftskrise folgt eine Krise der Staatsfinanzen. Einige Staaten der europäischen Währungsunion drohen den gesamten Euroraum in Schwierigkeiten zu bringen. Um solche Probleme zukünftig zu vermeiden, müssen die nationalen Finanzpolitiken durch strikte Anwendung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, insbesondere auch seines präventiven Arms, wirkungsvoller koordiniert werden. Der Pakt sollte ergänzt werden durch eine regelbasierte Haushaltspolitik wie durch die deutsche Schuldenbremse und eine Schärfung des Marktmechanismus durch höhere Eigenkapitalpuffer für Staatsanleihen von „Defizitsündern“.
Die wirtschaftliche Entwicklung dürfte in den meisten Mitgliedstaaten der EU und auch weltweit ihre Talsohle erreicht haben. Es wäre jedoch zu früh, bereits jetzt das Ende der Finanz- und Wirtschaftskrise auszurufen. Die massiven Stabilisierungsmaßnahmen von Regierungen und Zentralbanken haben zwar einen Kollaps des globalen Finanz- und Wirtschaftssystems verhindert. Nach diesem akuten Krisenmanagement geht es jetzt aber darum, die Kollateralschäden der Bekämpfung der Finanzkrise zu beseitigen. Entsprechend sind die explodierenden Defizite der öffentlichen Haushalte zeitgerecht, aber zuverlässig zurückzuführen, damit die breit angelegten Konjunkturmaßnahmen von einem endogenen realwirtschaftlichen Aufschwung abgelöst werden.
Der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs hat auf seiner Tagung am 10./11. Dezember 2009 für eine glaubwürdige und koordinierte Strategie zum Ausstieg aus den öffentlichen Stützungsmaßnahmen eine strukturelle Haushaltskonsolidierung von weit mehr als 0,5 Prozentpunkte des Bruttoinlandsprodukts pro Jahr sowie als spätesten Zeitpunkt für den Einstieg in den Ausstieg das Jahr 2011 festgelegt. Kurze Zeit später hat die neue spanische EU-Präsidentschaft dennoch einen neuen Zehnjahresplan (Agenda 2020) im Anschluss an die auslaufende Lissabonstrategie mit milliardenschweren Investitionen in Zukunftsindustrien und Infrastrukturprojekte mit verbindlichen und sanktionsbewehrten Zielvorgaben für die Mitgliedstaaten vorgeschlagen.
Dramatische Verschlechterung der Staatsfinanzen
Die Lage der Staatsfinanzen wird sich 2009 und 2010 in Deutschland und fast allen EU-Mitgliedstaaten dramatisch verschlechtern – als Folge der antizyklischen Reaktionen der Steuer- und Ausgabensysteme auf den scharfen Wachstumseinbruch, als Folge der massiven diskretionären fiskalpolitischen Stabilisierungsmaßnahmen sowie der Mechanismen zur Stützung des Finanzsektors. Der Herbstprognose 20091 der EU-Kommission zufolge wird das aggregierte Haushaltsdefizit der EU-Länder in Relation zum BIP, die sogenannte Defizitquote, von 0,8% (2007) auf 6,9% des BIP bis 2011 (für die Eurozone von 0,6% auf 6,5%) steigen und die Staatsverschuldung in Relation zum BIP von 2007 bis 2011 um rund 25 Prozentpunkte auf 83,7% des BIP (für die Eurozone um rund 22 Prozentpunkte auf sogar 88,2%) explodieren. Mit Ausnahme von Bulgarien und Schweden werden alle EU-Mitgliedstaaten den Referenzwert für das Haushaltsdefizit von 3% des BIP überschreiten, davon fünf Länder (Irland, Griechenland, Spanien, Lettland, Großbritannien) sogar in zweistelliger Höhe. 2011 werden 19 Mitgliedstaaten den Referenzwert von 60% für die Schuldenquote überschreiten, allen voran Griechenland mit 135% und Italien mit 118%.
In Griechenland spitzte sich die Entwicklung im Dezember 2009 dramatisch zu, weil Ratingagenturen die Bonität des Landes herabgestuft hatten, nachdem die neue sozialistische Regierung die Prognose für das Haushaltsdefizit 2009 um rund 100% auf fast 13% des BIP nach oben revidieren musste. Die Renditeaufschläge für griechische Staatsanleihen erhöhten sich gegenüber der Rendite von Bundesanleihen auf zeitweise rund 3 Prozentpunkte wegen eines von den Finanzmärkten nicht mehr völlig ausgeschlossenen Staatsbankrotts. Der Europäische Rat hat auf seiner informellen Tagung am 11. Februar 2010 Griechenland aufgefordert, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um sein derzeit geschätztes Haushaltsdefizit bis 2012 unter die EU-Obergrenze von 3% zu drücken, gleichzeitig aber auch wenn nötig entschlossene und koordinierte Aktionen zur Sicherung der finanziellen Stabilität der Eurozone als Ganzes angekündigt. Der Rat der EU-Finanzminister verschärfte am 16. Februar 2010 das seit April 2009 laufende Defizitverfahren gegen Griechenland um eine weitere Stufe, bevor finanzielle Sanktionen verhängt werden können.
