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Die Schattenwirtschaft wird in Deutschland regelmäßig sehr hoch geschätzt. Diese Makroschätzungen lassen sich jedoch mit den viel niedrigeren Mikroschätzungen nicht in Einklang bringen. Fraglich ist, ob aufgrund der Fehleinschätzung der Schattenwirtschaft teure Kontrollinstrumente geschaffen wurden, die mehr schaden als nutzen.

In der Presse dominieren sehr hohe Schätzwerte für die Schattenwirtschaft in Deutschland und anderen OECD-Ländern. Es sind Makroschätzungen, die in den letzten Jahren Regierungen dieser Länder stark beeinflussten, u.a. auch das deutsche Finanzministerium, das 2006 einen angenommenen Schaden durch Schattenwirtschaft in Höhe von 70 Mrd. Euro p.a. veröffentlichte. Diese hohen Werte sind aber von Annahmen abhängig, die fragwürdig sind. Und die hohen Werte stehen im Gegensatz zu den niedrigen Schätzwerten von Mikrountersuchungen (z.B. Befragungen). Dennoch haben sich Erstere durchgesetzt und führten in einigen OECD-Ländern zu einer Tendenz zunehmender Kontrollen und Strafen. In Deutschland gibt es seit 2004 eine flächendeckend arbeitende Sonderpolizei „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“, deren Erträge und Kosten vom Rechnungshof kritisch untersucht wurden. Es stellen sich vor allem drei Fragen: Angenommen, das Ausmaß der Schattenwirtschaft wäre tatsächlich so groß, ist dann eine Politik zunehmender, teurer Kontrollen und höherer Strafen sinnvoll oder gäbe es vielleicht sogar bessere Alternativen? Wie sind die Annahmen derjenigen Makroschätzungen zu beurteilen, die relativ zu den Mikrountersuchungen so hohe Schätzwerte liefern? Und gibt es Plausibilitätsüberlegungen, die erlauben, die niedrigen Mikro- und hohen Makroschätzungen zu beurteilen?

Neue Ergebnisse der Einflüsse auf die Schattenwirtschaft

Um die beiden erstgenannten Fragen beantworten zu können, wurde eine makroökonomische Analyse durchgeführt u.a. mit dem Ziel, die potentiellen Einflüsse auf die Schattenwirtschaft möglichst im Detail neu zu testen.1 Es wurden ca. 150 zu testende Variablen gesammelt, und in einer Systematik mit sieben Hauptkategorien geordnet (vgl. Box 1). Der Begriff Schattenwirtschaft wird in Box 2 erläutert. Die Analyse umfasst die OECD und die osteuropäischen EU-Länder. Sie bezieht sich auf den Zeitraum seit 1991 mit Jahresdaten, weil viele der benutzten Indikatoren frühestens ab Anfang der 90er Jahre verfügbar sind.

Box 1
Einflüsse auf die Schattenwirtschaft (7 Kategorien)
  1. Staatsverfassung, einschließlich Elemente direkter Demokratie
  2. Belastung mit Steuern und Sozialabgaben, Komplexität des Steuersystems
  3. Administrative Belastung, einschließlich administrativer Belastung des Außenhandels
  4. Qualität der Verwaltung und des Justizsystems
  5. Ökonomische Institutionen
    • Eigentumsrechte,
    • Vertragsrecht,
    • Arbeitsmarktregulierung und -charakteristika,
    • Kontrollen und Bestrafung,
    • Bildungssystem,
    • Innovationspotential
  6. Werte/Moralvorstellungen
    • Sozialkapital,
    • Steuermoral,
    • Religion,
    • soziale Normen und Interaktionen,
    • Korruption
  7. Sonstige Einflüsse und subjektive Faktoren
    • Qualität und Quantität öffentlicher Güter und Dienste und Effizienz ihrer Erstellung (ohne Justiz),
    • Qualität der Repräsentanten des Staates,
    • Qualität der Repräsentanten von Unternehmen (Vorstände, Aufsichtsräte),
    • Subjektive Beurteilungen und Erwartungen (Zufriedenheit mit Steuersystem, Sozialsystem, Entlohnung, Behandlung der Steuerzahler durch Steuerbehörden, Einkommensungleichheit etc.),
    • Dezentralisierung wirtschaftspolitischer Entscheidungen,
    • Kriminalität,
    • Einfluss von Frauen,
    • Alterung,
    • Bevölkerungsstruktur,
    • Globalisierung, etc.

Quelle: eigene Darstellung.

Box 2
Zur Definition der Schattenwirtschaft

Schattenwirtschaft ist einer von drei Bereichen des Gesamteinkommens:

  • legale Markttransaktionen (offizielles BIP, d.h. Umsätze die besteuert oder offiziell unbesteuert sind),
  • illegale Transaktionen (Schattenwirtschaft) und die
  • Haushaltsproduktion (Eigenproduktion).

Bei der hier berichteten Analyse bestimmt allerdings die gewählte Methode (Bargeldansatz) die Definition der Schattenwirtschaft: Mit dieser Methode können definitionsgemäß nur solche Umsätze geschätzt werden, die mit Bargeld abgewickelt werden, was vermutlich für die meisten Umsätze zutrifft, um die Entdeckungswahrscheinlichkeit zu minimieren.

Quelle: Vgl. H.-G. Petersen et al.: Shadow Economy, Tax Evasion, and Transfer Fraud – Definition, Measurement and Data Problems, in: International Economic Journal, 24. Jg. (2010), Nr. 4, S. 421-442.

