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Die Mitte 2009 verabschiedete Grundgesetzänderung zur Schuldenbremse geht in ihrem Sprachgebrauch von einer kameralistischen Haushaltsführung der Länder aus. Mittlerweile gestalten aber viele Länder ihre Haushalte nach den Grundsätzen der staatlichen doppelten Buchführung. Dies bringt Probleme mit sich, die doppisch bilanzierende Länder zwingt, gewissermaßen eine kameralistische „Nebenrechnung“ aufzumachen. Auch wenn der Ergebnisausgleich in der kaufmännischen Buchführung nachhaltiger sein kann, ist nach dem Verfassungsrecht immer davon auszugehen, dass die kameralistische Schuldenbremse gilt.

Das Grundgesetz sieht im neuen Art. 109 Abs. 3 S. 1 GG vor, dass die Haushalte (auch) der Länder ab 2011 „grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen“ sind. Ab 2020 wird diese Vorgabe für die Länder verbindlich.1 Im fünften Satz der genannten Grundgesetzbestimmung werden die Länder ermächtigt, die nähere Ausgestaltung der „Schuldenbremse“ für deren Haushalte „im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Kompetenzen“ selbst zu regeln. Allerdings dürfen „keine Einnahmen aus Krediten zugelassen werden“.2 Die grundgesetzliche Regelung hat dabei Vorrang vor dem Landesrecht – auch vor dem Landesverfassungsrecht. Daher trifft die Länder nach dem 31.12.2019 in jedem Fall die grundsätzliche Verpflichtung aus der neuen Schuldenregel, den Haushalt ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen.

Für diejenigen Länder, die ihren Haushalt nicht mehr nach kameralistischen, sondern nach kaufmännischen Grundsätzen (Doppik) führen bzw. in Zukunft führen wollen, stellt sich die Frage, wie „Einnahmen aus Krediten“ im Zusammenhang mit der doppischen Rechnungslegung zu verstehen sind. Denn „Einnahmen“ aus Krediten gibt es dort eigentlich nicht. Führt dies dazu, dass es keine Bindung der „Doppik-Länder“ an die Schuldenbremse gibt?

Einnahmen im kaufmännischen Rechnungswesen

Die „Einnahme“ bezieht sich im kaufmännischen Sprachgebrauch auf das Geldvermögen. Eine „Einnahme“ ist eine Zunahme des Geldvermögens, das sich aus dem Barvermögen (Kasse, Bank) und den Forderungen abzüglich der Verbindlichkeiten zusammensetzt.3 Durch eine Kreditaufnahme ändert sich jedoch das Geldvermögen ebenso wenig wie das Reinvermögen. Die Aufnahme eines Kredits führt zu einer „Einzahlung“, die den Kassenbestand (bzw. Bankguthaben) erhöht. Auf der Ebene des Geldvermögens steht dem erhöhten Barvermögen jedoch eine Verbindlichkeit aus der Rückzahlungsverpflichtung gegenüber, so dass die Kreditaufnahme aus doppischer Sicht keine Krediteinnahme generiert.

Einnahmen im kameralistischen Staatsschuldenrecht

Im Gegensatz dazu dient der Begriff der „Einnahmen“ aus Krediten in Art. 109 Abs. 3 GG zunächst der Abgrenzung zu der „Aufnahme“ von Krediten (Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG). Während es bei der Kreditermächtigung in Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG4 um den Brutto- oder Nominalbetrag geht, weil die gesetzliche Ermächtigung die gesamte Rückzahlungsverpflichtung aus der jeweiligen Kreditaufnahme erfassen muss, ist hinsichtlich der Kreditgrenze das Nettoprinzip zugrunde zu legen.5 Dies ergibt sich aus dem Gedanken der „Lastenverschiebung in die Zukunft“, für den diejenigen Kreditaufnahmen, die zur Tilgung früherer Kredite, also zur Umschuldung, verwendet werden, außer Betracht bleiben können.6 Zudem soll die Höhe der erlaubten Kreditaufnahme nicht von der Zufälligkeit des jeweiligen Tilgungsbedarfs abhängen.7 Während die „Kreditaufnahme“ die Begründung von Finanzschulden meint, umfasst der Begriff „Einnahmen aus Krediten“ die aufgrund einer Verschuldung entstandenen Haushaltseinnahmen. Kreditfinanzierte Tilgungsmittel vergrößern aber nicht den Schuldenstand; die Aufnahme solcher Kredite verschafft dem Staat keine Einnahmen.8 Somit ist auch im Hinblick auf die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts (Art. 109 Abs. 2 GG) unter den „Einnahmen aus Krediten“ nicht der Betrag der gesetzlichen Ermächtigung oder der insgesamt veranschlagten Krediteinnahmen zu verstehen, sondern die Nettoneuverschuldung, d.h. der Nettobetrag, der sich als Differenz zwischen den aufgenommenen Krediten einerseits und den damit zusammenhängenden Tilgungsausgaben andererseits ergibt.9

