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Die finanzwissenschaftliche Theorie hat lange Zeit die Auffassung unterstützt, dass ausländische wie inländische Einkommen besteuert werden sollten (Anrechnungsverfahren). Mittlerweile haben viele empirische Studien ergeben, dass es gesamtwirtschaftlich effizienter sei, ausländische Einkommen von der Steuer freizustellen. Für beide Sichtweisen gibt es gute Argumente. In der Steuerpraxis ist aber das Freistellungsverfahren auf dem Vormarsch – und dies vor allem, weil die Kosten der Steuerdurchsetzung unverhältnismäßig hoch sind.

Wenn ein multinationales Unternehmen im Ausland eine Produktionsstätte errichtet, welche Auswirkungen hat dies auf die Produktion im Inland? Diese Frage hat in den letzten Jahren viele empirische Studien motiviert. Die Ergebnisse dieser Studien könnten, so einige Ökonomen, nicht weniger als einen Paradigmenwechsel in der Theorie internationaler Besteuerung nach sich ziehen. In jedem Fall aber haben sie eine lebhafte Debatte um die optimale Besteuerung ausländischer Gewinne ausgelöst.

Das ökonomische Denken über die angemessene Besteuerung ausländischer Gewinne hat sich über Jahrzehnte an den wegweisenden Arbeiten Peggy Musgraves orientiert, die vor 48 Jahren – noch unter ihrem Geburtsnamen Richman – veröffentlicht wurden.1 Es gibt kaum eine finanzwissenschaftliche Theorie, die einen so großen Einfluss auf die reale Steuerpolitik hatte.2 Musgrave ging davon aus, dass die Errichtung einer ausländischen Produktionsstätte zur Folge hat, dass die inländischen Produktionskapazitäten in gleichem Maße reduziert werden.Unter diesen Umständen habe jedes Land Anreize, ausländisches Einkommen doppelt zu besteuern, um die einheimischen Unternehmen davon abzuhalten, zu viele Investitionen im Ausland zu tätigen. Da dies aus weltweiter Sicht aber ineffizient3 ist, sollten sich die Staaten stattdessen auf die Einführung eines Anrechnungsverfahrens einigen, das eine weltweit effiziente Kapitalallokation sichert. Das OECD-Musterabkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung sieht dementsprechend die Wahl zwischen einem vollständigen Verzicht auf Besteuerung und dem Musgrave‘schen Anrechnungsverfahren vor. Mit anderen Worten, man darf ausländisches Einkommen bevorteilt besteuern (nämlich von der Steuer freistellen) oder es steuerlich der Behandlung inländischen Einkommens gleichstellen (im Anrechnungsverfahren).

In den letzten Jahren kamen vermehrt Stimmen auf, die die empirische Grundlage der Musgrave‘schen Argumentation in Frage stellen. Neuere empirische Studien zeigen, dass eine Ausweitung der ausländischen Tätigkeiten keineswegs die inländische Aktivität des Unternehmens reduziert. Unter diesen Umständen sei nicht das Anrechnungsverfahren sondern die steuerliche Freistellung aus nationaler Sicht effizient. Die Befürworter des Freistellungsverfahrens befinden sich zumeist in Großbritannien und den USA, die beide bis vor drei Jahren noch das Anrechnungsverfahren praktizierten. Während die Freistellungsbefürworter in Großbritannien Erfolg hatten und 2008 die Abschaffung des Anrechnungsverfahrens feiern konnten, ist eine solche Reform in den USA zunächst vertagt worden. In Deutschland hingegen, wo im Ausland erzielte Gewinne multinationaler Unternehmen seit langer Zeit weitgehend von der deutschen Besteuerung befreit sind, wird – mit dem Hinweis, steuerliche Freistellung führe zu ineffizient hoher Investitionstätigkeit im niedriger besteuerten Ausland – immer wieder die Einführung eines Anrechnungsverfahrens gefordert.

Das Argument für eine Steuer auf ausländische Gewinne

Es hilft dem Verständnis der Theorie von Peggy Musgrave, sich vor Augen zu führen, dass die USA in den 1960er Jahren der weltweit dominierende Kapitalexporteur waren. Musgrave nahm an, dass ein repräsentatives Unternehmen über einen gegebenen Kapitalstock verfügt, der im In- und Ausland angelegt werden kann. Sowohl das Inland als auch das Ausland erheben quellenbasierte Unternehmenssteuern, wobei angenommen sei, dass der ausländische Steuersatz niedriger als der inländische ist.