Die Ergebnisse einer Robustheitsanalyse, die auf den Regressionsergebnissen von drei Schätzverfahren basiert, wurden zusammengefasst und ein Ranking der als robust identifizierten Einflüsse in drei Übersichtstabellen für die Bereiche „Abgabenbelastung“ (fiskalische Indikatoren), „Arbeitsmarkt“ und „sonstige institutionelle Charakteristika, Werte und subjektive Einflüsse“ vorgestellt.2

Bisher wurde oft davon ausgegangen, dass die Abgabenbelastung, administrative Hemmnisse und die Arbeitsmarktregulierung die drei bedeutendsten Ursachen für Schattenwirtschaft sind. Unklar war, wie relativ bedeutend diese Einflüsse sind und ob es eventuell andere noch bedeutendere gibt. Und völlig unberücksichtigt blieb bisher, wie hoch der Anteil der Kriminalität an der Schattenwirtschaft ist. In der folgenden Analyse konnte als Indikator für Schattenwirtschaft wegen der Datenverfügbarkeit und Qualität allerdings nur die Variable Bargeld benutzt werden, die aus technischen Gründen in Relation zur Geldmenge M2 gesetzt wurde. Es wird also der Bargeldansatz benutzt. Aus Platzgründen sei bezüglich der Erläuterung der Methodik einschließlich der Definition für Robustheit auf das zugrunde liegende Diskussionspapier verwiesen.3

Abgabenbelastung

Gemäß Tabelle 1 sind mehrere umfassend definierte Variablen der Abgabenbelastung statistisch signifikant und robust, und zwar mit dem erwarteten positiven Effekt auf die Schattenwirtschaft. Interessanterweise stehen im Ranking der Robustheit die Indikatoren für Subventionen und Transfers ganz oben, die Sozialabgaben und der sogenannte Steuerkeil für private Haushalte, d.h. ihre Gesamtbelastung mit allen Steuern und Abgaben, also auch die Belastung mit Mehrwertsteuer und Sozialabgaben. Dies deutet darauf hin, dass es für die Wirtschaftssubjekte weniger bedeutend ist, welche Abgabe sie zahlen, als wie hoch ihre Gesamtbelastung ist. Der Steuerkeil ist robust unabhängig davon, ob er als marginale oder als durchschnittliche Belastung berechnet wurde. In der Spitzengruppe stehen auch die Abgaben auf den internationalen Handel.4 Die vier Indikatoren haben für indirekte Steuern zwar einen positiven, aber nicht robusten Effekt.5 Darüber hinaus steht auch die relative Größe des Staates in robust positiver Beziehung zur Schattenwirtschaft.

Tabelle 1
Ranking fiskalischer Indikatoren nach der Robustheit ihrer Beziehung zur Schattenwirtschaft1
Indikator Durchschnittlicher Beta-Koeffizient Rang
Zölle und Importabgaben (in % des BIP), OECD 0,370 1
Subventionen und andere Transfers (in % der Ausgaben), WDI, Weltbank 0,365 2
Sozialabgaben (Durchschnitt der Betawerte der Sozialabgaben der Arbeitgeber und Arbeitnehmer), OECD 0,363 3
Steuern auf internationalen Handel (in % des BIP), Fraser 0,327 4
Subventionen (in % des BIP), OECD 0,310 5
„Steuerkeil“ einschließlich Sozialabgaben (durchschnittl. Rate aller Einkommens- und Familientypen, in %), OECD 0,306 6
Steuern und Transfers und Subventionen (% des BIP), Fraser (sinkender Wert => höherer Indikator) -0,299 7
Steuerkeil (marginale Rate; 2 Verdiener verheiratetes Paar), OECD 0,268 8
Steuerkeil (durchschnittliche Rate; 2 Verdiener verheiratetes Paar), OECD 0,266 9
Größe des Staatssektors, Fraser (geringere Größe => höherer Indikatorwert) -0,226 10
Quellensteuer auf nominale Zinseinkommen (Dummy), eigener Indikator -0,222 11
Steuer und Sozialabgabenbelastung (% des BIP), OECD 0,211 12
Steuerkeil (marginale Rate für den Durchschnitt aller Einkommens- und Familientypen in %), OECD 0,196 13
Größe des Staatssektors, Heritage (geringere Größe => höherer Indikatorwert) -0,177 15
Höchster marginaler Unternehmenssteuersatz, OECD -0,169 17
Gesamte Steuereinnahmen (% des BIP), OECD 0,163 18
Nachrichtlich2:    
Gesamte direkte Steuern (% des BIP), OECD -0,194 14
Sozialabgaben (% des BIP), OECD 0,176 16
Gesamteinnahmen des Staates (% des BIP), OECD 0,139 19
Steuerkeil (marginale Rate; Einzelperson mit 167% des durchschnittlichen Einkommens, kein Kind), OECD 0,136 20
Ausmaß und Wirkungen der Besteuerung, WEF (geringere Verzerrung => höherer Indikatorwert) 0,116 21
Steuern auf Güter und Dienstleistungen, OECD 0,071 22
Umsatzsteuern und Verbrauchsabgaben (% des BIP), OECD 0,067 23
Indirekte Steuern (% des BIP), OECD 0,032 24

1 Das Ranking basiert auf der quantitativen Bedeutung der Indikatoren gemessen am durchschnittlichen Beta-Koeffizienten der jeweiligen OLS-, 2SLS- und GMM-Schätzungen. Es wurden nur Indikatoren mit konsistent geschätztem Vorzeichen berücksichtigt. Ein Beta-Koeffizient <1 repräsentiert die geschätzte Änderung der Schattenwirtschaft in Standardabweichungseinheiten. Ein Beta-Koeffizient von 0,5 bedeutet, dass die Veränderung der unabhängigen Variable um eine Standardabweichungseinheit, eine halbe Standardabweichungseinheit der Schattenwirtschaftsvariable nach sich zieht.

2 Ausgewählte Indikatoren, die sich nicht als robust erwiesen (gemäß der gewählten Definition).

Quellen: WVS: World Value Survey, WEF: World Economic Forum, TI: Transparency International, WDI: World Bank Development Indicators, WBGI: World Bank Governance Indicatos, ICRG: International Credit Risk Guide der Political Risk Services Group, OECD: Organization for Economic Cooperation and Development, IFC: International Finance Corporation, Polity: University of Maryland, Datensatz zur Bewertung politischer Systeme; eigene Schätzungen.

