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Die Komplexität des deutschen Steuersystems hat in den vergangenen Jahren immer wieder Kritik hervorgerufen und zu verschiedenen Verbesserungsvorschlägen geführt, von denen jedoch bislang noch keiner ungesetzt wurde. Denn um eine breite politische Akzeptanz zu erlangen, müssen Reformvorschläge zum Steuersystem neben Transparenz und Einfachheit gleichzeitig sicherstellen, dass die Einkommensungleichheit nicht verschärft, das Steueraufkommen insgesamt nicht zu gering wird und die Erwerbsanreize nicht gefährdet sind. Durch Steuervereinfachung alleine werden diese Ziele nicht per se erreicht.

Dass Steuervereinfachung nicht notwendigerweise zu mehr Steuergerechtigkeit führt, lässt sich beispielsweise an der im Vorfeld der Bundestagwahl 2005 diskutierten Einführung eines einheitlichen Grenzsteuersatzes nach dem Konzept von Paul Kirchhof ablesen.1 In einer Simulationsstudie zeigten Fuest et al., dass die Umsetzung dieses Vorschlags problematische Aufkommens- und Verteilungswirkungen nach sich ziehen würde.2 Ähnliches gilt für den im Bundestagswahlkampf 2009 von der FDP eingebrachten Vorschlag eines dreistufigen Tarifs mit gleichzeitig veränderter Bemessungsgrundlage.3 Auch hier offenbarten Simulationsstudien starke negative fiskalische Effekte.4 Selbst der später von der FDP zu einem Fünf-Stufen-Modell modifizierte Vorschlag konnte die Anforderung einer Steuervereinfachung bei gleichzeitiger Steuerentlastung nicht erfüllen. Intendiert waren Entlastungen im Umfang von rund 16 Mrd. Euro.5 Doch sowohl der Tarif an sich als auch eine damit einhergehende Veränderung der Bemessungsgrundlage hätten dem Staat erhebliche Einnahmeausfälle beschert.6

In dieser Ausgabe des Wirtschaftsdienst stellt Manfred Rose einen neuen Vorschlag für die Einkommensbesteuerung vor, der sowohl einen fünfstufigen Einkommensteuertarif als auch Änderungen an der steuerlichen Bemessungsgrundlage vorsieht. In unserem Beitrag untersuchen wir die potenziellen Aufkommens- und Beschäftigungswirkungen dieses Vorschlags mit Hilfe eines mikroökonometrischen Simulationsmodells. Aus methodischen Gründen betrachten wir zusätzlich eine aufkommensneutrale Variante des Konzepts. Dies erlaubt eine konzeptionelle Beurteilung des Modells im Hinblick auf Verteilungs- und Erwerbsanreizwirkungen. Darüber hinaus nehmen wir eine Separierung der Wirkungen nach Tarifgestaltung und Bemessungsgrundlage vor. Der große Unterschied hinsichtlich der steuerlichen Belastung macht deutlich, dass die bisherigen Vorschläge der steuerlichen Bemessungsgrundlage zu wenig Beachtung geschenkt haben und stattdessen zu einseitig den Tarifverlauf im Blick hatten.7

Reformvorschlag und aufkommensneutrale Variante

Roses Vorschlag sieht einen Steuertarif mit fünf Stufen zwischen einem Eingangssteuersatz von 25% und einem Spitzensteuersatz von 50% vor (vgl. Tabelle 1). Besteuert wird das Einkommen nach Abzug von Sonderausgaben (SA1) wie beispielsweise Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung ab dem ersten Euro. Steuermindernd wirkt eine mit dem Eingangssteuersatz von 25% zu bewertende Steuergutschrift. Diese setzt sich zusammen aus der Summe der Freistellung des Existenzminimums in Höhe von 10 000 Euro und weiteren Sonderausgaben wie Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie einer Pauschale von 200 Euro (SA2). Diese werden mit dem Eingangssteuersatz multipliziert und schließlich von der sich gemäß Tabelle 1 ergebenden Steuerschuld abgezogen – somit werden für die Freistellung des Existenzminimums 2500 Euro von der Steuerzahlung abgezogen.