Das Unternehmen maximiert seine Gewinne und investiert daher an beiden Standorten so, dass die Nachsteuerrenditen im In- und Ausland gleich sind. In diesem Fall kann der Kapitalstock nicht mehr realloziert werden, ohne die Nachsteuergewinne zu verkleinern. Wenn die Nachsteuerrenditen gleich sind, der ausländische Steuersatz aber geringer als der inländische ist, folgt daraus, dass die Vorsteuerrenditen – also das, was ein Investitionsprojekt abwerfen muss, um rentabel zu sein – im Ausland niedriger sind. Folglich werden mehr Projekte im Ausland als im Inland realisiert.

In einer solchen Situation lassen sich durch eine Umverteilung des Kapitalstocks zwischen den Standorten zwar die Unternehmensgewinne nicht vergrößern, wohl aber das weltweite Bruttoeinkommen, das aus Gewinnen plus inländischen und ausländischen Steuereinnahmen besteht. Zwingt man das Unternehmen, einen Euro weniger im Ausland und mehr im Inland zu investieren, so erhöht sich das Welteinkommen um die Differenz in den Vorsteuerrenditen. Musgrave zeigt, dass das Anrechnungsverfahren die Gewinnmaximierung und die Maximierung des Welteinkommens miteinander vereinbar macht. Bei diesem Verfahren werden ausländische Gewinne mit dem inländischen Steuersatz besteuert, die im Ausland gezahlten Steuern aber auf die inländische Steuerlast angerechnet. Der Effektivsteuersatz ist also der inländische Steuersatz. Damit werden beide Einkommensquellen gleich besteuert, und die Gleichsetzung der Nachsteuerrenditen ist äquivalent mit der Gleichsetzung der Vorsteuerrenditen.

Musgrave weist jedoch darauf hin, dass die Maximierung des Welteinkommens nicht im Interesse eines einzelnen Landes ist. Aus dieser Perspektive sind im Ausland gezahlte Steuern kein Einkommen, sondern Kosten. Aus nationaler Sicht wäre es also optimal, wenn das Unternehmen die inländische Vorsteuerrendite mit der ausländischen Nachsteuerrendite (exakter: die ausländische Vorsteuerrendite minus die ans Ausland gezahlten Steuern) gleichsetzen würde. Das sogenannte Abzugsverfahren kann ein solches Verhalten induzieren. Bei diesem Verfahren werden ausländische Gewinne voll versteuert, allerdings können im Ausland gezahlte Steuern von der Bemessungsgrundlage abgesetzt werden. Mit anderen Worten, die ausländische Nachsteuerrendite wird im Inland voll versteuert. Effektiv werden ausländische Gewinne also doppelt besteuert.

Eine solche Steuerstrategie ist aus Sicht des Inlands natürlich nur optimal, wenn andere Länder nicht auf die Doppelbesteuerung reagieren. Internationale Koordination macht es möglich, aus dieser dem Gefangenendilemma ähnlichen Situation auszubrechen. Im Rahmen der OECD bzw. der Vereinten Nationen werden Musterabkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung angeboten, die ein Abzugsverfahren untersagen und die Wahl zwischen dem Anrechnungs- und dem Freistellungsverfahren lassen. Folgt man Musgraves Ausführungen, dann sollte man erwarten, dass zumindest Hochsteuerländer das Anrechnungs- dem Freistellungsverfahren vorziehen, ist doch ersteres näher an der national optimalen Lösung.

Das Argument gegen eine Steuer auf ausländische Gewinne

Die Befürworter des Freistellungsverfahrens richten ihre Kritik vor allem gegen Musgraves Annahme eines gegebenen Kapitalstocks. Diese Annahme bedingt, dass ein im Ausland investierter Euro im Inland fehlt. Der moderne Kapitalmarkt, so die Freistellungsbefürworter, sei aber so groß, dass ein einzelnes Land einem nahezu grenzenlosen Kapitalangebot gegenüberstehe. Wenn ein Unternehmen im Ausland investiert, so kann es am Weltkapitalmarkt zu einem gegebenen Zinssatz nahezu unendlich viel Kapital aufnehmen. Die Auslandsinvestition hat also nicht zur Folge, dass die Inlandsinvestitionen sinken müssen. Auch empirisch lässt sich diese Sicht erhärten. In mehreren Studien wird gezeigt, dass innerhalb multinationaler Unternehmen die inländische Aktivität nicht negativ auf eine Ausweitung der ausländischen Aktivität reagiert, einige Studien zeigen sogar eine positive Reaktion.4 Wenn Inlandsinvestitionen aber positiv auf Auslandsinvestitionen reagieren, dann könnte dies im Gegenzug bedeuten, dass ein steuerlich bedingter Rückgang der Auslandsinvestitionen zu einem Rückgang der Investitionen im Inland führen würde – und nicht zu einem Anstieg, wie im Musgrave-Modell.