Arbeitsmarkt

Die Tabelle 2 bestätigt auch mehrere plausible Erwartungen zu den Arbeitsmarktindikatoren: Zu den wichtigsten robusten positiven Einflüssen auf die Schattenwirtschaft gehören die Arbeitslosigkeit und die vom Arbeitsmarkt enttäuschten Arbeitnehmer. Ebenfalls positiv ist die statistische Beziehung zwischen den drei umfassend abgegrenzten Indizes für den Grad der Arbeitsmarktregulierung und der Schattenwirtschaft. Zwei dieser drei Indizes sind robust. Dies bestätigt theoretische Überlegungen, weil größere Arbeitsmarktflexibilität tendenziell die offizielle Beschäftigung fördern kann und weniger Druck bestehen mag, gerade auch bei weniger Qualifizierten, inoffiziell zu arbeiten. Allerdings lässt sich diese Aussage komplizieren, weil die Gesamtindizes aus mehreren Arbeitsmarktcharakteristika bestehen und wenige davon ein der genannten Gesamtbeziehung widersprechendes Vorzeichen haben: z.B. zeigt der Indikator „Kosten für den Arbeitgeber bei Entlassungen“, der Teil des Gesamtindikators für die Rigidität des Arbeitsmarktes ist, eine robust negative Beziehung zur Schattenwirtschaft. Das heißt, wenn diese Kosten steigen, sinkt tendenziell die Schattenwirtschaft.6

Tabelle 2
Ranking von Arbeitsmarktindikatoren nach der Robustheit ihrer Beziehung zur Schattenwirtschaft1
Indikator Durchschnittlicher Beta-Koeffizient Rang
„Gefährdete“ Beschäftigung2, WDI, World Bank -0,463 1
Entmutigte Arbeitnehmer (% der Erwerbsbevölkerung), weiblich, OECD 0,301 2
Erwerbsquote, OECD 0,285 3
Arbeitslosenquote, OECD 0,282 4
Entlassungskosten, Fraser, (niedrige Kosten => höherer Indikatorwert) 0,270 5
Entmutigte Arbeitnehmer (% der Erwerbsbevölkerung), männlich, OECD 0,260 6
Arbeitsmarktrigidität, Index, Rama, Artecona 0,250 7
Mitbestimmungsrechte, Index auf Basis der Angaben des ETUI 0,246 8
„Freiheit am Arbeitsmarkt“, Heritage, (mehr „Freiheit“ => höherer Indikatorwert) -0,217 9
Arbeitslosenunterstützung in erster Phase (durchschnittl. Nettorate in %), OECD 0,154 11
verlorene Werktage aufgrund von Arbeitskonflikten, Rama, Artecona 0,123 12
Nachrichtlich3:    
Gewerkschaftsmitgliedschaft, Rama, Artecona 0,168 10
Flexibilität der Lohnbildung, WEF (größere Flexibilität => höherer Indikatorwert) 0,098 13
Enge der Lohnbindung an die Arbeitsproduktivität, WEF 0,079 14
Arbeitsmarktregulierungen, Fraser, (größere Flexibilität => höherer Indikatorwert) -0,071 15
Weiterbildungsausgaben für Arbeitslose (% des BIP), OECD 0,068 16
Gewerkschaftsmitgliedschaft (% der Arbeitnehmer), OECD 0,064 17

1 Das Ranking basiert auf der quantitativen Bedeutung der Indikatoren gemessen am durchschnittlichen Beta-Koeffizienten der jeweiligen OLS-, 2SLS- und GMM-Schätzungen. Es wurden nur Indikatoren mit konsistent geschätztem Vorzeichen berücksichtigt.

2 „Gefährdete Beschäftigung“ ist definiert als unbezahlte Arbeit von Familienmitgliedern und unabhängig arbeitenden Arbeitnehmern in % der Gesamtbeschäftigung.

3 Ausgewählte Indikatoren, die sich nicht als robust erwiesen.

Quellen: Eigene Schätzungen; M. Rama, R. Artecona: A Database of Labor Market Indicators across Countries, Manuscript World Bank, Washington 2002; ETUI: European Trade Union Institute, Brüssel, www.etui.org.; WEF: World Economic Forum, Global Competitiveness Report, various issues, www.weforum.org; Fraser Institute.

Eine weitere robust positive und plausible Beziehung besteht zwischen der Arbeitslosenunterstützung in der ersten Phase der Arbeitslosigkeit und der Schattenwirtschaft. Dagegen ist der positive Zusammenhang mit der längerfristig gewährten Arbeitslosenunterstützung nicht robust. Die erstgenannte Beziehung kann darauf hindeuten, dass während der anfänglichen Arbeitslosenunterstützung inoffizieller Tätigkeit nachgegangen wird. Allerdings zeigen Stichprobenprüfungen für Deutschland, dass ein solcher Missbrauch nur marginal zu sein scheint. Der an 12. Stelle stehende robuste und ebenfalls positive Einfluss „Verlust von Arbeitstagen“ zeigt, dass Arbeitskonflikte Schattenwirtschaft tendenziell fördern, was auch ohne theoretisches Modell intuitiv plausibel ist.

Bei dem Versuch aus diesen Ergebnissen politische Implikationen abzuleiten, sollten mehrere Punkte beachtet werden: Der insgesamt vorliegende Grad der Arbeitsmarktflexibilität sollte zunächst berücksichtigt werden, denn je höher er ist, umso geringer sind tendenziell die Effekte einer eventuellen Arbeitsmarktliberalisierung auf die Schattenwirtschaft.7 Die Bedingungen des einzelnen Landes sollten beachtet werden, weil die Änderung eines Charakteristikums am Arbeitsmarkt Rückwirkungen auf andere Charakteristika und andere Bereiche haben kann. Auch weist der Vergleich der Beta-Koeffizienten der drei Tabellen für die Abgabelast, den Arbeitsmarkt und den großen Bereich der im Folgenden diskutierten sonstigen Einflüsse darauf hin, dass der quantitative Einfluss der Arbeitsmarktindikatoren auf die Schattenwirtschaft tendenziell geringer ist als derjenige der Abgabeindikatoren und deutlich geringer als der Einfluss der sonstigen Indikatoren.