Es steht außer Zweifel, dass diese explosionsartige Verschlechterung der öffentlichen Finanzen wieder zurückgeführt werden muss, wenn die erkennbare Stabilisierung der Wirtschaftsentwicklung nicht gefährdet werden soll. Bei anhaltend hohen Staatsschulden erwarten Konsumenten und Unternehmer früher oder später Steuererhöhungen, da die Schulden von heute die Steuern von morgen sind und die Nettoeinkommen der Zukunft dann als niedriger eingeschätzt werden. Sie werden unter Umständen ihre Investitions- und Konsumausgaben drosseln und höhere Risikoprämien für ihre Anlagen in Staatsanleihen fordern. Der dadurch ausgelöste Aufwärtsdruck auf die Kapitalmarktzinsen behindert die unternehmerischen Investitionen. Haushaltskonsolidierung ist somit Voraussetzung für dauerhaftes Wirtschaftswachstum. Außerdem differenzieren die Finanzmärkte zwischen den einzelnen staatlichen Schuldnern entsprechend der Solidität ihrer öffentlichen Finanzen, wie die Renditeabstände bei Staatsanleihen zeigen. Unabdingbare Voraussetzung für Wachstum und Beschäftigung sind aber nicht nur solide, sondern auch tragfähige Finanzpolitiken. Die EU-Kommission hat in ihrem neuesten Tragfähigkeitsbericht vom Oktober 2009 festgestellt, dass die in den meisten Mitgliedstaaten verfolgte Finanzpolitik nicht nachhaltig ist. Wenn der für die Zeit bis 2060 prognostizierte Anstieg der altersbedingten Staatsausgaben berücksichtigt wird, müssen zusätzliche Anstrengungen unternommen werden, um die Schuldenquote auf dem im Frühjahr 2009 geschätzten Niveau zu stabilisieren. Danach weisen 13 Länder (u.a. Großbritannien, Griechenland, Irland) hohe Tragfähigkeitsrisiken auf, neun Länder (u.a. Deutschland, Frankreich, Italien) mittlere Risiken und lediglich fünf Länder (u.a. Finnland, Bulgarien) niedrige.2
Finanzpolitik in der Währungsunion
Gerade in der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) ergibt sich die Notwendigkeit solider Staatsfinanzen. Die WWU verfügt über einen einzigartigen institutionellen Handlungsrahmen, d.h. die Kombination einer zentralisierten Geldpolitik auf supranationaler Ebene mit einer dezentralisierten Finanzpolitik, die im Zuständigkeitsbereich der einzelnen Mitgliedstaaten bleibt, wenngleich sie eng koordiniert werden soll.3 Der entscheidende Unterschied zu anderen Währungsräumen, z.B. den USA, liegt in der dortigen Dominanz des Zentralstaates, während der EU-Haushalt mit rund 1% des BIP der Gemeinschaft in diesem Zusammenhang bedeutungslos ist.
Ein reibungsloses Funktionieren der WWU setzt spannungsfreie Interaktion zwischen Geld- und Finanzpolitik voraus. Auch dies erfordert Haushaltsdisziplin. Eine übermäßige Kreditaufnahme vor allem großer Euro-Staaten kann einen Nachfrage- und Inflationsdruck in der Eurozone auslösen, so dass die Geldpolitik zur Wahrung der Preisstabilität gegebenenfalls einen stärker restriktiven Kurs fahren muss als es ohne übermäßige Staatsverschuldung erforderlich wäre. Ein steigendes Zinsniveau kann jedoch die privaten Investitionen verdrängen und damit das Wirtschaftswachstum auch in den Euro-Staaten bremsen, welche die übermäßige Kreditaufnahme nicht zu verantworten haben. Für diese Wachstumsverluste wird dann im politischen Raum nicht etwa die Haushaltspolitik einzelner Mitgliedstaaten, sondern die Zinspolitik der Zentralbank verantwortlich gemacht. Damit werden ihre Unabhängigkeit und die Sicherung der Preisniveaustabilität gefährdet. Eine solide Finanzpolitik in allen Euro-Mitgliedstaaten ist damit zum reibungslosen Funktionieren der WWU und für die Stabilität des Euro erforderlich.
