Auf der Agenda der EU-Mitgliedstaaten stehen infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise verstärkt haushaltspolitische Konsolidierungsaufgaben. Dringend erforderlich ist eine Stärkung des Stabilitäts- und Wachstumspakts, um die Konsolidierung besser bewältigen zu können. Ausgehend von Vorschlägen des Sachverständigenrates und der Kommission werden Möglichkeiten aufgezeigt, eine effektivere Umsetzung des präventiven „Arms“ des Stabilitäts- und Wachstumspakts zu erreichen.
Angesichts von Spekulationen über eine drohende Zahlungsunfähigkeit Griechenlands und der Debatte um Finanzhilfen mag es scheinen, als hätte die Union derzeit andere Sorgen und das Ansinnen, den Stabilitäts- und Wachstumspakt zu stärken, käme mit Blick auf die lange Reihe der „Haushaltssünder“ zur Unzeit. Das Gegenteil ist richtig. Gerade die in Krisenzeiten angehäuften Schuldenberge verlangen nach einem Ordnungsrahmen, der die erforderliche mitgliedstaatliche Haushaltskonsolidierung effektiv unterstützt. Die hier betrachteten Vorschläge beschäftigen sich nicht mit einer Verstärkung repressiver Elemente im Verfahren bei einem übermäßigen Defizit. Vielmehr zielen sie in erster Linie darauf, die Verfahren der multilateralen Überwachung, auf die es nach der Beseitigung der übermäßigen Defizite entscheidend ankommen wird, effektiver umzusetzen.
Gefahren einer unentschlossenen Haushaltskonsolidierung
Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat zu einem abrupten und tiefen Einbruch der Weltwirtschaft und zu erheblichen Belastungen der öffentlichen Haushalte der Volkswirtschaften geführt. Die Europäische Kommission rechnet in ihrer Herbstprognose 2009 damit, dass im Jahr 2010 alle EU-Staaten mit Ausnahme von Bulgarien die Maastrichter Defizitobergrenze von 3% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) überschreiten werden.1 Die Schuldenstandsquote in der Union wird voraussichtlich auf über 80% des BIP steigen.2 Die über Jahre mühsam erzielten Fortschritte bei der solideren Gestaltung der öffentlichen Haushalte in der Union sind von der Finanzkrise mehr als aufgezehrt worden. Eine entschlossene Haushaltskonsolidierung wird daher in absehbarer Zeit zentrale Aufgabe der Finanzpolitik der EU-Mitgliedstaaten bleiben.3 Nur sie bietet die Aussicht, drohende Wachstumseinbußen und eine unvertretbare Belastung künftiger Generationen zu vermeiden. Eine unentschlossene Konsolidierung birgt dagegen die Gefahr, dass sich der finanzpolitische Handlungsspielraum hoch verschuldeter EU-Länder zunehmend verengt. Dies wirkt sich negativ auf Investitionen sowie die Fähigkeit zur aktiven Konjunktursteuerung aus.4 Es kann zudem dazu führen, dass die Mitgliedstaaten entgegen den Anforderungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts5 mit einer unzureichenden Sicherheitsmarge in den nächsten konjunkturellen Abschwung gehen, so dass eine Überschreitung des Referenzwertes schon bei einer geringfügigen konjunkturellen Abwärtsbewegung programmiert wäre. Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten bliebe unerfüllt, ihre Haushalte vorausschauend in einer Weise zu gestalten, die es ihnen ermöglicht, konjunkturelle Abschwünge mithilfe der automatischen Stabilisatoren abzufedern, ohne die Defizitobergrenze von 3% des BIP zu überschreiten.6 Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung warnt vor einer Vertiefung fiskalischer Divergenzen,7 wenn die erforderlichen Konsolidierungsfortschritte nur von einem Teil der Mitgliedstaaten erreicht werden, sowie vor Inflationsgefahren im Fall einer Verfestigung zu hoher Defizite.8 Der Druck auf die Zentralbanken nimmt zu, angesichts der Höhe staatlicher Verschuldung mehr Inflation zuzulassen. Ausdruck dieser Entwicklung ist der umstrittene Vorschlag des Chefökonomen des IWF Olivier Blanchard, abweichend von dem bislang üblichen Inflationsziel von 2% die Inflation auf dem deutlich höheren Niveau von 4% zu stabilisieren.9
Anders als der Sachverständigenrat geht die Kommission bei ihren Vorschlägen für eine effektivere Koordinierung der mitgliedstaatlichen Haushaltspolitik nicht in erster Linie von den dramatischen Folgen der Finanzkrise aus. Vielmehr ist es ein dauerhaftes Anliegen der Kommission, den Ordnungsrahmen der Europäischen Union, der die mitgliedstaatliche Haushaltspolitik koordinieren und disziplinieren soll, fortzuentwickeln.10 Über die Änderungen des Rechtsrahmens hinaus, die mit dem am 1. Dezember 2009 in Kraft getretenen Vertrag von Lissabon11 herbeigeführt wurden,12 hat sie Vorstellungen entwickelt, wie der präventive „Arm“ des Stabilitäts- und Wachstumspakts besser funktionieren kann.
Der Vorschlag des Sachverständigenrates: Ergänzung um einen Konsolidierungspakt
Der Sachverständigenrat bezweifelt, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt allein den geeigneten institutionellen Rahmen zur Bewältigung der bevorstehenden gewaltigen Konsolidierungsaufgaben darstellt.13 In seinem jüngsten Gutachten schlägt er vor, den Stabilitäts- und Wachstumspakt um einen „Konsolidierungspakt“ zu ergänzen.14 Damit soll ein die Nicht-Euro-Länder einschließendes „ehrgeizigeres Regime“15 für die krisenbedingt anstehenden Konsolidierungsaufgaben etabliert werden.
