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Die deutsche Wirtschaft zeigte sich bis weit in dieses Jahr hinein weitgehend unberührt von der europäischen Schuldenkrise. Bis zum Herbst ist sie noch spürbar gewachsen, wenngleich sich – wie erwartet – der Aufschwung seit dem Frühjahr mit dem Auslaufen des Aufholprozesses nach der Finanz- und Wirtschaftskrise verlangsamt hat; das Niveau vor Ausbruch der Krise 2008/2009 wurde in diesem Sommer wieder überschritten. In den ersten drei Quartalen dieses Jahres war das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 3½% höher als im gleichen Vorjahreszeitraum (vgl. Abbildung 1). Die Beschäftigung wurde bis zuletzt ausgeweitet und hat neue Höchststände erreicht. Die Arbeitslosigkeit ist auf 2,7 Mio. Personen und damit auf den niedrigsten Stand seit der deutschen Wiedervereinigung gesunken. Damit hat sich die Prognose von vor einem Jahr weitgehend erfüllt, allerdings sind auch die damals genannten externen Risiken zunehmend virulent geworden. Die Euro-Schuldenkrise hat sich verschärft und greift auf die Realwirtschaft über. Die rezessiven Tendenzen in den Krisenländern wirken sich zunehmend auch auf die deutsche Konjunktur aus, wie sich an der Verschlechterung einer Reihe von Frühindikatoren zeigt. Die weiteren Perspektiven haben sich folglich eingetrübt und die Unsicherheit über den Fortgang der Schuldenkrise ist groß (zu den Annahmen der Prognose vgl. Box 1).

Abbildung 1
Preisbereinigtes BIP in Deutschland
Saison- und arbeitstäglich bereinigt mit Census-Verfahren X-12-Arima
Hinze Abb1.ai

1 Veränderung in % gegenüber dem Vorquartal, auf Jahresrate hochgerechnet, rechte Skala.

2 Zahlenangaben: Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %.

Quellen: Statistisches Bundesamt; 2011 und 2012: Prognose des HWWI.

Box 1
Annahmen der Prognose

Der Prognose für das Jahr 2012 liegen folgende Annahmen zu Grunde:

  • Die europäische Schuldenkrise schwelt weiter, eskaliert aber nicht; die Währungsunion bleibt in bisheriger Form erhalten. Griechenland erfüllt die EU-Auflagen und die anderen Krisenländer setzen die notwendigen Reform- und Konsolidierungsmaßnahmen um. Die Europäische Zentralbank (EZB) „deckelt“ übermäßige Renditesteigerungen bei Staatsanleihen.
  • Die Weltwirtschaft bleibt insgesamt aufwärts gerichtet, verliert aber an Dynamik. Der Welthandel nimmt 2012 um 4% zu, nach gut 6% (2011).
  • Der Kurs des Euro gegenüber dem US-Dollar bewegt sich im Mittel um 1,35 US-$/Euro.
  • Der Ölpreis (Brent) bewegt sich in einer Spannbreite zwischen 110 und 120 US-$/Barrel.
  • Die Geldpolitik bleibt expansiv ausgerichtet. Die EZB versorgt die Banken mit ausreichend Liquidität. Nach der Senkung des Leitzinses auf 1%, lässt sie ihn dann 2012 unverändert. Die langfristigen Zinsen in Deutschland erhöhen sich im Verlauf von 2012 etwas.
  • Die künftigen Lohnabschlüsse werden angesichts eingetrübter Konjunktur und Gewinnlage der Unternehmen wieder geringer ausfallen. Im Jahresdurchschnitt 2012 werden die tariflichen Stundenlöhne mit 2½% aber etwas stärker steigen als 2011 mit knapp 2%.
  • Von der Finanzpolitik gehen im kommenden Jahr angesichts des Auslaufens früherer Konjunkturstützungsmaßnahmen sowie fortschreitender Konsolidierung eher kontraktive Impulse aus.

