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Eisenerz ist knapp und teuer geworden. Bereits im Zeitraum 2000 bis 2008 hatten sich die Weltmarktpreise für den wichtigsten Rohstoff der Stahlindustrie annähernd verfünffacht. Nachdem die drei großen Erzanbieter im Krisenjahr 2009 Preisnachlässe gewähren mussten, haben sie im Frühjahr 2010 eine Verdoppelung durchgesetzt. Durch den Preisschub geraten Stahlproduzenten und Stahlverbraucher unter Druck. Laut Herstellerangaben werden die Produktionskosten für Stahl abermals um nahezu ein Drittel steigen. Zumindest teilweise werden die gestiegenen Kosten auf Stahlverbraucher und Endverbraucher überwälzt werden. Zwangsläufig müssen Deutschland wie auch die anderen Eisenerzimportländer Einkommens- und Wohlstandsverluste hinnehmen. Diese Ereignisse werfen wichtige Fragen auf: Steht die Stahlindustrie unter dem Preisdiktat eines Rohstoffkartells? Müssen die Wettbewerbsbehörden oder gar der Staat gegen den Missbrauch von Marktmacht intervenieren? Deutet sich in der Stahlindustrie ein neuerlicher Strukturwandel an, in dem Deutschland abermals Produktion und Beschäftigung einbüßt?

Es war eine eindrucksvolle Demonstration von Marktmacht: In den ersten Monaten des Jahres 2010 erklärten nacheinander die drei weltgrößten Eisenerzproduzenten, die brasilianische Vale sowie die britisch-australischen BHP Billiton und Rio Tinto, in der Branche auch als Big Three bekannt, ihre Eisenerzproduktion nicht mehr auf Basis von Jahresverträgen, sondern von Quartalsverträgen verkaufen zu wollen, die erste Reform des Preissystems seit über 40 Jahren. Inzwischen haben die Stahlproduzenten in Europa und Asien das neue System widerstrebend akzeptiert, wobei die chinesischen Stahlkocher sogar einen Boykottaufruf ihres Branchenverbands, der China Iron and Steel Association (CISA), übergingen. Der überwiegende Teil des weltweiten Eisenerzhandels erfolgt auf Basis bilateraler Verträge zwischen den Big Three und ihren wichtigsten Abnehmern aus der europäischen und asiatischen Stahlindustrie. Dabei galten die ersten Vertragsabschlüsse im Jahr immer als richtungsweisend für die gesamte Branche. Die Vertragsdauer von einem Jahr hatte sich zuletzt für die Produzenten als Nachteil erwiesen: Als die weltweite Stahlnachfrage in der zweiten Hälfte des Jahres 2009 wieder anzog, profitierten davon hauptsächlich die Stahlhersteller, die das Eisenerz weiterhin zum vertraglich festgelegten Preis von etwas über 60 US-$ pro Tonne bezogen, während gleichzeitig die Preise am Spotmarkt auf bis zu 190 US-$
anstiegen. Das neue Preissystem dagegen orientiert sich am durchschnittlichen Spotpreis des jeweils letzten Referenzquartals und erlaubt den Produzenten, ihre im gegenwärtigen Umfeld laufend steigenden Preise alle drei Monate entsprechend anzupassen.

