Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

Der Apothekenmarkt wird in Deutschland in vieler Hinsicht reglementiert. Ein Großteil der verkauften Produkte unterliegt einer Preisbindung und der Marktzugang ist stark beschränkt. Die Autorin plädiert für eine Liberalisierung des Marktes und macht konkrete Reformvorschläge.

Im Koalitionsvertrag von 2009 einigten sich die Regierungsparteien darauf, die Rechtsordnung für Apotheker in der laufenden Legislaturperiode nicht zu ändern. Die Monopolkommission als unabhängiges Beratungsgremium der Bundesregierung empfahl aber bereits in ihrem Hauptgutachten 2004/2005 „Mehr Wettbewerb auch im Dienstleistungssektor“. Im kürzlich erschienenen Gutachten 2008/2009 untersuchte sie wiederholt die Wettbewerbsnachteile infolge einer Überregulierung und hoher Markteintrittshürden im Arzneimitteleinzelhandel.1

Entwicklung des Arzneimittelmarktes

Der erste Abschnitt des Gesetzes über das Apothekenwesen (ApoG) definiert insbesondere im § 1 die Institution „öffentliche Apotheke“. Dazu gehören keine wirtschaftlich unselbstständigen Krankenhaus- oder Bundeswehrapotheken.2 Öffentliche Apotheken sind im Wesentlichen dem Einzelhandelssegment zuzuordnen, da sie ihre Güter nicht an Weiterverkäufer, sondern direkt an den Endverbraucher verkaufen. Arzneimittel können nach dem Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (AMG) in verschreibungs-, apothekenpflichtige sowie nicht verschreibungs-, apothekenpflichtige und in freiverkäufliche Arzneimittel eingeteilt werden.3 Öffentliche Apotheken bieten neben den Arzneimitteln weitere Gesundheitsartikel an, die nicht in der Rechtsordnung geregelt werden. Vom Gesamtumsatz aller öffentlichen Apotheken (inkl. Krankenhausapotheken) von 39,2 Mrd. Euro (hier und im Folgenden ohne Umsatzsteuer) im Jahr 2009 entfielen

  • 30,8 Mrd. (78,6%) auf verschreibungspflichtige, apothekenpflichtige Arzneimittel,
  • 4,4 Mrd. Euro (11,2%) auf nicht verschreibungspflichtige, apothekenpflichtige Medikamente,
  • 0,3 Mrd. Euro (0,8%) auf freiverkäufliche Medikamente,
  • 3,7 Mrd. Euro (9,4%) auf apothekenübliches Ergänzungssortiment, Krankenpflege und Güter für den medizinischen Bedarf.

Der größte Umsatzanteil entfällt auf die verschreibungspflichtigen Arzneimittel.4 Die Entwicklung des Umsatzes aus dem Verkauf verschreibungspflichtiger Medikamente aller öffentlichen Apotheken (inklusive Krankenhausapotheken) ist in Abbildung 1 dargestellt. Die Gesamtumsätze aller Apotheken in Deutschland stiegen kontinuierlich von 34,9 Mrd. Euro (2006) über 37,9 Mrd. Euro (2008) auf 39,2 Mrd. Euro (2009). Nur die Umsätze aus dem Verkauf verschreibungspflichtiger Medikamente korrelierten in den abgebildeten Jahren positiv mit den Gesamtumsätzen. Die restlichen Umsätze aus nicht rezeptpflichtigen oder freiverkäuflichen Arzneimitteln verringerten sich im Trend absolut und prozentual zum Gesamtumsatz.

Abbildung 1
Umsatz aus dem Verkauf verschreibungspflichtiger Medikamente 2006 bis 2009

Umsatz aus dem Verkauf verschreibungspflichtiger Medikamente 2006 bis 2009

Quelle: Eigene Berechnungen in Anlehnung an ABDA: Jahresbericht 2008/2009, Berlin 2009, S. 40; und Universität Greifswald: Struktur der Ärztestatistik zum 31.12.2006, Greifswald 2007, S. 18.