Die steuerpolitische Konsequenz aus diesen empirischen Studien ist, folgt man Desai und Hines, Devereux und anderen,5 dass das Anrechnungsverfahren kontraproduktive Wirkungen hat und daher durch das Freistellungsverfahren ersetzt werden sollte. Eine Steuer auf ausländische Gewinne verteilt bei gegebener In- und Auslandsaktivität nur Einkommen zwischen dem privaten und dem öffentlichen Sektor um, sorgt aber nicht für zusätzliches Einkommen. Die Unternehmen werden jedoch in aller Regel auf die Steuer reagieren und ihre Auslandsinvestitionen zurückführen, ohne jedoch die Inlandsinvestitionen zu erhöhen. Damit sinkt das nationale Einkommen. Mit anderen Worten, der private Sektor verliert mehr als der öffentliche Sektor gewinnt. Aus dieser Perspektive ist der optimale Steuersatz für ausländische Gewinne gleich Null.

Aus nationaler Perspektive wird also das Freistellungsverfahren dem Musgrave‘schen Abzugsverfahren vorgezogen. Was jedoch ist das Äquivalent zum Anrechnungsverfahren, das im Musgrave-Modell eine aus globaler Perspektive effiziente Kapitalallokation herstellt? Hier sind die Freistellungsbefürworter in einem Dilemma. Während aus nationaler Sicht der Weltkapitalmarkt schlicht zu groß sein kann, um mit nationaler Politik Zinsanpassungen hervorzurufen, kann dies aus globaler Sicht kaum gelten. So gilt auch hier die Politikempfehlung des Musgrave-Modells, das Anrechnungsverfahren zu implementieren. Wenn jedoch eine weltweite Koordination die Wahl der Besteuerungssysteme auf die Optionen Freistellung und Anrechnung begrenzt, dann ist es aus nationaler Sicht besser, die Freistellung zu wählen. Im Musgrave-Modell ist dies umgekehrt.

Dass ein weltweiter Markt für Kapital den Zusammenhang zwischen In- und Auslandsinvestitionen entkoppelt, ist vielleicht das wichtigste Argument gegen die Besteuerung ausländischer Gewinne. Freistellungsbefürworter haben jedoch noch eine Reihe anderer Argumente ins Feld geführt: So wird betont, eine Steuer auf ausländisches Einkommen verteuere die Produktion und koste die einheimischen Unternehmen daher Marktanteile. Dieses Argument ist der Theorie strategischer Handelspolitik entliehen und im Prinzip korrekt. Allerdings lassen sich zwei Einwände erheben. Zum einen werden hier implizite Annahmen über Höhe und Art der Verrechnungspreise zwischen Mutter- und Tochterunternehmen gemacht.6 Unter plausiblen Annahmen über Verrechnungspreise lässt sich mit strategischer Handelspolitik auch die Anwendung des Anrechnungsverfahrens rechtfertigen. Zum anderen führt, ähnlich wie bei herkömmlicher strategischer Handelspolitik, die weltweite Anwendung des Freistellungsverfahrens zu einem global ineffizienten Gleichgewicht. Wenn herkömmliche strategische Handelspolitik aus ökonomischer Sicht abgelehnt und durch Institutionen wie die WTO erfolgreich bekämpft wird, dann müsste dies im Prinzip auch für die Anwendung des Freistellungsverfahrens gelten.7