Tabelle 1
Steuertarif nach Rose
Stufe Grenzsteuersatz (in %) Einkommens­teile des zu versteuernden Einkommens (in Euro)
1 25 0 – 28 000
2 35 28 001 – 42 000
3 40 42 001 – 52 000
4 45 52 001 – 202 000
5 50 ab 202 001

Da unsere Simulationsrechnungen ergeben, dass der Vorschlag in dieser Form nicht aufkommensneutral ist, sondern ein Mehraufkommen (im Vergleich zum Rechtsstand 2009) erbringt, simulieren wir eine leicht abgewandelte Variante, wobei die beiden ersten Grenzsteuersätze statt 25% und 35% nun 20% und 30% betragen. Diese Variante wird im Folgenden mit „Rose 20%“ bezeichnet, die Originalvariante hingegen mit „Rose“. Die entsprechenden Grenzsteuersätze für beide Varianten (jeweils inklusive Solidaritätszuschlag) sind in Abbildung 1 dargestellt. Die blau hinterlegten Flächen in Abbildung 1 kennzeichnen die jeweilige Steuergutschrift. Bis zu einem Einkommen von 10 000 Euro entspricht diese – bewertet mit dem Eingangssteuersatz von 25% (bzw. 20%) – der jeweiligen Steuerzahlung. In dieser Einkommensregion beträgt die faktische Steuerbelastung somit 0 Euro, d.h. Einkünfte bis 10 000 Euro bleiben in beiden Varianten steuerfrei.

Abbildung 1
Grenzsteuerverläufe
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Quelle: Eigene Darstellung.

Daten und Methodik

Die vorgestellten Simulationsergebnisse beruhen auf IZAΨMOD, dem Mikrosimulationsmodell des IZA.8 Als Datengrundlage dient die 2009er Welle des Sozio-oekonomischen Panels des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).9 Die repräsentative Stichprobe der Bevölkerung umfasst über 20 000 Personen in rund 11 000 Haushalten. Im ersten Schritt wird das Steuer- und Transfersystem des Rechtsstandes von Juli 2009 im Rahmen eines statischen Moduls nachgebildet. Dabei wird unter Berücksichtigung von Freibeträgen, Anrechnungspauschalen, Sonderausgaben sowie Abzugsbeträgen für außergewöhnliche Belastungen und sonstige Privataufwendungen das individuell verfügbare Nettoeinkommen unter Berücksichtigung des jeweiligen Haushaltskontextes für jeden Fall der Stichprobe berechnet. Anschließend werden die Ergebnisse mit den durch Fortschreibung angepassten Fallgewichten multipliziert und damit auf die Gesamtpopulation hochgerechnet. Genauso werden für die betrachteten Reformvarianten die individuell zu leistenden Einkommensteuerzahlungen und die Nettoeinkommen der Steuerpflichtigen ermittelt. Auf diese Weise können sowohl die Gesamteffekte als auch die Auswirkungen auf jeden einzelnen Steuerfall analysiert werden.

Um die Effekte auf das Arbeitsangebot zu simulieren, verwenden wir ein diskretes Nutzenmodell in Anlehnung an Van Soest.10 Dabei handelt es sich um ein statisches strukturelles Haushaltsarbeitsangebotsmodell, das die Arbeitsangebotsentscheidung der Haushaltsmitglieder als optimale Wahl zwischen einer begrenzten Anzahl von möglichen Arbeitszeitkategorien modelliert. Konkret können sich die Individuen zwischen Nicht-Erwerbstätigkeit (0 Stunden), Teilzeittätigkeit im Umfang von durchschnittlich 10, 20 oder 30 Wochenstunden, sowie Vollzeittätigkeit im Umfang von durchschnittlich 40, 50 oder 60 Wochenstunden entscheiden. Paarhaushalte treffen ihre Arbeitsangebotsentscheidung per Annahme gemeinsam auf der Grundlage eines Haushaltsnutzenmodells. Durch Berücksichtigung der möglichen Kombinationen können somit sowohl Wirkungen auf das Arbeitsangebot von Frauen als auch von Männern im Haushaltskontext simuliert werden.