Darüber hinaus ist eine stabilitätsgerechte finanzpolitische Koordinierung auf Gemeinschaftsebene notwendig, da die Währungsunion Defizitneigungen fördern kann.4 Nach dem Beitritt zur Eurozone wird der Zusammenhang zwischen der einzelstaatlichen Kreditaufnahme und den Reaktionen der Finanzmärkte gelockert. Disziplinierungsmechanismen der Märkte bei unsolider Haushaltspolitik wie eine Wechselkursabwertung oder ein Inflations- und Zinsanstieg werden in der WWU entweder abgeschwächt oder entfallen völlig. Auch ein Land mit hohem Haushaltsdefizit kann dann unter Umständen seine Schulden zu Zinssätzen finanzieren, die von den makroökonomischen Bedingungen der gesamten Währungsunion bestimmt werden ohne eine angemessene und landesspezifische Risikoprämie zu enthalten, so dass die Fortsetzung der Defizitpolitik erleichtert wird. Ebenso entstehen Anreize zur übermäßigen Schuldenaufnahme, wenn ein Land davon ausgehen kann, dass es für die Solidität seiner Staatsfinanzen nicht allein verantwortlich ist, sondern bei Finanzierungsschwierigkeiten mit der Solidarität der Mitgliedstaaten rechnen kann, die Gemeinschaft also als „lender of last resort“ einspringt und die Währungsunion letztlich zur Transferunion wird. Ohne eine wirksame Begrenzung dieser Anreize können diese sich wechselseitig verstärken und damit in der gesamten Währungsunion zum Anstieg der Haushaltsdefizite und der Kapitalmarktzinsen und schließlich zur Zerrüttung der Staatsfinanzen führen.
Zur Vermeidung von Free-Rider-Verhalten oder von Spill-over-Effekten verbietet der „Vertrag über die Arbeitsweise der EU“ (AEUV), wie der bisherige EG-Vertrag nunmehr nach dem Inkrafttreten des sogenannten Vertrages von Lissabon genannt wird, ausdrücklich die Finanzierung von Staatsschulden durch die Zentralbank sowie die Haftung der Mitgliedstaaten oder der Gemeinschaft für die Schulden eines anderen Mitgliedstaates (sogenannte No-Bailout-Klausel) und verpflichtet alle Mitgliedstaaten zur Vermeidung übermäßiger Haushaltsdefizite. Das Regelwerk dazu liefert neben dem Primärrecht der im Sekundärrecht geschaffene Stabilitäts- und Wachstumspakt.
Zeitpunkte und Optionen für die Haushaltskonsolidierung
Über die Notwendigkeit einer Korrektur übermäßiger Budgetdefizite herrscht Konsens. Es stellt sich jedoch die Frage, wann und wie die Regierungen ihre Stabilisierungsmaßnahmen zurücknehmen können, damit ihre Haushalte nicht aus dem Ruder laufen. Der Rat der EU-Finanzminister hat am 20. Oktober 2009 beschlossen, spätestens ab 2011 mit der fiskalpolitischen Konsolidierung zu beginnen. Eine zu abrupte Umkehr des expansiven Fiskalkurses könnte bei der schwersten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg zu einem ökonomischen Overkill führen. Eine frühe Formulierung und Ankündigung von Ausstiegsstrategien würden jedoch die Erwartungen der Wirtschaftsteilnehmer und der Kapitalmärkte auf solide Staatsfinanzen stabilisieren. Spart der Staat jetzt mehr, werden Haushalte und Unternehmer schon heute mehr konsumieren und investieren. Die Perspektive eines zuverlässigen Defizitabbaus kann dann bereits heute zu Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum führen. Der genaue Zeitpunkt für den Beginn der Haushaltskonsolidierung wird von Land zu Land entsprechend der Abweichung des tatsächlichen Wirtschaftswachstums vom Potenzialwachstum und der Konjunkturreagibilität der öffentlichen Haushalte differieren.
Der Einstieg in den Ausstieg aus den Staatsschulden sollte koordiniert erfolgen, um bei dem engen Konjunkturverbund der europäischen Volkswirtschaften negative Spill-over-Effekte zu vermeiden. Die Konsolidierung sollte zudem auf der Ausgabenseite ansetzen, da eine ausgabenbasierte Konsolidierung eher eine strukturelle Haushaltskonsolidierung verspricht und damit wachstumsfreundlicher ist als Steuer- und Abgabenerhöhungen. Die Erzielung hoher Primärüberschüsse muss in den nächsten Jahren wegen steigender Zinsausgaben bei rapide anschwellenden Staatsschulden ohnehin auf der Tagesordnung stehen. Der Erfolg einer Haushaltskonsolidierung über die Ausgabenseite zeigte sich in der Vergangenheit besonders deutlich, als in den 1980er Jahren Irland und Dänemark damit überdurchschnittliche Wachstumsraten und rückläufige Arbeitslosenquoten erzielten, während Belgien und Schweden die Haushaltskonsolidierung zu stark über die Einnahmeseite des Budgets durchführten und die steigende Steuer- und Abgabenbelastung die Wachstums- und Beschäftigungsperspektiven beeinträchtigt hat. Dies bedeutet nicht, generell alle Ausgaben zu kürzen. Ausgaben für Bildung, Forschung und Investitionen in die Infrastruktur fördern das Wachstum und sollten daher von Kürzungen ausgenommen werden. Daher ist auf der Ausgabenseite vor allem bei Subventionen und konsumtiven Staatsausgaben anzusetzen. Der Imperativ einer Haushaltskonsolidierung über die Ausgabenseite gilt insbesondere für Frankreich, da es 2009 mit einer Ausgabenquote von 55% des BIP neben Dänemark und Schweden an der Spitze aller EU-Länder liegt.5
Erhöhungen von Steuern und Sozialabgaben würden dagegen die wirtschaftlichen Leistungsanreize schwächen und die internationale Wettbewerbsfähigkeit und das Potenzialwachstum negativ beeinflussen. Bei Steuersenkungen ohne Gegenfinanzierung auf der Ausgabenseite werden mögliche Selbstfinanzierungseffekte empirischen Untersuchungen zufolge einen Anstieg des Budgetdefizits nicht bremsen.6 Die „Reaganomics“ in den USA der 1980er Jahre haben gezeigt, dass kreditfinanzierte Steuersenkungen nicht zum Ziel führen. Derzeit kommt erschwerend hinzu, dass mit der Finanz- und Wirtschaftskrise das Produktionspotenzial und damit die Steuerbasis geschrumpft sein dürften, so dass ohnehin mit einem sinkenden Steueraufkommen zu rechnen ist.