Importsog aus China

Eisenerz wird fast ausschließlich zur Stahlproduktion eingesetzt. Da die weltweite Rohstahlproduktion über die gesamten 1980er und 90er Jahre hinweg gerade einmal um ca. 10% zunahm, war Eisenerz bis zur Jahrtausendwende auf dem Weltmarkt stets in ausreichenden Mengen und zu konstant niedrigen Preisen verfügbar. Nach 2000 stieg die globale Stahlproduktion aber drastisch um mehr als 70% von 790 Mio. Tonnen auf nahezu 1350 Mio. Tonnen im bisherigen Rekordjahr 2007. Für rund zwei Drittel dieses Wachstums zeichnete China verantwortlich, das seine Rohstahlerzeugung in demselben Zeitraum annähernd vervierfachte und zum führenden Stahlproduzenten vor Japan und den USA avancierte. Zeitgleich vergrößerte sich Chinas Anteil an den weltweiten Eisenerzimporten von knapp 14% auf fast 48% im Jahr 2008, was einem absoluten Importvolumen von 444 Mio. Tonnen entsprach. Deutlich weniger importierten die EU-27 (181 Mio. Tonnen), Japan (140 Mio. Tonnen) und Südkorea (50 Mio. Tonnen, siehe Abbildung). Getrieben von dem wachsenden Stahlverbrauch Chinas verdoppelte sich die Welteisenerzproduktion nahezu von rund 900 Mio. Tonnen im Jahr 2000 auf rund 1750 Mio. Tonnen im Jahr 2008, und laut UNCTAD stiegen die Preise für brasilianisches Eisenerz um 385% und für australisches gar um 425%. Somit ist in erster Linie Chinas Modernisierung und Industrialisierung für die beispiellose Hausse auf dem Eisenerzmarkt verantwortlich.

Welteisenerzimporte

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Quelle: Steel Statistical Yearbook 2009.

Angebotskonzentration am Weltmarkt

Der mit jährlich über 900 Mio. Tonnen nach Rohöl meistgehandelte Rohstoff Eisenerz ist geologisch gesehen überhaupt nicht knapp: Mehr als 4% der Erdkruste besteht aus eisenerzhaltigem Gestein. Rentabel für eine internationale Vermarktung sind aber nur umfangreiche Vorkommen mit einem Eisengehalt von über 60%. Derartig reichhaltige Lagerstätten sind weltweit auf wenige Länder konzentriert wie insbesondere Australien, Brasilien, Indien, Südafrika und Kanada. Davon verfügen Australien und Brasilien über die mit Abstand reichhaltigsten und größten Lagerstätten, die zudem im Tagebau gewinnbar sind. Beide Länder dominieren daher den internationalen Handel. China produziert zwar weltweit das meiste Eisenerz, jedoch sind die chinesischen Erze von geringer Qualität und werden ausschließlich im eigenen Land verbraucht. Als einziges EU-Land verfügt Schweden über hochwertige, aber im Weltmaßstab mengenmäßig eher unbedeutende Eisenerzvorkommen. In Europa wird Eisenerz ansonsten nur in der Ukraine und Russland abgebaut, jedoch sind die Lagerstätten dort von geringerer Qualität und dienen hauptsächlich der Versorgung lokaler Märkte.

Die großen Stahlproduzenten in der EU und in Asien sind somit erheblich von Eisenerz-Lieferungen aus Übersee abhängig, anders als etwa die USA, die ihren Bedarf zu über 80% aus eigenen Vorkommen decken. Aufgrund der geographischen Lage und den daraus resultierenden Transportkosten hat sich zwischen den Eisenerzkonzernen eine grobe regionale Marktaufteilung herausgebildet: Brasiliens Vale beliefert überwiegend die europäischen Hochöfen, während sich Rio Tinto und BHP Billiton von Australien aus auf den asiatischen Markt konzentrieren. So deckte Deutschland im Jahr 2008 seinen Eisenerzbedarf für die Roheisenerzeugung in Höhe von 44 Mio. Tonnen zu über 50% aus Brasilien, gefolgt von Kanada, Schweden und Südafrika.

Die Big Three stellen zwar „nur“ 35% der Welteisenerzproduktion, sie kontrollieren aber fast 70% des Seehandels und verfügen damit in der EU und Asien über eine marktbeherrschende Stellung. Aus dem Oligopol könnte womöglich bald schon ein Duopol werden: Zwar scheiterte der Versuch BHP Billitons, Rio Tinto feindlich zu übernehmen, aber im Dezember 2009 haben die beiden Unternehmen vertraglich vereinbart, ihre riesigen westaustralischen Eisenerzminen zwecks Kosteneinsparung zusammenzulegen.