Neben dem benötigten Zeitaufwand hängt der spezifische Nutzen einer Arbeitszeitkategorie vom damit verbundenen Nettoeinkommen ab. Dies wiederum ist abhängig vom individuellen, am Markt erzielbaren Stundenlohn. Dieser lässt sich entweder unmittelbar beobachten oder muss separat vorab geschätzt werden. Es wird unterstellt, dass die jeweils nutzenmaximale Alternative gewählt wird. Unter dieser Prämisse lassen sich die Parameter der Nutzenfunktion empirisch schätzen. Durch Eingriffe in das Steuer- und Transfersystem verändert sich der Nutzen einzelner Arbeitszeitkategorien, so dass es im Einzelfall zu Verhaltensänderungen kommen kann. Die Beschäftigungseffekte ergeben sich als Summe der simulierten Nutzen maximierenden individuellen Entscheidungen vor dem Hintergrund veränderter monetärer Erwerbsanreize. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass sich die Berechnung dieser Effekte auf das Arbeitsangebot bezieht und dass keine Restriktionen bezüglich der Arbeitsnachfrage angenommen werden. Damit sich eine Erhöhung des Arbeitsangebots tatsächlich in höherer Beschäftigung niederschlägt, muss eine hinreichende Zahl entsprechender Arbeitsplätze vorhanden sein. Der tatsächliche Beschäftigungseffekt wird in der Realität daher eher geringer ausfallen – insbesondere auch in Zeiten wirtschaftlicher Krisen. Insofern handelt es sich bei positiven Arbeitsangebotseffekten stets um Obergrenzen.

Die Schätzungen des Arbeitsangebotsmodells beschränken sich auf die erwerbsfähige Bevölkerung, da nur diese dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht. Dementsprechend gelten auch die Simulationsergebnisse des Arbeitsangebots nur für diese Subpopulation. Da Rentner von den Reformvorschlägen aber ohnehin nicht betroffen sind, ist diese Abgrenzung für den vorliegenden Zweck vollkommen ausreichend. Die simulierten Budgeteffekte beziehen sich dagegen auf die Gesamtbevölkerung.

Simulationsergebnisse

Im Folgenden stellen wir die Simulationsergebnisse der beiden Reformvarianten „Rose“ und „Rose 20%“ ausführlich dar. Darüber hinaus analysieren wir die beiden einzelnen Elemente des Vorschlags (Stufentarif einerseits und Bemessungsgrundlage mit Steuergutschrift andererseits) jeweils separat, um Aussagen darüber treffen zu können, wie bedeutsam sie jeweils für den Gesamteffekt sind. So wenden wir den Stufentarif nach Rose auf das zu versteuernde Einkommen nach aktueller Rechtslage an und simulieren analog den geltenden Steuertarif auf die nach Rose ermittelte Bemessungsgrundlage.

Anhand der grafischen Darstellung der Budgetverläufe für die verschiedenen Reformszenarien (vgl. Abbildung 2) wird deutlich, ob diese eher zu einer Be- oder Entlastung gegenüber dem Status quo führen. Die Grafik stellt das verfügbare monatliche Nettoeinkommen der wöchentlichen Arbeitszeit gegenüber. Dabei betrachten wir beispielhaft eine verheiratete Person mit zwei Kindern und unterstellen einen Bruttostundenlohn von 12,50 Euro sowie ein überdurchschnittliches Einkommen des Partners (hier: 3 200 Euro brutto im Monat).11

Abbildung 2
Budgetverläufe: Status quo und Reformvorschläge
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Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage von IZAΨMOD.

Aus Abbildung 2 geht hervor, dass mit einer Ausnahme alle Reformvarianten zu einer Mehrbelastung gegenüber dem Status quo führen, da die Budgetgerade für alle Arbeitsstunden unterhalb der Geraden für den Status quo liegt. Die Ausnahme stellt die Anwendung des Stufentarifs nach Rose auf die steuerliche Bemessungsgrundlage der geltenden Rechtslage dar. Der Tarif alleine führt also zu einer Entlastung. Die abgewandelte Variante „Rose 20%“ liegt sehr nah am Status quo, da sie so konstruiert wurde, dass nur eine geringe Veränderung des Aufkommens zu erwarten ist (siehe unten). Die Anwendung der Bemessungsgrundlage nach Rose führt anders als der reine Tarif zu einer deutlichen Belastung. Die Belastung durch die veränderte Bemessungsgrundlage überwiegt dabei die Entlastungen durch den Tarif deutlich, so dass der Gesamteffekt des Rose-Vorschlags ebenfalls zu einer höheren Belastung der Steuerzahler (und Entlastung der Staatskasse) führt: Die Budgetgerade „Rose gesamt“ liegt deutlich unterhalb des Status quo.