Stabilitätsgerechte Umsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes
Die EU-Finanzminister haben auch vereinbart, den Exit aus den Staatsschulden im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes durchzuführen. Die EU-Kommission hat dementsprechend für 20 der 27 Mitgliedstaaten einschließlich Deutschland das Verfahren zur Vermeidung übermäßiger Haushaltsdefizite eingeleitet. Bei den bisherigen Erfahrungen mit elf Jahren Stabilitätspakt sind Zweifel angebracht, ob der gemeinschaftsinterne Anpassungsdruck die Perspektive einer zuverlässigen Haushaltskonsolidierung eröffnet.
In den Jahren 1999 und 2000 setzte sich die im Vorfeld der dritten Stufe der WWU erkennbare Verringerung der nominellen Haushaltsdefizite zwar fort, war aber im wesentlichen auf ein günstiges gesamtwirtschaftliches Umfeld und den Rückgang der staatlichen Zinsausgaben als WWU-Prämie zurückzuführen. Die konjunkturbereinigten bzw. strukturellen Finanzierungssalden verschlechterten sich dagegen wegen unzureichender Konsolidierungsbemühungen, so dass im Konjunkturabschwung von 2001 bis 2005 viele EU-Mitgliedstaaten den Referenzwert von 3% des BIP für das Haushaltsdefizit überschritten.
Umso weniger verständlich war dann die Entwicklung während der erneuten Konjunkturbelebung von 2006 bis 2008, in der die nominellen Haushaltsdefizite zwar zurückgingen, der konjunkturbereinigte Primärsaldo (also ohne Zinsausgaben) in der EU aber kaum, in der Eurozone nur leicht zunahm. In Folge der einsetzenden Finanzkrise überschritten 2008 bereits elf Mitgliedstaaten den Referenzwert von 3% des BIP, obwohl bei fast allen diesen Ländern das tatsächliche Wachstum dem Potenzialwachstum entsprach, die Produktionslücke also noch geschlossen war. In Deutschland war der Haushalt praktisch ausgeglichen. Die Gründe für diese Entwicklung werden bei konjunkturbereinigter Betrachtung deutlich. Das strukturelle Defizit der EU und der Eurozone in aggregierter Sicht erhöhte sich 2008 gegenüber 2007 um mehr als 1 Prozentpunkt in Relation zum BIP, zurückzuführen insbesondere auf die starke Passivierung der Haushaltsposition um rund 5 Prozentpunkte in Irland, Griechenland und Spanien.7 Da die Einnahme- und die Zinsausgabenquoten praktisch unverändert blieben, war für diese Entwicklung eine entsprechende Verschlechterung des konjunkturbereinigten Primärsaldos verantwortlich. Die „guten Zeiten“ wurden offenbar nicht zu einer nachhaltigen Haushaltskonsolidierung genutzt, so dass 2009 die notwendigen fiskalischen Maßnahmen zur Abfederung der Finanz- und Wirtschaftskrise zu einer Explosion der Haushaltsdefizite in diesen Staaten geführt haben. Manche Mitgliedstaaten außerhalb des Euroraums konnten nur durch massive finanzielle Unterstützung durch die EU und den Internationalen Währungsfonds vor dem Staatsbankrott bewahrt werden.
Der präventive Arm des Stabilitätspaktes hat zumindest für diese Länder seine Bewährungsprobe nicht bestanden. Umso wichtiger wird eine wirksame Anwendung der korrektiven Komponente des Paktes zum Abbau der aufgelaufenen Defizite. Die Empfehlungen des Rates zur Defizitkorrektur und die gesetzten Fristen sind nicht als bewegliche Ziele zu verstehen, die sich beliebig variieren lassen. Die Sondersituation der Finanz- und Wirtschaftskrise darf nicht dazu missbraucht werden, in vermeintlich nationalem Interesse den Pakt nach Geist und Buchstaben weiter auszuhebeln. Immerhin könnte es helfen, dass mit dem am 1. Dezember 2009 in Kraft getretenen Vertrag von Lissabon die Abstimmungsmodalitäten im Ministerrat beim Defizitverfahrten zugunsten von mehr Haushaltsdisziplin geändert wurden. Das jeweils betroffene Mitgliedsland ist jetzt von seinem Stimmrecht ebenso suspendiert wie die Nicht-Euro-Länder bei Abstimmungen über Maßnahmen, die die Euro-Länder betreffen. Außerdem kann die Kommission nunmehr direkt ohne zwischengeschaltete Ratsbefassung Stellungnahmen gegenüber den Mitgliedstaaten abgeben. Damit wird ihre Rolle und ihre Verantwortung für die Haushaltsdisziplin gestärkt.