Umrisse des Konsolidierungspakts
Die Mitgliedstaaten sollen nach dem Vorbild der Stabilitäts- und Konvergenzprogramme nationale Konsolidierungsprogramme auflegen. Das neue Koordinierungsinstrument soll den Zeitraum abdecken, bis das vom Stabilitäts- und Wachstumspakt vorgegebene Endziel eines nahezu ausgeglichenen mittelfristigen Haushalts erreicht ist. In ihren Konsolidierungsprogrammen legten sich die Mitgliedstaaten auf einen verbindlichen mittelfristigen Ausgabenpfad für die nicht-konjunkturreagiblen Ausgaben fest. Die propagierte Ausgabenregel soll von der mitgliedstaatlichen Verpflichtung flankiert werden, einen Fahrplan für geplante einnahmerelevante Änderungen des Steuerrechts in der Programmlaufzeit festzulegen. Die Ausgabenregel soll dadurch gegen unvorhergesehene Entwicklungen auf der Einnahmeseite immunisiert werden. Die Kommission würde in einem halbjährlichen vergleichenden Bericht die Einhaltung der mitgliedstaatlichen Ausgabenpfade und Steuerfahrpläne überprüfen und Länder mit Abweichungen benennen. Sofern der politische Wille der Mitgliedstaaten so weit reicht, schlägt der Sachverständigenrat vor, zusätzliche Sanktionsmechanismen vorzusehen. Ihre Auslösung soll in die alleinige Kompetenz der Kommission fallen. Die Mitgliedstaaten würden verpflichtet, einen Aufschlag auf die Einkommensteuer („Schulden-Soli“) zu erheben, sofern die Kommission eine deutliche Abweichung vom Ausgabenpfad feststellt.
Nach den Vorstellungen des Sachverständigenrates könnte der Konsolidierungspakt durch eine Verordnung des Rates verbindlich verabschiedet werden.16 Sollte sich zu ihm nur ein Teil der Mitgliedstaaten bereit finden, schlägt er vor, für die Umsetzung auf die Unionsbestimmungen über eine Verstärkte Zusammenarbeit17 zurückzugreifen.
Schwächen der multilateralen Überwachung
Der Sachverständigenrat empfiehlt einen ergänzenden Konsolidierungspakt angesichts der von ihm konstatierten Schwächen des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Allerdings ist sein Rückschluss auf eine generell mangelnde Effektivität des Stabilitätspakts anhand der Griechenland betreffenden Defizitverfahren18 zweifelhaft, da die Statistikprobleme in dieser Schärfe nur in diesem Mitgliedstaat aufgetreten sind. Mit der Annahme, das Verfahren der multilateralen Überwachung stelle keine wirksamen Sanktionen bereit, so dass es in der Phase der Annäherung an das mittelfristige Ziel eines nahezu ausgeglichenen Haushalts an effektiven Einwirkungsinstrumenten auf den Mitgliedstaat mangele,19 schließt sich der Sachverständigenrat dagegen einer verbreiteten Auffassung an.20 Den vertraglichen Verfahrensregeln der multilateralen Überwachung liegt das Leitbild einer Koordinierung zugrunde, die ihre Kraft zuvörderst aus der Einsicht der Mitgliedstaaten in ihre Vorteilhaftigkeit bezieht. Anders als im Defizitverfahren muss zum Zeitpunkt der Einwirkung auf den Mitgliedstaat eine Gefährdungslage für die Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) noch nicht zwingend vorliegen, sondern kündigt sich regelmäßig erst an. Ihrem Grundverständnis zufolge ist diese Koordinierung daher weniger auf die Durchsetzung des Unionsinteresses gegenüber dem einzelnen Mitgliedstaat als darauf gerichtet, ihn auf die sich abzeichnende Gefahrenlage hinzuweisen. Der präventive „Arm“ des Stabilitäts- und Wachstumspakts ruht auf den vertraglichen Strukturen der multilateralen Überwachung. Daraus ergibt sich ein unterschiedliches Einwirkungspotential der Union in den Phasen der Rückführung des übermäßigen Defizits (Defizitverfahren) einerseits und der sich anschließenden schrittweisen Ansteuerung des mittelfristigen Haushaltsziels (multilaterale Überwachung) andererseits.
Die Asymmetrie der zur Verfügung stehenden Einwirkungsinstrumente in den Konsolidierungsphasen ist problematisch. Der Paktkonzeption zufolge ist es zur erfolgreichen Vermeidung eines übermäßigen Defizits für den einzelnen Mitgliedstaat entscheidend, seinen Haushaltssaldo in konjunkturell günstigen Zeiten konsequent zurückzuführen, um eine über den Konjunkturzyklus „sichere“ Haushaltsposition zu erreichen.21 Die Erfahrungen mit der Anwendung des Pakts haben wiederholt bestätigt, dass einige Mitgliedstaaten es versäumen, in konjunkturell guten Zeiten eine Haushaltsposition zu verwirklichen, die sie auf kommende Wirtschaftsabschwünge ausreichend vorbereitet.22 In ihrer Bedeutung für die Umsetzung der Paktziele steht die zügige Verwirklichung des mittelfristigen Haushaltsziels der raschen Korrektur eines übermäßigen Defizits aber nicht wirklich nach. Die bisherige Anwendungspraxis zeigt zudem, dass die tatsächliche Bedeutung der ohnehin spät greifenden23 Frühwarnung weniger in ihrer Hinweisfunktion liegt. Vielmehr geht es darum, das Instrument – und die mit seinem Einsatz verbundenen Reaktionen der Märkte und der Öffentlichkeit – politisch einzusetzen, um das Unionsinteresse an nachhaltiger Haushaltsdisziplin24 gegenüber dem Mitgliedstaat durchzusetzen.25 Die Einwirkungsmechanismen der multilateralen Überwachung sollten vor dem Hintergrund der ihnen in der Haushaltspolitik de facto zukommenden Durchsetzungsfunktion gestärkt werden.
Bisweilen wird allerdings das in der bisherigen Anwendungspraxis noch nicht gänzlich erschlossene Spektrum der Einwirkungsmöglichkeiten im Rahmen der multilateralen Überwachung unterschätzt. Es wurde mit dem Vertrag von Lissabon jüngst um das Instrument der Verwarnung eines Mitgliedstaates durch die Kommission erweitert.26 Ehe unter Verweis auf unzureichende Instrumente der Abschluss eines Konsolidierungspakts befürwortet wird, sollten die im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts bestehenden Einwirkungsmöglichkeiten27 ausgeschöpft werden.