Diese höhere Belastung wird zudem durch eine grafische Analyse der Verteilung der Bemessungsgrundlagen im Status quo sowie für den Reformvorschlag „Rose“ verdeutlicht. In Abbildung 3 sind jeweils Kerndichteschätzungen für beide Situationen (ohne Verhaltensanpassung) dargestellt. Es zeigt sich, dass die Verteilung des zu versteuernden Einkommens im Reformvorschlag nach rechts verschoben wird, da die Dichte für geringere Einkommensniveaus im Status quo oberhalb der Dichteverteilung für den Reformvorschlag „Rose“ liegt. Ab einem Wert von rund 30 000 Euro liegt dagegen die Dichteverteilung der Bemessungsgrundlage nach „Rose“ oberhalb des Status quo.

Abbildung 3
Verteilung der Bemessungsgrundlage: Status quo und Reformvorschläge
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Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage von IZAΨMOD.

Somit erhöht sich auch der Durchschnittswert des zu versteuernden Einkommens von etwa 24 400 Euro auf rund 28 800 Euro. Die beiden Durchschnittswerte sind in Abbildung 3 durch die beiden rechten senkrechten Linien gekennzeichnet. Die beiden linken Linien markieren die jeweiligen Niveaus des von der Steuer ausgenommenen Existenzminimums in Höhe von 7834 Euro (Status quo) bzw. 10 000 Euro („Rose“).

In Tabelle 2 sind die Arbeitsmarkt- und Budgetwirkungen des Rose-Vorschlags sowie der abgewandelten Reformvariante „Rose 20%“ detailliert dargestellt. Die Simulation ergibt, dass sich das Arbeitsangebot im Umfang von 445 000 Vollzeitäquivalenten (VZÄ) reduzieren würde.12 Über 72% davon entfallen auf Personen in Paar-Haushalten (zusammen 322 000 VZÄ), alleinstehende Personen reduzieren ihr Arbeitsangebot um etwa 50 000 bzw. 60 000 VZÄ. Auch die Gruppe der Alleinerziehenden (in aller Regel Frauen) reduzieren ihre Erwerbstätigkeit um etwa 11 000 VZÄ.

Tabelle 2
Simulierte Aufkommens- und Beschäftigungswirkungen
Reformvariante Rose Rose 20%
Arbeitsangebotseffekte (in 1000 Vollzeitäquivalenten)
Single-Männer -61 -21
Single-Frauen -49 -17
Alleinerziehende -11 -5
Männer in Paar-Haushalten -164 -61
Frauen in Paar-Haushalten -158 -53
Gesamt -445 -157
Budgeteffekte (in Mio. Euro)
Erstrundeneffekt 28 847 1 313
Verhaltenseffekt -7 880 -2 994
Gesamteffekt 20 967 -1 682
davon Steuern 30 258 3 789
davon Sozialversicherung -4 103 -1 478
davon Transfers -5 188 -3 993

Quelle: Eigene Berechnungen mit IZAΨMOD; Veränderungen gegenüber Rechtsstand 2009.

Der untere Teil der Tabelle 2 zeigt die Budgetwirkungen der beiden Reformszenarien. Der Gesamteffekt setzt sich zusammen aus einem Erstrundeneffekt bei fixem Arbeitsangebot und einem Verhaltenseffekt, der durch die oben beschriebenen Beschäftigungswirkungen der Reform zustande kommt. Insgesamt führt Roses Vorschlag nach Anpassung des Arbeitsangebots zu Mehreinnahmen von knapp 21 Mrd. Euro. Die Verhaltensanpassung resultiert aus dem Anstieg der steuerlichen Belastung, die eine Einschränkung des Arbeitsangebots und somit Einnahmenausfälle für den Fiskus zur Folge hat. Ohne diese Verhaltensanpassung würden dem Fiskus Mehreinnahmen in Höhe von fast 29 Mrd. Euro zufließen.