Europäische Wirtschaftsregierung als institutionelle Alternative?
Die Überwindung der Finanz- und Wirtschaftskrise und die Schaffung langfristiger Wachstumsbedingungen hat dem Gedanken der Übertragung weiterer einzelstaatlicher Kompetenzen auf die Gemeinschaftsebene neuen Auftrieb verliehen – wie die Vorschläge der spanischen EU-Präsidentschaft für eine verbindliche Wachstumsstrategie zeigen – und damit zu einer gewissen Renaissance traditioneller französischer Vorstellungen über die Etablierung einer Europäischen Wirtschaftsregierung (Gouvernement Economique Européen bzw. Gouvernance Economique Européenne) geführt. Die Schaffung einer solchen „Wirtschaftsregierung“ für die WWU geht auf die Überlegung zurück, zur völlig zentralisierten Geld- und Währungspolitik der „technokratischen“ Europäischen Zentralbank einen wirtschaftspolitischen Gegenpol zu schaffen, der einerseits zwar für mehr Haushaltsdisziplin sorgen, andererseits aber gegebenenfalls auch einer als allzu streng empfundenen Stabilitätsorientierung der EZB in den Arm fallen soll. Allerdings wurde mit der Idee der Wirtschaftsregierung bisher stets weniger der Gedanke eines vertikalen Drucks aus „Brüssel“ auf mehr Haushaltsdisziplin in den Mitgliedstaaten verfolgt als vielmehr der Gedanke, ein horizontales Gegengewicht zur Europäischen Zentralbank zu schaffen.
Dieser Grundgedanke verkennt jedoch wichtige Funktionsbedingungen der WWU. Mit der vollständigen Übertragung der Geld- und Wechselkurspolitik auf die Gemeinschaftsebene und mit der – möglicherweise zu lockeren – Bindung der nationalen Haushaltspolitiken an die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes sind den Mitgliedstaaten zentrale Elemente einer autonomen Nachfragesteuerung aus der Hand genommen. Umso wichtiger ist es dann, ihnen genügend wirtschaftspolitische Instrumente in nationaler Autonomie zu belassen, um gegebenenfalls auf Fehlentwicklungen in ihren Ländern oder exogene Schocks flexibel reagieren zu können. Mit einer weitgehenden Vergemeinschaftung und Durchschnittsbetrachtung wirtschaftspolitischer Parameter könnten die unterschiedlichen nationalen Entwicklungen nur unzureichend berücksichtigt, die wirtschaftlichen Disparitäten vertieft, Zentrifugalkräfte ausgelöst und schließlich sogar die Kohäsion der Währungsunion in Frage gestellt werden.
Unbestritten entstehen jedoch verstärkte Interdependenzen zwischen den nationalen Volkswirtschaften, denen mit einer starken Koordinierung der nationalen Wirtschaftspolitiken Rechnung getragen wird. Denn eine einzelstaatliche Reaktion auf solche Interdependenzen ist klar suboptimal, obwohl sie in dem normalerweise sehr kurzfristigen Ansatz nationaler Wirtschaftspolitiken gern bevorzugt wird. Zum einen zielt die Koordinierung auf die Verhinderung negativer Spill-over-Effekte ab, zum anderen auf die Förderung des Wachtumspotenzials in dem größeren Wirtschafts- und Währungsraum. Mit der Entnationalisierung der oben genannten Bereiche gewinnen andere wirtschaftspolitische Parameter an Bedeutung für die Wachstumspolitik. Daher müssen auch die Lohn-, Steuer- und Strukturpolitik bis hin zur Wettbewerbspolitik in den Koordinierungsprozess einbezogen werden.
Die Instrumente und Gremien dafür sind vorhanden. Mit den „Integrierten Leitlinien“, die sich aus den „Grundzügen der Wirtschaftspolitik“ nach Art. 121 und den „Beschäftigungspolitischen Leitlinien“ nach Art. 148 AEUV zusammensetzen, werden für einen Zeitraum von jeweils drei Jahren (zuletzt 2008-2010) Handlungsempfehlungen ohne rechtlich bindenden Charakter festgelegt. Der Vertrag sieht in den Grundzügen ausdrücklich spezifische Empfehlungen an die Mitgliedstaaten und die Überwachung ihrer Einhaltung vor. Diese Empfehlungen beziehen sich auf die Maßnahmen der Mitgliedstaaten in den Bereichen Arbeits-, Güter- und Dienstleistungsmärkte sowie Kosten- und Preisentwicklungen und die Steuerpolitik. Der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs verabschiedet Schlussfolgerungen zu den Grundzügen und kann somit jederzeit das Heft in der Hand behalten. Für die Abstimmungsmodalitäten gelten nach dem Vertrag von Lissabon die gleichen neuen Regeln wie beim Defizitverfahren.