Rechtliche Umsetzung: Eigener Rechtsetzungsakt
Mit dem Konsolidierungspakt sollen zusätzliche Vorkehrungen für die rasche Verwirklichung des im Stabilitäts- und Wachstumspakt geregelten mittelfristigen Ziels für den mitgliedstaatlichen Haushaltssaldo28 getroffen werden. Mit den Konsolidierungsprogrammen würde ein ergänzendes Koordinierungsinstrument geschaffen. Müssen die Mitgliedsländer ihren Ausgabenpfad darlegen, erhält die EU ein neues Instrument, die Mitgliedstaaten zu einer raschen Annäherung an ihr mittelfristiges Haushaltsziel zu veranlassen. Darüber hinaus würden mitgliedstaatliche Rechtspflichten in Bezug auf die nationale Erhebung der Einkommensteuer begründet.
Dieses Regelungselement ist jedoch schon aus kompetentiellen Gründen kaum umzusetzen, da die Union im Bereich der direkten Steuern über keine explizite Harmonisierungskompetenz verfügt.29 Eine Regelungsbefugnis zur vorübergehenden Erhöhung der Einkommensteuer ist auch nicht von der Unionskompetenz zur Koordinierung der mitgliedstaatlichen Wirtschaftspolitik30 umfasst: Art. 121 Abs. 6 AEUV ermächtigt lediglich zu einer Ausgestaltung unter Wahrung der in den Absätzen 3 und 4 festgelegten vertraglichen Verfahrensstrukturen. Von ihnen weichen die Regelungselemente des Konsolidierungspakts ab, wenn die Sanktionskompetenz allein in die Hand der Kommission gelegt wird und im Fall erheblicher Abweichungen vom Ausgabenpfad eine Rechtspflicht zur entsprechenden Erhöhung der Einkommensteuer begründet wird. Eine Rechtspflicht zur Umsetzung einer konkreten haushaltspolitischen Maßnahme wird gegenüber dem einzelnen Mitgliedstaat im Rahmen der multilateralen Überwachung durchweg nicht begründet; darin liegt ein Strukturprinzip der multilateralen Überwachung.31
Die Elemente des Konsolidierungspakts werden sich schließlich nicht auf die Vertragsabrundungskompetenz des Art. 352 Abs. 1 AEUV stützen lassen. Um die differenzierte Kompetenzarchitektur des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung32 und des Lissabonner Zuständigkeitskatalogs nicht einzuebnen, wird die Heranziehung dieser Norm ausscheiden,33 wenn der Vertrag in der speziellen Kompetenzgrundlage ausdrücklich Kompetenzlimitierungen vorsieht.34 Indem Art. 121 Abs. 6 AEUV nur zur Regelung von „Einzelheiten“ der multilateralen Überwachung ermächtigt, sieht er umgekehrt die Bindung an die vertraglichen Grundlagen der Absätze 3 und 4 sowie das in ihnen angelegte Strukturprinzip der multilateralen Überwachung vor. Darin kommt eine strukturelle Kompetenzbeschränkung zum Ausdruck,35 die für einen Rückgriff auf Art. 352 Abs. 1 AEUV keinen Raum lässt.
Schließlich kommt eine Umsetzung des Konsolidierungspakts unter Rückgriff auf die Bestimmungen über eine Verstärkte Zusammenarbeit36 nicht in Betracht. Indem der Konsolidierungspakt mit den Konsolidierungsprogrammen ein neues Koordinierungsinstrument schafft, trifft er Regelungen, die sich nicht auf die Gegenstände der Koordinierung, sondern auf den Koordinierungsrahmen selbst beziehen. Die Festlegung der Unionsbestimmungen, nach denen die Koordinierung sich richtet, fällt indes in die ausschließliche Zuständigkeit der Union,37 so dass eine Verstärkte Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in diesem Bereich ausgeschlossen38 ist.39
Umsetzung im bestehenden Rechtsrahmen
Aufgrund der vorrangigen Ausschöpfung des Potentials bestehender Koordinierungsinstrumente40 stellt sich die Frage, inwieweit Elemente des Konsolidierungspakts im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts umgesetzt werden können. Abgesehen von der Erweiterung der Sanktionsmöglichkeiten lassen sich wesentliche Elemente des Konsolidierungspakts über die Stabilitäts- und Konvergenzprogramme verwirklichen und in die Umsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts integrieren. Der Ecofin-Rat verfügt über die Möglichkeit, die Ausweisung des Ausgabenpfades im Wege eines Ratsbeschlusses ohne Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1466/97 in den Rang einer verbindlichen Programmangabe zu heben und den Projektionshorizont der Programme zu erweitern.41 Der vergleichende Kommissionsbericht über Abweichungen von dem im Programm angegebenen Ausgabenpfad könnte im Rahmen des Haushaltsüberwachungsverfahrens erstellt werden.42 Die mitgliedstaatlichen Haushalte werden hier insbesondere (also nicht ausschließlich) mit Blick auf eine bedrohliche Annäherung des mitgliedstaatlichen Haushaltsdefizits an die maßgebliche Defizitobergrenze von 3% des BIP beobachtet (Frühwarnsystem).
Da die Überwachung der Haushaltsentwicklung auf Abweichungen auch von anderen Programmangaben in den Anwendungsbereich des Verfahrens fällt, ist auch die Darstellung diesbezüglicher Verfahrensergebnisse durch die Kommission sinnvoll.43 Ein Verlassen des projizierten Ausgabenpfades erhöht die Wahrscheinlichkeit deutlich, die Programmziele zu verfehlen. Dies kann wegen der krisenbedingt problematischen Ausgangslage und der eingangs bezeichneten Gefahren einer unentschlossenen Konsolidierung zumindest vorübergehend selbst als Gefährdungslage für die WWU eingestuft werden. Die Kommission kann daher bei Abweichungen von dem im Programm dargelegten Ausgabenpfad gemäß Art. 121 Abs. 4 AEUV eine Verwarnung an den Mitgliedstaat richten.44
Vorschläge der Kommission zur Fortentwicklung des präventiven Paktarms
Die vielfältigen Vorschläge der Europäischen Kommission zur Stärkung der programmgestützten Koordinierung werden im Folgenden zu drei strategischen Ansätzen zusammengefasst.
Fokus auf die in den Programmen dargelegten Ausgabenziele
Nach Feststellungen der Kommission planen die Mitgliedstaaten ihre Haushaltskonsolidierung in der Regel anhand von Maßnahmen, die auf der Ausgabenseite des Haushalts ansetzen.45 Kommt es zu Abweichungen von der im Programm dargelegten mittelfristigen Haushaltsplanung, so liegen ihnen in erster Linie Ausgabenüberschreitungen zugrunde.46 Dieser Befund legt die Etablierung eines auf nationale Vorschriften gestützten mittelfristigen Planungshorizonts für die öffentlichen Finanzen nahe; durch ihn können Planabweichungen eingedämmt werden.47 Sinnvoll erscheint es daher, in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Sachverständigenrats und Empfehlungen der Kommission48 im Rahmen der haushaltspolitischen Koordinierung auf Unionsebene stärkeres Augenmerk auf die Ausgabenentwicklung zu legen.