Sonstige institutionelle Charakteristika, Werte und subjektive Einflüsse[7]

Tabelle 3 deckt den großen Bereich aller sonstigen Einflüsse ab, die hier stark zusammengefasst sind. Die Tabelle macht vor allem eins deutlich: die Ergebnisse stimmen überein mit der jüngeren theoretischen und empirischen Literatur zur:

  • Bedeutung von Korruption,8
  • Bedeutung sozialer Interaktionen,9
  • Reziprozität im Verhalten der Wirtschaftssubjekte,10
  • „Zufriedenheit“ („Happiness“ bzw. „Glück“) mit dem damit verbundenen Vorschlag (von Joseph Stiglitz und der französischen Regierung an die G-24-Länder), das Konzept des Bruttoinlandproduktes (BIP) zu erweitern um Indikatoren der Zufriedenheit der Wirtschaftssubjekte (Nationaler Wohlfahrtsindex),11
  • Beziehung zwischen Steuerehrlichkeit und Elementen direkter Demokratie,12
  • Bedeutung von Institutionen für eine erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung.13 Es wurde z.B. argumentiert, dass Eigentumsrechte („property rights“) wichtiger für den wirtschaftlichen Erfolg eines Landes sind als die Art der gewährten Vertragsrechte („contract law“).
Tabelle 3
Ranking der Robustheit von Indikatoren sonstiger institutioneller Charakteristika und subjektiver Faktoren bezüglich Schattenwirtschaft1
Gruppenzugehörigkeit des jeweiligen Indikators Indikator Durchschnittlicher Beta- Koeffizient Rang
Korruption Ausmaß politischer Korruption, WVS (höhere empfundene Korruption => höherer Wert) 0,613 1
Zufriedenheit und Erwartungen Zufriedenheit und „Glück“, WVS (höherer Zustimmung => höherer Indikatorwert) -0,500 2
Qualität des Justizsystems Unabhängigkeit der Justiz, WEF (höherer Unabhängigkeit => höherer Indikatorwert) -0,381 5
Ökonomische Institutionen Eigentumsrechte, Heritage -0,377 6
Qualität der Staatsrepräsentanten Günstlingswirtschaft in Regierungen, WEF (weniger Begünstigungen => höherer Wert) -0,358 8
Qualität der Verwaltung Kontrolle von Korruption, WBGI -0,354 9
Sozioökonomische Bedingungen Sozioökonomische Bedingungen -0,353 10
Qualität der Unternehmensrepräsentanten Ethisches Verhalten der Unternehmen, WEF (besser => höherer Indikatorwert) -0,350 13
Administrative Belastung Unternehmensfreiheit, Heritage (mehr „Freiheit“ => höherer Indikatorwert) -0,345 15
Verfassung Rechtsstaatlichkeit, WBGI -0,301 22
Elemente direkter Demokratie Demokratische Rechenschaftspflicht, ICRG -0,290 24
Werte/Moral Regierung sollte mehr individuelle Freiheit geben, WVS (mehr Zustimmung => höherer Wert) 0,278 26
Quantität and Qualität öff. Güter Irreguläre Zahlungen bei Exporten und Importen, WEF (weniger Irregularität => höherer Wert) -0,277 27
Alterung Alterung: Verhältnis der Älteren zu Personen im arbeitsfähigen Alter, WDI 0,271 28
Kriminalität Organisierte Kriminalität, WEF (geringere Kosten => höherer Indikatorwert) -0,269 30
Bestrafung Zahl der Gefangenen/Bevölkerung in 100 000 0,257 33
Verwaltungslast bei intern. Handel Freiheit für internationalen Handel, Heritage -0,214 42
Dezentralisierung Dezentralisierung wirtschaftspol. Entscheidungen, WEF (mehr dezentral => höherer Wert) 0,207 45
Steuerkontrollen Überprüfungen der Steuerpflichtigen durch Steuerbehörden, OECD 0,186 48
Komplexität des Steuersystems Komplexität des Steuersystems: Steuerzahlungen (Zahl), WDI 0,179 49
Bildungssystem Schülerzahl, Sekundärstufe, (% brutto) -0,149 55
Kreditvergabeindikatoren Inländische Kreditvergabe (% des BIP) -0,137 58
Entwicklung von Clustern Ballungszentren, WEF (tief => höherer Wert) -0,117 64

1 Das Ranking basiert auf der quantitativen Bedeutung der Indikatoren gemessen am durchschnittlichen Beta-Koeffizienten der jeweiligen OLS-, 2SLS- und GMM-Schätzungen. Es wurden nur Indikatoren mit geschätztem robusten Vorzeichen berücksichtigt.

Quellen: WVS: World Value Survey, WEF: World Economic Forum, TI: Transparency International, WDI: World Bank Development Indicators, WBGI: World Bank Governance Indicatos, ICRG: International Credit Risk Guide der Political Risk Services Group, OECD: Organization for Economic Cooperation and Development, IFC: International Finance Corporation, Polity: University of Maryland, Datensatz zur Bewertung politischer Systeme; eigene Schätzungen.

Es ist beeindruckend, wie diese Theorien durch die für sie jeweils relevanten Indikatoren in Tabelle 3 bestätigt werden und zwar gemessen sowohl an der Richtung des geschätzten Einflusses auf die Schattenwirtschaft als auch am relativ hohen Rang (Robustheit) der betreffenden Indikatoren: Ihre quantitative Bedeutung ist tendenziell höher als diejenige der Indikatoren der Bereiche Abgabenlast und Arbeitsmarkt: An erster Stelle steht die Korruption, und zwar auch im Vergleich zu den Bereichen Abgabenlast und Arbeitsmarkt.14 Im Fall der Korruption gibt es sechs Indikatoren, die alle einen positiven Zusammenhang anzeigen (höhere Korruption fördert Schattenwirtschaft), wovon fünf einen relativ hohen Rang (< Rang 12) einnehmen.