Missbrauch von Marktmacht?

In Europa und Asien befürchtet die Stahlindustrie als Folge des geplanten Joint Ventures eine Beschränkung des Wettbewerbs. Die Wettbewerbsbehörden Deutschlands, der EU, Chinas und Australiens haben bereits Untersuchungen eingeleitet. Schon die brachiale Durchsetzung des neuen Preissetzungssystems hat gezeigt, über welche Marktmacht die Big Three verfügen. Es liegt die Vermutung nahe, dass die Big Three ihre Preispolitik abstimmen. Aus dem Blickwinkel der Wettbewerbstheorie könnte der Missbrauch von Marktmacht nicht überraschen, da praktisch alle Voraussetzungen für ein Preiskartell vorliegen: Erstens ist Eisenerz ein homogenes Produkt. Zweitens herrscht auf dem Weltmarkt eine große Preiskonkurrenz, so dass für die Anbieter eine Preisabsprache profitabel ist. Drittens ist die Zahl der Anbieter gering. Viertens ist auch die Preiselastizität gering: Eine Preisänderung hat also kurzfristig nur eine geringe Mengenwirkung. Fünftens schützen hohe Fixkosten und hohe Markteintrittsbarrieren vor potentieller Konkurrenz. Während die profitabelsten Lagerstätten bereits im Besitz der Big Three sind, ist eine Erschließung neuer Lagerstätten kapital- und zeitintensiv, und die Teilnahme am Seehandel erfordert eine umfangreiche Infrastruktur wie Eisenbahnen und Tiefseehäfen. Zudem arbeiten die Big Three bei niedrigsten Produktionskosten, so dass für Wettbewerber eine Investition in weniger reichhaltige Vorkommen riskant wäre.

Gegen die Kartellvermutung sprechen allerdings zwei gewichtige Argumente: Erstens befindet sich der Eisenerzmarkt nicht in der für Kartelle typischen Stagnationsphase, sondern in einem langfristigen Aufwärtstrend. Der entscheidende Preistreiber ist nicht die unterstellte Angebotsverknappung der Big Three, sondern Chinas säkular wachsender Stahlverbrauch. Nicht zufällig sind aktuell die Spotmarktpreise deutlich höher als die Vertragspreise. Zweitens befinden sich immerhin fast zwei Drittel der Welteisenerzproduktion und ein Drittel des Seehandels außerhalb der Kontrolle der Big Three. Statt von einem Kartell sollte man analytisch korrekter von einer dominierenden Preisführerschaft sprechen. Als dominierende Preisführer sind Vale, BHP Billiton und Rio Tinto zwar in der Lage, Einfluss auf die Preisentwicklung am Weltmarkt zu nehmen, ihr Spielraum, Preise am Weltmarkt dauerhaft durchzusetzen, bleibt aber durch die Existenz konkurrierender Anbieter definitiv begrenzt, auch wenn letztere mit teilweise deutlich höheren Kosten belastet sind oder nur Erze mit geringerem Eisengehalt vermarkten. Letztendlich sind auch die Big Three nur Mengenanpasser, die ihre Gewinne durch die Erweiterung von Produktion und Kapazitäten steigern, solange ihre Grenzkosten unter dem Weltmarktpreis liegen. Konform zu dieser Marktanalyse planen alle drei Weltmarktführer einen erheblichen Ausbau ihrer Förderkapazitäten, nicht zuletzt durch die Erschließung neuer Eisenerzvorkommen wie beispielsweise Rio Tinto zusammen mit dem chinesischen Staatsunternehmen Chinalco in Guinea.