Ausgaben für öffentliche Investitionen stellen eine wichtige ökonomische Variable dar, die für die Umsetzung des Programms von Belang ist.49 Wenn nach den bisherigen Erfahrungen mit der programmgestützten Überwachung die Ausgabenentwicklung uneingeschränkt von Bedeutung ist, spricht nichts dagegen, sie unabhängig vom Investitionszweck zu einem obligatorischen Programmelement zu erklären und mitgliedstaatliche Angaben zu Ausgabenzielen zu verlangen. Sollten die Mitgliedstaaten die im Anpassungspfad für den mitgliedstaatlichen Haushaltssaldo abgebildeten Ziele verfehlen oder hinausschieben, könnten Kommission und Rat untersuchen, inwieweit dem eine Abweichung vom dargestellten Ausgabenpfad zugrunde liegt. Das Ergebnis dieser Prüfung könnte in einem entsprechenden Bericht der Kommission oder – systematisch unbefriedigend50 – in den Stellungnahmen der Kommission und des Rates zu den mitgliedstaatlichen Programmen dargelegt werden.
Ausbau der Maßnahmeebene der Programme
Die Mitgliedstaaten legen in ihren Stabilitäts- und Konvergenzprogrammen haushalts- und wirtschaftspolitische Maßnahmen dar, die der Umsetzung der Programmziele dienen.51 Der Kommission zufolge fallen Angaben der Mitgliedstaaten zu den geplanten oder verabschiedeten Maßnahmen zur Umsetzung in der Praxis jedoch „relativ knapp“ aus.52 Die Zielebene wird von den Mitgliedstaaten auf der Maßnahmeebene unzureichend unterlegt. Dies führt dazu, dass im Rahmen der Prüfung der Programme keine ausreichende Grundlage für die Einschätzung zur Verfügung steht, ob es dem betreffenden Mitgliedstaat gelingen wird, seine Programmziele zu erreichen. Diese Prüfung stellt einen bedeutsamen Baustein im Rahmen der Programmprüfung dar. Ohne ihn besteht die Gefahr, dass die Programme mitgliedstaatliche Wunschvorstellungen abbilden, ohne eine Einschätzung der Bedingungen ihrer Erreichbarkeit und des politischen Willens zu ihrer Umsetzung zu ermöglichen.53 Die Programme würden ihrer Aufgabe als Koordinierungsinstrument nur noch eingeschränkt gerecht. Die spezifizierten Konsolidierungsmaßnahmen werden zudem bisweilen an das Ende der Programmlaufzeit verschoben.54 Ihre politische Umsetzung und tatsächlichen Haushaltswirkungen bleiben dann über die Programmlaufzeit offen. Eine erst spät als notwendig erkannte kurzfristige Aufstockung der Konsolidierungsmaßnahmen zum Ende der Programmlaufzeit kann sich als unrealistisch erweisen. Im Fall eines hinter den Erwartungen zurückbleibenden Konjunkturverlaufs steigt das Risiko, dass keine Konsolidierung mehr vorgenommen, sondern der Zeitpunkt für das Erreichen des mittelfristigen Haushaltsziels wiederholt hinausgeschoben wird. Dieses wandelt sich dann von einem fiskalischen „Anker“ für die im Programm dargelegte mitgliedstaatliche Haushaltsstrategie in ein bewegliches Ziel, dessen Aussagekraft und Bindungswirkung durch habituelle Revisionen untergraben werden.55
An diesem Befund setzen einige Vorschläge zur Verbesserung der programmgestützten Koordinierung an: Kommission und Rat sollten öfter von der Möglichkeit Gebrauch machen, ein hinsichtlich der gelieferten Angaben unvollständiges mitgliedstaatliches Programm als für die zu leistende Koordinierung unbrauchbar zurückzuweisen und dem Mitgliedstaat aufzugeben, kurzfristig ein um die fehlenden Angaben ergänztes Programm vorzulegen.56 Ein solches Vorgehen bietet sich an, wenn dem Programm nicht entnommen werden kann, welche Maßnahmen umgesetzt werden sollen, um die projizierten Programmziele zu erreichen. In den Programmen sollte dargelegt werden, ob die mittelfristigen Programmziele bei unveränderter Politik erreicht werden können, oder ob es dafür zusätzlicher Korrekturmaßnahmen bedarf. Sie sollten zudem Aufschluss darüber gewähren, wie groß die „Lücke“ zwischen den wichtigsten in das Programm aufgenommenen Haushaltszielen und der Entwicklung der öffentlichen Finanzen bei unveränderter Haushaltspolitik ist.57 Entsprechend dem geforderten Fokus auf die Ausgabenseite des Haushalts könnte insbesondere die geplante Entwicklung der Haushaltsausgaben und das Ausmaß ihrer erforderlichen Rückführung zur Erreichung der Programmziele angegeben werden. Die Unionsorgane sollten im Rahmen der Programmprüfung darauf bestehen, dass die geplanten Maßnahmen, die zur Überbrückung der Lücke umgesetzt werden sollen, von den Mitgliedstaaten in ihren Programmen detailliert beschrieben werden. Sind die Konsolidierungsmaßnahmen auf das Ende der Programmlaufzeit verschoben, kann dies bei der Bewertung der Aussichten für die Erreichung der Programmziele berücksichtigt werden.