An zweiter Stelle stehen die Indikatoren für „allgemeine Zufriedenheit“ der Wirtschaftssubjekte (feeling of happiness und satisfaction with life) mit ebenfalls höherer quantitativer Bedeutung als die Belastung mit Abgaben und Arbeitsmarktregulierung. Hierzu darf auch der Indikator „sozioökonomische Bedingungen“ (Rang 10) gezählt werden: Je höher die Zufriedenheit, desto geringer ist die Schattenwirtschaft. Ebenfalls relativ hohe Robustheit haben Indikatoren der Qualität staatlicher Institutionen, ihrer Repräsentanten und die Qualität der Unternehmensrepräsentanten. Mit anderen Worten spielt es eine erhebliche Rolle für die Schattenwirtschaft, wie sich Staats- und Unternehmensvertreter selbst verhalten und als wie effektiv ihr Handeln beurteilt wird. Auch Elemente direkter Demokratie haben einen robusten Einfluss. Mit einem Beta-Wert von 0,29 steht dieser Einfluss an 8. Stelle im Bereich der Abgabenbelastung und an 3. Stelle im Bereich der Arbeitsmarktfaktoren. Dieses Ergebnis ist insofern neu, als bisherige Studien zu dieser Frage sich wegen der dortigen besseren Datenverfügbarkeit vor allem auf die Schweiz konzentrierten. Ihr Ergebnis, dass mehr direkte Demokratie Schattenwirtschaft dämpfen kann, wird hier für den Durchschnitt vieler Länder bestätigt.

Interessant sind auch die Ergebnisse bezüglich der Indikatoren für die Komplexität des Steuersystems, Überprüfungen der Steuerpflichtigen („verification activities“ nach Definition der OECD) und Bestrafung. Alle drei Einflüsse sind aus theoretischer Sicht ambivalent. Unser Ergebnis unter Nutzung der vorhandenen Indikatoren besagt, dass der Zusammenhang jeder dieser drei Einflüsse mit der Schattenwirtschaft robust positiv ist. Also Komplexität des Steuersystems, Überprüfungen der Steuerpflichtigen (nach Definition der OECD) und Bestrafung fördern jeweils die Schattenwirtschaft. Dies ist z.B. plausibel, wenn die Komplexität des Steuersystems, besondere Steuerprüfungen und das Niveau der Bestrafung von den Wirtschaftssubjekten als überzogen oder unfair empfunden werden und deshalb Anreize für inoffizielle Tätigkeit bestehen. Relevant sind hierbei ausschließlich subjektive Einschätzungen der Wirtschaftssubjekte. Nicht relevant sind objektive Analysen etwa des Grades der Komplexität eines Steuersystems. Auch das Bildungssystem sei erwähnt, das Schattenwirtschaft robust dämpft, wenn auch in quantitativ relativ geringem Maß. Diese Ergebnisse können als Bestätigung zweier Hypothesen gewertet werden:

  • Der Einfluss der traditionellen Ursachen für Schattenwirtschaft (Abgabebelastung, administrative Hemmnisse, Arbeitsmarktregulierung) ist offenbar abhängig von einer Vielzahl anderer Faktoren.
  • Hält man die Schattenwirtschaft für ein Problem, könnte man sie relativ „gut“ beeinflussen über eine Vielzahl staatlicher Maßnahmen auch ohne Senkung der Abgabenbelastung und/oder eine Deregulierung des Arbeitsmarktes. Die Maßnahmen müssten „lediglich“ die genannten subjektiven Faktoren und Bewertungen verbessern.

Die Ergebnisse erlauben die Aufstellung eines Katalogs wirtschaftspolitischer Maßnahmen als mögliche Alternativen zu intensiveren Kontrollen und höheren Strafen zur Beeinflussung der Schattenwirtschaft.15

Ausmaß der Schattenwirtschaft in Industrieländern

Auch eine Quantifizierung der Schattenwirtschaft ist auf Grundlage der Ergebnisse möglich. Diese sind extrem empfindlich bezüglich der notwendigen Annahme der Umlaufgeschwindigkeit V des in der Schattenwirtschaft benutzten Bargeldes.16 Zur Quantifizierung der Schätzergebnisse des Bargeldansatzes ist die Annahme einer Einkommensumlaufgeschwindigkeit (V = BIP/jeweils angenommene Geldmenge) des in der Schattenwirtschaft benutzten Bargeldes erforderlich, weil das geschätzte Bargeldvolumen (das in der Schattenwirtschaft benutzt wird) mit diesem V multipliziert werden muss, um das BIP der Schattenwirtschaft zu erhalten. Die hohe Empfindlichkeit der Ergebnisse bezüglich dieser Annahme erfordert eine Diskussion von V, insbesondere der jeweils verwendeten Geldmengenabgrenzung. Sofern überhaupt eine genaue Angabe erfolgt, wird teilweise für dieses V angenommen, dass es so hoch ist, wie die Umlaufgeschwindigkeit des Bargeldes in der offiziellen Wirtschaft (V = offizielles BIP/Bargeld). V ist dann relativ hoch. Obwohl dies auf den ersten Blick plausibel erscheinen mag, vernachlässigt dies die sehr geringe und stetig weiter abnehmende Bedeutung von Bargeld in der offiziellen Wirtschaft: In vielen Industrieländern liegt der Anteil des Bargeldes an der breit definierten Geldmenge (M3) unter 5%! Das heißt die Rolle des Bargeldes bei der Einkommensentstehung wird mit dieser „Eins zu Eins“ Annahme stark überschätzt und diese Überschätzung direkt übertragen auf die geschätzte Höhe der Schattenwirtschaft.17 In dem zugrundeliegenden Diskussionspapier wird erläutert, dass eine relativ niedrige Umlaufgeschwindigkeit besser begründbar ist als eine relativ hohe, u.a. weil die Bedeutung des Bargeldes in der offiziellen Wirtschaft sehr gering ist und stetig weiter abnimmt.

Ergebnistabelle 4 basiert auf der Annahme eines relativ moderaten V (Benutzung des Geldaggregats M2) als Durchschnitt für Industrieländer. Die Ergebnisse der Tabelle 4 sind illustrativ: keine Makroschätzung kann vorgeben, eine bestimmte Höhe der Schattenwirtschaft sei wissenschaftlich abzuleiten. Hier wird lediglich gesagt, dass bei der Wahl eines bestimmten V, das für plausibler gehalten wird als ein relativ hohes V, Ergebnisse entstehen, die mit denen der breiten Mikro-Evidenz vereinbar sind. Darüber hinaus ergibt sich unter Nutzung des Kriminalitätsindexes „Organisierte Kriminalität“ des „World Economic Forum“ erstmalig eine Schätzung des Anteils der „kriminellen“ Aktivität an der Schattenwirtschaft, die hiernach im Durchschnitt der Industrieländer 50% der gesamten Schattenwirtschaft beträgt und für Deutschland 45%.18 Das heißt der Teil der Schattenwirtschaft, der aus wirtschaftspolitischer Sicht besonders interessant ist, weil er gegebenenfalls mittels geeigneter Reformen „legalisierbar“ wäre, betrüge nach dieser Schätzung – mit der betonten Empfindlichkeit bezüglich der Annahme für V – lediglich 1,3% des offiziellen BIP. Dies ist identisch mit dem bekannten Befragungsergebnis der Rockwool Stiftung für Deutschland.19