Weitere Argumente gegen eine Repatriierungssteuer setzen an der Unterscheidung zwischen Investitionen an, die die Allokation von Realkapital implizieren (sogenannte Greenfield-Investitionen, d.h. der Aufbau neuer Produktionsstätten), und Investitionen, die schlicht einen Eigentümerwechsel bedingen, d.h. Unternehmensübernahmen und -zusammenschlüsse. Da letztere den Großteil der weltweit beobachteten Investitionen ausmachen, so das Argument, sollte sich die Steuerpolitik nicht nur an Greenfield-Investitionen orientieren. Tatsächlich lässt sich theoretisch zeigen, dass das Freistellungsverfahren günstigere Effizienzeigenschaften hat, wenn Investitionen die Form von Übernahmen und Zusammenschlüssen von Unternehmen annehmen. Allerdings bedarf es nur weniger steuerlicher Anpassungen, um eine Besteuerung von ausländischen Gewinnen effizient und investitionsneutral zu gestalten.8

Zusammenführung und Vergleich der Argumente

Der Widerspruch zwischen Befürwortern der steuerlichen Freistellung von ausländischen Gewinnen und ihren Gegnern lässt sich auf die Frage reduzieren, wie die Inlandsaktivität auf eine Ausweitung der Auslandsaktivität reagiert.

Zur Illustration sei folgendes einfache Modell mit zwei Ländern, dem Inland (Index I) und dem Ausland (Index A), betrachtet. Ein multinationales Unternehmen stehe vor der Wahl, nur im Inland zu produzieren (Index 0) oder sowohl im Inland als auch im Ausland Produktionsstätten zu errichten (Index 1). Wenn nur im Inland produziert wird, beträgt der Vorsteuergewinn und die inländische Steuerlast Wenn hingegen im Inland und im Ausland Produktion stattfindet, beträgt der Vorsteuergewinn im Inland und der Vorsteuergewinn im Ausland Quellenbasierte Unternehmenssteuern werden sowohl im Inland als auch im Ausland fällig. Das Inland kann darüber hinaus die ausländischen Gewinne im Fall der Repatriierung (R) besteuern Wie wird sich das multinationale Unternehmen entscheiden? Unter der Annahme der Gewinnmaximierung wird das Unternehmen sich für die Alternative entscheiden, die ihm den höchsten Nachsteuergewinn beschert. Es wird also die Produktion an beiden Standorten wählen, wenn gilt. Anders ausgedrückt muss der Nachsteuergewinn im Ausland ein gewisses Niveau überschreiten, damit sich das Unternehmen für die Produktion an beiden Standorten entscheidet, nämlich

Der ausländische Nachsteuergewinn muss also zum einen den potenziellen Verlust an Inlandsgewinnen kompensieren. Zum anderen kann die Kompensation allerdings kleiner ausfallen, wenn auch die vom Inland erhobenen Steuern geringer ausfallen, d.h. wenn Die grundlegende Frage in dieser Literatur ist, ob die Entscheidung des multinationalen Unternehmens aus Sicht des Inlands effizient ist. Aus nationaler Sicht gehören die im Inland gezahlten Steuern zum inländischen Einkommen. Daraus lässt sich folgern, dass sich das Unternehmen für die Auslandsproduktion entscheiden sollte, wenn gilt. Der Nachsteuerauslandsgewinn muss also den Verlust an inländischem Gewinn kompensieren:

Die Effizienzeigenschaften des Steuersystems lassen sich aus dem Vergleich zwischen den Gleichungen (1) und (2) ersehen. Aus diesem Vergleich lässt sich schließen, dass sich die Steuerbelastungen der Grenzinvestition (also der Investition, für die Gleichung (1) mit einem Gleichheitszeichen gilt) genau ausgleichen müssen:

Die Vertreter des Musgrave-Modells gehen nun davon aus, dass im Fall einer Aufnahme der Auslandsproduktion die inländische Aktivität zurückgeht – und dementsprechend das inländische Steueraufkommen, Eine positive Repatriierungssteuer ist also notwendig, um die gesamtwirtschaftliche Effizienz des multinationalen Investments wiederherzustellen, Die Freistellungsbefürworter hingegen nehmen an, dass Auslandsinvestitionen keine Rückwirkung (in einigen Fällen jedoch sogar positive Effekte) auf die Inlandsaktivitäten haben. Wenn dem so ist und die Besteuerung des inländischen Einkommens nicht davon abhängt, ob das Unternehmen auch im Ausland aktiv ist, dann gilt Die optimale Politik aus Sicht des Inlandes erfordert dann