Die erkennbaren Koordinierungsdefizite liegen somit weniger bei den Instrumenten oder Gremien, sondern in der mangelnden nationalen Umsetzung der auf Gemeinschaftsebene ex ante vereinbarten Empfehlungen. Der gemeinschaftsinterne Anpassungsdruck hat bisher offenbar nicht genügend Überzeugungskraft für eine konvergentere Politik auslösen können. Die akuten Folgen sind 2009 massive Leistungsbilanzdefizite von Euro-Ländern wie Spanien, Griechenland und Portugal in zweistelliger Höhe in Relation zum BIP. Gerade diese Länder hatten die Empfehlungen des Ministerrats zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und zur Drosselung der Inlandsnachfrage ignoriert. Die EU-Kommission hat für diese Länder eine kräftige reale „Aufwertung“ gegenüber den anderen Euro-Ländern von 20% (Spanien) bzw. knapp 10% (Griechenland, Portugal) in den letzten zehn Jahren bei einer realen „Abwertung“ Deutschlands von fast 15% und einem Leistungsbilanzüberschuss von rund 4% 2009 festgestellt.8 Diese Ungleichgewichte stellen die WWU vor eine ernsthafte Zerreißprobe.
Es ist nicht erkennbar, wie eine im Rahmen der bestehenden europäischen Verträge agierende Europäische Wirtschaftsregierung mehr Druck zu konvergenterer Stabilitätspolitik ausüben könnte. Zuverlässigere Disziplinierungswirkungen der nationalen Politiken sind dagegen eher vom Marktmechanismus zu erwarten, d.h. vom wirtschaftspolitischen Wettbewerb der Mitgliedstaaten um die industriellen Standorte. Länder mit ungünstigen Wachstums- bzw. Standortbedingungen haben Produktionsverlagerungen ins Ausland zu erwarten. Beschäftigungs- und Wachstumsverluste werden dann zu unausweichlichen Marktsanktionen führen und erzwingen früher oder später wirtschaftspolitische Reformen. Über den Markt als neutralen Schiedsrichter wird dann die wirtschaftspolitische Koordinierung und Konvergenz ex post zuverlässiger hergestellt als bei einer diskretionären Ex-ante-Koordinierung. Dazu darf jedoch der freie Kapitalverkehr, auch für Direktinvestitionen, nicht behindert werden wie etwa durch das von französischer Seite hergestellte Junktim zwischen Staatshilfen für die Automobilindustrie in der Finanzkrise und der Repatriierung ausländischer Produktionsstätten. Damit wird der Marktmechanismus ausgehebelt. Zwar ist die Ex-post-„Koordinierung“ volkswirtschaftlich weniger optimal als eine rechtzeitige Anpassung der nationalen Politiken an die Bedingungen einer WWU, sie setzt jedoch zuverlässiger ein als eine unter Umständen unvermeidliche tiefe Stabilisierungskrise bei einer erfolglosen Ex-ante-Koordinierung.
Nationale Fiskalregeln: Die deutsche „Schuldenbremse“ als Modell
Nachdem der Stabilitäts- und Wachstumspakt seit elf Jahren angewendet wurde, sind bei zahlreichen Mitgliedstaaten Defizite insbesondere in der wenig stabilitätsgerechten nationalen Umsetzung der europäischen Haushaltsvorgaben zu erkennen. Zumindest in diesen Fällen hat es an Entschlossenheit und politischem Willen gemangelt, die auf Gemeinschaftsebene auch mit Zustimmung der betroffenen Mitgliedstaaten beschlossenen Empfehlungen umzusetzen. Deshalb sollte das finanzpolitische Regelwerk der EU durch glaubwürdige und gut konzipierte nationale Fiskalregeln sinnvoll ergänzt werden. Abweichungen von den Brüsseler Vorgaben waren vor allem auf der Ausgabenseite festzustellen. Daher bieten sich in erster Linie hohe Transparenz und regelbasierte Beschränkungen der Staatsausgaben an, um es der Öffentlichkeit zu ermöglichen, regelmäßig die Stabilitätsausrichtung der Haushaltspolitik zu beurteilen. Die disziplinierende Wirkung solcher Haushaltsregeln erfordert zweifellos einen gewissen, aber freiwilligen Souveränitätsverzicht von Regierungen und Parlamenten. Es führt kein Weg an dem wichtigen Axiom der WWU vorbei, dass sie ohne Abstriche an nationaler Autonomie nicht funktionsfähig ist.