Die Schuldenbremse und die Doppik

Der Begriff „Einnahme“ in Art. 109 Abs. 3 GG bezieht sich auf Einnahmen im Sinne einer Cash-Flow-Rechnung
(= Kameralistik). Es spricht einiges dafür, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber die Doppik auf staatlicher Ebene – jedenfalls hinsichtlich der Formulierung des Normtextes – nicht im Blick hatte, sondern sich an der bisherigen Regelung und damit an den kameralistisch geprägten Begriffen orientiert hat. Dies führt in den Ländern, die auf Doppik umstellen oder umgestellt haben, zu einem Konflikt zwischen der „Logik“ des kaufmännischen Rechnungswesens und dem geltenden (Bundes-)Verfassungsrecht. Wer diesen Konflikt „gewinnt“, ist aber klar: Das Verfassungsrecht.

Denn die Vorgaben des Grundgesetzes sind in ihrer Zielsetzung völlig eindeutig: Die Länder sollen keine neuen Kredite zur Deckung ihrer Ausgaben aufnehmen („Einnahmen“ aus Krediten = Nettokreditaufnahme zur Ausgabendeckung = keine strukturelle Nettoneuverschuldung). Man kann die Neuregelung daher nicht so verstehen, dass Länder dann nicht an die Schuldenregel gebunden werden sollen, wenn sie nur die Doppik anwenden – auch wenn die Doppik bei der Erfassung von „Defiziten“ zum Teil besser geeignet ist und die neue „Schuldenbremse“ insoweit auch als Rückschritt zur staatlichen Doppik empfunden werden kann.

Das Problem der Umsetzung des neuen Art. 109 Abs. 3 GG ist damit eines der Länder, die die Doppik anwenden, keines des Grundgesetzes. Die „Schuldenbremse“ zwingt den Ländern gewissermaßen eine kameralistische „Nebenrechnung“ auf; sie müssen letztlich zwei Rechnungen erstellen, eine doppische und (für die Zwecke der Schuldenbremse) eine kameralistische – ähnlich dem Unternehmer, der eine Steuer- und eine Handelsbilanz erstellen muss.

Dies wird durch § 49b HGrG10 bestätigt. Danach ist – unabhängig von der Art der Haushaltswirtschaft – die Einhaltung der Berichtspflichten („einschließlich der für die volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen“) sicherzustellen. Auch für die Zwecke der europäischen Stabilitätskriterien (Art. 126 AEUV) muss das Defizit weiterhin nach dem Konzept der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) berechnet werden.

Für die Zwecke der grundgesetzlichen Schuldenbremse werden daher die Länder zumindest teilweise an der Kameralistik festhalten – und müssen jedenfalls auch „Einnahmen aus Krediten“ erfassen.

Praktikable Lösung für die Doppik

Diejenigen Länder, die ihre Haushaltswirtschaft nach den Grundsätzen der staatlichen doppelten Buchführung (Doppik) führen, müssen somit (im Landesrecht) eine praktikable Lösung finden, um der Vorgabe aus Art. 109 Abs. 3 S. 5 GG gerecht zu werden. Sie können natürlich in den Landesverfassungen mehr verbieten, als ihnen durch das Grundgesetz vorgegeben ist (also z.B. auch alternative Finanzierungsformen und implizite Staatsverschuldung), was bei Anwendung der Doppik naheliegt, – sie müssen aber jedenfalls den „Mindeststandard“ des Grundgesetzes
(= keine strukturelle Nettoneuverschuldung) einhalten.