Tabelle 4
Simulation der Größe der Schattenwirtschaft für Industrieländer und Südkorea1
in % des offiziellen BIP, wenn nicht anders angegeben
  Nicht kriminalitäts­bezogene Schatten­wirtschaft kriminalitäts­bezogene Schatten­wirtschaft gesamte Schatten­wirtschaft Anteil der „kriminalitäts­bezogenen“ SW an gesamter SW in %
Belgien 1,8 1,2 2,9 40
Dänemark 0,0 0,3 0,3 100
Deutschland 1,3 1,0 2,3 45
Finnland 0,6 0,2 0,8 30
Frankreich 0,5 0,8 1,3 61
Griechenland 1,5 1,9 3,3 56
Irland 2,2 1,4 3,6 39
Island 0,9 0,3 1,2 25
Italien 1,4 2,5 3,9 64
Japan 2,3 3,3 5,7 59
Luxemburg 1,0 0,8 1,8 46
Niederlande 1,5 2,1 3,6 57
Norwegen 1,1 0,5 1,7 33
Österreich 0,9 0,6 1,6 40
Portugal 2,4 1,0 3,4 28
Schweden 0,9 0,6 1,5 39
Schweiz 0,7 0,9 1,6 59
Spanien 1,3 1,4 2,7 51
Südkorea 1,9 2,1 3,9 53
USA 0,7 1,9 2,6 74
Großbritannien 1,5 1,6 3,0 52

1 Annahme für die Umlaufgeschwindigkeit des in der Schattenwirtschaft (SW) benutzten Bargeldes: durchschnittliche M2-Umlaufgeschwindigkeit für Industrieländer: 1,48.

Quelle: eigene Berechnungen.

Mikro-Evidenz und Plausibilitätsrechnungen

Die Mikro-Evidenz durch Befragungen, umfassende Überprüfungen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung durch Statistikämter „item by item“ (z.B. in Kanada), detaillierte Plausibilitätsrechnungen und die deutschen Ergebnisse der flächendeckend arbeitenden Sonderpolizei „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ zeigen unisono, dass die Schattenwirtschaft in Industrieländern relativ niedrig ist, d.h. sie beträgt maximal wenige Prozent des offiziellen BIP.20 Zu den Befragungsergebnissen ist anzumerken, dass sie teilweise bereits mit fragwürdigen Annahmen erhöht wurden: „Trotz der extensiven Hochrechnung ihrer Ergebnisse gelangen Feld und Larsen21 nur zu einem BIP-Anteil der Schwarzarbeit von 1%. Die von ihnen errechneten 3% des BIP sind dem Umstand zuzuschreiben, dass sie gegen jede ökonomische Logik annehmen, die Schwarzarbeit könnte auch zum Dreifachen des Schwarzarbeitspreises in der offiziellen Wirtschaft stattfinden. Es gibt aber Budgetrestriktionen. Insgesamt umschreibt daher der Ansatz von Feld und Larsen nicht eine Untergrenze, sondern eine Höchstgrenze des Schwarzarbeitsvolumens in Deutschland.“22

Darüber hinaus wurde in der Literatur bereits sorgfältig und detailliert begründet, warum Hinzurechnungen zu den niedrigen Mikro-Schätzungen, die bezwecken, die niedrigen Mikroschätzungen mit hohen Makroschätzungen vereinbar zu machen, nicht zutreffen können.23 Weiterhin erfolgen inzwischen auch Berichtigungen (massive Korrekturen nach unten) von früher veröffentlichten hohen Makroschätzungen der Schattenwirtschaft, z.B. von C. Bajada für Australien.24 Das niedrige Niveau der Schattenwirtschaft in Industrieländern wird auch unterstrichen, wenn man den kriminalitätsbezogenen Teil herausrechnet, was bisher in Makro-Schätzungen nicht geschah.

Schließlich liefert die flächendeckend arbeitende „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ wichtige Indizien bezüglich des Volumens der Schattenwirtschaft: mit ca. 7000 Beamten zu Kosten von ca. 500 Mio. Euro pro Jahr hat diese Sondereinheit trotz hoher Kontrollintensität aufgrund von Vorgaben nur ein sehr geringes Ergebnis an aufgeklärter schattenwirtschaftlicher Aktivität aufzuweisen. Die nach Angaben dieser Einheit gefundene Schadensumme einschließlich Bußgelder beträgt unter 0,25% des BIP (ca. 600 Mio. Euro p.a.). Die nach Bußgeldverfahren veranlassten Straf- und Nachzahlungen betragen sogar nur ca. 60 Mio. Euro p.a., wovon nur ein Bruchteil tatsächlich eingetrieben wird, also weit weniger als 0,025% des BIP p.a. Dieses Missverhältnis zwischen Erträgen und Kosten dieser Sondereinheit führte zu Aufforderungen des Bundesrechnungshofes an das Finanzministerium, den Nutzen der Sondereinheit objektiv zu prüfen.25 Dabei sollten die wahren ökonomischen Kosten dieser Einheit nicht nur die bisher auch vom Bundesrechnungshof vernachlässigten Kosten für Justiz und Verwaltung der angezeigten, aber später zurückgewiesenen Verdachtsfälle enthalten, sondern auch mögliche adverse Effekte auf die Steuerehrlichkeit der Wirtschaftssubjekte. Die möglicherweise erzielte Abschreckung und Dämpfung der Schattenwirtschaft durch diese Einheit konnte bisher empirisch nicht belegt werden, was ebenfalls konsistent ist mit den Mikroergebnissen einer geringfügigen Schattenwirtschaft.26 Falls es eine dämpfende Wirkung gäbe, müsste sie auch in den Makroschätzungen der Schattenwirtschaft nach 2004 bereits enthalten sein.