Mit der zwölften Novelle des Arzneimittelgesetzes im Jahr 2004 bekam der Versandhandel apothekenpflichtiger Medikamente erstmals eine gesetzliche Grundlage. Im Bundesverband deutscher Versandapotheken sind derzeit 26 zugelassene Versandapotheken registriert.5 Von 2008 bis 2009 konnten die Versandapotheken das Geschäft mit nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten um etwa 30% von 482 Mio. auf 622 Mio. Euro steigern. Auf dem Markt für verschreibungspflichtige Medikamente hatten Versandapotheken nach Schätzungen des Bundesverbandes deutscher Versandapotheken 2009 einen Marktanteil von etwa 2%.6 Die positive Marktentwicklung deutscher Versandapotheken kann mit dem Urteil über „Pick-up-Stellen“ erklärt werden. Das Bundesverwaltungsgericht legalisierte in einem Urteil vom März 2008 Abholstellen für Arzneimittel oder andere Produkte, die bei Versandapotheken bestellt werden. Diese sind häufig in Drogerien.7 Die Anzahl aller Apotheken (inklusive Filialapotheken) hat sich seit 2001 nicht wesentlich verändert. Zum Jahresende 2001 gab es in Deutschland noch 21 569 Apotheken. Ende 2009 waren es 21 548 – davon 3224 Filialapotheken.8 Mit 82 002 400 Einwohnern und 21 602 Apotheken kamen in Deutschland zum 31.12.2008 circa 3796 Einwohner auf eine Apotheke.9 Die Apothekendichte ist in den ostdeutschen Bundesländern und in ländlichen Gebieten geringer. Sie ist in Deutschland im europäischen Vergleich überdurchschnittlich hoch (vgl. Tabelle).10

Tabelle
Apothekendichte 2008 im europäischen Vergleich
Land Einwohner je Apotheke
Dänemark 16 800
Schweden 10 700
Niederlande 9 400
Slowenien 7 400
Österreich 6 900
Finnland 6 500
Tschechische Republik 5 500
Luxemburg 5 200
Ungarn 5 000
Großbritannien 4 900
Slowakei 4 600
Estland 4 300
Deutschland 3 800
Portugal 3 800
Polen 3 500
Italien 3 300
Irland 3 000
Frankreich 2 700
Lettland 2 600
Litauen 2 300
Spanien 2 100
Belgien 2 000
Malta 1 900
Zypern 1 700
Griechenland 1 200

Quelle: Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände: Zahlen und Fakten, veröffentlicht unter: http://www.abda.de/zdf.html (Stand: 22.9.2010), Berlin 2010.

Branchenbesonderheiten: Asymmetrische Informationen

Gibt es im Einzelhandel auf dem Arzneimittelmarkt Branchenbesonderheiten, die einen ordnungspolitischen Handlungsbedarf legitimieren? Auf dem Markt für verschreibungspflichtige Medikamente können das asymmetrische Informationen sein. Der Patient kann aufgrund mangelnder Fachkenntnis nicht unmittelbar beurteilen, welches Gut für ihn einen Nutzen stiftet. Arzneimittel sind für den Nachfrager Vertrauensgüter. Selbst nach dem Kauf kann der Nachfrager die Qualität und Zweckmäßigkeit der Güter ohne pharmazeutische Fachkenntnisse nur unzureichend bestimmen. Der Patient als Prinzipal beauftragt daher seinen Arzt (Agent), die geeignete medikamentöse Therapie zu bestimmen. Der Agent hat dabei aufgrund seiner Fachkenntnis einen Informationsvorsprung. Bestimmt der Arzt eine falsche Medikation, haftet er selbst, nicht der Apotheker. Die wesentliche Beratungsleistung auf dem Markt für verschreibungspflichtige Medikamente sollte damit nicht beim Apotheker, sondern beim Arzt liegen. Das Problem asymmetrischer Informationen bezieht sich bei verschreibungspflichtigen Medikamenten auf die Arzt-Patienten-Beziehung.11

Auf dem Markt für apothekenpflichtige, nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel ist der Agent der Apotheker. Er erbringt die Beratungsleistung. Empfiehlt der Apotheker vorsätzlich oder fahrlässig ein falsches Medikament oder klärt den Patienten nicht ordnungsgemäß über die Verabreichung und Risiken auf, kann er sich nach § 823 BGB in Verbindung mit §§ 223 und 229 StGB der fahrlässigen oder vorsätzlichen Körperverletzung strafbar machen. Stellt der Apotheker selbst ein Medikament her, das zu Personen- oder Sachschäden führt, unterliegt er dem Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG) nach § 1.12 Das Haftungsrecht stellt folglich (wie auch in anderen beratungsintensiven Einzelhandelsbereichen) einen Ordnungsrahmen dar.