Die oben genannten Studien scheinen eine empirische Basis für das Argument der Freistellungsbefürworter zu liefern. Zudem ist die Annahme eines großen, liquiden Weltkapitalmarktes von überzeugender Plausibilität. Es gibt hier allerdings eine wichtige Schwachstelle. Die Komplementarität von Auslands- und Inlandsaktivität lässt sich zwar für einzelne multinationale Unternehmen empirisch belegen, aber nicht im Aggregat. Wie Feldstein gezeigt hat – und wie Desai, Foley und Hines replizieren konnten,9 verdrängen Auslandsinvestitionen im Aggregat Inlandsinvestitionen Euro für Euro. Wenn In- und Auslandsinvestitionen innerhalb eines multinationalen Unternehmens komplementär sind, im Aggregat aber substitutiv, folgt daraus zwangsläufig, dass eine Ausweitung von Auslandsinvestitionen zwar nicht im Unternehmen selbst, aber in einem anderen Unternehmen einen Rückgang der Inlandsinvestitionen auslöst. Möglich wird dies durch Preiseffekte auf Güter- und (inländischen) Faktormärkten.10 Dass Unternehmen unterschiedlich auf die Ausweitung von Auslandsinvestitionen eines anderen Unternehmens reagieren, setzt einen gewissen Grad an Heterogenität voraus.11

Dieser Einwand ist aus steuerpolitischer Sicht wichtig, denn die Steuerpolitik hat – bedingt durch die Begrenztheit ihrer Instrumente – nicht das einzelne Unternehmen, sondern aggregierte Größen im Blick. Zwar könnte man einwenden, dass multinationale Unternehmen besonders produktiv oder innovativ seien und von ihnen positive Wirkungen auf die Wirtschaft ausgehen, die sie nicht voll internalisieren, und dass daher eine Anreizverzerrung zu ihren Gunsten aus nationaler Sicht durchaus wünschenswert sei. Aber dies würde über das oben diskutierte Argument der Freistellungsbefürworter hinausgehen. Zudem ist die empirische Evidenz für diese These bestenfalls ungesichert.

Diskussion und Fazit

Die Debatte um die Besteuerung ausländischer Einkünfte hat gezeigt, dass ein empirischer Zusammenhang im Zentrum der Auseinandersetzung steht. Sinken die Inlandsinvestitionen in Reaktion auf steigende Auslandsinvestitionen, bleiben sie gleich oder steigen sie gar? Neuere empirische Studien belegen, dass sich innerhalb eines multinationalen Unternehmens In- und Auslandsinvestitionen eher komplementär als substitutiv zueinander verhalten. Aus dieser Erkenntnis leiten einige Ökonomen ein Argument für die steuerliche Freistellung ausländischer Gewinne ab. Da der Zusammenhang zwischen In- und Auslandsinvestitionen aber im Aggregat klar substitutiv ist – was von den Freistellungsbefürwortern auch nicht abgestritten wird – könnte man argumentieren, dass die erwähnten empirischen Ergebnisse steuerpolitisch irrelevant sind, da sich Steuerpolitik ja nicht am Einzelunternehmen, sondern immer nur am Aggregat orientieren kann.

Das von Ökonomen vorgetragene Effizienzargument gegen eine Repatriierungssteuer hat also offensichtliche Schwächen, die seine Position gegenüber der herkömmlichen Sichtweise, die eine Besteuerung ausländischer Gewinne befürwortet, schwächt. Das Anrechnungsverfahren, so könnte man annehmen, ist nach wie vor die erste Wahl für eine Politikempfehlung. Die internationale Steuerpraxis geht allerdings in eine andere Richtung: Hier ist das Anrechnungsverfahren auf dem Rückzug. Wie aber ist das zu erklären?