Der vom Bundesministerium der Finanzen (BMF) vermutete Einnahmeverlust des Staates und seiner Sozialsysteme infolge schattenwirtschaftlicher Aktivitäten in Höhe von 70 Mrd. Euro p.a. konnte also trotz mehrjähriger intensiver Kontrollbemühungen nicht verifiziert werden. Selbst wenn die Schattenwirtschaft 15-16% des BIP betragen würde, bedeutet dies nicht, dass dieser unentdeckte Umsatz unbesteuert bliebe, wenn in der Schattenwirtschaft eingesetzte Vorleistungen legal mit Steuerbelastung beschafft und das dort erzielte Einkommen für steuerbelastete Käufe verausgabt wird.

Fazit

Die für Deutschland und andere Industrieländer regelmäßig veröffentlichten bekannten sehr hohen Schätzungen der Schattenwirtschaft sind nicht überzeugend: die kritische Überprüfung von „Zurechnungen“ zum niedrigen Schätzniveau der Mikro-Evidenz, Plausibilitätsüberlegungen, die Ergebnisse der deutschen „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“, erste erhebliche Korrekturen früherer Makroschätzungen nach unten und die kritische Würdigung der Wahl einer Geldumlaufgeschwindigkeit bei Makroschätzungen, führen zu der Erkenntnis, dass schattenwirtschaftliche Aktivität nicht den oft behaupteten sehr hohen Umfang für Deutschland von 15-16% des offiziellen BIP haben wird.27 Plausibel wäre ein Ausmaß der Mikroschätzungen von wenigen Prozent des BIP.

Insofern ist die vom deutschen Finanzministerium aus der Schätzung der Schattenwirtschaft in Höhe von 16% des offiziellen BIP des Jahres 2004 abgeleitete (und veröffentlichte) Schätzung des Einnahmeverlustes an Steuern und Sozialbeiträgen in Höhe von 70 Mrd. Euro p.a. (= 20% von 350 Mrd. Euro)28 unrealistisch und bedauerlich, denn auf Basis dieser Annahme wurden teure neue Kontrollinstrumente geschaffen sowie die Intensität der Kontrollen wirtschaftlicher Aktivität und die Strafen erhöht. Diese Tendenz hält an, und es besteht die Gefahr, dass sie zu langfristig unerwünschten Effekten führt, z.B. zu einer Beeinträchtigung der intrinsischen Bereitschaft, Steuern und Abgaben zu entrichten. Es stellt sich deshalb die Frage, wer ein Interesse haben kann an so hohen Schätzungen.

Gerade ein auf freiheitlicher Ordnung basierender Staat ist auf diese intrinsische Bereitschaft angewiesen. Die aus den eigenen Schätzungen abgeleiteten Einflüsse auf die Schattenwirtschaft zeigen, wie überraschend viele Möglichkeiten der Staat hat, diese Bereitschaft zu fördern, durch Maßnahmen, die nicht zusätzliche Ausgaben verursachen, sondern teilweise mittel- bis langfristig zu zusätzlichen Einnahmen führen würden: z.B. eine durchgreifend vereinfachende Steuerreform mit Abbau von Subventionen, die Verbesserung der Qualität öffentlicher Güter und Dienste durch bessere Nutzung vorhandener Informationen, die Verringerung der Korruption, die Verstärkung von Elementen direkter Demokratie, die Verbesserung der Regelwerke zu „corporate governance“ um so die Qualität der Unternehmensrepräsentanten zu erhöhen etc.