Die strikteste nationale Fiskalregel ist die in Deutschland 2009 nach Schweizer Vorbild in der Verfassung verankerte sogenannte Schuldenbremse. Grundsätzlich ist danach jede Nettokreditaufnahme für die Zentralregierung und die Länder untersagt. Für die Zentralregierung ist jedoch bei wirtschaftlicher Normallage, d.h. bei Übereinstimmung von potenziellem und tatsächlichem Wirtschaftswachstum ein (strukturelles) Haushaltsdefizit von 0,35% des BIP (derzeit rund 8,5 Mrd. Euro) erlaubt, für die Länder dagegen nicht. Im Konjunkturabschwung sind zudem entsprechende zyklische Haushaltsdefizite erlaubt, im Konjunkturaufschwung müssen Haushaltsüberschüsse erzielt werden. Bei Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der staatlichen Kontrolle entziehen, kann das Parlament mit der Mehrheit seiner Mitglieder (nicht der anwesenden Mitglieder) Ausnahmen von der Schuldenregel genehmigen, muss aber gleichzeitig einen verbindlichen Tilgungsplan verabschieden, um ein weiteres Anwachsen der Staatsschulden zu verhindern. Somit funktioniert die Schuldenbremse als automatischer Stabilisator, der in „schlechten Zeiten“ eine Defizitfinanzierung zulässt, in „guten Zeiten“ jedoch Überschüsse erfordert.
Damit folgt die Schuldenbremse der Ratio des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, verlangt aber zusätzlich die Einhaltung der neuen Regeln im Haushaltsvollzug. Dazu wird ein Kontrollkonto mit einer Ausgleichspflicht eingeführt. Bei Überschreiten der zulässigen Verschuldung wird das Konto belastet, bei einer Unterschreitung erfolgt eine Gutschrift. Das Konto muss im Konjunkturaufschwung ausgeglichen werden, sobald ein Schwellenwert von 1% des BIP erreicht ist. Die jährlichen Abbauschritte sind dabei auf 0,35 Prozentpunkte begrenzt. Im Konjunkturabschwung wird zur Vermeidung einer prozyklischen Finanzpolitik kein Abbau verlangt. Bei der Schuldenbremse ist somit ein direkter Feedbackmechanismus aufgelaufener Defizite oder Überschüsse über das Ausgleichskonto integriert. Die neuen Regeln müssen ab 2011 angewendet werden und erfordern bei der derzeitigen Defizitquote jährlich eine Reduzierung des strukturellen Haushaltsdefizits um 0,5 Prozentpunkte des BIP bzw. 10 Mrd. Euro, um die Grenze von 0,35% des BIP wie vorgeschrieben spätestens 2016 zu erreichen. Für die Länder ist eine strukturelle Neuverschuldung ab 2020 ausnahmslos nicht mehr zulässig. Bei Einhaltung der Verschuldungsregeln und bei einem nominalen Wirtschaftswachstum von jährlich 3% würde die Schuldenquote von rund 78% des BIP 2010 zum Ende der 2030er Jahre unter 50% und langfristig auf unter 20% fallen.9
Die Ratio der Schuldenbremse als Exitstrategie aus den Staatsschulden liegt in dem klaren Signal an die Finanzmärkte, dass Deutschland sich mit Verfassungsrang zur Haushaltsdisziplin verpflichtet hat. Damit ist die Erwartung verbunden, dass der Schuldendienst für die deutsche Neuverschuldung vergleichsweise niedrig bleibt und somit der Spielraum für zukunftsorientierte Staatsausgaben nicht eingeengt wird. Es wird ein Vertrauenskapital geschaffen, das von den Finanzmärkten mit niedrigen Zinsen honoriert wird. Der Verfassungsrang soll sicherstellen, dass opportunistische Politiker nicht in der Lage sind, das aufgebaute Kapital für kurzfristige Ziele wieder zu verschleudern. Eine in allen EU- oder wenigstens WWU-Staaten installierte Schuldenbremse würde die Konvergenz der Haushaltspolitik in der EU fördern. Es besteht die Aussicht, dass unter dem Druck der Finanzmärkte bzw. der Zinsausgaben die Schrittmacherrolle Deutschlands auf andere EU-Länder ausstrahlt. In Frankreich hat die Diskussion über eine in der Verfassung verankerte Selbstbindung von Regierung und Parlament zur Sicherung der Haushaltsdiziplin bereits begonnen.10
Schärfung des Marktmechanismus
Schließlich können auch Disziplinierungsmechanismen der Kapitalmärkte einer stringenten Durchsetzung nationaler Haushaltspläne dienen. Die Finanzmärkte belegen die potenziellen Risiken der Staatsverschuldung mit entsprechenden Risikoprämien wie die im Frühjahr und Herbst 2009 in zahlreichen Ländern gegenüber den Renditen deutscher Staatsanleihen gestiegenen Aufschläge zeigen. Damit verteuert sich der Schuldendienst der betreffenden Länder, insbesondere bei kurzfristiger Schuldenstruktur und erzwingt früher oder später, in jedem Fall aber zuverlässig eine finanzpolitische Kehrtwende. Die Kapitalmärkte werden damit zu einem neutralen Schiedsrichter über die nationalen Finanzpolitiken. Diesem Disziplinierungsdruck kann sich kein Haushalt entziehen. Der Marktmechanismus kann allerdings nur dann wirken, wenn die im AEUV verankerte „No Bailout“-Regel nicht aufgeweicht wird. Missverständliche Aussagen des früheren EU-Kommissars Almunia und des deutschen Finanzministers waren in diesem Zusammenhang kontraproduktiv. Dies gilt ebenso für die von einigen Ländern vorgeschlagene gemeinsame Emission von Staatsanleihen, mit der letztlich die Zinsen hochverschuldeter Länder subventioniert würden.