Geringe Preiselastizität der Nachfrage

Auf dem Teilmarkt für verschreibungspflichtige Medikamente ist die Preiselastizität der Nachfrage gering. Die Kosten des verschreibungspflichtigen Arzneimittels werden von den gesetzlichen oder den privaten Krankenkassen getragen. Im System der gesetzlichen Krankenversicherung kann bei rezeptpflichtigen Medikamenten ein Moral-Hazard-Problem auftreten. Gesetzlich Versicherte erzeugen durch viele oder teure Medikamente eine hohe Nachfrage, die durch die Solidargemeinschaft finanziert wird. Das moralische Risiko besteht darin, dass die Versicherung aufgrund mangelnder Informationen bzw. mangelnder Kontrolle nicht unterscheiden kann, ob der Versicherte das verschriebene Medikament tatsächlich und in der nachgefragten Menge zur Therapie seiner Krankheit benötigt. Der Patient kann veranlasst werden, zuviel zu konsumieren, weil er nicht im vollen Umfang für die Kosten des verschreibungspflichtigen Medikamentes aufkommen muss. Die Kosten des zusätzlichen Konsums werden kollektiv auf alle Versicherungsnehmer der gesetzlichen Krankenkasse verteilt. Da sich die Problematik des Moral-Hazard-Problems hier nur auf den Markt für verschreibungspflichtige Medikamente bezieht, soll an dieser Stelle konstatiert werden, dass es eher unwahrscheinlich ist, dass der Arzt mehr Medikamente verschreibt als zur Therapie der Krankheit aus seiner Sicht tatsächlich notwendig erscheinen. Dennoch besteht das Risiko, dass der Arzt aus Gefälligkeitsgründen höhere Dosen oder andere Therapeutika verschreibt als notwendig sind, z.B. wenn der Patient seine Hausapotheke auffüllen oder Angehörige mitversorgen möchte. Das Moral-Hazard-Problem dürfte allerdings mit der Schwere und Spezifität der Erkrankung abnehmen.13

Privat Versicherte erhalten im Gegensatz zu den gesetzlich Versicherten eine Rechnung, die sie vorab begleichen und bei der privaten Krankenversicherung einreichen. Das Abrechnungssystem ist für den Patienten zum einen transparenter, zum anderen können die Beiträge zur PKV aber auch infolge steigender Kosten eines Patienten erhöht werden. Das Moral-Hazard-Problem bezieht sich daher vor allem auf die gesetzlichen Krankenversicherungen.

Verschreibungspflichtige Medikamente weisen eine geringe Preiselastizität der Nachfrage auf. Die Koordinationsleistung des Marktes kann dadurch beeinträchtigt werden. Daher werden die Preise entweder staatlich reguliert oder zwischen Krankenversicherungen und Apotheken verhandelt. Für die Vereinbarungen mit gesetzlichen Krankenkassen gilt in Deutschland ein Kontrahierungszwang. Exklusivverträge über Arzneimittelpreise zwischen einzelnen Apotheken und gesetzlichen Krankenkassen sind nicht erlaubt.

Die Arzneimittelpreisverordnung schreibt eine Preisbindung öffentlicher Apotheken (ohne Krankenhausapotheken § 1 III AMPreisV) vor: Diese ist nach Art der Arzneimittel differenziert. Ausgangspunkt ist der Abgabepreis durch den Hersteller nach § 1 I Nr. 1 in Verbindung mit § 2 AMPreisV. Den Herstellerabgabepreis bestimmt das Pharmaunternehmen, es muss aber bei rezeptpflichtigen Medikamenten nach § 78 III S.1 Arzneimittelgesetz (AMG) einen einheitlichen Abgabepreis für alle Apotheken festlegen. Diese Herstellerpreise gelten für alle Apotheken. Nach der Verordnung dürfen auf den Herstellerpreis eines apotheken- und verschreibungspflichtigen Fertigarzneimittels nur Großhandelsaufschläge innerhalb eines festgeschriebenen Limits zuzüglich der Umsatzsteuer erhoben werden. Die Apotheke erhebt nach § 3 AMPreisV einen Festzuschlag von 3% zuzüglich 8,10 Euro sowie der Umsatzsteuer. Der Apothekenverkaufspreis verschreibungspflichtiger Fertigarzneimittel gilt sowohl für Selbstzahler als auch für privat oder gesetzlich Versicherte. Vom Abgabepreis entfallen 10% als Selbstbehalt auf den Patienten in den Grenzen von mindestens 5 und maximal 10 Euro.14