  • 1 Das Projekt wurde vom DIW Berlin gemeinsam mit der Universität Potsdam, Lehrstuhl für Finanzwissenschaft, Prof. Dr. H.-G. Petersen, bearbeitet und von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert.
  • 2 Vgl. zu den detaillierten Schätzergebnissen für alle berücksichtigten Variablen: U. Thießen: The Shadow Economy in International Comparison: Options for Economic Policy Derived from an OECD Panel Analysis, DIW Discussion Paper, Nr. 1031, Berlin 2010, Tabelle 2, S. 17, Tabelle 4, S. 22, Tabelle 6, S. 27-31, erscheint auch in: International Economic Journal, 24. Jg. (2010), Nr. 4, S. 479-507.
  • 3 Vgl. ebenda, S. 12-15 sowie Appendices 2 und 3.
  • 4 Letztere sind für Deutschland und die EU-Länder aber weniger bedeutend, da relativ gering.
  • 5 Dieses Ergebnis sollte nicht so interpretiert werden, dass indirekte Besteuerung keinen Einfluss auf die Schattenwirtschaft hat. Zur genaueren Überprüfung dieser These müssten vor allem die Umsätze abgegrenzt werden, bei denen eher Steuern hinterzogen werden können, was bei einem Großteil der Konsumgüter in Industrieländern (z.B. Autos etc.) nicht der Fall ist.
  • 6 Dies kann damit erklärt werden, dass diese Kosten Entlassungen dämpfen und damit auch die Schattenwirtschaft (und gleichzeitig den auftretenden Effekt einer Erschwerung von Einstellungen überkompensieren).
  • 7 Die Arbeitsmarktflexibilität ist in Deutschland vor allem bei Großunternehmen trotz bestehender Regulierungen (wie z.B. Kündigungsschutz) relativ hoch. Belege hierfür sind, dass die „Zeitarbeit“ und die Befristung von Arbeitsverhältnissen stark zunahmen, die Lohnstückkostenentwicklung in der vergangenen Dekade relativ moderat war und die Arbeitnehmer tendenziell flexibel auf betriebliche Schwierigkeiten eingehen etc.
  • 8 Vgl. D. Kaufmann, P. C. Vicente: Legal Corruption, MPRA Paper, Nr. 8186, München 2005, http://mpra.ub.uni-muenchen.de/8186; D. Kaufmann, A. Kraay, P. Zoido-Lobaton: Governance Matters: From Measurement to Action, in: Finance and Development, 37. Jg. (2000), Nr. 2, S. 10-13.
  • 9 Vgl. B. Fortin, G. Lacroix, M. C. Villeval: Tax Evasion and Social Interactions, in: Journal of Public Economics, 91. Jg. (2007), Nr. 11-12, S. 2089-2112; sowie U. Fischbacher, S. Gächter: Social Preferences, Beliefs, and the Dynamics of Free Riding in Public Goods Experiments, in: American Economic Review, 100. Jg. (2010), Nr. 1, S. 541-556.
  • 10 Vgl. T. Dohmen, A. Falk, D. Huffmann, U. Sunde: Homo Reciprocans: Survey Evidence on Behavioral Outcomes, in: Economic Journal, 119. Jg. (2009), Nr. 536, S. 592-612.
  • 11 Vgl. J. Stiglitz, A. Sen, J.-P. Fitoussi: Report by the Commission on the Measurement of Economic Performance and Social Progress, 2009, www. stiglitz-sen-fitoussi.fr; D. Kahneman, A. B. Krueger: Developments in the Measurement of Subjective Well-Being, in: Journal of Economic Perspectives, 20. Jg. (2006), Nr. 1, S. 3-24; H. Diefenbacher, R. Zieschank: Der nationale Wohlfahrtsindex und die Diskussion um eine Ergänzung zum BIP, in: Wirtschaftsdienst, 90. Jg. (2010), H. 7, S. 451-453; B. S. Frey, C. Frey Marti: Glück – Die Sicht der Ökonomie, in: Wirtschaftsdienst, 90. Jg. (2010), H. 7, S. 458-463.
  • 12 L. P. Feld, B. S. Frey: Trust Breeds Trust: How Taxpayers Are Treated, in: Economics of Governance, 3. Jg. (2002), H. 2, S. 87–99; B. Torgler: Tax morale and direct democracy, in: European Journal of Political Economy, 21. Jg. (2005), H. 2, S. 525-531.
  • 13 Vgl. D. Acemoglu, S. Johnson: Unbundling Institutions, in: Journal of Political Economy, 113. Jg. (2005), H. 5, S. 949-995.
  • 14 Zur Überprüfung der möglichen Endogenität von Korruption wurden mehrere Schätzverfahren benutzt und es wurde auf Endogenität getestet. Nur ein relativ geringer Teil dieser Tests war signifikant. Darüber hinaus sind die Ergebnisse auch kein Artefakt, weil die meist mehreren Indikatoren eines Einflusses überwiegend ein gleichgerichtetes geschätztes Vorzeichen haben und statistisch signifikant sind.
  • 15 Vgl. U. Thießen, a.a.O., S. 41-43.
  • 16 Vgl. T. Breusch: Estimating the Underground Economy using MIMIC Models, Australian National University, Working Paper, Canberra 2005, S. 33-34; http://econ.unimelb.edu.au/SITE/workshops/Breusch.pdf; U. Thießen, a.a.O., S. 66-70.
  • 17 Vgl. T. Breusch: Estimating the Underground Economy using MIMIC-Models, Australian National University, Working Paper, 2005, Canberra, S. 33-34; U. Thießen, a.a.O., Appendices 3 und 4, S. 66-70.
  • 18 Der für Deutschland geschätzte Umfang der „kriminellen“ Umsätze (1% des offiziellen BIP) ist mit der Schätzung des Bundeskriminalamtes (für das Jahr 2008 11 Mrd. Euro, also ca. 0,4% des BIP) kompatibel, selbst wenn eine hohe Dunkelziffer besteht.
  • 19 Vgl. S. Pedersen: The Shadow Economy in Germany, Great Britain and Scandinavia. A measurement based on questionnaire surveys, Kopenhagen 2003. Die Stiftung führte in der letzten Dekade wiederholte Befragungen zur Schattenwirtschaft durch und schätzte sie relativ zum offiziellen BIP in Dänemark auf 1,8%, in Deutschland auf 1,3%, in Großbritannien auf 0,6%, in Norwegen auf 1,1% und in Schweden auf 1,0%.
  • 20 Vgl. Statistics Canada, a.a.O.; W. S. Koch: Zum Umfang der Schwarzarbeit in Deutschland, in: List Forum für Wirtschafts- und Finanzpolitik, 33. Jg. (2007), H. 7, S. 153-172; G. Graf: Die volkswirtschaftliche Bedeutung von Schwarzarbeit, ebenda, S. 106-128; U. Thießen, a.a.O., S. 69-70; und T. Breusch: Australia’s Underground Economy – Redux?, MRPE Paper Nr. 9980, 2006, http://mpra.ub.uni-muenchen.de/9980.
  • 21 L. P. Feld, C. Larsen: Black Activities in Germany in 2001 and in 2004 – A Comparison Based on Survey Data, The Rockwool Foundation Research Unit, Nr. 12, Kopenhagen 2005.
  • 22 G. Graf, a.a.O., S. 119.
  • 23 Vgl. W. S. Koch, a.a.O., S. 160 ff.; G. Graf, a.a.O., S. 115 ff.
  • 24 Vgl. T. Breusch, a.a.O.
  • 25 Deutscher Bundestag (2008), 16. Wahlperiode, Drucksache 16/7727, Unterrichtung durch den Präsidenten des Bundesrechnungshofes, http://dipbt.bundestag.de/dip21/ btd/16/077/1607727.pdf.
  • 26 Vgl. L. P. Feld, C. Larsen: Strafen, Kontrollen und Schwarzarbeit: Einige Anmerkungen auf Basis von Befragungsdaten für Deutschland, in: D. H. Enste, F. Schneider (Hrsg.): Jahrbuch Schattenwirtschaft, Berlin 2006, S. 81-107; L. P. Feld: Shadow Economy, Tax Compliance, and the Democratic Setting, Potsdam 2010.
  • 27 Die Wahl einer Geldumlaufgeschwindigkeit ist auch bei den oft benutzten Mimic(multiple indicators and multiple causes)-Modellen implizit nötig, weil das Modell einen Index errechnet, dessen Umwandlung in Relationen der Schattenwirtschaft zum BIP unter Nutzung früherer Schätzungen des Bargeldansatzes erfolgt.
  • 28 Bundesministerium der Finanzen: Bündnis gegen Schwarzarbeit, Presseerklärung, Nr. 49/2006 vom 11.4.2006.


DOI: 10.1007/s10273-011-1205-y

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