Das Risikobewusstsein der Finanzmärkte und damit marktmäßige Disziplinierungsmechanismen ließen sich noch schärfen, indem die Finanzaufsicht für Kreditinstitute und Versicherungen die Haltung höherer Eigenkapitalpuffer für Staatsanleihen solcher Länder in ihren Portfolios vorschreibt, die die Empfehlungen des EU-Rates der Wirtschafts- und Finanzminister zur Defizitkorrektur nicht eingehalten haben. Ebenso könnte daran gedacht werden, dass die EZB als Sicherheiten für ihre Kredite an die Geschäftsbanken Staatsanleihen dieser Länder nur mit Abschlägen akzeptiert, wobei die Abschläge in Abhängigkeit von der Schwere des Verstoßes gegen den Stabilitäts- und Wachstumspakt gestaffelt werden könnten. Anstatt auf die – wie die Finanzkrise gezeigt hat – häufig unzuverlässige Bonitätseinstufung der Ratingagenturen zu vertrauen, sollte die EZB stärker auf das Votum des Ministerrats bei der Beurteilung der Haushaltslage eines Mitgliedstaats und eines möglichen Risikos setzen. Nach den neuen Abstimmungsmodalitäten des Vertrages von Lissabon dürfte der Corpsgeist der Euro-Länder so gestärkt werden, dass eventuelle Fehlverhalten einzelner Teilnehmer zuverlässig sanktioniert werden, um einen Zerfall der Eurozone zu verhindern.
Die ökonomische Ratio respektieren!
Regierungen und Notenbanken stehen in Europa und weltweit vor historisch großen Herausforderungen, um mit der Reform des Finanzsystems auch die „Aufräumarbeiten“ der Finanzkrise in Angriff zu nehmen. Die USA und Japan stehen mit Haushaltsdefiziten von 13% bzw. 9% vor noch höheren Herausforderungen als die EU-Länder.
Dem erkennbaren Plädoyer für eine strikte Anwendung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, für eine prophylaktische regelbasierte Haushaltspolitk sowie für eine Schärfung marktmäßiger Disziplinierungsmechanismnen als Exitstrategien aus den Staatsschulden mag mancherorts entgegen gehalten werden, dass dabei der Primat der Politik auf der Strecke bleibt. Bei den bisherigen Erfahrungen mit einer diskretionär ausgerichteten Haushaltspolitik mag dies weniger bedenklich erscheinen als wenn die ökonomische Ratio auf der Strecke bliebe. Aus der Verschuldungskrise systemrelevanter Banken ist eine Verschuldungskrise des Staates geworden. Für den Staat gibt es keinen „lender of last resort“. Dies gilt jedenfalls für die Eurozone, da für die EZB eine Politik der Geldentwertung als Exitstrategie aus den Staatsschulden nicht zur Diskussion steht und ein „Bailout“ gemäß AEUV ausgeschlossen ist. Die Haushaltspolitik wird den Politikern deshalb alternativlos mutige und unpopuläre Entscheidungen abverlangen, wenn aus der Finanzkrise keine Staatskrise werden und ein drohender Staatsbankrott in einzelnen europäischen Ländern und darüber hinaus verhindert werden soll. Mit der Glaubwürdigkeit und Tragfähigkeit der Haushaltspolitik steht zu viel auf dem Spiel, als dass man sich eine Politik des „trial and error“ erlauben könnte. Weiterhin gilt: „Was ökonomisch falsch ist, kann politisch nicht richtig sein und nie richtig werden.“
- 1 Europäische Kommission: European Economic Forecast, Herbst 2009, S. 206, 208.
- 2 Europäische Kommission: Sustainability Report 2009, European Economy 9/2009.
- 3 Europäische Zentralbank: Monatsbericht, Juli 2008, S. 71 ff.
- 4 Europäische Zentralbank: Monatsbericht, Oktober 2008, S. 59 ff.
- 5 Europäische Kommission: European Economic Forecast, Herbst 2009, S. 205.
- 6 Richard Kogan: Will the tax cuts ultimately pay for themselves? Center on Budget and Policy Priorities, Washington, März 2003.
- 7 Europäische Kommission, a.a.O., S. 207.
- 8 Europäische Kommission: European Economic Forecast, a.a.O., S. 28.
- 9 German Federal Ministry of Finance – Economics Department: Reforming the Constitutional Budget – Rules in Germany, September 2009, S. 9.
- 10 Jacques Depla: Réduire la dette grâce à la Constitution, Fondapol, Paris, Februar 2010.