Es wäre nicht zulässig, den kameralistischen Einnahmebegriff des Grundgesetzes auf Länderebene doppisch auszulegen und damit inhaltlich zu verändern. Er muss auch dort, wo die Länder das kaufmännische Rechnungswesen anwenden, im Sinne eines Zahlungsstroms verstanden werden. Auch hier lässt sich ein möglicher Lösungsweg aus dem Haushaltsgrundsätzegesetz ableiten, wenngleich das HGrG für die Verfassungsauslegung nicht ohne weiteres maßgeblich ist. Gemäß § 1a Abs. 2 S. 1 HGrG gelten die Bestimmungen des HGrG für „Einnahmen und Ausgaben“ bei doppischem Rechnungswesen entsprechend. Grundsätzlich treten gemäß § 1a Abs. 2 S. 3 HGrG an die Stelle von „Einnahmen“ im Erfolgsplan die „Erträge“, im Finanzplan die „Einzahlungen“.

Dieser Gedanke lässt sich auf die Schuldenbremse des Grundgesetzes übertragen: Die Schuldenbremse des Grundgesetzes erfasst bei doppisch basierten Haushalten grundsätzlich die „Einzahlungen aus Kreditaufnahmen“.

Doppik strenger als Schuldenbremse?

Man könnte nun die Position vertreten, dass das Verbot der „Einnahmen aus Krediten“, also auf Ebene der Doppik-Länder das Verbot der „Einzahlungen aus Kreditaufnahme“, bei Anwendung der Doppik wenig sinnvoll ist. Der Ergebnisausgleich, den die Doppik impliziert, ist möglicherweise im Sinne der Nachhaltigkeit strenger als die kameralistische Schuldenbremse. Nur: Die kameralistische Schuldenbremse gilt dennoch. Und sie verbietet strukturelle Nettoneuverschuldung. Man hat sich bei der Änderung des Grundgesetzes im Rahmen der Föderalismusreform II eben nicht für den Vorschlag des Sachverständigenrats entschieden, der ein „Nettoinvestitionskonzept“11 vorgesehen hatte. Hier hätte sich die Doppik, die den gesamten Ressourcenverbrauch erfasst, gut eingefügt.12 Aber der Bund richtet seine strukturelle Nettoneuverschuldung am nominalen Bruttoinlandsprodukt aus,13 die Länder haben eine Nettoneuverschuldung von „Null“.14 Damit ist es auch gleichgültig, ob die Doppik möglicherweise „besser“ oder „strenger“ ist. Eine Kreditaufnahme, die nicht zur Umschuldung führt – und auch nicht aus konjunkturellen Gründen gerechtfertigt werden kann (und über den Konjunkturzyklus hinweg auszugleichen ist) –, ist nicht erlaubt, auch wenn sie zur Anschaffung von aktivierbaren Wirtschaftsgütern führt. Dies entspräche nämlich (lässt man den Wertverlust, Abschreibungen etc. außer Betracht) der alten Investitionsgrenze, die aber nicht durch eine modifizierte Investitionsgrenze ersetzt worden ist. Vielmehr trat das Verbot an ihre Stelle, den Haushaltsausgleich durch Kredite zu finanzieren, unabhängig davon, ob die „Ausgabe“ letztlich einen „Aufwand“ darstellt. Umgekehrt führte ein nicht ausgeglichener Haushalt im Sinne der Doppik auch nicht zu einem Verstoß gegen die Schuldenbremse (aber möglicherweise zu einem Verstoß gegen Landesrecht).

Ausblick

Auf Landesebene bleibt zu überlegen, ob eine „Bereinigung um finanzielle Transaktionen“15 nach dem Vorbild des Bundes (§ 3 G-115) vorgesehen werden kann, und in diesem Rahmen „Einzahlungen aus Kreditaufnahme“ nur dann den „Einnahmen aus Krediten“ gleichgestellt werden, wenn diese zu einem strukturellen „Defizit“ führen.Auf diese Weise könnte man auf Länderebene die doppische Haushaltsführung und die kameralistische Schuldenregel einander angleichen.