Ausschlaggebend könnte ein drittes Argument sein, das von den Ökonomen in der Debatte – vermutlich aufgrund seiner Schlichtheit – häufig ignoriert wurde: Das Anrechnungsverfahren könnte in seiner Implementation einfach zu teuer sein. Wenn die Kosten für die Steuerbefolgung und -durchsetzung im Anrechnungsverfahren hoch genug sind, dann könnte sich der Wechsel zu einem Freistellungsverfahren selbst dann lohnen, wenn dies die Investitionen verzerrt. Während im Freistellungsverfahren nur zwischen inländischen und ausländischen Einkünften unterschieden werden muss, ist es im Anrechnungsverfahren notwendig, alle Einkünfte konkreten Standorten zuzurechnen. Dies ist bei komplexen Konzernstrukturen und aus der Perspektive der inländischen Steuerbehörde ein schwieriges, eventuell unmögliches, in jedem Fall aber kostenintensives Unterfangen. Hohe Kosten können dabei sowohl auf Seiten der Steuerverwaltung als auch bei dem besteuerten Unternehmen, das die für die Besteuerung notwendigen Informationen aufbereiten muss, anfallen. Man stelle sich zur Illustration ein multinationales Unternehmen vor, das einen Großteil der Produktion im Ausland angesiedelt hat. Zwischen den einzelnen Produktionsstandorten des Unternehmens bestehen interne Handelsbeziehungen, die mit internen Preisen verbucht werden. Zudem hält das Unternehmen Anteile an weiteren Tochterunternehmen im Ausland, die dort steuerpflichtig sind und dem Mutterunternehmen regelmäßig Dividenden überweisen. Man kann sich anhand dieses Beispiels vorstellen, dass die Manipulationsmöglichkeiten für das Unternehmen umfangreich und der Zeitaufwand, die angemessene Repatriierungssteuer zu ermitteln, enorm sind.12

Das Kostenargument ist mangels verlässlicher empirischer Studien über die Höhe der Steuerbefolgungs- und -durchsetzungskosten eher spekulativer Natur, wurde jedoch z.B. in Großbritannien im Vorfeld der Umstellung zur Freistellung häufig verwendet.13 Es muss hier angemerkt werden, dass ein Wechsel zum Freistellungsverfahren in allererster Linie den besteuerten Unternehmen selbst nützt. Es gibt daher genügend Anreize, Angaben über die Kosten der Besteuerung zu übertreiben. Gründliche empirische Untersuchungen sind erforderlich, um zu klären, ob Steuerbefolgungs- und -durchsetzungskosten die zuletzt beobachteten Steuerreformen hin zum Freistellungssystem rechtfertigen.

Die Autoren danken Martin Ruf, Wolfgang Schön, Ulrich Schreiber und Christoph Spengel für wertvolle Hinweise.