2011 noch kräftiges Wachstum

Die guten binnenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen und die hohen Auftragsbestände auch aus dem Ausland haben die kontraktiven Einflüsse von außen bislang weitgehend abgefedert. Die gute Beschäftigungsentwicklung stützt Einkommen und privaten Konsum. Die Zahl der Erwerbstätigen ist bis zuletzt deutlich gestiegen, und zusammen mit den kräftigeren Lohnsteigerungen hat das die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte mit reichlich 3% so stark erhöht wie seit zehn Jahren nicht mehr. In diesem Umfeld hat sich auch die Kaufneigung etwas erhöht, so dass die realen Konsumausgaben stärker zunahmen als die realen verfügbaren Einkommen. Ebenfalls sehr positiv entwickelten sich die Unternehmensinvestitionen sowie der Wohnungsbau. Angesichts der hohen Auslastung der Kapazitäten investierten die Unternehmen wieder mehr und mehr in deren Erweiterung; die Ausrüstungsinvestitionen wurden 2011 um 11% erhöht. Im Wohnungsbau stiegen aufgrund der anhaltend sehr niedrigen Zinsen, der verbesserten Beschäftigungs- und Einkommenslage und wohl teilweise auch aufgrund aufgekommener Inflationsbefürchtungen die Investitionen um 6%. Überdies haben die Unternehmen mit zunehmender Produktion und Nachfrage ihre Lager stärker aufgestockt.

Die in einer Reihe von Ländern eskalierenden Schuldenprobleme blieben gleichwohl nicht ganz ohne Auswirkungen. Dadurch und durch das verringerte Expansionstempo auch in anderen Regionen, wie in den USA und den Schwellenländern, wurde der Welthandel gedämpft. Entsprechend hat sich die Zunahme der Exporte im Laufe dieses Jahres abgeflacht. Die nachlassende Auslandsnachfrage wird Ende dieses Jahres und bis ins kommende Jahr hinein die deutsche Konjunktur bremsen und sich über Beschäftigungs- und Einkommenseffekte auch auf die Binnenwirtschaft auswirken.

Binnennachfrage stützt auch 2012 die Konjunktur…

Wichtige Konjunkturstützen bleiben auch im kommenden Jahr der private Konsum und der Wohnungsbau (vgl. Tabelle 1). Die Beschäftigung dürfte trotz der konjunkturellen Abschwächung stabil bleiben, da die Unternehmen bestrebt sind, ihre Fachkräfte zu halten. Da die diesjährigen, etwas höheren Tarifabschlüsse bis ins nächste Jahr hinein wirken, werden die Löhne und Gehälter nur wenig verlangsamt weiter steigen. Gleichzeitig werden die Renten stärker angehoben. Da sich zugleich die Teuerung verringert, dürften sich die realen verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte im kommenden Jahr wie 2011 um etwa 1% erhöhen. In dieser Größenordnung wird dann auch der private Konsum zunehmen.

Tabelle 1
Eckdaten für Deutschland
Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %
  2007 2008 2009 2010 2011 2012
Bruttoinlandsprodukt1 3,3 1,1 -5,1 3,7 3,0 0,5
    Private Konsumausgaben -0,2 0,6 -0,1 0,6 1,4 1,0
   Staatl. Konsumausgaben 1,4 3,1 3,3 1,7 1,3 1,0
   Anlageinvestitionen 4,7 1,7 -11,4 5,5 6,8 1,1
      Ausrüstungen 10,5 3,6 -22,8 10,5 9,0 1,0
      Bauten -0,3 -0,7 -3,0 2,2 5,7 0,7
     Sonstige Anlagen 7,3 7,0 0,6 4,7 3,0 4,0
Inlandsnachfrage 1,9 1,3 -2,6 2,4 2,2 0,8
   Ausfuhr 8,0 2,7 -13,6 13,7 8,7 3,1
   Einfuhr 5,4 3,3 -9,2 11,7 7,7 4,1
Arbeitsmarkt            
   Erwerbstätige 1,7 1,2 0,0 0,5 1,2 0,3
   Arbeitslose (in Mio.) 3,76 3,26 3,41 3,24 2,98 2,89
   Arbeitslosenquote2 (in %) 8,6 7,5 7,8 7,4 6,8 6,6
Verbraucherpreise 2,3 2,6 0,4 1,1 2,3 1,8
Finanzierungssaldo des Staates (in % des BIP) 0,2 -0,1 -3,2 -4,3 -1,1 -1,0
Leistungsbilanzsaldo3 (in % des BIP) 7,5 6,3 5,6 5,7 5,3 4,9

1 Preisbereinigt.

2 Arbeitslose in % der inländischen Erwerbspersonen (Wohnortkonzept).

3 In der Abgrenzung der Zahlungsbilanzstatistik.

Quellen: Statistisches Bundesamt; Deutsche Bundesbank; Bundesagentur für Arbeit; 2011 und 2012: Prognose des HWWI.