Stärkung der Identifikation der Mitgliedstaaten mit den Programmzielen
Wie die Kommission festgestellt hat, genießen die Haushaltsziele, die von den Mitgliedstaaten in ihren Stabilitäts- und Konvergenzprogrammen für die multilaterale Überwachung auf Gemeinschaftsebene festgelegt werden, innenpolitisch keinen ausreichenden Rückhalt.58 Eine Analyse der Kommission ergab, dass in zwei Dritteln der Fälle die von den teilnehmenden Mitgliedstaaten der Eurozone in ihren Stabilitätsprogrammen festgelegten Haushaltsziele nicht erreicht werden.59
Die Mitgliedstaaten werden im Paktreform-Bericht des Rates60 aufgefordert, ihre Stabilitäts- und Konvergenzprogramme sowie die entsprechenden Stellungnahmen des Rates ihren nationalen Parlamenten vorzulegen. Das Stabilitäts- oder Konvergenzprogramm beruht aber nur in wenigen Mitgliedstaaten auf einer Abstimmung im nationalen Parlament oder einem von ihm angenommenen Dokument.61 Nur die Hälfte der Euroländer bezieht ihre nationalen Parlamente in die Diskussionen über die jährlich aktualisierte Neuauflage des Stabilitätsprogramms ein.62 Die den Gesamtstaat betreffenden Haushaltsprojektionen der Programme werden in föderal organisierten Mitgliedstaaten nur selten zum Gegenstand einer ausreichenden Koordinierung zwischen den für die Umsetzung verantwortlichen Akteuren der jeweiligen staatlichen Ebenen gemacht.63
Besonders bedenklich ist die unzureichende Orientierung an den mittelfristigen Programmzielen bei der Aufstellung der nationalen Haushalte durch die Mitgliedstaaten: Es fehlt vielfach an einem Bindeglied zwischen der programmgestützten Haushaltsplanung im Rahmen der multilateralen Überwachung auf Unionsebene und den der nationalen Haushaltsplanung zugrunde liegenden Prozessen.64 Wie die Kommission feststellt, kommt den Haushaltsprojektionen der Programme in einigen Mitgliedstaaten nur proklamatorischer Charakter zu; sie werden bei der Ausarbeitung der nachfolgenden Haushalte kaum berücksichtigt.65 Dies führt dazu, dass die Zielsetzungen der aufgestellten Haushalte von den formulierten mittelfristigen Programmzielen oft beträchtlich abweichen.66
Um zu vermeiden, dass die Erstellung der Stabilitäts- und Konvergenzprogramme zum leeren Ritual wird, sollte die Identifikation der Mitgliedstaaten mit den in ihren Programmen dargelegten Haushaltszielen gestärkt werden.67 Die Erreichung dieses Zieles kann durch ein Bündel heterogener Maßnahmen gefördert werden.68 Eine stärkere Verzahnung zwischen den mittelfristigen Haushaltszielen der Programme einerseits und der Aufstellung der nationalen Haushalte andererseits ließe sich erreichen, indem die finanzpolitischen Vorschriften der Mitgliedstaaten derart angepasst werden, dass sie unmittelbar an die in den Programmen dargelegten Ziele anknüpfen.69 Die Mitgliedstaaten sollten über die derzeitige (uneinheitliche) Praxis hinaus ausnahmslos Alternativszenarien einer unerwarteten wirtschaftlichen Entwicklung erarbeiten, für die angepasste Zielsetzungen entwickelt und in den Programmen dargelegt werden sollten. Auf diese Weise kann die „lineare“ Bindung an Programmziele, die durch den Eintritt der vom Mitgliedstaat erwarteten Wirtschaftsentwicklung bedingt ist, durch „Verpflichtungsräume“ abgelöst werden, die bei unterschiedlichen Verläufen eine abgestufte Bindungswirkung entfalten.70
Bei einer stärkeren Ausrichtung auf die Ausgabenseite des mitgliedstaatlichen Haushalts könnten insbesondere gesetzlich verankerte mehrjährige Ausgabenrahmen71 als Bindeglied zwischen Programmzielen und der Aufstellung des nationalen Haushalts eingeführt werden.72 Ein solches Bindeglied würde mehr politisches Engagement zur Erreichung der Programmziele mobilisieren, für eine stärkere Kohärenz mit den nationalen Haushaltsplänen sorgen und einen Beitrag zur Vermeidung prozyklischen mitgliedstaatlichen Verhaltens in ökonomisch guten Zeiten leisten.73
Die Bindung der Mitgliedstaaten an die von ihnen gesetzten Programmziele könnte gefestigt werden, indem sämtliche auf nationaler Ebene an der Aufstellung des Haushaltes beteiligten Akteure sich bei der Gestaltung politischer Maßnahmen stärker an dem im Programm vorgegebenen Rahmen orientierten. Die politische Bedeutung der Programmziele würde gestärkt, wenn die nationalen Parlamente in die Erstellung der Programme eingebunden würden.74 Die Konsultation des nationalen Parlaments bietet sich an, wenn der Rat eine formelle Programmrüge erteilt, eine anspruchsvollere Gestaltung der Programmziele vorschlägt oder die Kommission deutliche Abweichungen von dem im Programm dargelegten Ausgabenpfad feststellt. Die Kommission könnte der Öffentlichkeit in Form eines vergleichenden Berichts eine Übersicht verschaffen, ob Mitgliedstaaten frühere Haushaltsziele erreicht haben, und wie oft und wie deutlich sie verfehlt wurden.75 Sie könnte schließlich den Konsolidierungsehrgeiz, der sich in den gesetzten Programmzielen manifestiert, unter Berücksichtigung der jeweiligen mitgliedstaatlichen Ausgangslage im Rahmen eines jährlich zu veröffentlichenden Konsolidierungsrankings der Mitgliedstaaten bewerten.76 Ein solches Konsolidierungsranking77 wäre geeignet, beides zu leisten: den mitgliedstaatlichen Regierungen politische Kosten für enttäuschende Konsolidierungsanstrengungen auferlegen und – indem eine prestigeträchtige Rankingposition erreicht werden kann – einen positiven Anreiz für vergleichsweise ehrgeizige Konsolidierungsschritte setzen.
Ergebnis
Der vom Sachverständigenrat zur Stärkung des Rechtsrahmens vorgeschlagene Konsolidierungspakt dürfte in der vorgesehenen Form ohne Vertragsänderung rechtlich nicht umsetzbar sein. Ein wesentlicher Teil seiner Elemente lässt sich dagegen ohne Rechtsänderungen in den bestehenden Rahmen der multilateralen Überwachung integrieren. Diese Elemente können um Maßnahmen ergänzt werden, die auf Vorschläge der Kommission zur Stärkung des präventiven „Arms“ des Stabilitäts- und Wachstumspakts zurückgehen. Zur Optimierung der Verfahren der multilateralen Überwachung besteht vor dem Hintergrund der bevorstehenden gewaltigen Konsolidierungsaufgaben noch erhebliches Potential.