  • 1 P. B. Richman: Taxation of Foreign Investment Income – An Economic Analysis, Baltimore 1963.
  • 2 Auch auf die finanzwissenschaftliche Forschung hatte die Theorie, die von Musgrave, Hamada, Feldstein und Hartman weiterentwickelt wurde, erheblichen Einfluss. Vgl. P. B. Musgrave: United States Taxation of Foreign Investment Income: Issues and Arguments, International Tax Program, Harvard Law School, Cambridge (M.A.) 1969; K. Hamada: Strategic Aspects of Taxation on Foreign Investment Income, in: Quarterly Journal of Economics, 80. Jg. (1966), H. 3, S. 361-375; M. S. Feldstein, D. Hartman: The Optimal Taxation of Foreign Source Investment Income, in: Quarterly Journal of Economics, 93. Jg. (1979), H. 4, S. 613-629.
  • 3 Zudem birgt eine Doppelbesteuerung das Risiko, dass sich das Ausland in seiner Steuerpolitik anpasst. Vgl. E. W. Bond, L. Samuelson: Strategic Behavior and the Rules for International Taxation of Capital, in: Economic Journal, 99. Jg. (1989), H. 398, S. 1099-1111; E. Janeba: Corporate Income Tax Competition, Double Taxation Treaties, and Foreign Direct Investment, in: Journal of Public Economics, 56. Jg. (1995), H. 2, S. 311-326; R. B. Davies: Tax Treaties and Foreign Direct Investment: Potential versus Performance, in: International Tax and Public Finance, 11. Jg. (2004), H. 6, S. 775-802.
  • 4 Vgl. z.B. P. Egger, M. Pfaffermayr: The Counterfactual to Investing Abroad: An Endogenous Treatment Approach of Foreign Affiliate Activity, in: University of Innsbruck Working Papers in Economics, Nr. 2, 2003; H. Simpson: Investment Abroad and Adjustment at Home: Evidence from UK Multinational Firms, CMPO working paper, Nr. 08/207, 2008; M. A. Desai, C. F. Foley, J. R. Hines: Domestic Effects of the Foreign Activities of U.S. Multinationals, in: Economic Policy, 1. Jg. (2009), H. 1, S. 181-203; J. Kleinert, F. Toubal: The Impact of Locating Production Abroad on Activities at Home: Evidence from German Firm-Level Data, in: Review of World Economics, im Erscheinen.
  • 5 Vgl. M. A. Desai, J. R. Hines: Evaluating International Tax Reform, in: National Tax Journal, 56. Jg. (2003), H. 3, S. 487-502; M. A. Desai, J. R. Hines: Old Rules and New Realities: Corporate Tax Policy in a Global Setting, in: National Tax Journal, 57. Jg. (2004), H. 4, S. 937-960; M. P. Devereux: Taxation of Outbound Direct Investment: Economic Principles and Tax Policy Considerations, in: Oxford Review of Economic Policy, 24. Jg. (2008), H. 4, S. 698-719.
  • 6 J. Becker: Strategic trade policy through the tax system, in: CESifo Working Paper, Nr. 3066, 2010.
  • 7 Ähnlich argumentiert Desai auf der Grundlage eines Modells mit heterogenen Unternehmen, vgl. M. A. Desai: Securing Jobs or the New Protectionism?: Taxing the Overseas Activities of Multinational Firms, in: Harvard Business School Finance Working Paper, Nr. 09-107, 2009. Allerdings lässt sich in diesem Rahmen die Überlegenheit des Freistellungsverfahrens nur schwer beweisen, vgl. J. Becker: Taxation of Foreign Profits with Heterogeneous Multinational Firms, in: CESifo Working Paper Series, Nr. 2899, 2009.
  • 8 J. Becker, C. Fuest: Taxing Foreign Profits with International Mergers and Acquisitions, in: International Economic Review, 51. Jg. (2010), H. 1, S. 171-186; J. Becker, C. Fuest: Source versus residence based taxation with international mergers and acquisitions, in: Journal of Public Economics, 95. Jg. (2011), H. 1-2, S. 28-40; M. Ruf: Determining Taxable Income to Ensure Capital Ownership Neutrality, mimeo 2009.
  • 9 Vgl. M. S. Feldstein: The Effects of Outbound Foreign Direct Investment on the Domestic Capital Stock, in: M. Feldstein, J. R. Hines Jr., R. G. Hubbard (Hrsg.): The effects of taxation on multinational corporations, Chicago 1995, S. 43-66; M. A. Desai, C. F. Foley, J. R. Hines: Foreign Direct Investment and the Domestic Capital Stock, in: American Economic Review, Papers and Proceedings, 95. Jg. (2005), H. 2, S. 33-38.
  • 10 Vgl. J. Becker: Taxation of Foreign Profits …, a.a.O.
  • 11 Peggy Musgrave nimmt implizit homogene Unternehmen an (die in einem repräsentativen Unternehmen zusammengefasst sind). Es ist somit nicht erstaunlich, dass die Forderung nach einer Freistellung ausländischer Gewinne zeitgleich zur „Entdeckung“ der Unternehmensheterogenität in der Handelstheorie aufkommt.
  • 12 Die Europäische Kommission schätzt, dass große Unternehmen im Durchschnitt Steuerbefolgungskosten von 1,4 Mio. Euro tragen, was 1,9% ihrer Gesamtsteuerlast entspricht. Für kleine Unternehmen können diese Kosten auf über 30% der Gesamtsteuerlast ansteigen, vgl. J. B. Slemrod, M. Blumenthal: The Income Tax Compliance Cost of Big Business, in: Public Finance Quarterly, 24. Jg. (1996), H. 4, S. 411-438. Wichtig ist hier, dass sich die Steuerbefolgungskosten mehr als vervierfachen, wenn Unternehmen im Ausland tätig sind, vgl. European Commission: European Tax Survey, Directorate-General Taxation & Customs Union, Working Paper, Nr. 3, 2004. Was Steuerverwaltungskosten angeht, so gehen einige Studien davon aus, dass sie etwas geringer als die Steuerbefolgungskosten sind, vgl. J. B. Slemrod, M. Blumenthal, a.a.O.; und C. Evans: Studying the Studies: An Overview of Recent Research into Taxation Operating Costs, in: eJournal of Tax Research, 1. Jg. (2003), H. 1, S. 64-92. Jedoch fehlt hier ein systematischer Vergleich zwischen rein nationalen und multinationalen Unternehmen.
  • 13 Vgl. HM Treasury and HM Revenue and Customs: Taxation of Companies’ Foreign Profits: Discussion Document, 2007.


DOI: 10.1007/s10273-011-1239-1