Berechnungsformel für den Verkaufspreis rezeptpflichtiger Arzneimittel zu Lasten der GKV

Verkaufspreis = (Herstellerabgabepreis + Großhandelszuschlag) • 1,03 + 8,10 Euro + MwSt

Rechenbeispiel
Herstellerabgabepreis (HAP) 50,00 Euro + Großhandelszuschlag für rezeptpflichtige Arzneimittel (0,70 Euro pro Packung und 3,15% des HAP) 50,70 + 1,58 Euro
= Netto-Apothekeneinkaufspreis (AEP) 52,28 Euro + Apothekenzuschlag (3% + 8,10 Euro) 9,67 Euro
= Netto-Apothekenverkaufspreis 61,959 Euro + Umsatzsteuer (19%) 11,77 Euro
= Brutto-Apothekenverkaufspreis (AVP) 73,72 Euro - Zwangsrabatt an Krankenkassen 2,05 Euro
= Brutto-Apothekenverkaufspreis (AVP) nach Abzug des Zwangsrabatts 71,67 Euro

In Anlehnung an Bundesvereinigung deutscher Apothekerverbände: Zwangsrabatt an Krankenkassen, veröffentlicht unter: http://www.abda.de/zwangsrabatt.html (Stand: 24.11.2010), Berlin 2010; und Bundesministerium für Gesundheit: Reform des GKV-Arzneimittelmarktes, Berlin 2010, S. 16.

Trotz der Preisbindung hat sich der Gesamtumsatz aller öffentlichen Apotheken an verschreibungspflichtigen Medikamenten in den letzten Jahren erhöht (vgl. Abbildung 2). Entsprechend sind die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen für verschreibungspflichtige Medikamente in den letzten Jahren gestiegen. Die Ausgabensteigerungen sind vor allem auf die hohen Preise neu in den Markt eingeführter Medikamente zurückzuführen. Die Hersteller neuer Arzneimittel genießen durch Patentrechte eine Pionierstellung auf dem Markt und schöpfen befristete Monopolrenten ab. Die Preise der bereits auf dem Arzneimittelmarkt befindlichen Medikamente haben sich kaum verändert.

Abbildung 2
Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenkassen von 2000 bis 2008
Ausgaben für Arzneimittel in Mio. Euro
Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenkassen von 2000 bis 2008

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Gesundheitsberichterstattung des Bundes: Gesundheitsausgaben in Deutschland, veröffentlicht unter: http://www.gbe-bund.de, (Stand: 21.9.2010), Berlin 2010.

Liegen die Preise verschreibungspflichtiger Medikamente über dem Gleichgewichtspreis, kann ein Überangebot durch den Eintritt neuer Anbieter entstehen. Das erklärt die im europäischen Vergleich überdurchschnittlich hohe Apothekendichte in Deutschland. Nachteile eines preislich reglementierten Marktes für rezeptpflichtige Medikamente sind ineffiziente Produktions- und Kostenstrukturen bzw. die Subvention unrentabler Geschäftsbereiche in der Pharmaindustrie und bei den Apotheken, die zu höheren volkswirtschaftlichen Kosten führen.