- 1 Europäische Kommission: European Economic Forecast, Herbst 2009, S. 30.
- 2 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (im Folgenden: Sachverständigenrat): Gutachten 2009/2010, Bundestags-Drucksache 17/44, S. 174, Rn. 253.
- 3 Nach Einschätzung der Europäischen Kommission könnten die Schuldenstandsquoten bis zum Jahr 2020 bei unveränderter Finanzpolitik im Durchschnitt der EU-Länder auf 125% des BIP ansteigen, vgl. Sachverständigenrat: Gutachten 2009/2010, S. 179, Rn. 260.
- 4 Sachverständigenrat: Gutachten 2009/2010, S. 83, Rn. 114.
- 5 Der Stabilitäts- und Wachstumspakt besteht aus der Verordnung Nr. 1466/97 des Rates vom 7.7.1997 über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken, ABl. Nr. L 209 vom 2.8.1997, S. 1, geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 1055/2005 des Rates vom 27.6.2005, ABl. Nr. L 174 vom 7.7.2005, S. 1; der Verordnung Nr. 1467/97 des Rates vom 7.7.1997 über die Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit, ABl. Nr. L 209 vom 2.8.1997, S. 6, geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 1056/2005 des Rates vom 27.6.2005, ABl. Nr. L 174 vom 7.7.2005, S. 5; der Entschließung des Europäischen Rates über den Stabilitäts- und Wachstumspakt vom 17.6.1997, ABl. Nr. C 236 vom 2.8.1997, S. 1; und dem Bericht des Ecofin-Rates vom 20.3.2005: Verbesserung der Umsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts, abgedruckt als Anhang II zu den Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates von Brüssel vom 22./23.3.2005, Bull. EU 3-2005 (im Folgenden: Paktreform-Bericht). Gemäß Erwägungsgrund 2 der Verordnungen (EG) Nr. 1055/2005 und (EG) Nr. 1056/2005 bildet der Bericht des Rates einen Bestandteil des reformierten Stabilitäts- und Wachstumspakts.
- 6 Vgl. Erwägungsgrund 7 der Verordnung (EG) Nr. 1467/97. Zum Prinzip der antizipatorischen Kompensation der Haushaltswirkungen gewöhnlicher Konjunkturabschwünge vgl. K. Hentschelmann: Der Stabilitäts- und Wachstumspakt, Baden-Baden 2009, S. 596 ff.
- 7 Sachverständigenrat: Gutachten 2009/2010, S. 84, Rn. 116.
- 8 Sachverständigenrat: Gutachten 2009/2010, S. 83, Rn. 115.
- 9 Internationaler Währungsfonds (IWF), Olivier Blanchard, Giovanni Dell´Ariccia, Paolo Mauro: Rethinking Macroeconomic Policy, IMF Staff Position Note vom 12.2.2010, SPN/10/03. Der Vorschlag stieß beim Präsidenten der Deutschen Bundesbank, Axel Weber, auf deutliche Kritik, vgl. „Weber kritisiert IWF-Haltung zu höherer Inflation“, FAZ vom 26.2.2010, S. 13.
- 10 Eine Fortentwicklung ist mit Änderungen der Rechtsgrundlagen nicht notwendig verbunden und kann sich auf Akzentuierungen der „Anwendungspolitik“ und begriffliche Operationalisierungen beschränken.
- 11 „Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft“, ABl. Nr. C 306 vom 17.12.2007, S. 1.
- 12 Zu den die Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) betreffenden Änderungen durch den Lissabon-Vertrag vgl. U. Häde: Die Wirtschafts- und Währungsunion im Vertrag von Lissabon, in: Europarecht, 2009, H. 2, S. 200 ff.
- 13 Die derzeitigen Bedingungen bieten nach Auffassung des Sachverständigenrates (Gutachten 2009/2010, S. 84, Rn. 117) eine „(…) alles andere als günstige Perspektive für die Fiskalpolitik des Euro-Raums.“ Ebenda, S. 88, Rn. 123: „Die Gefahr ist groß, dass der SWP nicht in der Lage ist, in ausreichendem Maße für die notwendige fiskalpolitische Disziplin zu sorgen.“
- 14 Sachverständigenrat: Gutachten 2009/2010, S. 89, Rn. 125 ff.
- 15 Sachverständigenrat: Gutachten 2009/2010, S. 89, Rn. 125.
- 16 Sachverständigenrat: Gutachten 2009/2010, S. 91, Rn. 132.
- 17 Art. 20 EUV n.F. Lissabon.
- 18 Sachverständigenrat: Gutachten 2009/2010, S. 84, Rn. 118.
- 19 Sachverständigenrat: Gutachten 2009/2010, S. 87, Rn. 121.
- 20 Vgl. K. Hentschelmann: Der Stabilitäts- und Wachstumspakt, a.a.O., S. 1614 m.N.
- 21 Vgl. Paktreform-Bericht des Rates vom 20.3.2005, Ziff. 2.2.
- 22 Europäische Kommission: Public Finances in EMU – 2009, S. 6.
- 23 K. Hentschelmann: Der Stabilitäts- und Wachstumspakt, a.a.O., S. 1646 ff.
- 24 Unabhängig vom Unionsinteresse wird es regelmäßig im wohlverstandenen Eigeninteresse des Mitgliedstaates liegen, solide öffentliche Finanzen zu gewährleisten.
- 25 K. Hentschelmann: Der Stabilitäts- und Wachstumspakt, a.a.O., S. 1646 ff. Die Bedeutung des Instruments der Frühwarnung zeigte sich im Verzicht des Rates Anfang 2002, auf entsprechende Empfehlungen der Kommission Frühwarnungen an Deutschland und Portugal abzugeben. Ebenda, S. 760 ff., 774 ff.
- 26 Zu diesem Instrument K. Hentschelmann: Der Stabilitäts- und Wachstumspakt als Ordnungsrahmen in Krisenzeiten, Europa-Kolleg Hamburg, Institute for European Integration, Discussion Paper Nr. 1/10, http://www.europa-kolleg-hamburg.de, S. 12.
- 27 Näher K. Hentschelmann: Der Stabilitäts- und Wachstumspakt, a.a.O., S. 642 ff.
- 28 Art. 2a Verordnung (EG) Nr. 1467/97.