Die negativen Arbeitsangebotseffekte lassen sich auch durch die hier betrachtete aufkommensneutrale Variante des Tarifverlaufs nicht völlig zum Verschwinden bringen. Der Rückgang des Arbeitsangebots in der Reformvariante „Rose 20%“ erreicht einen Umfang von etwa 157 000 VZÄ. Davon entfallen knapp drei Viertel auf Personen in Paar-Haushalten. Die steuerlichen Mehreinnahmen im Umfang von 1,3 Mrd. Euro, die in dieser Variante ohne Verhaltensanpassung zu erzielen wären, werden durch den negativen Verhaltenseffekt mehr als aufgezehrt, so dass der Gesamteffekt der Variante „Rose 20%“ mit ca. -1,7 Mrd. Euro insgesamt leicht negativ ausfällt.

Betrachtet man die Einführung des Stufentarifs und die Reform der Bemessungsgrundlage durch die Steuergutschrift separat voneinander, lassen sich deren spezifische fiskalische Auswirkungen analysieren. Dabei ergibt die separate Simulation des Stufentarifs einen negativen Gesamteffekt, mit anderen Worten Steuererleichterungen, im Umfang von 15,6 Mrd. Euro. Eine reine Änderung der Bemessungsgrundlage bei gleich bleibendem Steuertarif führt hingegen zu einem Aufkommensplus von 37,6 Mrd. Euro. Dies verdeutlicht die immense Bedeutung der Bemessungsgrundlage im Vergleich zum Steuertarif.

Fazit

In diesem Beitrag analysieren wir den von Manfred Rose vorgelegten Reformvorschlag eines Fünf-Stufen-Tarifs in Verbindung mit einer Reform der steuerlichen Bemessungsgrundlage. Unsere Simulationsergebnisse zeigen, dass die ursprüngliche Reform zu äußerst negativen Arbeitsmarktwirkungen führen würde. Das Arbeitsvolumen geht im Umfang von fast 450 000 Vollzeitäquivalenten zurück. Die negativen Beschäftigungswirkungen resultieren aus der deutlich höheren steuerlichen Belastung, die das Gesamtsteuerkonzept entfalten würde.

Diese entstehen aus zwei antagonistischen Elementen: Während der Fünf-Stufen-Tarif die Haushalte ceteris paribus entlastet, führt die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage zu einer Mehrbelastung von Einkommen, die jenseits der ersten Tarifstufe liegen.13 Dies hat zur Folge, dass die Rose-Reform trotz negativer Beschäftigungswirkungen ein Mehraufkommen von jährlich rund 20 Mrd. Euro erzeugt. Eine Möglichkeit, die Belastung der Steuerzahler zu neutralisieren, bestünde in einer Reduktion der ersten beiden Stufen des Tarifs um jeweils fünf Prozentpunkte auf 20% respektive 30%. Ein solches Szenario wäre annähernd aufkommensneutral, führt aber trotzdem noch zu negativen Arbeitsmarkteffekten von rund 150 000 wegfallenden Vollzeit-Äquivalenten.

Unsere Ergebnisse zeigen, wie bedeutsam die Definition der Bemessungsgrundlage für die Effekte einer Steuerreform sein kann. Veränderungen – beispielsweise bei der Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen zur Ermittlung des zu versteuernden Einkommens – können durchaus stärkere Aufkommenswirkungen entfalten als reine Reformen des Tarifverlaufs. Beiträge zur deutschen Reformdebatte sollten daher die Bedeutung der Bemessungsgrundlage stärker berücksichtigen und sich nicht auf die Veränderung des reinen Tarifverlaufs beschränken.

Der Vorschlag von Rose kann in diesem Zusammenhang als erster Schritt in diese Richtung angesehen werden. Er spricht sich für eine klare und nachvollziehbare Definition der Bemessungsgrundlage aus. Zum einen begründet er an Hand des Nettoprinzips die volle Abzugsfähigkeit von Sonderausgaben für Vorsorgeaufwendungen, die der Verlagerung von Einkommen in die Zukunft dienen. Davon unterscheidet er zum anderen Sonderausgaben, die lenkungspolitisch begründet sind und nur zu einem gewissen Anteil das steuerlich relevante Einkommen reduzieren. Die von der konkreten Ausgestaltung des Reformvorschlags ausgehende Mehrbelastung der Steuerzahler könnte durch eine Erhöhung der Steuergutschrift, eine Ausweitung der Tarifzonen oder eine Absenkung der Grenzsteuersätze abgemildert werden.