Nicht verschreibungspflichtige Medikamente müssen vom Kunden selbst bezahlt werden. Die Preisempfindlichkeit des Nachfragers ist umso höher, je geringer der akute Bedarf ist. Das entspricht einem normalen Nachfrageverhalten. Auf dem Markt für nicht verschreibungspflichtige Medikamente ist der Preiswettbewerb seit 2004 gestiegen, da der Gesetzgeber zum 1.1. 2004 die Preisbindung aufgehoben hat. Die Preise konnten ab 2004 selbst durch die Apotheken festgelegt werden. Nachdem der Wettbewerb durch den 2004 legalisierten Versandhandel mit apothekenpflichtigen Medikamenten zusätzlich verstärkt wurde, sanken die Preise. Eine Studie der unabhängigen Preisdatenbank für Arzneimittel MedPreis.de ergab, dass die Preise der 100 meistgesuchten rezeptfreien Medikamente über Versandapotheken zum 31.12.2004 um durchschnittlich 33,08% im Vergleich zum Vorjahresniveau gesunken waren.15

Weitere Regulierungen

Weitere Regulierungen für öffentliche Apotheken sind nach der Apothekenbetriebsordnung das Mehr- und Fremdbesitzverbot. Eine Apotheke darf nur durch einen Apotheker als Einzelunternehmer oder in der Rechtsform einer offenen Handelsgesellschaft geführt werden – also nicht als Gesellschaft mit beschränkter Haftung oder Aktiengesellschaft.16 Apotheker ist, wer ein Universitätsstudium der Pharmazie und eine praktische Ausbildung von einem Jahr absolviert hat.17 Der Europäische Gerichtshof entschied im Mai 2009, dass das Fremd- und Mehrbesitzverbot mit dem europäischen Recht vereinbar ist. Den Mitgliedstaaten ist es aber erlaubt, selbst zu entscheiden, dieses beizubehalten oder aufzuheben. In anderen europäischen Ländern wie beispielsweise Großbritannien gibt es kein Fremd- und Mehrbesitzverbot.18 Mit der Gesundheitsreform 2004 wurde das Mehrbesitzverbot in Deutschland allerdings gelockert. Ein Apotheker darf seither bis zu vier Apotheken besitzen, wenn er die Hauptapotheke selbst leitet, für jede Filialapotheke einen angestellten Apotheker als Leiter benennt und sich alle Apotheken in lokaler Nähe zueinander befinden.19

Die Apothekenbetriebsordnung legt ferner restriktive Regeln für das Personal, die Beschaffenheit, die Größe und die Einrichtung der Apothekenbetriebsräume fest. Die gesetzlich vorgeschriebene Ausstattung für eine Apotheke kann Kosten in Höhe eines fünfstelligen Betrags erreichen.20

Lösungsansätze

Da vor allem der Markt für verschreibungspflichtige Medikamente stark reglementiert ist, sollen an dieser Stelle Lösungsansätze für eine Deregulierung des Marktes unterbreitet werden. Die Probleme bezogen sich nach der Analyse vor allem auf:

  • Asymmetrische Informationen in der Arzt-Patienten-Beziehung,
  • geringe Preiselastizitäten der Nachfrage bei gesetzlich Versicherten,
  • fehlenden Preiswettbewerb infolge staatlicher Preisbindungen,
  • hohe Kosten aufgrund gesetzlicher Bestimmungen als Markteintrittshürde und
  • das Fremd- und Mehrbesitzverbot von Apotheken.

Reformvorschläge: Asymmetrische Informationen

Wie bereits untersucht, besteht das Prinzipal-Agent-Problem auf dem Markt für verschreibungspflichtige Medikamente nicht zwischen dem Apotheker und Konsumenten. Die Arzthaftung bei falscher Medikation wurde in zahlreichen Urteilen des Bundesgerichtshofes bestätigt.21 Eine Apothekenpflicht auf dem Markt für verschreibungspflichtige Medikamente kann daher nicht allein durch den Vertrauensgutcharakter begründet werden. Auf dem Markt für nicht verschreibungspflichtige, apothekenpflichtige Produkte ist nicht grundsätzlich ein Beratungsbedarf erkennbar. Dennoch regelt das Selbstbedienungsverbot in § 17 III der Apothekenbetriebsordnung, dass der Apotheker „…Arzneimittel, die der Apothekenpflicht unterliegen nicht im Wege der Selbstbedienung in den Verkehr bringen [darf].“22