- 29 Eine Regelung in diesem Bereich könnte sie allenfalls auf Grundlage der Auffangnorm des Art. 113 AEUV treffen, allerdings nur in Form einer Richtlinie, während der Konsolidierungspakt durch eine Verordnung umgesetzt werden soll.
- 30 Art. 2 Abs. 3 AEUV.
- 31 Wegen der grundsätzlich fortbestehenden mitgliedstaatlichen Haushaltsautonomie erlaubt die Koordinierung der mitgliedstaatlichen Wirtschaftspolitik keine unmittelbar rechtlich verpflichtende Anordnung einer konkreten Maßnahme gegenüber einem Mitgliedstaat zur Umsetzung haushaltspolitischer Zielsetzungen der multilateralen Überwachung. So sind die in die Grundzüge der Wirtschaftspolitik (Art. 121 Abs. 2 AEUV) aufgenommenen Vorgaben für die Mitgliedstaaten nicht unmittelbar rechtlich verpflichtend. Die Bindungswirkung der Stabilitäts- und Konvergenzprogramme beruht auf der politischen Selbstverpflichtung der Mitgliedstaaten, nicht auf einer mitgliedstaatlichen Rechtspflicht, zur Verwirklichung der Programmziele bestimmte Maßnahmen umzusetzen.
- 32 Art. 5 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 EUV n.F., Art. 7 AEUV.
- 33 In welchen Fällen eine bestehende, aber „unzureichende“ Unionskompetenz durch die Vertragsabrundungskompetenz des Art. 352 Abs. 1 AEUV ergänzt oder ersetzt werden kann, ist umstritten. Vgl. dazu R. Streinz (Hrsg.): EUV/EGV, 2003, Art. 308, Rn. 28.
- 34 Ebenda, Art. 308, Rn. 29; anderer Ansicht M. Rossi, in: C. Calliess, M. Ruffert: EUV/EGV, 3. Aufl., Art. 308, Rn. 69.
- 35 Auf den besonderen Charakter der Unionskompetenz zur Koordinierung der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik deutet die Herauslösung aus der Kompetenztrias des Art. 2 Abs. 1, 2 und 5 AEUV im Vertrag von Lissabon hin.
- 36 Art. 20 EUV n.F. und Art. 326 ff. AEUV.
- 37 Der Vertrag unterscheidet die auf legislatives Handeln gerichtete von der in erster Linie prozeduralen Unionskompetenz zur Koordinierung mitgliedstaatlicher Wirtschaftspolitik. Im Rahmen der letzteren, auf Politiksteuerung zielenden Zuständigkeit bringt Art. 2 Abs. 3 AEUV die Zuständigkeitsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten und der Union zum Ausdruck.
- 38 Art. 20 Abs. 1 EUV n.F.
- 39 Der Umsetzung des Konsolidierungspakts im Wege einer Verstärkten Zusammenarbeit steht weiter entgegen, dass diese Vorschriften das Scheitern der Konsolidierung auf Grundlage der bestehenden Verfahren der multilateralen Überwachung voraussetzen (Art. 20 Abs. 2 S. 1 EUV n.F.: „Letztes Mittel“), der Konsolidierungspakt aber unverzüglich neben den Stabilitäts- und Wachstumspakt treten soll. Weil angesichts der Parallelität der Sanktionsmechanismen die Erhöhung der Einkommensteuer eine weitere Sanktionierung im Rahmen des SWP als rechtfertigungsbedürftig erscheinen lassen könnte, ist die Umsetzung des Konsolidierungspakts zudem unter dem Aspekt der Beeinträchtigung der Wirksamkeit des SWP als Recht der Union (Art. 326 Abs. 1 AEUV) problematisch. Die Verstärkte Zusammenarbeit in diesem Bereich würde die Gefahr unterschiedlicher Geschwindigkeiten der haushaltspolitischen Entwicklung in der Union erhöhen. Weitere Bedenken ergeben sich aus der Schwere des Eingriffs in die mitgliedstaatliche Haushaltsautonomie, aus dem Spannungsverhältnis, in dem eine weitreichende politische Vorausfestlegung im Bereich der öffentlichen Finanzen zum Demokratieprinzip steht, sowie aus der mehrdeutigen und daher politisch „anfälligen“ Abgrenzung konjunkturell bedingter von nicht-konjunkturellen Ausgaben.
- 40 Art. 5 Abs. 1, 3 und 4 EUV n.F. i.V.m. dem Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, das gemäß Art. 51 EUV n.F. Bestandteil der Verträge ist.
- 41 K. Hentschelmann: Der Stabilitäts- und Wachstumspakt, a.a.O., S. 456. Die in die Stabilitäts- und Konvergenzprogramme aufzunehmenden Angaben sind in Art. 3 Abs. 2 und Art. 7 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 1466/97 nicht abschließend bestimmt.
- 42 Der Kontext des Programmprüfungsverfahrens bietet sich nicht an, weil im Rahmen der Programmprüfung nicht die Umsetzung des Programms, sondern dessen Inhalte Prüfungsgegenstand sind und an den in der Verordnung geregelten Prüfmaßstäben gemessen werden.
- 43 Sie ließe sich wohl – mangels einer der allgemeinen Befugnisnorm des Art. 211 EG (Nizza) entsprechenden Bestimmung in den Lissabonner Verträgen – auf Art. 17 Abs. 1 S. 1 und 5 EUV n.F. stützen. Andernfalls käme wegen Fehlens einer spezifischen Rechtsgrundlage im Rahmen des Haushaltsüberwachungsverfahrens nur die – systematisch unbefriedigende – Darlegung in den Stellungnahmen der Kommission und des Rates zu den Stabilitäts- und Konvergenzprogrammen in Betracht.
- 44 Die Kommission würde in diesen Fällen die Unterscheidbarkeit einer wegen Abweichungen vom Ausgabenpfad gegebenen Verwarnung („Ausgabenverwarnung“) von einer Verwarnung zu gewährleisten haben, die aufgrund einer drohenden Überschreitung des Defizitreferenzwerts gegeben wird („Defizitverwarnung“).
- 45 Europäische Kommission: Die öffentlichen Finanzen in der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) – 2007 – Die Wirksamkeit der präventiven Komponente des SWP, Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische Zentralbank vom 13.6.2007, KOM(2007) 316 endg., S. 9.