Kräftiger noch wird die Wohnungsbautätigkeit ausgeweitet. Die Baugenehmigungen haben sich im Laufe dieses Jahr außerordentlich stark erhöht und die Rahmenbedingungen bleiben insgesamt günstig. Die öffentlichen Bauinvestitionen werden nach dem Auslaufen der Konjunkturprogramme zwar merklich sinken und die gewerblichen allenfalls stagnieren, insgesamt werden die Bauinvestitionen aber noch zunehmen. Kaum noch ausweiten werden hingegen die Unternehmen ihre Investitionen; sie werden angesichts der unsicheren Aussichten zunächst erst einmal die weitere Entwicklung der Schuldenkrise und der Konjunktur abwarten. Der Staat wird weiter konsolidieren und seine konsumtiven Ausgaben nur wenig erhöhen. Alles in allem wird die Inlandsnachfrage 2012 wie 2011 einen wichtigen, aber nun geringeren Wachstumsbeitrag leisten.

…aber negativer Wachstumsbeitrag vom Außenhandel

Stärker gedämpft werden dürfte die deutsche Konjunktur durch die globale Wachstumsabschwächung. Für den Welthandel wird für den Prognosezeitraum davon ausgegangen, dass er weiter expandiert, allerdings merklich verlangsamt, weil der Euroraum in die Rezession gerät und die Expansion in Übersee insgesamt an Dynamik verliert. Unter diesen Bedingungen werden die deutschen Unternehmen ihre Exporte insgesamt nur noch wenig ausdehnen können. Da zugleich die Importe bei der erwarteten Binnennachfrage stärker als die Exporte zunehmen werden, gehen vom Außenhandel insgesamt kontraktive Effekte aus.

Bei eher negativen Wachstumsbeiträgen der Auslandsnachfrage und der Vorratsveränderungen wird die gesamtwirtschaftliche Produktion im Schlussquartal dieses Jahres und in den ersten Monaten des nächsten Jahres kaum mehr als stagnieren, möglicherweise etwas sinken. Im Durchschnitt von 2011 wird das reale BIP wegen der recht günstigen Entwicklung bis zum Herbst aber noch um 3% zunehmen. 2012 wird das Wirtschaftswachstum, auch wenn im Jahresverlauf mit einer allmählichen Wiederbelebung der Konjunktur gerechnet wird, voraussichtlich lediglich ½% betragen. Für den Arbeitsmarkt wird erwartet, dass die Unternehmen auch bei schwächerer Produktionsentwicklung wie bereits in der vergangenen Krise ihre Fachbelegschaft zu halten versuchen und eher auf Kurzarbeit zurückgreifen. Die Zahl der Arbeitslosen sollte daher nicht steigen, im späteren Jahresverlauf könnte sie bei konjunktureller Erholung weiter zurückgehen. Entgegen zunehmender – allerdings eher langfristiger – Inflationsbefürchtungen sollte die Teuerungssrate bei konjunkturell bedingt geringen Preiserhöhungsspielräumen und nachlassenden Energieverteuerungen wieder unter die 2%-Marke fallen.

Bei Eskalation der Schuldenkrise droht eine Rezession

Die Basisprognose ging von einem Erhalt der Eurozone aus und davon, dass die negativen Auswirkungen der Krise weitgehend auf die Eurozone begrenzt bleiben. Die Schuldenkrise ist aber nicht ausgestanden, sie könnte auch weiter eskalieren. Eine schnelle Lösung der Struktur- und Haushaltsprobleme in den Krisenländern zeichnet sich nicht ab, so dass das Risiko einer ungünstigeren Entwicklung als hier prognostiziert größer ist als die Chance für eine bessere. Inwieweit diese Risiken virulent werden, hängt zum einen von den Maßnahmen in den jeweiligen Ländern ab, zum anderen von anstehenden Beschlüssen auf EU-Ebene und auch von der Geldpolitik der EZB. Dabei steht die Politik vor dem Zielkonflikt, zu konsolidieren und dabei die Konjunktur nicht abzuwürgen. Schon die bisherigen Sparanstrengungen haben die von der Krise besonders betroffenen Länder in die Rezession geführt. Für konjunkturstimulierende Maßnahmen fehlt das Geld und eine weitergehende Verschuldung würden die Finanzmärkte nicht ohne weiteren Renditenanstieg hinnehmen. Aus diesem Teufelskreis könnten im Moment nur überzeugende Konsolidierungsstrategien führen, die das Vertrauen in die Problemlösungsfähigkeit der Politik wieder herstellen und die Finanzmärkte beruhigen. Je überzeugender die Strategie, umso geringer müssten die akuten Sparmaßnahmen sein. Das könnte die Konjunktur besser stützen als immer wieder aus der Not geborene, neue kurzfristige Sparmaßnahmen und Hilfsprogramme.