Gut lesbare Preisschilder hinter dem Verkaufstisch gibt es in den meisten Apotheken selbst für die nicht verschreibungspflichtigen Medikamente nicht. Der Kunde kann nicht selbstständig Preise und Angebote vergleichen, sondern diese in der Regel nur im direkten Gespräch mit dem Apotheker erfragen. Die Monopolkommission hat daher bereits in ihrem Hauptgutachten 2004/2005 vorgeschlagen, die Apothekenpflicht bestimmter Medikamente durch die Sachverständigenkommission für die Apothekenpflicht zu überprüfen und das Selbstbedienungsverbot zu lockern. Auf der Nachfrageseite würde sich die Konsumentenrente bei niedrigeren Preisen erhöhen. Die Apotheken müssten bei einer Aufhebung der Apothekenpflicht mit Markteintritten von Drogerien oder anderen Einzelhandelsunternehmen rechnen. Zudem wären die Verbraucher nicht an die Öffnungszeiten der Apotheken gebunden. Für nicht verschreibungspflichtige, beratungsintensive Produkte sollte die Apothekenpflicht beibehalten und mit einer zu dokumentierenden Beratungspflicht des Apothekers verbunden werden, die derzeit nicht besteht.23

Aufhebung der staatliche Preisbindungen

Die geringen Preiselastizitäten ergeben sich durch die Kostenübernahme der gesetzlichen Krankenkasse. Der Kunde hat keinen Anreiz, nach einer kostengünstigen Apotheke zu suchen. Die gesetzliche Regelung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zeigt Abbildung 3.

Abbildung 3
Zuzahlungen für gesetzlich Versicherte bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln
Zuzahlungen für gesetzlich Versicherte bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln

Quelle: Eigene Darstellung.

Bei einer Aufhebung der staatlichen Preisbindung bestehen für den Nachfrager nur in den Intervallen von unter fünf und 50 bis 100 Euro Anreize, die Apotheke zu wechseln. Bei einer Freigabe können auch Preiserhöhungen eintreten, die vor allem bei einer hohen Nachfrage (z.B. durch chronisch Kranke) oder während des Bereitschaftsdienstes negative Effekte auf die Konsumentenrente haben können. Die Monopolkommission schlägt daher die Abschaffung der bisherigen Zuzahlung vor. Dabei muss berücksichtigt werden, dass der Patient wegen des Prinzipal-Agent-Problems wenig Einfluss auf das vom Arzt zu verschreibende Medikament hat, aber frei über die Wahl der Apotheke entscheidet, bei der er das Rezept einlöst. Da der Patient die Auswahl des zu verschreibenden Medikaments nicht beeinflussen kann, sollte er nicht direkt an den Gesamtkosten beteiligt werden. Da er aber die Apotheke frei wählen kann, wäre eine Beteiligung an der jeweiligen Apothekenleistung möglich. Dabei würde die einzelne Apotheke eine eigene Pauschale für den Vertrieb des verschreibungspflichtigen Medikaments erheben, die in ihrer Höhe durch den Gesetzgeber begrenzt werden kann. Wenn die Vertriebspauschalen eine bestimmte Jahressumme überschreiten, könnten diese von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden. Der Konsument hätte innerhalb dieser Regelung direkten Einfluss auf seine Eigenbeteiligung, indem er die Apotheke mit der günstigsten Vertriebspauschale auswählt. Mit dieser Lösung könnte ein mittelbarer Preiswettbewerb über die Vertriebspauschale auch auf dem bisher streng regulierten Markt für verschreibungspflichtige Arzneimittel ermöglicht werden.24

Weiterhin könnte das beschriebene Problem bei einer kostenabhängigen Eigenbeteiligung verringert werden. Die Vertriebspauschale muss sich dabei nicht unmittelbar auf die Kosten des Medikaments beziehen, sondern kann auch Faktoren wie Kundennähe oder Serviceangebot (Haustürlieferung) berücksichtigen. Aus ordnungspolitischer Sicht ist die Einführung eines Selbstbehaltes in Form einer kostenabhängigen Vertriebspauschale weniger wettbewerbsverzerrend und damit marktkonformer als prozesspolitische Interventionen durch direkte Preisregulierungen.25