  • 1 Vgl. P. Kirchhof: Einkommensteuergesetzbuch – Ein Vorschlag zur Reform der Einkommen- und Körperschaftsteuer, Heidelberg 2003.
  • 2 Vgl. C. Fuest, A. Peichl, T. Schaefer: Führt Steuervereinfachung zu einer „gerechteren“ Einkommensverteilung? Eine empirische Analyse für Deutschland, in: Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 8. Jg. (2007), Nr. 1, S. 20-37.
  • 3 FDP: Die Mitte stärken. – Deutschlandprogramm der Freien Demokratischen Partei, März 2009; FDP: Die gerechte Steuer: Einfach, niedrig und sozial. Das Nettokonzept der FDP, Beschluss vom 59. Ordentlichen Bundesparteitag, Juni 2008; A. Pinkwart et al.: Das Liberale Bürgergeld: aktivierend, transparent und gerecht, Ergebnisbericht der Kommission Bürgergeld – Negative Einkommensteuer (KöBüNE), Mai 2005.
  • 4 Vgl. D. Neumann, A. Peichl, H. Schneider, S. Siegloch: Die Steuerreformpläne der neuen Bundesregierung und das Bürgergeld: Eine Simulation von Risiken und Nebenwirkungen, Wirtschaftsdienst, 89. Jg. (2009), Nr. 12, S. 805-812; N. aus dem Moore, R. Kambeck, T. Kasten: Auswirkungen der Steuerprogramme zur Bundestagswahl 2009 – Eine mikrodatenbasierte Analyse der Reformvorschläge von CDU/CSU, SPD und FDP, RWI Materialien, H. 55.
  • 5 Vgl. FDP: Für faire Finanzbeziehungen zwischen Bürger und Staat. – Antrag des Bundesvorstandes (Stand: 13. April 2010) und Beschluss des 61. ordentlichen Bundesparteitags der FDP am 24. und 25. April 2010 in Köln.
  • 6 Vgl. A. Peichl, N. Pestel, H. Schneider, S. Siegloch: Alter Wein in neuen Schläuchen: Der Fünf-Stufen-Steuertarif der FDP auf dem Prüfstein, IZA Standpunkt Nr. 27, 2010; oder N. aus dem Moore, B. Beimann, P. David, R. Kambeck, T. Kasten: Evaluation des Vorschlags der FDP vom 13. April 2010 für einen Stufentarif der Einkommensteuer, 2010, Projektbericht Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung.
  • 7 Vgl. hierzu auch C. Fuest, A. Peichl, T. Schaefer, a.a.O., S. 20-37.
  • 8 Vgl. P. Spahn, H. Galler, H. Kaiser, T. Kassella, J. Merz: Mikrosimulation in der Steuerpolitik, 1992; und A. Peichl: Simulationsmodelle zur ex ante Evaluation von Steuerreformen, in: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, 58. Jg. (2009), Nr. 1, S. 127-154; für eine Einführung in die Technik der Mikrosimulation. Eine ausführliche Dokumentation von IZAΨMod findet sich in A. Peichl, H. Schneider, S. Siegloch: Documentation IZAΨMOD: The IZA Policy SImulation MODel, IZA Discussion Paper Nr. 4865, 2010, sowie online unter http://www.iza.org/de/webcontent/politics/izapsimod.
  • 9 Sozio-oekonomisches Panel (SOEP): Daten für die Jahre 1984-2009, Version 26, SOEP, 2010.
  • 10 Vgl. A. Van Soest: Structural Models of Family Labor Supply: A Discrete Choice Approach, in: Journal of Human Resources, Nr. 30, 1995, S. 63-88.
  • 11 Die Budgetgeraden für andere Fallbeispiele weisen jeweils einen analogen Verlauf auf. Das hier behandelte Fallbeispiel wurde aus Gründen der besseren Darstellbarkeit gewählt.
  • 12 Dabei wird angenommen, dass eine Vollzeit arbeitende Person 40 Stunden pro Woche arbeitet. Der Gesamteffekt in Stunden pro Woche wird dann entsprechend durch 40 Stunden pro Woche dividiert, um auf die Zahl der Vollzeitäquivalente in Personen zu kommen.
  • 13 Dies wird auch am Beispiel der Günstigerprüfung zwischen Kindergeld und Kinderfreibetrag deutlich. Letzterer ist für höhere Einkommen stets „günstiger“.


DOI: 10.1007/s10273-011-1226-6