Zu weit größeren Verwerfungen würde sicherlich ein Auseinanderbrechen der Eurozone – wobei verschiedene Szenarien vorstellbar sind – führen. Wegen der globalen Verflechtung der Banken würde selbst das Ausscheiden einzelner Länder, verbunden mit Schuldenausfällen, sich auf das internationale Bankensystem auswirken und schließlich auch auf die Realwirtschaft. Eine tiefe weltweite Rezession wäre die wohl unvermeidliche Folge. Davon wäre wegen der Außenhandelsabhängigkeit die deutsche Wirtschaft in besonderem Maße betroffen.

Die Europäische Zentralbank (EZB) ist im Zuge der Schuldenkrise unter starken politischen Druck geraten. Bei weiterer Eskalation der Schuldenkrise stehen die Ausgabe von Eurobonds oder unbegrenzte Ankäufe von Anleihen der Krisenländer durch die EZB im Raum. Mit beiden Maßnahmen ließe sich lediglich die zwischenzeitliche Refinanzierung einzelner Staaten sicherstellen, dadurch würden aber nicht die ursächlichen Schuldenprobleme gelöst. Solange die einzelnen Staaten weiterhin ihre eigene Finanzpolitik betreiben, ist die Politik auf EU- bzw. EZB-Ebene relativ hilflos und kann lediglich die Symptome behandeln. Ohne nachhaltige Verschärfung des Stabilitätspakts würden Eurobonds wie auch Anleiheaufkäufe der EZB wiederum nur aufschiebende Wirkung haben.

Hoffnung ruht auf globaler Konjunktur

Besser als die europäische Wirtschaft entwickelt sich die in den USA und insbesondere in den Schwellenländern. Letztere avancieren immer mehr zur Stütze der Weltwirtschaft. Gleichwohl gibt es auch dort konjunkturelle Risiken. Hauptrisiko für diese Regionen ist, dass die europäische Schuldenkrise auch auf sie übergreift. Konjunkturelle Risiken für die USA bestehen zudem in den nach wie vor großen Problemen auf dem Arbeitsmarkt sowie auf dem Immobilienmarkt, zudem steht auch dort die Regierung unter Konsolidierungsdruck. Zuletzt hat sich das Wachstum in den USA aber wieder etwas verstärkt, und angesichts der Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr könnten die US-Regierung und/oder die Fed gegebenenfalls noch einmal die Konjunktur anzukurbeln versuchen. Sollte sich in wichtigen Schwellenländern das Tempo stärker verlangsamen, dürften auch dort gegebenenfalls Regierungen und Notenbanken eingreifen. Alles in allem sollten die Schwellenländer und auch die USA aber weiter auf Wachstumskurs bleiben und so die Konjunktur in Europa stützen.

Konsolidierungsziel nicht aus den Augen verlieren

Zwar stellt sich die Finanzlage der öffentlichen Haushalte in Deutschland besser dar als die der meisten anderen Euroländer, dennoch liegt die Staatsverschuldung mit gut 80% (in Relation zum BIP) über der Maastricht-Marke von 60%. Geringer als in den meisten anderen Euroländern ist lediglich die laufende Neuverschuldung mit einer Quote von rund 1% in diesem und im nächsten Jahr. Nicht nur deshalb besteht auch hierzulande weiterhin Konsolidierungsbedarf. Bei einer Verschärfung der Schuldenkrise könnte auch Deutschland schnell überfordert sein und an Kreditwürdigkeit einbüßen. Der „Konsolidierungsvorsprung“ Deutschlands gegenüber den meisten anderen Euroländern schlägt sich nicht zuletzt in erheblich niedrigeren Zinsen für seine Staatsanleihen nieder. Bereits eine Erhöhung der Durchschnittsrendite um 1% würde die Zinsausgaben des Staates um rund 20 Mrd. Euro bzw. die Defizitquote um einen Dreiviertelprozentpunkt steigen lassen.

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DOI: 10.1007/s10273-011-1316-5

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