Dennoch, auch wenn der Kartellvorwurf nicht aufrechtzuerhalten ist, sollten die Wettbewerbsbehörden das von BHP Billiton und Rio Tinto geplante Joint Venture in Westaustralien nicht ohne Auflagen genehmigen. Beide Unternehmen sollten zu höherer Preistransparenz verpflichtet werden. Zu recht beklagt die Stahlindustrie, dass die Big Three ihre Preise und ihre Preisgestaltung nicht öffentlich machen. Aber gerade Transparenz wäre erforderlich, damit sich wie für andere Rohstoffe ein funktionierender Terminmarkt entwickeln könnte, der es der Stahlindustrie ermöglichen würde, sich gegen unerwartete Preissteigerungen abzusichern.

Konsequenzen für die Stahlindustrie

Durch die Reform der Preisbildung und die gestiegenen Preise für Eisenerze haben sich die Rahmenbedingungen für die Stahlindustrie erheblich verändert. Fortan können die Stahlerzeuger ihre Produktion und ihre Angebote nur noch auf Quartalsfrist kalkulieren. So werden auch sie ihre Lieferverträge mit den nachgelagerten Stahlverbrauchern, der Bauindustrie, dem Fahrzeugbau, dem Maschinen- und Anlagenbau und der Elektrotechnik umstellen.

Wie erwähnt existieren noch keine leistungsfähigen Eisenerz-Terminmärkte. Nicht auszuschließen ist, dass es kurzfristig im Zuge der Entstehung dieser Märkte zu preislichen Verwerfungen kommt. Die Stahlbranche befürchtet etwa, dass Derivat-Spekulationen auf Eisenerze die Preisschwankungen noch verstärken, möglicherweise gar extreme Verteuerungen auslösen würden. Mittelfristig sollte man jedoch darauf vertrauen, dass bei Eisenerz ähnlich wie bei Rohöl, Aluminium und Kraftwerkskohle funktionsfähige Terminmärkte entstehen, die allen Beteiligten ein Mehr an Flexibilität verschaffen.

Sehr viel kritischer als die Veränderungen des Preissystems sind für die Stahlindustrie die rasant steigenden Rohstoffpreise, zumal auch die Preise für Kokskohle, dem zweiten wichtigen Rohstoff in der Stahlproduktion, deutlich anziehen. Unproblematisch wären die steigenden Preise nämlich nur dann, wenn alle Stahlerzeuger gleichermaßen von ihnen betroffen wären. Tatsächlich werden aber diejenigen integrierten Hüttenwerke, die konzerneigene Erzminen besitzen, etwa solche in der Ukraine, in Russland und in China, die Kostensteigerungen sehr viel besser auffangen können. Während der kostengünstige Bezug von Rohstoffen zu einem strategisch bedeutsamen, im Bereich des Massenstahls vielleicht entscheidenden Wettbewerbsfaktor geworden ist, geraten europäische und deutsche Hersteller in die Defensive.

Durch die laufenden Rohstoffpreistrends wird nicht nur der Trend zur Substitution von Stahl etwa durch Kunststoffe, Aluminium und Keramik und der Druck zur Erhöhung von Produktivität und Energieeffizienz verstärkt. Es könnte auch ein globaler Trend zur vertikalen Integration (zwischen Rohstoffminen und Stahlerzeugern) angestoßen werden und den laufenden Konzentrationsprozess in der Stahlbranche verstärken. Europas Stahlindustrie hält in dem sich abzeichnenden Strukturwandel gegenüber Unternehmen aus Schwellenländern ohnehin nicht die besten Karten. Der Stahlproduktionsstandort Europa ist nicht nur wegen der hohen Rohstoffbezugskosten geschwächt, sondern leidet auch unter einer strukturell stagnierenden Stahlnachfrage. Insofern ist es nur konsequent, wenn europäische Hersteller ihre Fertigung internationalisieren, wie beispielsweise ThyssenKrupp, das mit milliardenschweren Investitionen in Rio de Janeiro einen integrierten Hüttenkomplex errichtet hat und von dort aus die USA beliefern wird.

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DOI: 10.1007/s10273-010-1116-3

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