- 46 Europäische Kommission, ebenda; Europäische Kommission, EMU@10: Successes and challenges after ten years of Economic and Monetary Union, in: European Economy Nr. 2, 2008, S. 253: „In the clear majority of cases (75%), government expenditure grew faster than planned.“ Davon zu unterscheiden ist die Abweichung des nationalen Haushaltsplans vom im Programm dargelegten Ausgabenpfad, vgl. Europäische Kommission: Public Finances in EMU – 2007, S. 177.
- 47 Europäische Kommission, EMU@10, a.a.O., S. 254.
- 48 Europäische Kommission: Public Finances in EMU – 2009, S. 7.
- 49 Art. 3 Abs. 2 b) Verordnung (EG) Nr. 1466/97.
- 50 Vgl. Fußnote 42.
- 51 Art. 3 Abs. 2 c) Verordnung (EG) Nr. 1466/97.
- 52 Europäische Kommission: KOM…, a.a.O., S. 9.
- 53 Vgl. Europäische Kommission, ebenda, S. 8: „Wenn die Abweichungen von der mittelfristigen Haushaltsplanung wie in der Vergangenheit fortbestehen, könnte dies die Glaubwürdigkeit der Projektionen so weit unterlaufen, dass diese nahezu bedeutungslos werden.“
- 54 Die Kommission spricht in diesen Fällen von einer in den Programmen vorgesehenen fiskalischen Anpassung, die „back-loaded“ ist, vgl. Europäische Kommission: Public Finances in EMU – 2008, S. 12.
- 55 Ebenda.
- 56 Zu dieser Reaktionsmöglichkeit des Rates vgl. K. Hentschelmann: Der Stabilitäts- und Wachstumspakt, a.a.O., S. 650 ff.
- 57 Europäische Kommission: KOM…, a.a.O., S. 9.
- 58 Europäische Kommission: KOM…, a.a.O., S. 7; Europäische Kommission: Public Finances in EMU – 2007, S. 75.
- 59 Europäische Kommission, EMU@10: Successes and challenges…, a.a.O., S. 253.
- 60 Paktreform-Bericht vom 20.3.2005, Ziff. I.5. Der Rat stellt dort (Ziff. 1.3) fest: „Die Bedeutung einzelstaatlicher Institutionen bei der haushaltspolitischen Überwachung könnte aufgewertet werden; dies würde die nationale Eigenverantwortung stärken (…) (und) die Umsetzung durch Einbeziehung der öffentlichen Meinung in den einzelnen Staaten verbessern (…).“
- 61 Europäische Kommission: KOM…, a.a.O., S. 7.
- 62 Europäische Kommission, EMU@10: Successes and challenges…, a.a.O, S. 290.
- 63 Europäische Kommission: KOM…, a.a.O., S. 7.
- 64 Die in Deutschland eingeführte sogenannte „Schuldenbremse“ wurde zwar mit Blick auf die Vorgaben des SWP konzipiert (vgl. R. Schmidt: Die neue Schuldenregel und die weiteren Finanzthemen der zweiten Föderalismuskommission, in: Deutsches Verwaltungsblatt (DVBl.), 2009, S. 1274 (1282)), gibt indes nicht nur auf Unionsebene bestehende Verpflichtungen weiter, sondern begründet eigenständige Pflichten von Verfassungsrang.
- 65 Europäische Kommission: KOM…, a.a.O.; Europäische Kommission: Public Finances in EMU – 2007, S. 82.
- 66 Europäische Kommission: KOM…, a.a.O., S. 7.
- 67 Der Paktreform-Bericht vom 20.3.2005 zielt mit der „Stärkung der Eigenverantwortung“ der einzelstaatlichen Entscheidungsträger bereits in eine ähnliche Richtung.
- 68 Ein Schritt in diese Richtung ist bereits getan worden, indem die Euro-Gruppe sich jährlich im Sommer über die Haushaltsentwicklung in den teilnehmenden Mitgliedstaaten und ihre Auswirkungen auf das Euro-Gebiet austauscht, vgl. Europäische Kommission: Public Finances in EMU – 2007, S. 84. Die bewusst vor den maßgeblichen haushaltspolitischen Entscheidungen auf nationaler Ebene angesetzte strategische Debatte soll eine Berücksichtigung des Unionsinteresses fördern.
- 69 Bereits im Paktreform-Bericht stellt der Rat fest: „Der Rat ist der Auffassung, dass die einzelstaatlichen haushaltspolitischen Vorschriften die Erfüllung der Verpflichtungen ergänzen sollten, die die Mitgliedstaaten gemäß dem Stabilitäts- und Wachstumspakt haben.“ Für eine Beschreibung und Bewertung der nationalen Haushaltsregeln der Mitgliedstaaten vgl. Europäische Kommission: Public Finances in EMU – 2007, S. 79 ff. und S. 130 ff.
- 70 K. Hentschelmann: Der Stabilitäts- und Wachstumspakt, a.a.O., S. 632 ff.
- 71 Dieser Vorschlag findet sich bereits bei der Europäischen Kommission: KOM…, a.a.O., S. 8 unter Berufung auf praktische Erfahrungen in einigen Mitgliedstaaten.
- 72 Deutlich nationale Ausgabenregeln befürwortend vgl. Europäische Kommission, EMU@10: Successes and challenges…, a.a.O., S. 246: „Such [fiscal] frameworks [adopted at the national level] should ideally encompass welldesigned expenditure rules, which would allow the automatic fiscal stabilisers to operate within the limits of the SGP while attuning the composition of public expenditure to the structural and cyclical needs of the economy or other political desiderata.“
- 73 Vgl. Europäische Kommission, EMU@10: Successes and challenges…, a.a.O., S. 193.
- 74 Europäische Kommission: KOM…, a.a.O., S. 8; vgl. dazu die Forderung des Europäischen Parlaments nach einem „obligatorischen Mechanismus“ zur Konsultation des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente, Europäisches Parlament, Entschließung vom 13. Januar 2009 zu den öffentlichen Finanzen in der WWU 2007-2008, Ziff. 19 und 25.
- 75 Vgl. Europäische Kommission: KOM…, a.a.O., S. 10.
- 76 K. Hentschelmann: Der Stabilitäts- und Wachstumspakt, a.a.O., S. 1556.
- 77 Als Beispiel für ein Kommissionsranking, hier zur Bewertung der Qualität nationaler Institutionen für die mittelfristige Haushaltsplanung, vgl. Europäische Kommission: Public Finances in EMU – 2007, S. 188.