Allerdings ist die Argumentation gefährlich: Das Beispiel des Bundes, der Schuldenaufnahmen zum Beteiligungserwerb „bereinigt“, und damit gewissermaßen „teildoppisch“ vorgeht, zeigt, dass hier letztlich die alte Investitionsgrenze „wiederbelebt“ wird.16 Zwar entspricht die Bereinigung dem Vorbild der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR), sie erhöht aber letztlich den Spielraum für Krediteinnahmen, soweit diese zum Erwerb von Beteiligungen genutzt werden. Es handelt sich um zusätzliche strukturelle Nettoneuverschuldung, die erlaubt wird, weil gleichzeitig Werte geschaffen/angeschafft werden – genau diese „strukturelle Nettoneuverschuldung“ soll den Ländern aber durch Art. 109 Abs. 3 S. 5 GG verboten werden. Eine solche Bereinigung ist daher sowohl nach der Systematik als auch nach dem Sinn und Zweck der neuen Schuldenregel nicht zulässig. Im Rahmen der grundgesetzlichen Regelung kommt es nach Aufgabe der Investitionsgrenze nicht (mehr) darauf an, ob einer Rückzahlungsverpflichtung ein Gegenwert entspricht.

Erst recht muss das für die Länder gelten, die – anders als der Bund – überhaupt keine Einnahmen aus Krediten (= strukturelle Nettoneuverschuldung) zulassen dürfen.Die „Bereinigung“ würde aber möglicherweise akzeptiert werden können, eben mit dem Argument, dass der Bund dies in einem Teilbereich (dem Beteiligungsvermögen) ähnlich handhabt.

  • 1 Art. 143d Abs. 1 S. 3 GG.
  • 2 Art. 109 Abs. 3 S. 5 GG.
  • 3 Vgl. G. Wöhe, U. Döring: Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 24. Aufl., München 2008, S. 692; W. Neus: Einführung in die Betriebswirtschaftslehre, 6. Aufl., Tübingen 2009, S. 406.
  • 4 § 13 Abs. 1 Haushaltsgrundsätzegesetz (HGrG), § 1 S. 1 G-115, Art. 2 des Begleitgesetzes zur zweiten Föderalismusreform, Gesetz vom 10.8.2009, BGBl. I, S. 2702.
  • 5 Vgl. H. Tappe: Das Haushaltsgesetz als Zeitgesetz, Berlin 2008, S. 264.
  • 6 Vgl. W. Höfling: Staatsschuldenrecht, Heidelberg 1993, S. 173.
  • 7 Vgl. H. Siekmann: Kommentierung des Art. 115 GG, in: M. Sachs: Grundgesetz, Kommentar, 5. Aufl., München 2009, Rn. 32.
  • 8 Vgl. W. Höfling, a.a.O., S. 173.
  • 9 Vgl. H. Tappe, a.a.O., S. 264 m.w.N.
  • 10 In der Fassung des Haushaltsgrundsätzemodernisierungsgesetz HGrGMoG vom 31.7.2009, BGBl. I, S. 2580.
  • 11 Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Staatsverschuldung wirksam begrenzen, Expertise im Auftrag des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie, März 2007.
  • 12 Vgl. zu den Vorteilen der Doppik insoweit auch C. Magin: Die Wirkungslosigkeit der neuen Schuldenbremse, in: Wirtschaftsdienst, 90. Jg. (2010), H. 4, S. 267 f.
  • 13 Art. 115 Abs. 2 S. 2 GG, § 4 S. 1 G-115.
  • 14 Art. 109 Abs. 3 S. 5 GG.
  • 15 Eine solche Bereinigung ist allerdings durchaus kritisch zu bewerten, vgl. H. Tappe: Kreditbegrenzungsregeln im Bundesstaat nach der Föderalismusreform II, in: M. Junkernheinrich, S. Korioth u.a. (Hrsg.): Jahrbuch für öffentliche Finanzen 2009, Berlin 2009, S. 423; C. Magin: Die Wirkungslosigkeit der neuen Schuldenbremse, in: Wirtschaftsdienst, 90. Jg. (2010), H. 4, S. 266.
  • 16 Vgl. H. Tappe: Die neue „Schuldenbremse“ im Grundgesetz, in: Die Öffentliche Verwaltung, 62. Jg. (2009), H. 21, S. 881 (886).

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DOI: 10.1007/s10273-010-1067-8