Gesetzlich vorgeschriebene Ausstattung

Die restriktiven Vorgaben nach der Apothekenbetriebsordnung können durch das Bundesministerium für Gesundheit gelockert werden, um den Markt auch für neue Wettbewerber zu öffnen. Die Reglementierung des Arzneimitteleinzelhandels führt dazu, dass die Marktmechanismen ausgeschaltet sind. Einerseits attrahieren die Preisbindungen der Arzneimittelpreisverordnung Newcomer, andererseits werden Markteintrittshürden durch strenge Anforderungen an die Infrastruktur sowie das Mehr- und Fremdbesitzverbot geschaffen. Daher wird vor allem der Markt für verschreibungspflichtige Medikamente konserviert. Insbesondere § 4 „Beschaffung, Größe, Einrichtung der Apothekenbetriebsräume“ der Apothekenbetriebsordnung enthält restriktive Bestimmungen, die hohe versunkene Kosten implizieren, die bei Markteintritt erforderlich sind und bei Marktaustritt verloren gehen.

Seit Ende Juni 2010 liegt ein erster inoffizieller Entwurf für eine Änderung der Apothekenbetriebsordnung durch das Bundesministerium für Gesundheit vor. Diese sieht nach einem nicht autorisierten Entwurf entgegen der Einschätzungen der Monopolkommission eine Verschärfung der Anforderungen an Betriebsräume und Ausrüstungen von Apotheken vor.26

Fremd- und Mehrbesitzverbot

Das Mehr- und Fremdbesitzverbot ist wettbewerbspolitisch nicht gerechtfertigt. Versandapotheken, die diese Beschränkung umgehen, sind auf Pick-up-Stellen angewiesen. Werden Abholstellen für Arzneimittel verboten (wie im Koalitionsvertrag vorgesehen), wird der Wettbewerbsdruck auf stationäre Apotheken verringert.

Wenn Apothekenketten erlaubt wären, unterlägen sie dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Diese müssten – würden sie liberalisiert – nach Aufhebung der staatlichen Beschränkung durch die Kartellämter und die Monopolkommission beobachtet werden. Es ist demnach Aufgabe der wettbewerbspolitischen Träger die Zusammenschluss- und Missbrauchskontrolle nach einer Legitimierung des Mehrbesitzes konsequent anzuwenden.

Das Fremdbesitzverbot sollte aufgehoben und dadurch eingeschränkt werden, dass jede Apotheke durch einen approbierten Pharmazeutiker eigenverantwortlich geführt werden muss. Apotheker könnten dann Kapitalbeteiligungen von Nichtapothekern nutzen, um die hohen Ausstattungs-Kosten zu finanzieren. Beschränkungen des Gesetzgebers auf die Rechtsform eines Einzelhandels- oder Personenunternehmens werden mit der persönlichen bzw. gesamtschuldnerischen Haftung begründet. Die gesetzliche Pflicht zum Abschluss einer Haftungsversicherung würde aber genügen, um mögliche Schadensersatzansprüche zu bedienen.27

  • 1 Vgl. Monopolkommission: 16. Hauptgutachten (2004/2005) gemäß § 44 Abs. 1 – Mehr Wettbewerb auch im Dienstleistungssektor, Bonn 2006, S. 412 ff.; und Monopolkommission: 18. Hauptgutachten (2008/2009) gemäß § 44 Abs. 1 – Mehr Wettbewerb, wenig Ausnahmen, Bonn 2010, S. 9 ff.
  • 2 Vgl. §§ 15 f. Apothekengesetz (ApoG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Oktober 1980 (BGBl. I S. 1993), zuletzt geändert durch Artikel 16a des Gesetzes vom 28. Mai 2008 (BGBl. S. 874).
  • 3 Vgl. §§ 43 ff. Arzneimittelgesetz (AMG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3394), zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 28. September 2009 (BGBl. I S. 3172, (3578)).
  • 4 Vgl. Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände: Jahresbericht 2008/2009, Berlin 2009, S. 40 ff.; und Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände: Zahlen und Fakten, veröffentlicht unter: http://www.abda.de/zdf.html (Stand: 22.9.2010), Berlin 2010.
  • 5 Vgl. Bundesvereinigung deutscher Versandapotheken: Zugelassene Versandapotheken, veröffentlicht unter: http://bvdva.de/zugelassene-versandapotheken.html (Stand: 22.9.2010), Salzkotten 2010.
  • 6 Vgl. Monopolkommission: 18. Hauptgutachten, a.a.O., S. 11.
  • 7 Vgl. ebenda.
  • 8 Vgl. Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände: Jahresbericht 2008/2009, a.a.O., S. 40 ff.; und Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände: Zahlen und Fakten.
  • 9 Vgl. Statistisches Bundesamt Deutschland: Statistisches Jahrbuch 2009, Wiesbaden 2009, S. 28 f.; und Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände: Zahlen und Fakten.
  • 10 Vgl. ebenda.
  • 11 Vgl. Monopolkommission: 18. Hauptgutachten, a.a.O., S. 12.
  • 12 Vgl. Apothekerkammer Niedersachsen: Haftung, veröffentlicht unter: http://www.apothekerkammer-niedersachsen.de/cms/recht/berufsrecht-von-a-z/werbe-abc/h.html, Hannover 2010.
  • 13 Vgl. J. Bungenstock: Gesundheitsreform: Mehr Wettbewerb auf dem Markt für Arzneimittel?, in: Wirtschaftsdienst, 87. Jg. (2007), H. 10, S. 679-686.
  • 14 Bei Inanspruchnahme von Apothekenleistungen in der Zeit von 20 bis 6 Uhr oder an Sonn- und Feiertagen dürfen die Apotheken nach § 6 Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) einen Sonderzuschlag von 2,50 Euro zuzüglich der gesetzlichen Mehrwertsteuer erheben. Diese Preisbindung kann nur durch eine gemeinschaftliche Entscheidung des Bundesgesundheits- und Bundeswirtschaftsministers mit Zustimmung des Bundesrates geändert werden. Vgl. Monopolkommission: 18. Hauptgutachten, a.a.O.; und §§ 1-7 Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV), in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. November 1980 (BGBl. I S. 2147), zuletzt geändert durch Artikel 7 und 7d des Gesetzes vom 17. Juli 2009 (BGBl. I S.1990).
  • 15 Vgl. Deutsches Ärzteblatt: Rezeptfreie Medikamente preiswerter, veröffentlicht unter: http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?id=45819 (Stand: 22.9.2010), Köln 2005.
  • 16 Vgl. Monopolkommission: 18. Hauptgutachten, a.a.O., S. 16.
  • 17 Vgl. Monopolkommission: 16. Hauptgutachten, a.a.O., S. 413-418.
  • 18 Vgl. Monopolkommission: 18. Hauptgutachten, a.a.O., S. 12.
  • 19 Vgl. ebenda, S. 16.
  • 20 Vgl. W. von Petersdorff: Gesundheitspolitik „Es gibt viel zu viele Apotheker“, Interview mit dem Apotheker L. Schenck in FAZ.NET vom 19.7.2010, veröffentlicht unter: http://www.faz.net/-01dnzq (Stand: 22.9.2010), Frankfurt/Main 2010.
  • 21 Vgl. Informationsdienst Medizinrecht/Ciper: Arzthaftung bei Arzneimittelbehandlung: Was ist bei der Risikoaufklärung zu beachten?, veröffentlicht unter: http://arzneimittelhaftung.org (Stand: 22.9.2010), Düsseldorf 2010.
  • 22 § 17 III Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO), in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. September 1995 (BGBl. S. 1195), zuletzt geändert durch Artikel 2 der Verordnung vom 2. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2338).
  • 23 Vgl. Monopolkommission: 16. Hauptgutachten, a.a.O., S. 416 ff.
  • 24 Vgl. ebenda, S. 419.
  • 25 Vgl. J. Bungenstock, a.a.O., S. 680.
  • 26 Vgl. Internetportal der Deutschen Apotheker-Zeitung: ApBetrO: Ministerium: Noch nicht autorisiert, veröffentlicht unter: http://www.deutsche-apotheker-zeitung.de (Stand: 21.9.2010), Stuttgart 2010.
  • 27 Vgl. Monopolkommission: 18. Hauptgutachten, a.a.O., S. 18 f.

Beitrag als PDF


DOI: 10.1007/s10273-011-1192-z